Tichys Einblick
Beide Seiten in der Sackgasse

Russland versus Ukraine: Keine Fortschritte für niemanden

Insgesamt wenig Erfreuliches für das Überleben einer unabhängigen Ukraine. Realistisch vorstellbare Lösungswege aus der Katastrophe gibt es derzeit keine. Zu unvereinbar sind die unterschiedlichen Positionen. Daran ändern auch die Verhandlungen in Istanbul wenig.

Der türkische Präsident Erdogan spricht zu den russischen und ukrainischen Unterhändlern in Istanbul, 29.3.2022

IMAGO / ITAR-TASS

Die Meldung der russischen Nachrichtenagentur per Messengerdienst Telegramm war knapp und deutlich: „Die Gesprächsrunde zwischen Russland und der Ukraine in der Türkei ist beendet, bestätigte eine Quelle in der russischen Delegation“. Und das schon vor 15 Uhr. Nach Angaben der für gewöhnlich gut unterrichteten Nachrichtenseite liveuamap.com soll es am nächsten Tag keine Fortsetzung der Gespräche zwischen der ukrainischen und russischen Delegation in der türkischen Hauptstadt Istanbul geben. 

Der russische Überfall auf sein Nachbarland, der nach klassischer Definition als Russisch-Ukrainischer Krieg in die Geschichtsbücher einziehen wird, vermittelt auch in der sechsten Kriegswoche den Eindruck, dass beide Seiten in der Sackgasse stecken.

Russlands Bodenoffensive scheint weitgehend festgefahren, weshalb die Akteure im Kreml, die ohne Anlass über friedliche Menschen hergefallen sind, zu ihrer fast schon als klassisch zu bezeichnenden Strategie Zuflucht nehmen, die zivile Infrastruktur des angegriffenen Landes in Grund und Boden zu bomben. Möglicherweise als Vorbereitung eines gesichtswahrenden „Verhandlungsfriedens“ veröffentlichte der Kreml jüngst Positionen seiner Militärführung, wonach einerseits die Kriegsziele weitgehend erreicht seien, andererseits der Militäreinsatz auf die „Befreiung“ der Ostukraine gelegt werde.

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Der Ukraine fehlen hingegen die militärischen Mittel, um die Invasoren auf eigenem Gebiet erfolgreich zurückdrängen zu können. Das ukrainische Militär verfolgt eine Taktik der Nadelstiche: Kleine, mobile Einheiten kundschaften – offenbar mit Unterstützung westlicher Geheimdienste – aus, wo die Russen ihre Kampfeinheiten und Nachschubkolonnen stehen haben. Mittels kleiner Kommandoeinheiten und Drohnentechnik erfolgen daraufhin gezielte Angriffe, die den Russen bereits erhebliche Verluste an Material und Menschenleben beigebracht haben. Zu gewinnen allerdings ist der Krieg auf diesem Wege nicht, solange aus Russland ständig neue Kräfte nachgeführt werden können. Hierzu sollen allerdings bereits Einheiten aus den Krisenregionen Syrien und Georgien in die Ukraine verbracht worden sein – und auch an der Armenienfront sieht sich Russland mit Problemen beschäftigt, da der Türkei-Verbündete Aserbeidschan seinerseits mit Nadelstichangriffen den Konflikt gegen Berg-Karabach neu aufkocht.
Kein schweres Kriegsgerät für Selenskyj

Der Präsident der Ukraine fordert deshalb von den Nato-Staaten schweres Kriegsgerät wie Panzer und Kampfjets. Allerdings gibt es bislang bis auf Offerten ehemaliger Sowjetsatelliten keine Bereitschaft, entsprechendes Kriegsgerät, welches den Verlauf des Krieges zugunsten der Ukraine beeinflussen könnte, zu liefern. Zu groß ist in den Hauptstädten der Nato-Führungsmächte die Angst, dass Putin solche Lieferungen zum Anlass nehmen könnte, nach der Ukraine auch Nato-Territorium unmittelbar anzugreifen und damit den gegenseitigen, atomaren Selbstvernichtungsmechanismus in Kraft zu setzen. Zudem stellt sich die Frage der Logistik, da sowohl Panzereinheiten als auch Jets über Stützpunkte in der Ukraine verfügen müssten, soweit nicht Drittländer als dann faktische Kriegsparteien dafür ihre Logistik zur Verfügung stellen. Die russische Armee hat jedoch zwischenzeitlich mehrmals unter Beweis gestellt, dass sie mit ihren Lenkwaffen auch über weite Entfernungen präzise Luftschläge durchführen kann. Dass Russland hier das Material ausgeht, ist eher nicht zu erwarten auch dann, wenn sich die angeblich eingesetzte Hyperschallrakete zunehmend mehr als Propagandashow herausstellt.

