Tichys Einblick
Der Iran im Brennpunkt

Pulverfass Nahost – Was will Trump?

Kaum eine Region wirkt derart unübersichtlich wie der Nahe Osten. Aktuelle Interessen gehen eine gefährliche Melange mit uralten Widersprüchen ein, alte und neue Akteure ringen um Einfluss und Macht: Präsident Trump wickelt die Politik seines Vorgängers ab.

© Saul Loeb/AFP/Getty Images

Donald Trump hat den mühsam errungenen Vertrag aufgekündigt, mit dem die Regionalmacht Iran an der Entwicklung von Atomwaffen gehindert werden sollte. Getreu seinem Motto „America first“ und im Zweifel im Alleingang, erfolgte diese Kündigung faktisch ohne Konsultationen mit den anderen Beteiligten. Die israelische Regierung begrüßt den Schritt – so ziemlich alle anderen ziehen die Stirn in Sorgenfalten. Haben die USA ein strategisches Ziel – oder betreibt Trump einen Glaubenskrieg, wenn er seine Abkehr selbst damit begründet, er glaube dem Iran dessen Zusagen nicht? Werfen wir deshalb einen Blick auf den Iran und auf die aktuelle Situation.

Der Iran zwischen Archaik und Moderne

Das frühere Persien, das als Iran heute einen mittelalterlichen Gottesstaat repräsentiert, war einmal ein moderner, an westlichen Werten orientierter Staat. Nein – es soll dabei nicht um den Sawak gehen, jenen wenig zimperlichen Geheimdienst des Schah, der mit Brachialgewalt gegen die innerstaatliche Opposition sowohl der an marxistischen Glaubenssätzen orientierten Kommunisten, als auch der am mittelalterlichen, pseudoreligiösen Herrschaftsanspruch des Klerus vorging. Wenn von einem „modernen Iran“ die Rede ist, dann ist damit jene Vision der Pahlewis gemeint, aus diesem ältesten Staatswesen der Region ein säkulares, weltoffenes Gemeinwesen zu machen. Reza Pahlewi ging davon aus, dass die Politik der Moderne ohne Religion auskomme. Die Folge war, dass die städtischen Eliten sich zunehmend amerikanisierten. In Habitus, Denkweise, Kleidung.

Die Tatsache, dass er mit dem Sawak ein Instrument einsetzte, welches weit entfernt war von jenen Vorstellungen des Menschenrechts, welche europäisches Denken prägen, ließ Europas Studenten und Möchtegern-Revolutionäre jubeln, als ein alter, weißer Mann von Paris aus die Dynastie ins Exil trieb.

Wollte man sagen, dass hier der Teufel mit Beelzebub ausgetrieben wurde, wäre dieses noch eine zu oberflächliche Betrachtung. Denn wie in so vielen Revolutionen übernahm das neue Regiment des Klerus die Unterdrückungsinstrumente des Vorgängers, setzte aber noch das mittelalterliche Denken jenes Arabers Mohamed obendrauf. Sie, diese Araber, hatten bereits im siebten Jahrhundert die glaubenstolerante Herrschaft der persischen Sassaniden überrollt, die Perser um ihre eigene Kultur gebracht.

Perser und Araber – ewige Feinde

Die Feststellung, dass mit Khomeini, der Möchtegern-Weltenherrscher Mohamed, einmal mehr über die Perser gesiegt hatte, ist insofern zulässig. Und das gilt auch, wenn sich die iranischen Gotteseiferer seit dem Mittelalter im ständigen Konflikt mit ihren arabischen Nachbarn befinden. Das islamische Schisma um die Nachfolgefrage des Mohamed, welches Sunniten und Schiiten entzweite, manifestierte einen bis in die vorislamische Antike reichenden Konflikt zwischen den Persern und den Arabern. Sind letztere für die Perser immer schon Barbaren aus der Wüste gewesen, so verkörperten die Perser für die Araber die Dekadenz einer städtischen Hochkultur, welche sie mit ihrem archaischen Denken nicht begreifen konnten.

Dieser uralte Konflikt, der zwar die persische Kultur vernichtete, nicht aber die tief verankerten Gegensätze zwischen den Nachbarn, prägt heute noch das Verhältnis beider Völker. Er bietet die ideale Basis, um darauf aufsetzend nicht nur um die Hegemonie zu streiten, sondern auch um ausgeprägte, wirtschaftliche Interessen. Denn selbstverständlich geht es seit der Antike immer auch um den Zugriff auf die Quellen des Wohlstands. Lockten die Eiferer Mohameds dereinst die Reichtümer der persischen Städte, so geht es heute maßgeblich um Öl und Gas. Die Ölfelder des Irak, die sich heute sowohl in sunnitisch wie auch schiitisch geprägten Gebieten befinden, sind ein Preis, der lockt. Die Vorkommen im Persisch-arabischen Golf, die sich die saudischen Sunniten mit ihrer Expansion dereinst an der Ostküste der Halbinsel in schiitisch geprägten Regionen sicherten, nicht minder.

