Kaum ein Land in Europa war so stolz auf seine Vergangenheit wie Italien. Es war nicht nur der Rückblick auf die Größe des antiken Roms, die immer wieder mal den Blick auf die Realitäten trübte und so das Völkergemisch aus Etruskern, Latinern, römischen Weltbürgern und zugewanderten Germanen in unübersehbare Abenteuer trieb, die, wie einst der Versuch das „mare nostro“ durch die Besetzung von Albanien, den Dodekanes und Libyen zu reaktivieren, in der Katastrophe endeten.
Es ist vielmehr der berechtigte Stolz darauf, als Speerspitze der Renaissance maßgeblich dazu beigetragen zu haben, dass Westeuropa sein von Klerus und Stagnation geprägtes Mittelalter zu überwinden in der Lage war. Nicht nur Denker wie Machiavelli und Alighieri wirken bis heute fort – gerade die bildenden Künstler von Donatello über Giovanni de Bologna und Michelangelo Buonarroti bis Leonardo da Vinci charakterisieren den neuen Aufbruch des Menschen in die Moderne wie kaum etwas anderes. Die von klerikalen Kleingeistern gepredigte Prüderie des Mittelalters überwanden sie auch mit dem Rückgriff auf die künstlerische Freizügigkeit der Antike, in der der nackte Mensch nicht länger eine schamhaft zu versteckende Fehlkonstruktion Gottes war, sondern in seiner Ebenmäßigkeit und mathematischen Perfektion als vollendetes Konstrukt der Natur wiederentdeckt wurde. Ihre und ihrer Schüler Werke zieren die einmalige Stadt am Tiber, die gleichzeitig den weltlichen Sitz des Weltkatholizismus beherbergt, auch heute, sind einer der Magneten für Millionen von Touristen, die sich in Rom regelmäßig durch völlig überzogene Preise stilvoll ausplündern lassen.
Besuch aus einer anderen Kultur
Dieser Tage nun fand der politische Führer eines Landes den Weg zu jener Stadt, zu der alle Wege der europäischen Antike führten, dessen Geschichte nicht weniger eindrucksvoll ist als die Italiens. In der Nachfolge des für seine Zeit toleranten und klugen Babyloniers Nebukadnezar 2 schufen die Perser im sechsten vorchristlichen Jahrhundert ein Reich, das noch vor dem Aufstieg Roms an Größe und Bedeutung in nichts hinter den Latinern zurückstehen musste. Zwar erlitten die Perser mit „ihrem“ Hannibal, einem Makedonen namens Alexander, anders als die zu diesem Zeitpunkt im Entstehen begriffene, spätere Konkurrenz im Mittelmeer einen erheblichen Rückschlag, doch konnten sich die Völker Persiens unter den Parthern und den Sassaniden in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten von der ägäischen Herrschaft erholen. Erneut gelang es ihnen, an die alte Größe anzuknüpfen und jenseits der Ostgrenze des römischen Imperiums zur einzig ernst zu nehmenden Konkurrenz für die Imperatoren in Rom und Byzanz zu werden.
Das dem Zoroastrismus als Staatsreligion verpflichtete Sassanidenreich zeichnete sich dabei durch Glaubenstoleranz gerade auch gegenüber den Ostchristen und Juden sowie an der Schnittstelle von Orient und Okzident durch seine Weltoffenheit aus. Die Sassaniden waren Philosophen und begnadete Kunstschmiede, den Genüssen des Lebens gegenüber durchaus aufgeschlossen.
Von arabischen Barbaren überrollt
Doch persische Sassaniden und oströmische Byzantiner einte auch über Jahrhunderte eine ständige Konkurrenz um den Zugriff auf eine Region, die heute wieder einmal im Mittelpunkt des Begehrens externer Großmächte steht: Dem von den Küsten des Libanon bis an den Shatt-al-Arab reichenden fruchtbaren Halbmond nördlich der arabisch-syrischen Wüsten und Halbwüsten.
