Tichys Einblick
Keineswegs „erstmals“

Putins vermeintlich neues Ziel in der Ukraine ist das alte

An den Aussagen eines Generalmajors über die russischen Kriegsziele ist vor allem die Verwunderung vieler westlicher Beobachter erstaunlich.

Wladimir Putin bei einer Videokonferenz mit Regierungsmitarbeitern in Moskau, 31.3.2022

IMAGO / ITAR-TASS

Es mag vieles geben, was dem irritierten Beobachter des russischen Überfalls auf das Nachbarland Ukraine wunderlich erscheinen vermag. Verwunderlich allerdings ist nicht nur der Zivilisationsbruch, den die Moskauer Clique um Wladimir Putin mit tausenden Menschenopfern betreibt – verwunderlich ist gelegentlich auch die Verwunderung der Beobachter darüber, dass seitens des Aggressors längst Bekanntes gesagt wird, welches dann als unerwartet und neu betrachtet wird.

Russischer Generalmajor unterstreicht Putins Ziel

Jüngst nun ist es eine Aussage des Generalmajors des Russischen Überfallkommandos, Rustam Minnekajew, die Verwunderung bei den Nachrichtenschaffenden auslöst. Nach übereinstimmender Einschätzung der Mainstream-Medien habe sich mit Minnekajew „erstmals“ ein verantwortlicher Russe über konkrete Ziele der „militärischen Spezial-Operation“ geäußert. Damit sei er, so wird konstatiert, von der bisherigen, offiziellen Linie Moskaus abgewichen, habe diese doch darin bestanden, sich auf den Donbas zu beschränken. Eine Einschätzung, die bei jenen, die sich mit der Situation nördlich des Schwarzen Meeres seit Beginn des Überfalls beschäftigen, nun ihrerseits nur Verwunderung auslösen kann darüber, dass offenbar so Mancher des genauen Zuhörens nicht in der Lage ist.

Minnekajew hat laut russischer Nachrichtenagentur Interfax erklärt, dass es bei der bewusst zum katholischen Osterfest begonnenen Offensive darum gehe, den kompletten Donbas sowie den Süden der Ukraine zu befreien. Hierbei soll ein Landweg zur Schwarzmeer-Halbinsel Krim gesichert sowie eine direkte Verbindung zur sogenannten Volksrepublik Transnistrien hergestellt werden – einem russisch beherrschten Teil des UdSSR-Nachfolgestaats Moldau/Moldavien, der ähnlich den Separatistenregionen um Donezk und Luhansk als „frozen conflict“ von Putin warmgehalten wurde, um jederzeit gegen die aus seiner Sicht abtrünnige Republik Moldau vorgehen zu können.

Das mehrheitlich rumänisch besiedelte Moldawien war über Jahrhunderte Streitobjekt zwischen Russland und Rumänien, welches gezielter Russifizierung unterlag. Im Zuge der Loslösung von der implodierenden Sowjetunion wurde in Moldawien Russisch als Amtssprache durch Rumänisch/Moldauisch ersetzt. Es kam zum Bürgerkrieg, den der russische General Lebed durch sein Eingreifen „befriedete“, indem nördlich des Dnistr jene moskautreue und durch russische Truppen besetzte Volksrepublik Transnistrien geschaffen wurde. Eben diese Situation von Russlands Gnaden nun nahm Minnekajew zum Anlass, auch hier die „Verteidigung der Interessen der russischsprachigen Bevölkerung“ anzukündigen. Das wiederum bedeutet: Gleich der Ukraine muss Moldawien, dass durch seine Sprachenpolitik seinen antirussischen Nationalismus bewiesen hat, heim ins großrussische Reich geführt werden.

Russland ist dort, wo Russen sind

Diese von Minnekajew aufgezeigte Perspektive nun scheint die Medien mehrheitlich extrem zu irritieren und wird von ihnen als gänzlich neuer Aspekt des Expansionsdrangs Russlands wahrgenommen. Stünde nun etwa gar auch der Überfall auf Moldawien im Arbeitsplan der Expansionsarmee, wird gerätselt?