Iraner galten den Arabern immer als Meister der Verstellung. Und tatsächlich waren bereits in der Antike die Vorgänge am sassanidischen Hof ähnlich schwer durchschaubar wie jene der christlichen Konkurrenz in Konstantinopel – und das komplexe Machtgefüge im aktuellen Iran. Das eint heute den saudischen Kronprinzen Salman ibn Mohamed ebenso wie den israelischen Präsidenten Benjamin Netanjahu mit Trump: Sie glauben den Iranern kein Wort. Die saudisch-amerikanische Front steht. Die israelisch-amerikanische auch. Gegen den Iran.

Rohani – Hoffnungsträger auf verlorenem Posten?

Der Iran selbst tut wenig, um daran etwas zu ändern. Der angebliche Reformer Hassan Rohani mag noch so sehr als Hoffnungsträger gefeiert werden – im Iran haben immer noch die Revolutionäre der Schia das Sagen. Längst sind die Underdogs, die sich unter dem Banner Khomeinis den „Revolutionsgarden“ anschlossen und den USA unter Jimmy Carter eine bis heute wirkende Blamage verabreichten, selbst zu Wohlstand und Pfründen gekommen. Sie brauchen den Gottesstaat, weil er die Legitimation ihrer Beutepolitik ist. Er allein sichert ihren persönlichen Wohlstand. Fällt im Iran der Gottesstaat, müssten diese neuen Eliten ihre Position mit wirtschaftlichem Sachverstand und Intelligenz im Wettbewerb gegen die klassisch-persischen Eigenschaften eines letztlich kapitalistisch geprägten Denkens verteidigen. Sie würden dabei unterliegen – hier ähnelt die Situation des Iran derjenigen Kubas: Die ins Exil getriebenen, alten Eliten haben nie verlernt, wie man in dieser Welt ohne Gott zu Reichtum kommt. Die neuen Eliten hingegen haben niemals gelernt, wie dieses ohne Gott beziehungsweise Marx funktionieren soll. Deshalb bleibt ihnen nur die diktatorische Gewalt. Solange die Gotteskrieger im Iran das Denken bestimmen, sind ihre Pfründe gesichert. Lässt hingegen der Staat freies Denken und liberale Wirtschaftsprinzipien zu, sind sie hoffnungslos unterlegen. Das wiederum eint sie dann auch mit den Revolutionären der europäischen 68er, deren Denken in den Kategorien eines meinungstotalitären Staates nicht minder ausgeprägt ist.

Die Unfähigkeit von Glaubenskämpfern gleich, ob sie sich auf einen Gott, einen Marx oder sonst wen berufen, einen funktionierenden Staat zu organisieren, ist die eigentliche Ursache des iranischen Dilemmas. Es wurde befördert durch die von den USA erzwungenen Sanktionen – doch seine eigentlichen Wurzeln liegen darin, die zu einer prosperierenden Wirtschaft unverzichtbare Kreativität des handelnden Einzelnen zu unterbinden. Wer bei jeder seiner Aktionen erst daran denken muss, ob er politisch korrekt handelt, verliert über kurz oder lang den Mut zum Risiko. Er flüchtet sich in seine private Nische – oder, wenn er es kann, außer Landes.

Glaubt man Exiliranern mit guten Verbindungen in die Heimat, dann sitzen Millionen, vor allem junger Leute auf gepackten Koffern. Sie hoffen immer noch auf Rohani und darauf, dass das Gottesdiktat im Land überwunden werden kann. Doch ihre Alternative ist im Kopf längst abgeschlossen: Ab in den Westen, nach Europa oder in die USA. Dorthin, wo für sie immer noch Freiheit herrscht.

Knapp 80 Millionen Iraner stellte eine Volkszählung im Jahr 2016 fest. Vor einhundert Jahren waren es gerade einmal 12. Von diesen heute 80 Millionen sind über die Hälfte unter 30 Jahre alt. Diese über 40 Millionen sind es, die vom beharrlichen vergreisenden Regime um ihre Zukunft betrogen werden – und die deshalb sehnsuchtsvoll auf eine Zukunft andernorts schauen. Noch kann der Iran seinen Blutzoll mit Importen aus Afghanistan und Pakistan auffüllen. Doch auch diese denken oftmals an eine Weiterreise – und wohlgelitten sind sie im Iran ohnehin nicht, weil auch sie den Persern als kulturell unterentwickelt gelten.