Von Atom- und anderen geächteten Waffen

Hinsichtlich der Atomkriegsangst im Westen hat Russland mittlerweile wissen lassen, dass es einen Atomwaffeneinsatz ausschließlich dann vorsehe, wenn Russland selbst angegriffen werde. Nun ist zwar in der wirren Logik des Angreifers im Kreml die souveräne Ukraine ein unveräußerlicher Teil Russlands, doch wird diese Aussage dahingehend interpretiert, dass bei der Unterwerfung der Ukraine keine A-Waffen eingesetzt werden sollen. Auch hinsichtlich von Bio- und Chemiewaffen scheint sich der Kreml Zurückhaltung auferlegt zu haben, nachdem die Nato-Staaten unisono haben wissen lassen, dass ein solcher Einsatz zu „Konsequenzen ungeahnten Ausmaßes“ würde führen müssen. Allerdings haben sich alle Beteiligten längst daran gewöhnt, dass der Wahrheitsgehalt russischer Aus- und Zusagen jederzeit gegen Null gehen kann, doch deutet bislang nichts darauf hin, dass Russlands Kriegsverbrecher tatsächlich auf diese geächteten Waffen zurückgreifen müssen, um ihre Ziele in der Ukraine zu erreichen. Andere international geächtete Waffen wie Streubomben sollen laut Amnesty International allerdings bereits eingesetzt worden sein. Deren Effizienz allerdings ist in einem Guerillakrieg mit kleinen, mobilen Einheiten eher fraglich, da sie darauf ausgerichtet sind, gegnerische Einheiten über größere Flächenareale zu vernichten und insofern insbesondere bei Truppenkonzentrationen ihre Wirkung entfalten.

Auf dem Weg in einen Zermürbungskrieg

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So stecken nun beide Seiten in einem Dilemma. Die Kosten für die ursprünglich geplante Komplettübernahme der Ukraine durch Russland könnten für den Aggressor auch deshalb zu hoch werden, weil offensichtlich der Unmut vor allem bei seinen Bodentruppen zu groß wird. So ist zwischenzeitlich ein Vorfall bestätigt, bei dem ein Panzerführer seinen Kommandierenden gezielt überrollte. Ob es sich dabei um einen Einzelfall handelt, ist derzeit ungeklärt. Angeblich soll es auch in anderen Truppenteilen bereits zu Meutereien gekommen sein, weil die Soldaten zum einen nicht verstehen, warum sie das angebliche Brudervolk vernichten sollen, und zum anderen sich angesichts der hohen eigenen Verluste verheizt fühlen.

Dennoch wird die Ukraine nicht in der Lage sein, die russischen Invasoren vollständig aus den gegenwärtig besetzten Gebieten ihres Hoheitsgebiets zu vertreiben. Mechaniker des Kriegshandwerks sprechen daher bereits von einem Stellungs- und Zermürbungskrieg, der sich noch über Wochen, wenn nicht Monate hinziehen kann.

In einem solchen Zermürbungskrieg wäre es vorstellbar, dass auf russischer Seite die Ablehnung des Krieges, der nicht so genannt werden darf, Formen annimmt, die für die Führung im Kreml bedrohlich werden können. Andererseits funktioniert die russische Repressions- und Propagandamaschine bislang so gut, dass nach verfügbaren Erkenntnissen weit über 50 Prozent der russischen Bevölkerung hinter der „militärischen Aktion“ stehen.

Auf ukrainischer Seite hingegen kann ein Zermürbungskrieg die bislang überaus patriotische Widerstandskraft der Bevölkerung auch durch die Zerstörung von Infrastruktur und Versorgung zum Erlahmen bringen und damit den Flüchtlingsstrom nach Westen in deutlich stärkerem Maße befördern. Mariupol setzt hinsichtlich der Vernichtungsbereitschaft der russischen Generalität erschreckende Maßstäbe einer inhumanen, gegen die Menschen gerichteten Kriegsführung.