Tatsächlich ist an dieser Absicht nichts neu. Und es ist auch nicht so, als wäre eine solche Absicht nun erstmals geäußert worden. Offenbar nur ist es so, dass niemand dem Herrn im Kreml sorgsam zugehört hat.

Putin verbreitet seit geraumer Zeit nicht nur die These, dass die Implosion des UdSSR genannten, großrussischen Imperiums die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts gewesen sei. Er hat sich auch die bereits in Serbien erprobte, nationalistische Position zu eigen gemacht, dass Russland überall dort sei, wo es einen Russen gibt. Und Russe wiederum ist, wer russisch spricht oder es sprechen würde, wäre es ihm nicht von faschistischen Nationalisten verboten worden. Oder einfach nur jeder, von dem Moskau behauptet, dass er Russe sei.

Diese im Sinne „linker“ Politikbetrachtung rechtsextremistisch-nationalistische Auffassung hat Putin bereits für den russischen Überfall auf die Ukraine angewendet. Er spricht der Ukrainischen Nation jedwede eigene, nichtrussische Identität ab – und begründet damit weiterhin, dass es einen ukrainischen Staat zu keinem Zeitpunkt habe geben können. Vielmehr seien jene, welche eine ukrainische Eigenstaatlichkeit anstrebten, die eigentlichen Separatisten und damit faschistische Nationalisten, die, sollten sie nicht freiwillig das Feld räumen, eliminiert werden müssten.

Moskau legitimiert den Genozid an Ukrainern

Aus dieser Argumentation, die von Putin bereits vor dem Beginn des Überfalls beispielsweise anlässlich des Besuchs von Olaf Scholz im Kreml mit der herbeigelogenen Aussage propagiert wurde, in der Ukraine finde ein Völkermord an Russen statt, zieht die Moskauer Clique ihre Legitimation, das Nachbarland in Grund und Boden zu bomben.

Die perfide Logik der Staatsterroristen im Kreml: Mit dem friedlichen Einmarsch der russischen Einheiten im Februar habe man den Nicht-Faschisten und Nicht-Nationalisten in der Ukraine die Chance gegeben, den ukrainischen Separatismus zu überwinden und sich als wahre Russen zu bekennen. Wer dieses nun nicht getan habe, weil er nicht jubelnd am Straßenrand gestanden hat, ist folgerichtig zwangsläufig selbst Faschist und Nationalist. Die mittlerweile bewiesene Folterung und Ermordung ukrainischer Amtsträger, die die Kooperation mit den russischen Besatzern verweigern, ist insofern ebenfalls folgerichtig: Es sind Nazis, die mit ihrem Verhalten unter Beweis stellen, dass sie nicht läuterungsfähig sind und deshalb den Tod verdient haben.

Es geht um Großrussland

Der Ablauf und die Konsequenz dieser russischen Nationalismuslogik war von Anbeginn an klar. Weder ging es bei dem Überfall auf die Ukraine darum, nur den Donbas zu „befreien“, noch ging es darum, eine Landbrücke zur völkerrechtswidrig annektierten Krim herzustellen. Das Ziel des Überfalls war vom ersten Tag an die Reintegration der ukrainischen Territorien in das Großrussische Reich nach den Visionen des Wladimir Putin – und zwar nunmehr nicht mehr als „Ukrainische SSR“, wie das Gebiet, in dem die Ukrainer siedeln, unter kommunistischer Herrschaft immerhin noch heißen und damit einer nichtrussischen, nationalen Identität frönen durfte, sondern als Neurussland. Joe Biden sprach zutreffend von einem geplanten Genozid, denn nichts anderes ist es, was Moskau in der Ukraine plant. Die ukrainische Nationalidee soll als faschistisch ausgemerzt und durch die russische ersetzt werden. In Putins Visionen ist für eine ukrainische Identität, für eine ukrainisches Nation kein Platz mehr.

Deshalb ist aus Sicht Moskaus auch jeder ermordete Ukrainer an sich bereits ein faktischer Gewinn: Er hat sich als ukrainischer Nationalist und Faschist geoutet und damit jegliches Lebensrecht im Großrussischen Reich des Wladimir Putin verwirkt.

