Die deutsche Rüstungsschmiede Rheinmetall hat ein Problem. Der türkische Präsidialdiktator Recep Tayyip Erdogan hat – wie das in orientalischer Vetternwirtschaft nicht unüblich ist – seinem guten Freund und Helfer Ethem Sancak zu einem lukrativen Auftrag verholfen. Dessen Unternehmen BMC soll für die Türkei in die Eigenproduktion eines Kampfpanzers einsteigen. 250 schwere Waffen mit dem Namen „Altay“ und einem Gesamtauftragswert von rund drei Milliarden Euro soll der Kumpel in einer ersten Marge liefern.
„Altay“ für die Türken?
Zwar basiert der „Altay“ im Wesentlichen auf einem südkoreanischen System aus der Hyundai-Gruppe, doch erinnert er nicht nur an den amerikanischen „Abrams“, sondern auch an den deutschen „Leopard II“. Vor allem aber bei der Bewaffnung würde die Türkei gern auf die bewährten Waffenproduzenten aus Düsseldorf zurückgreifen. Weitere flankierende Schützenhilfe inklusive.
Eigentlich schien alles auf bestem Wege. Sancak hatte sich mehrmals mit den Rheinmetallern getroffen, um das gemeinsame Vorgehen abzustimmen. Weshalb am Ende in einer zu diesem Zweck in der Türkei geplanten Schmiede ein koreanisch-deutscher Hybrid aus türkischer Produktion zu erwarten gewesen wäre.
Doch das fast schon abgeschlossene Geschäft geriet ins Stocken. Als Erdogan Anfang des Jahres in Syrien einfiel, setzte die Bundesregierung den Panzerspezialisten vorerst ein Stopp-Schild vor die Nase. Was Rheinmetall wenig glücklich stimmte, denn da eine Umkehr der nationalislamischen Expansionspolitik Neu-Osmaniens bis auf Weiteres nicht zu erwarten ist, müssten die Düsseldorfer sich entweder politisch unerwünschte Wege einfallen lassen, die das Berliner Stopp-Schild geschickt umfahren – oder im unangenehmsten Szenario sogar ganz auf die Aufrüstung der Türken verzichten. Das wiederum würde nicht nur die engen Geschäftsbeziehungen zu Sancaks BMC beschädigen, sondern auch die künftigen Gewinnerwartungen der Aktionäre spürbar schmälern. Dass die künftigen türkischen Panzer dann möglicherweise nicht ganz so perfekt bewaffnet sein werden, muss mit Blick auf Erdogans imperialistische Abenteuerlust allerdings nicht von Schaden sein.
„Boxer“ für Australien
In dieser Situation trifft es sich gut, dass man auch in Down-under die deutsche Wertarbeit zu schätzen weiß. Dieser Tage ließ die australische Regierung in Canberra wissen, dass Rheinmetall für den roten Kontinent 211 Radpanzer vom Typ „Boxer“ fertigen wird. Auftragsvolumen um die 2,1 Milliarden Euro. Geliefert werden sollen die wendigen Fahrzeuge, die auch bei der Bundeswehr zum Einsatz kommen, ab dem kommenden Jahr – der letzte der 211 wird dann 2026 seine Räder auf den Sand am anderen Ende der Welt setzen.
Rheinmetall betritt mit diesem Großauftrag regional kein Neuland. Schon 2013 hatten die Australier mit einem Auftragswert in Höhe von 1,1 Milliarden Euro 2.500 Lastwagen für den Militäreinsatz bestellt. Auch bei dem Nachfolgeauftrag von weiteren rund 1.000 Militärlastern sollen die Düsseldorfer bereits für den Zuschlag vorgesehen sein – was einem Auftragsvolumen von einer weiteren halben Milliarde entsprechen dürfte.
Besser für Rheinmetall
Die deutsche Rüstungsschmiede wird den möglichen Verlust des Türkei-Geschäfts daher verschmerzen können. Und dieses umso mehr, weil sie nun nicht das Risiko läuft, wegen deutscher Panzer, die auf Kurden schießen oder ihre Feuerkraft mit syrischen Kollegen messen möchten, an den öffentlichen Pranger gestellt zu werden.
Wozu braucht Australien 211 Schützenpanzer?
Militärexperten rätseln derweil, was Australiens Premierminister Malcolm Turnbull zu der Anschaffung dieses Hochleistungsfahrzeuges, das bereits erfolgreich in Afghanistan eingesetzt wird, bewogen haben mag. Denn die Radpanzer sind keine klassische Angriffswaffe, sondern vielmehr ein Fahrzeug, das in schwierigem Gelände gegen Aufständische und Rebellenkämpfer zum optimalen Einsatz kommt.
Da Australien nun aber nicht zu befürchten hat, dass die Ureinwohner der sogenannten Aborigines den Aufstand planen, und die europäische Bevölkerung ebenfalls zumeist friedlich ihren Geschäften nachgeht, scheinen für die ursprünglich als Transportfahrzeuge konzipierten „Boxer“ vorrangig zwei Einsatzgebiete vorstellbar:
- Die Unterstützung australischer Truppen bei internationalen Einsätzen wie eben jenem bundesdeutschen in Afghanistan.