Unterschiedliche Szenarien der künftigen Entwicklung

Angesichts dieser Sachlage kursieren in den Thinktanks derzeit unterschiedliche Szenarien.

Eines geht davon aus, dass sich Putin mit der Besetzung und Abtretung der ostukrainischen Gebiete zufriedengeben wird. Allerdings ist in einem solchen Falle bislang gänzlich ungeklärt, wo künftig die Grenze zwischen der Ukraine und Russland verlaufen könnte. Der Dnjepr, der manchen russischen Kriegsherren vorzuschweben scheint, ist für die Ukraine nicht hinnehmbar auch dann, wenn Selenskyj zwischenzeitlich angedeutet hat, dass über den Donbass gesprochen werden könne. Diese ohnehin längst von Russland okkupierten Regionen allerdings werden Putin zur Gesichtswahrung kaum reichen, zielte er doch auf Regime-Change und Unterwerfung des Nachbarlandes.

Insofern gibt es auch Überlegungen, wonach Russland darauf abziele, die Ostukraine zwar entlang der natürlichen Grenze des Flusslaufs zu teilen, die westlich davon gelegenen Territorien jedoch weitgehend unbewohnbar zu machen. Hierbei soll Putins Auffassung eine Rolle spielen, durch die Vertreibung des Großteils der vor dem Krieg rund 40 Millionen Ukrainer in die EU dort eine Situation wie nach 2015 zu schaffen, als der Konflikt um die Verteilung jener angeblichen Flüchtlinge die Einigkeit in der EU zu sprengen drohte.

Befördert wurden solche Überlegungen im Kreml nicht nur durch den Probelauf des vergangenen Jahres, als vorwiegend irakische Migranten als sogenannte Flüchtlinge über Weißrussland in die EU gedrängt werden sollten, um dort die unterschiedlichen Auffassungen zur Aufnahme der Migranten auf den Siedepunkt zu bringen.

Mehr noch allerdings fühlte sich Putin in der Flüchtlingsstrategie nun bestätigt durch Nancy Faeser, der als Bundesminister des Inneren nichts Dringlicheres einfiel, als angesichts der Flüchtlingsströme aus der Ukraine das längst erledigte Thema der „Flüchtlingsquoten“ auf den Tisch der EU zu werfen. Unabhängig davon, dass die selbsternannte Rechtsextremismusexpertin im Kabinett Scholz damit den Grundirrtum der politischen Linken unter Beweis gestellt hat, der verkennt, dass es in der Flüchtlingspolitik eben nicht um eine grundsätzliche Ablehnung, sondern vielmehr um den kulturellen Hintergrund der Zuwanderungswilligen geht, warf Faeser mit dieser Dummheit dem Kreml das notwendige Stöckchen zu, nun die Vertreibung der Ukrainer aus ihrer Heimat als Kriegsinstrumentarium nicht nur gegen die Ukraine selbst, sondern auch gegen die „unfreundlichen Staaten“ in Westeuropa einzusetzen. Die Abwatschung durch die EU-Kommission folgte auf den Fuß und Faeser rudert mittlerweile kräftig zurück – das verheerende Signal ist dennoch an der Moskwa angekommen.

Infolgedessen gibt es mittlerweile zudem Szenarien, die östlich des Dnjepr einen bodengestützten, langwierig geführten Eroberungs- und Unterwerfungskrieg Putins annehmen, bei dem die dortigen Städte nach dem Muster Mariupols isoliert und ausgezehrt werden sollen, um am Ende eine zermürbte ukrainische Bevölkerung unter die Knute des Kreml zu zwingen. Westlich des Dnjepr hingegen wird Putin nach diesem Szenario Städte und Infrastruktur durch weitgehend ungehinderte Luftangriffe derart zerstören, dass ein Großteil der dort noch verharrenden Bevölkerung nach Westen zieht und von einer Rückkehr in die zerstörte Heimat absieht. So könnte dort nach Putins Vorstellung eine Art Niemandsland geschaffen werden, welches das Kriegsziel der „Entmilitarisierung“ und „Entnazifizierung“ als Erfolg ausweist und von einer schwachen Rumpfregierung unter Scheinneutralität solange verwaltet wird, bis auch dieser Landstrich zur dann weniger verlustreichen Übernahme durch Russland reif ist.