Es ging immer nur um Expansion um jeden Preis

Mit dieser perfiden, nationalistischen Logik wiederum stand schon am ersten Tag des Überfalls fest: Es geht nicht um Teile der Ukraine und nicht um irgendwelche Landverbindungen – es geht um die Ukraine als Ganzes. Erst einmal.

Wer sich dadurch hat blenden lassen, dass die russische Soldateska angesichts des unerwartet großen Widerstands der von ihnen auszumerzenden faschistischen Nationalisten sich aus einigen Regionen Kiews zurückgezogen hat, muss sich leider sagen lassen, dass er das russische Projekt nicht begriffen hat.

Es ging bei dem scheinbaren Rückzug ausschließlich darum, eine unmittelbare Konsequenz aus der unerwartet massiven, nationalistischen Durchseuchung der Ukraine zu ziehen. Statt sich in einem Vielfrontenkrieg gegen die Faschisten zu verzetteln, soll nun der ukrainische Nationalismus von Osten her aufgerollt werden.

Das Ziel der „Militärischen Spezial-Operation“ hatte sich dabei nie geändert. Es lautet nach wie vor: Das russische Territorium, welches 1990 von ukrainisch-nationalfaschistischen Separatisten aus Russland herausgebrochen worden ist, muss repatriiert werden. Und dieses ohne ukrainische Separatisten, Nationalisten Faschisten.

Ein Befreiungsfeldzug in Etappen

Der Rückzug aus dem Norden um Kiew war aus russischer Sicht zu jedem Zeitpunkt nichts anderes als eine vorübergehende Preisgabe bereits befreiter Gebiete. Putin hat nicht vor, diese Ländereien, in denen seine dafür ausgezeichneten Kämpfer bereits mit der Entnazifizierung begonnen hatten, längerfristig preiszugeben. Die militärische Umorganisation war lediglich die Konsequenz daraus, dass entgegen der Erwartungen dann eben doch nicht lauter glückliche Russen am Straßenrand der befreiten Gebiete jubelten, sondern die Befreier dort überall auf ukrainische Faschisten trafen. Um nun dennoch zum Tag des Sieges am 9. Mai einen solchen zumindest als ersten Teilerfolg verkünden zu können, wurden die Kampfeinheiten auf den Osten konzentriert. Von dort sollen sie nun vorstoßen – und nicht nur unter Befreiung der Hafenmetropole Odessa bis Transnistrien, sondern anschließend über Kiew bis Lemberg/Lwiw. Weshalb Minnekajew nun auch völlig zutreffend lediglich von den Zielen der „diese Woche begonnenen Etappe“ sprach.

Etappen, das sollte bekannt sein, sind Teilstücke, die man auf einem Weg zurücklegt. Und im konkreten Fall des russischen Überfalls ist auch nicht im Sinne grüner Lebensphilosophie der Weg selbst das Ziel, sondern tatsächlich nur zu bewältigende Aufgabe zum Erreichen des tatsächlichen Ziels.

Dieses hat Minnekajew mit dankenswerter Offenheit noch einmal unterstrichen, nachdem bereits in den vergangenen Wochen sein Herr im Kreml daran keine Zweifel gelassen hat: Es geht um nichts anderes als eben dieses russisch-nationalistische Ziel, alle Russen, die unter Fremdherrschaft leiden, von dieser zu befreien – sprich: Die von ihnen bewohnten Gebiete wieder dem Russischen Reich einzugliedern.

Nichts an Minnekajews Aussage ist neu

Weil das so ist und weil jeder halbwegs mit Putin und Russland vertraute Beobachter dieses vor dem 24. Februar wissen musste, konnte ich bereits am 2. März bei TE zu Putins Moldawien-Plänen schreiben: „Faktisch wie Königsberg (Kaliningrad) eine russische Exklave, gilt jenes Narrativ, mit dem Putin seinen völkerrechtswidrigen Überfall auf die Ukraine scheinlegitimiert, ebenso für das knapp 34.000 Quadratkilometer große Moldawien mit seinen 2,6 Millionen Bewohnern. Wenn die demokratisch gewählte Regierung Selenskyj ‚Nazi‘ ist und die Politik der Rückbesinnung auf die Mehrheitssprache der Bevölkerung zum ‚Genozid‘ stilisiert wird, dann gelten Putins Scheinbegründungen nicht nur für die Ukraine, sondern auch für die Republik Moldau.“

Was an der Aussage des Generalmajors also nun so neu und überraschend sein soll, wird das Geheimnis all jener Nachrichtenschaffenden bleiben, die sich darüber verwundert geben.