- Die Fähigkeit, in der Fläche Australiens schnell und effektiv gegen militärisch nur leicht bewaffnete, unerwünschte Personengruppen vorzugehen. Diese allerdings sind bis auf weiteres weder von den befreundeten Mächten Indonesien, Japan und Neuseeland zu erwarten – und eine große Zuwanderung arktischer Pinguine ist selbst bei weiterem Abtauen des Festlandseises nicht zu befürchten.
Planen für die Migrationsbewegungen von Morgen
In einer solchen Situation ist es spannend, genau hinzuhören. Während der australische Rheinmetall-Partner „Tectonia“ den „kampferprobten Boxer“ als „unique mix of survivability, mobility and lethality that allows the vehicle to operate effectively across the full spectrum of combat operations” lobt, begründet das Verteidigungsministerium den Kauf des Systems mit dem Hinweis darauf, dass der Boxer mit seiner „Afghanistan-Erfahrung“ bewiesen habe, mit dem „rauen Gelände, der schlechten Straßenqualität und den Behelfsbrücken, die in Australiens Regionen“ anzutreffen seien, bestens klar zu kommen. Außerdem habe der „Boxer“ gezeigt, selbst Schüsse aus Schulter-gestützten Waffen wie Boden-Boden-Raketen und improvisierte Sprengfallen zu überleben.
Der „Boxer“ soll also offiziell vorrangig seinen Dienst im australischen Outback leisten. Da dort jedoch weder mit einer Koala-Liberation-Army noch mit einer Kanguru-Freedom-Force zu rechnen sein wird, ist offensichtlich, wogegen sich die Australier hier wappnen wollen.
Bereits in der Vergangenheit ist es wiederholt zu Versuchen illegaler Einwanderer gekommen, vorrangig an der wenig besiedelten Nordwestküste in den Kontinent einzusickern. Vor allem jene staatenlosen bengalischen Muslime aus Nordwest-Birma unternahmen den Versuch, per Boot das Land im Süden zu erobern.
Bislang war die konsequent vorgehende, australische Küstenwache in der Lage, diese illegalen Einwanderer abzufangen und außerhalb Australiens in Lagern unterzubringen, woraufhin der Zustrom vorerst abebbte. Wenn nun allerdings 211 Schützenpanzer speziell für den Einsatz im Outback angeschafft werden, dann ist unverkennbar: Hier wird eine Waffe in Dienst gestellt, die im unwegsamen Küstenhinterland in der Lage sein soll, dennoch in das Land eingedrungene, unerwünschte Personen zu stellen und im Falle von Gegenwehr zu bekämpfen.
Australiens Regierung stellt sich darauf ein, bei künftigen Migrationsbewegungen nicht auf vereinzelte, unbewaffnete „Armutsflüchtlinge“ zu treffen, sondern nach Guerilla-Prinzip bewaffnete Gruppen ins Land sickern zu sehen. Der „Boxer“ kann insofern eine effektive Hilfe sein, falls Australien Ziel einer Massenmigration, wie es vorrangig aus dem Raum des Indischen Ozeans erwartet wird, werden sollte.
Auch China im Visier
Ein weiterer Aspekt ist die schnelle Verfügbarkeit des im Vergleich zu Panzern leicht zu transportierenden „Boxer“. Wie ein Marine-Offizier zu berichten weiß, schaut Australien mit deutlichem Argwohn über den Ost-Pazifik zur künftigen Großmacht China. Deren „Pearl-Chain“, mit der die Pekinger unbewohnte Atolle zu Militärstützpunkten ausbauen, sieht Australien als Bedrohung seiner eigenen, geopolitischen Perspektiven an. Hier stehen den Australiern neben dem ewigen Partner Neuseeland seit Januar 2017 Japan als Verbündete zur Seite – enge Kooperationen mit Indonesien und selbst Vietnam und weiteren Ländern Südostasiens sind entweder bereits aktiv oder werden angestrebt.
Der „Boxer“ soll demnach – auch wenn niemand laut darüber redet, um keine diplomatischen Verwicklungen mit den Chinesen zu provozieren – auch in der Lage sein, als schnelle Eingreiftruppe dienen zu können, falls das Pekinger Politbüro den Versuch unternehmen sollte, in der pazifischen Inselwelt zwischen Palau und Tahiti Fuß fassen zu wollen.
Australiens Rüstungsprojekt
Da Australien nicht zum NATO-Gebiet gehört, hatte es in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts offiziell neutrale Position auch gegenüber China eingenommen. 2009 dann leitete der Sozialdemokrat Kevin Rudd die Neuausrichtung der Militärdoktrin Australiens ein. Mit einem damals vorerst auf 68 Milliarden Euro veranschlagten Rüstungsprogramm namens „Force 2030“ will Australien künftig nicht nur in der Lage sein, sich notfalls allein gegen illegale Zuwanderer zu verteidigen, sondern auch seine überregionalen Interessen im Raum von Pazifik und Indischem Ozean verteidigen zu können.
Die deutsche Rüstungsschmiede hat sich mit ihren leistungsfähigen Waffen „Made in Germany“ bei diesem Projekt gegenüber den Australiern bereits als zuverlässiger Partner erwiesen. Und da der „Boxer“ sich auch andernorts zum Erfolgsmodell entwickelt, werden die Rheinmetaller und ihre Aktionäre den Ausfall des Panzerbaus in der Türkei verschmerzen können.