Pseudogespräche in Istanbul

Unter diesen Voraussetzungen werden nun unter Regie der Türkei in Istanbul Gespräche zwischen russischen und ukrainischen Delegationen geführt, um vorgeblich einen Weg aus dem Krieg zu finden. Experten zweifeln allerdings, ob solche Gespräche angesichts der Situation überhaupt Sinn machen. So habe nach einem Bericht der Times Wolodymyr Selenskyj in der vierten Märzwoche an den Kriegsverantwortlichen im Kreml einen handgeschriebenen Vorschlag übermittelt, in dem er Wege zur Einigung aufgezeigt haben soll. Erwartungsgemäß hat der Kreml-Diktator diese Vorschläge mehr oder weniger ungelesen vom Tisch gefegt. Putin hat sich derart in sein Fantasiekonstrukt eines von allen Seiten bedrohten Russlands hineingesteigert, dass für ihn nach wie vor nur die bedingungslose Kapitulation Selenskyjs akzeptabel ist, weshalb auch die Istanbul-Gespräche eher als Ablenkung für die Weltöffentlichkeit denn als ernsthafte Verhandlungen inszeniert werden. Dass diese Propaganda funktioniert, wird unter anderem daran deutlich, dass westliche Medien allen Ernstes von „Friedensverhandlungen“ sprechen. Bei dieser Begriffswahl ist nicht einmal der Wunsch Vater des Gedankens – sie ist einfach nur Gedanken-los.

Bei all dem gilt zudem: Welchen faktischen Wert können Verhandlungsergebnisse haben, die aus den Läufen der Kanonen diktiert werden? Zu welchen Zugeständnissen die Ukraine auch immer gezwungen werden könnte – solange es eine Ukraine gibt, wird sie dieses Zwangsdiktat als zu revidierende Schande verstehen. Verhindern kann Putin einen solchen „Revanchismus“ nur, indem er die Ukraine als Land und kulturelle Identität vernichtet. Mit seinem Überfall jedoch hat er zumindest hinsichtlich der nationalen Identität der Ukrainer, gleich ob ukrainisch- oder russisch-sprachig, das genaue Gegenteil erreicht.

Macrons Wahlkampfaktion

Völlig offen ist die von Emmanuel Macron positionierte „Evakuierungsmission“ für die zerstörte Stadt Mariupol. Vom französischen Präsidenten, der gegenwärtig um seine Wiederwahl kämpft, großartig als gemeinsame Aktion Frankreichs, der Türkei und Griechenlands verkündet, wurde gänzlich vergessen, sich zuvor das „Go“ Putins einzuholen. Der lässt Macron derzeit am ausgestreckten Arm verhungern. Auch stellt sich selbst bei einer Zustimmung Russlands die Frage, wie eine solche Evakuierung von geschätzt immer noch 400.000 Bewohnern der Stadt am Asowschen Meer organisatorisch zu bewältigen wäre. Eine landgestützte Evakuierung müsste, soll sie den Ansprüchen Macrons entsprechen, unter Begleitung von bewaffneten Einheiten aus den drei Nato-Staaten erfolgen – von der notwendigen Logistik des Menschenstroms ganz zu schweigen. Kaum vorstellbar, dass Putin dem zustimmen wird. Allein schon ein Zug von vielleicht tausenden gequälten Menschen, der durch die mediale Weltöffentlichkeit rauscht, kann von Putin nicht zugelassen werden. Der logistisch näherliegende und dennoch medial für Putin katastrophale Seeweg wiederum führt über weite Strecken durch von Russland kontrollierte Gewässer durch die Meerenge von Kertsch. Zudem müsste eine solche Evakuierung, sollte sich ein Großteil der Bewohner der Hafenstadt zur Flucht entscheiden, die gesamte international unter Flagge stehende Kreuzfahrtschiffflotte beanspruchen. Kaum vorstellbar hingegen, dass die drei Akteure mit ein paar bereitliegenden Fährschiffen ihren Ansprüchen gerecht werden könnten.