So zerschlissen sich diese beiden Mächte gegenseitig und öffneten dadurch ihre Zivilisationen dem unerwarteten Zugriff eines Barbarenführers aus den unwirtlichen Regionen Arabiens, der seinen weltlichen Herrschaftsanspruch perfekt in religiös wirkende Formeln zu kleiden wusste und damit ein Glaubenskonstrukt schuf, das heute als Islam bekannt ist.
Das islamische Schisma
Nicht nur die christlichen Gebiete rund um das östliche Mittelmeer wurden von den jungen, fanatischen Glaubenskriegern im Handstreich unterworfen – auch das Sassanidenreich fiel den Kämpfern jenes Arabers Mohamed zum Opfer. Das weltoffene, glaubenstolerante Sassanidenreich wurde in den folgenden Jahren ein islamisch geprägtes Staatswesen. Dessen künftige Eliten hatten nichts Eiligeres zu tun, als zum Bruch mit den Glaubensgründern aus Arabien anzusetzen, als es den Glaubensvertretern beider Seiten nicht gelang, sich auf eine gemeinsame Lösung der machtpolitischen Gretchenfrage nach der Rechtsnachfolge des verstorbenen Reichsgründers zu verständigen.
Während die eine Seite darauf bestand, mit Ali ibn Abi Talib den Neffen und Schwiegersohn Mohameds im Sinne einer Erbmonarchie zum Führer des Glaubensstaates zu küren, wollte die andere Seite den Weggefährten aus frühen Tagen und späteren Schwiegervater Mohameds, Abu Bakr Abdallah ibn Abi Quhafa a‘Sidiq, als Kalifen zum Herrscher haben. Auf traditionelle Art und Weise lösten die gegnerischen Parteigänger ihren Zwist durch Meuchelmord an Ali mit dem Ergebnis, dass Sunniten und Schiiten bis heute zutiefst verfeindet sind und die jeweilige Gegenseite der Häresie bezichtigen.
Der Iran auf dem Weg in die Neuzeit
Der Iran wurde seitdem zunehmend von der Shia – der Partei Alis – beherrscht, auch wenn zoroastrische Einflüsse in der persischen Kultur bis heute Einfluss haben. Im Mittelalter verlor Persien seine Bedeutung, gehörte formal zum islamischen Kalifat und unterschied sich dennoch in seinen zivilisatorischen Eigenarten von den sunnitisch-arabisch geprägten Ländern.
Ähnlich Italien, das erst in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts mit dem Risorgimento zu seiner staatlichen Einheit zurückfand, schufen die Perser 1906 unter den Pahlavi als Iran eine an der Moderne des Westen ausgerichtete, säkulare konstitutionelle Monarchie. Da es jedoch dem Herrscher nicht gelang, das einfache Volk auf seinem Weg mitzunehmen und die Moderne auf die städtischen Eliten beschränkt blieb, kam es 1979 zur klerikalen Revolution unter Ruholah Chomeini, der einen rigiden, rückwärtsgewandten Gottesstaat durchsetzte.
Heute ist der Iran eine im Inneren zerstörte Gesellschaft, in der auf der einen Seite die Klerikalrevolutionäre mit aller Macht ihr reaktionäres Weltbild zu verteidigen suchen, während insbesondere die jungen Menschen die pseudoreligiöse Gängelung durch den Staat mehr als satt haben und nichts lieber täten, als den zähen Chomeini-Nachfolger Sejed Ali Chamenei nebst seinen Anhängern in die iranische Wüste zu jagen.
Rohani in Rom
Hassan Rohani, der dieser Tage nicht nur die politische Führung Italiens, sondern auch Papst Franziskus besuchte, verfolgt in einem weit gedehnten Spagat das Ziel, diese inneren Widersprüche des Iran zu überwinden. Aus der Sicht der iranischen Jugend ist er im Moment der einzige Hoffnungsträger, dem behutsam die Lockerung der Klerikaldiktatur gelingen könnte. Aus der Sicht der Klerikalen und der in deren Gefolge neu entstandenen Eliten stellt er eine Gefahr für die eigenen Privilegien dar.