Minnekajew legt die Kriegsplanung offen

Jenseits dieser nicht-überraschenden Überraschung lässt Minnekajews Aussage allerdings einige Rückschlüsse ziehen darauf, wie es weitergehen soll mit der Entnazifizierung ehemaliger Sowjetrepubliken. Nachdem Etappe 1 – die Übernahme der Regierungsgewalt von den Separatisten in Kiew im Handstreich – am Widerstand der ukrainischen Faschisten gescheitert ist, konzentriert sich Moskau nun in Etappe 2 darauf, erst einmal den Osten und den Süden zu entnazifizieren. Wie das aussieht, ist in Mariupol trefflich zu betrachten. Die Wohnorte der nationalistischen Faschisten werden dem Erdboden gleichgemacht, damit sie auch künftig keine Chance mehr haben, auf dem heiligen Boden Neurusslands zu leben. Verschwinden die Nationalisten nicht rechtzeitig, sorgt die russische Soldateska dafür, dass sie künftig kein Unheil mehr anrichten können. Wobei offensichtlich zumindest einige der ukrainischen Faschisten zur Umerziehung ins russische Kernland gebracht werden.

Da die Landverbindung zur Krim bereits besteht – wobei Minnekajews Äußerungen verdeutlichen, dass die sogenannten Volksrepubliken der Separatisten im Donbas auch nur vorübergehendes Hilfskonstrukt sind, da sie als souveräne Staaten dieser Landbrücke im Weg stünden – wird der Kampf um Charkiw und Odessa – nach russischer Lesart deren Befreiung – den nächsten Schwerpunkt der „Spezial-Operation“ bilden. Bemerkenswert ist dabei, dass zumindest die Befreiung Odessas im Rahmen der Etappe 2 genannt wird. Das lässt erwarten, dass ein Bodenangriff auf Charkiw erst erfolgen wird, wenn Russland die ukrainischen Territorien bis Transnistrien unter Kontrolle hat.

Auf Odessa folgt Moldawien

Dort nun steht zu erwartet, dass Russland eine Etappe 3 bereits fest in Planung hat. Gegenwärtig sollen um 1.400 russische Soldaten und bis zu 15.000 Paramilitärs in der abtrünnigen Separatistenprovinz Transnistrien stationiert sein. Es steht zu erwarten, dass diese in dem Moment, wo sich das russische Militär erfolgreich über die Region Odessa der kleinen, neutralen Republik Moldau nähert, einen Blitzvorstoß auf die Hauptstadt Moldaviens, Chisinau (russisch Kischinjow), unternimmt, um die dortige, demokratisch gewählte Regierung der rumänischen Faschisten abzusetzen. Die Fahrtstrecke von der Separatisten-Hauptstadt Tiraspol nach Chisinau beträgt gerade einmal 80 Kilometer – von der Grenze der russischen Enklave zu den Regierungsgebäuden der 600.000-Einwohnerstadt sind es sogar nur 20.

Es wird für die russisch-transnistrische Terrorarmee folglich keine Schwierigkeit darstellen, die kleine, prowestliche Republik von den dortigen Nationalisten zu befreien. Der Nato sind auch dort die Hände gebunden, denn Moldawien gehört nicht dazu – und verfügt zudem im Gegensatz zur Ukraine über keine Armee, die auch nur ansatzweise dem Russensturm Widerstand entgegensetzen könnte.