Kein Wunder also, dass es um die von Macron am 26. März verkündete Initiative zwischenzeitlich still geworden ist – ein Wahlkampfgag des Franzosen zulasten der Hoffnungen jener, die in der Marienstadt am Schwarzen Meer von russischer Artillerie zusammengeschossen werden.

Dollar oder Rubel – der Krieg um die Energie

Derweil geht das Poker um die Zahlung der russischen Energieexporte in die nächste Runde. Die europäischen Abnehmer pochen auf die geltenden Verträge, die auf Wunsch Russlands ausdrücklich eine Bezahlung in den Devisen Euro, Dollar und Pfund vorsahen. Russland brauchte dieses Geld, um damit im Westen auf Einkaufstour gehen zu können. Durch die westlichen Sanktionsmaßnahmen aber kann Putin mit den Devisen heute kaum noch etwas anfangen – und um der Russischen Staatsbank gleichsam durch die Hintertür aus den Sanktionen zu helfen, darf Gazprom laut Präsidenten-Ukas vertragswidrig nur noch gegen Rubel liefern, welche die Abnehmer bei eben jener sanktionierten Staatsbank, die sie nach Belieben drucken kann, einkaufen müssten.

Durch die Ablehnung der Rubelzahlung droht nun Lieferstopp. Das könnte einerseits den Ausfall erheblicher Leistungskapazitäten westlicher Unternehmen zur Folge haben, müsste andererseits im fernen Sibirien dazu führen, dass das geförderte Gas unmittelbar an der Quelle abgefackelt wird. Denn anders als beim Erdöl lassen sich Erdgasquellen, die unter erheblichem Binnendruck stehen, nicht ohne weiteres auf- und zudrehen. Entgegen den Märchen mancher selbsternannter Klimaschützer ist der Import- oder Lieferstopp von Erdgas eben deshalb auch kein Beitrag für weniger CO2-Emmision.

Die Hoffnung stirbt zuerst in der Ukraine

Insgesamt also wenig Erfreuliches für das Überleben einer unabhängigen Ukraine. Realistisch vorstellbare Lösungswege aus der Katastrophe gibt es derzeit keine. Zu unvereinbar sind die unterschiedlichen Positionen – und das war von Putin auch von vornherein genauso geplant, stellten doch bereits seine vor dem Überfall zwecks vorgeblicher Deeskalation übermittelten Anti-Nato-Wünsche nichts anderes dar als ein Begründungspaket für seinen Überfall auf das Nachbarland.

Insofern traf US-Präsident Joe Biden keine falsche Aussage, als er in Warschau das Verschwinden Putins aus seiner gegenwärtigen Präsidentenposition als unvermeidbar formulierte: Mit Putin an der Spitze des Kreml wird es Frieden in der Ukraine und Frieden mit dem Westen, der sich faktisch längst im Krieg mit Russland befindet auch dann, wenn keine klassischen Kriegswaffen eingesetzt werden, nicht geben. Ob es ihn ohne Putin gäbe, darf allerdings ebenfalls nicht als gesetzt angenommen werden. Zu undurchschaubar sind die Ränkespiele, die sich hinter den Kulissen abspielen. So soll jenes Selenskyj Angebot an Putin angeblich ausgerechnet vom Oligarchen Roman Abramowitsch überreicht worden sein. Dem werden zwar gute Kontakte zu Putin unterstellt – doch angeblich wurde er auf seiner Mission irgendwo nach klassischem Muster chemisch vergiftet, auch wenn diese Attacke nur zu Unwohlsein und brennenden Augen und Hautablösungen im Gesicht und an den Händen geführt hat. So wird nun einerseits gemutmaßt, dass die russischen Oligarchen, die erhebliche Sanktionsverluste zu beklagen haben, ihren Druck auf Putin erhöhen, gleichzeitig aber Hardliner jeglichen Verhandlungsfortschritt unterbinden wollen. Die Tatsache, dass die Oligarchen in Russland nichts zu sagen haben, wird dabei ausgeblendet.

So gilt mit Blick auf den durch Putin verursachten Zivilisationsbruch immer noch nur das einst von Michail Gorbatschow nach Deutschland gebrachte, russische Sprichwort: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Und zuerst stirbt sie gegenwärtig in der Ukraine.

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