Nach dem Ende der wegen des offensichtlichen Versuchs, sich zur Atommacht aufzuschwingen, verhängten Sanktionen geht dieser Rohani nun auf diplomatische Werbetour. Er ist dabei ein gern gesehener Gast, denn man erhofft sich von ihm mehr noch als eine mögliche Änderung iranischer Innenpolitik lukrative Geschäfte mit dem Öl- und Gas-reichen Land am Golf.
Wenn der schiitische Geistliche Rohani nun bei seinem Abstecher nach Italien auch zum Gespräch beim christlich-katholischen Papst vorbei schaut, dann ist dieses nicht nur eine beiläufige Geste, sondern von erheblicher Symbolkraft. Denn faktisch ist es auch ein gezielter Affront gegen die derzeit von den fundamentalistischen Wahabiten geprägten Sunniten, deren militärische Extremisten des „Islamischen Staats“ offen verkünden, in ihrem Djihad Rom nebst Vatikan für immer vernichten zu wollen. Sicherlich darf Rohanis Besuch bei Franziskus nicht als Schulterschluss fehlinterpretiert werden – aber er ist ein deutliches Signal dahin, dass seine schiitische Islaminterpretation bereit ist, mit dem Christentum in den Dialog zu treten – und damit anders als der Wahabismus auf Weltherrschaftsansprüche zu verzichten.
Und damit, liebe Italiener, sind wir nun wieder bei Euch.
Wer seine Kultur verleugnet, verleugnet sich selbst
Rohani kam eben nicht als Prediger einer archaischen Islamauffassung zu Euch auf den Stiefel. Auch wenn er immer noch einen Turban und einen Rauschebart trägt, ist er derzeit einer der fortschrittlichsten Politiker, die die Kulturnation Iran zu bieten hat. Einem solchen Vertreter seines Landes würde es niemals einfallen, aus Anlass eines Staatsbesuches Teile seiner Kultur zu verstecken und dem Gast vorzuenthalten. Ganz im Gegenteil: In berechtigtem Stolz auf die Leistungen seiner Vorfahren würde er diese Werke einer großartigen Kultur seinem Gast selbstbewusst präsentieren – und das selbst dann, wenn vielleicht manches davon anders aussieht als im Herkunftsland des Gastes.
Was aber macht Ihr, liebe italienische Nachbarn? Ihr verhüllt die Werke Eurer Ahnen in einer Art vorauseilendem Gehorsam, für den nicht der geringste Anlass besteht. Denn nicht nur, dass Rohani ein durchaus kunstsinniger Vertreter eines alten Kulturvolkes und kein Wüstenprediger ist – er weiß auch sehr genau zu schätzen, was andere Kulturen an Werken der Kunst geschaffen haben. Eine unbekleidete Frau oder ein unbekleideter Mann werden diesen Hassan Rohani nicht aus der Bahn werfen. Aus der Bahn werfen wir ihn eher Eure völlig blödsinnige Verkleidungsaktion – denn damit habt Ihr, liebe Italiener, dem schiitischen Iraner signalisiert, dass Ihr ihn für einen sunnitischen Barbaren aus der arabischen Wüste haltet – und kaum eine Kränkung ist für einen Perser schlimmer. Ihr habt Euch aber auch selbst viel kleiner gemacht, als es nötig wäre. Offensichtlich ist Euer einst so stolzes Selbstbewusstsein hart auf die Steine des Petersplatzes aufgeschlagen. Und so habt Ihr, liebe Italiener, Rohani auch signalisiert, dass Ihr Euch Eures christlich-abendländischen Erbes mittlerweile heftig schämt – etwas, das einem Perser niemals in den Sinn käme.
Wer seine Kultur verleugnet, liebe italienische Freunde, verleugnet sich selbst. Es wäre dringend an der Zeit, wieder aufzustehen, sich seiner großartigen Geschichte zu erinnern und das verloren gegangene Rückgrat wieder einzuziehen. Sonst wird der Islamische Staat seinen martialisch angekündigten Angriff auf das Heilige Rom schon deshalb abblasen können, weil es dort nichts mehr gibt, was der Eroberung lohnte, da Ihr Euch bereits selbst bedingungslos der sunnitischen Kulturbarbarei unterworfen habt. Und so erhält das „ciao, bella“ eine ganz neue, traurige Bedeutung.