Etappe 4 zielt auf Kiew

Sobald Moskau auf diesem Wege der Nato ihre Grenzen aufgezeigt hat – zudem eine Waffenlieferung an die ukrainischen Separatisten über Rumänien damit unmöglich wird – und die Ukraine vom Schwarzen Meer abgeschnitten hat, wird Etappe 4 der „Spezial-Operation“ anlaufen. Diese dürfte die abschließende „Befreiung“ von Charkiw – oder dem, was der russische Raketenbeschuss zu diesem Zeitpunkt davon noch übrig gelassen hat – zum Ziel haben, sowie auf die Befreiung Kiews von den überall anzutreffenden ukrainischen Nationalisten und Faschisten ausgerichtet sein. Das ist der Zeitpunkt, zu dem die vorübergehend den Nationalisten preisgegebenen, kurzfristig befreiten Gebiete nördlich Kiews wieder von Russland übernommen werden. Sollte es so weit sein, wird voraussichtlich auch der belarussische Diktator mit von der Partie sein, denn der hat zu diesem Zeitpunkt gelernt, dass die Nato tatsächlich nicht eingreift. Auf der Sanktionsliste des Westens steht er ohnehin, hat also nichts mehr zu verlieren.

Sobald Kiew befreit ist, wird final als Etappe 5 Lemberg ins Visier genommen. Auch dort wird zu diesem Zeitpunkt kaum noch ein Stein auf dem anderen stehen – und dieses umso mehr, weil die dortigen Faschisten seit Anbeginn der Befreiung Neurusslands maßgeblich in jene Waffenlieferungen involviert waren, die illegal die ukrainischen Separatisten unterstützen. Gnade hat die ehemalige Hauptstadt des österreichischen Galiziens daher von den russischen Befreiern nicht zu erwarten.

Die Etappen 1 bis 5 sollen bis zum Herbst abgeschlossen sein

Wir sollten davon ausgehen, dass die derzeitige russische Etappenplanung darauf abzielt, das Ziel der Spezial-Operation – also die komplette Entnazifizierung des Gebietes, das rund 30 Jahre als Ukraine von faschistischen Separatisten verwaltet worden ist – bis zum Spätherbst abgeschlossen zu haben. Ändern daran könnte sich nur dadurch etwas, dass die Verluste der russischen Befreiungsarmee zu bedeutend werden. In einem solchen Falle steht allerdings zu erwarten, dass Putin die Bombardierung und Vernichtung der ukrainischen Separatistenstädte mit besonderer Intensität fortsetzen wird. Vernichtete Städte lassen sich leichter besetzen als solche, in denen noch faschistische Nationalisten ihr Unwesen treiben können – und eine Stadt, die sich nicht zum ukrainischen Nationalismus bekennt, hätte sich jederzeit den russischen Befreiern öffnen können.

Etappe 6 führt ins Baltikum

Wenn Russland dann Neurussland, einstmals vorübergehend Ukraine, nebst Moldawien von den Faschisten befreit und in Großrussland repatriiert hat, wird gemäß dem Kampfauftrag Putins der Blick auf die weiteren Gebiete gerichtet werden, in denen Russen von faschistischen Nationalisten unterdrückt werden. Kurzfristig dürften hier insbesondere die baltischen Staaten mit ihren relativ hohen Anteilen russisch-sprachiger Bürger ins Fadenkreuz geraten. Ob an Befreiungsetappe 5 dann unmittelbar Etappe 6 als Befreiung des Baltikums und Wiederherstellung der Landbrücke nach Königsberg/Kaliningrad folgt, dürfte maßgeblich davon abhängen, wie einerseits zu diesem Zeitpunkt die Kampffähigkeit der russischen Entnazifizierungsarmee und andererseits die Kampfbereitschaft der Nato eingeschätzt wird.

Möglich, dass Russland in seiner Befreiungsmission eine Atempause einlegt, um die eigenen, gebeutelten Kräfte aufzustocken. Damit jedoch wird Putins historische Befreiungsmission nicht enden – und auch das Baltikum ist nur eine der nächsten Etappen.

Russen, die es vom Joch der Fremdherrschaft zu befreien gilt, gibt es beispielsweise auch in Deutschland in Mengen. Nicht nur solche, die sich selbst als ethnische Russen identifizieren, sondern vor allem all jene, denen deutsche Nationalisten und Faschisten in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts eingeredet hatten, dass sie keine Russen, sondern sogenannte Deutschstämmige seien. Das Schicksal dieser von einem germanischen Genozid bedrohten Russen lag der Moskauer Führung schließlich schon am Herzen, als offiziell noch Einvernehmen zwischen Moskau und Berlin herrschte. Diese von deutschen Faschisten geblendeten, verleiteten Russen gilt es ebenfalls zu befreien – und wenn dabei zufällig ein paar Nationalisten, die sich als Polen, Slowaken oder Tschechen bezeichnen, im Weg sein sollten, so wird das Russlands historische Mission nicht aufhalten können.

Die Satire des Olaf Scholz

So weit das, was uns Minnekajew mit seinen Äußerungen in Ergänzung seines Herrn im Kreml und dessen Stichwortgeber Alexander Dugin alles hat wissen lassen. Es klingt wie eine Satire – aber leider ist es bitterer Ernst. Und weil es das ist, klingt es wiederum nach tatsächlicher Satire, wenn Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz mit Blick auf die Unterstützung der überfallenen Ukraine wissen lässt: „Ich tue alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt. Es darf keinen Atomkrieg geben.“

Dieser Satz ist ebenso aufschlussreich wie jener des russischen Generalmajors. Denn sollte er wirklich konsequent verfolgt werden, dann müsste Scholz umgehend jedwede Unterstützung der Ukraine einstellen, den rumänischen Moldawiern vorsorglich Asyl anbieten und die früheren Staaten des Warschauer Pakts aus der Nato schmeißen. All das wäre zwar noch nicht „Alles“, was getan werden kann, um eine Eskalation zumindest einzudämmen, aber es könnte eine vorübergehende Atempause der Eskalation des russischen Nationalismus zur Folge haben.

Der Dritte Weltkrieg hat längst begonnen

Ob Scholz auf einem solchen Wege allerdings einen dritten Weltkrieg verhindert, sei dahingestellt – umso mehr, wenn man sich vor Augen hält, dass dieser faktisch längst begonnen hat. Denn Putin führt seinen Krieg nicht gegen die Ukraine, sondern gegen die nicht-russische Welt der aufgeklärten Europäer.

Die Tatsache, dass dieser Dritte Weltkrieg noch nicht offen zwischen Russland und den westlichen Staaten ausgefochten wird, ist ausschließlich der Tatsache geschuldet, dass Putin derzeit noch die Macht des Bündnisses fürchtet. Deshalb schickt er ständig seinen Putto Medwedew vor, damit dieser kräftig mit Russlands Atomwaffe droht. Die Nato soll in Furcht vor dem Atomkrieg erstarren, Risse in der Verteidigungsbereitschaft bekommen und sich im Sinne des deutschen Bundeskanzlers am besten ganz aus Russlands Entnazifizierungsaufgabe heraushalten. Sind deren Etappen in Neurussland und Moldawien erfolgreich abgeschlossen, wird Putin weitersehen, ob der Dritte Weltkrieg vorübergehend eine Atempause einlegt oder sofort eskaliert wird.  Was derweil der von Scholz an die Wand gemalte Atomkrieg „darf“, hängt ohnehin seit Februar ausschließlich von den Befindlichkeiten des Herrn im Kreml ab – und der tatsächlichen Einsatzfähigkeit der in die Jahre gekommen strategischen Atomwaffen.

Insofern gilt, was jüngst eine Nachrichtenschaffende in der Ukraine auf die Frage, welchen Sinn denn Friedensmissionen wie die des UN-Generalsekretärs Antonio Guterres machten, nüchtern feststellte: „Der Frieden ist ganz einfach herzustellen. Russland muss nur seine Truppen abziehen und die Besetzung beenden.“

Genau das aber wird Putins Russland nicht tun. Es sei denn, die USA erreichen ihr erklärtes Ziel, den russischen Nationalfaschismus in der Ukraine zum Scheitern zu bringen. Dann – und nur dann wäre es möglich, eine weitere Eskalation zu verhindern. Und darauf zu hoffen, dass sich der Atomkrieg an das vom deutschen Bundeskanzler verhängte Verbot hält.

Anzeige
Die mobile Version verlassen