Gottesrevolutionäre brauchen satanische Feinde

Um von diesen Entwicklungen abzulenken, benötigen die Gottesrevolutionäre Feinde. Dort steht seit der Revolution der „große Satan“ USA unangefochten auf Platz Eins. Ihn galt es, mit dem Schah auszutreiben. Alles „westliche“, säkulare, liberale sollte aus dem Land verschwinden. Mit ihm der Einfluss US-amerikanischer Konzerne und Ideen. Der Schah galt ihnen immer nur als Büttel des US-Kapitals. Der Kampf Khomeinis war insofern bereits 1979 letztlich ein Stellvertreterkrieg. Der wahre Feind war nicht der Schah – der wahre Feind saß in Washington und an der Wall Street.

Platz Zwei der aktuellen Feindesliste kann Israel für sich beanspruchen. Das 1948 auf britischem Mandatsgebiet gegründete Staatswesen der Zionisten stellt in der Region selbst die größte Gefahr für den Gottesstaat dar. Dieses nicht etwa, weil es den Iran militärisch bedrohen würde. Für die Kämpfer Allahs ist es vielmehr völlig zu Recht der absolute Gegenentwurf zum eigenen Gesellschaftsmodell. Trotz seiner jüdischen Wurzeln ist Israel ein säkular-demokratisches Staatswesen. Es demonstriert tagtäglich, dass die Freiheit des Denkens Regionen zum Blühen bringen kann, auch wenn sie nicht auf Feldern prähistorischer Energiegeschenke sitzen. Der Staat Israel lebt vor, wie ein moderner Iran tatsächlich funktionieren könnte. Doch ein solcher moderner Iran wäre auch einer, in dem die sich gottesfürchtig gebende Orthodoxie gleichsam in die innere Diaspora verbannt wäre. Weil sich der iranische Klerus und seine Profiteure vor nichts mehr fürchten als vor dieser Situation, setzen sie alles daran, Israel als angeblich kolonialistischen Fremdkörper aus der Region verschwinden zu lassen. Die Tatsache, dass Juden seit Mohamed ohnehin Daueropfer des islamischen Rassismus sind, beflügelt die den Iran nach Innen einigende Kraft der Feindschaft.

Platz Drei der Liste belegen die sunnitischen Araber auf der Halbinsel. Der Streit um das Öl im Golf ist hier nur die Camouflage, die jene ganz tief in den Identitäten der Völker verankerte Abscheu voreinander beflügelt. Der Streit um des Kaisers Bart – darum, wer vor bald 1.400 Jahren die Nachfolge Mohameds antreten durfte, ist längst nicht ausgefochten. Die Araber der Sunna konnten hierbei Dank Unterstützung nicht zuletzt auch zentralasiatischer Konvertiten in der Vergangenheit zahlreiche Etappensiege erringen. Doch der Endsieg steht aus. Und es sieht nicht so aus, als wäre dieser absehbar.

Blicken wir nun noch kurz auf Platz Vier, dann mag angesichts aktueller Scheinverbrüderungen diese Feststellung angezweifelt werden. Und doch ist Feind Nummer Vier die Türkei. Oder sprechen wir besser von den Osmanen. Sie, diese durch einige Invasoren aus Zentralasien bereicherten Nachkommen zwangskonvertierter, anatolischer Christen waren für die Perser auch lange nach der abschließenden Unterwerfung durch Mehmed II immer noch die „Römer“. Ob Christen oder Sunniten – die Herrscher über Anatolien galten den Iranern seit je als ständige Bedrohung. Gegenwärtig mag die Regimes ihr trotz unterschiedlicher Ausrichtung in Sunna und Schia zwar der gemeinsame, radikalislamische Gesellschaftsanspruch ebenso einen wie der Hass auf Israel und die Ablehnung der USA und dessen engsten Verbündeten Saudi-Arabien – langfristig jedoch ist mit einer Achse Ankara-Teheran kaum zu rechnen. Diese beiden Länder trennt mehr als seinerzeit jene „Erbfeindschaft“ zwischen Franzosen und Deutschen, die durch die französische Expansion in der frühen Neuzeit begründet worden war und erst nach zahlreichen, für beide Seiten verlustreichen Kriegen überwunden werden konnte.

Es brodelt im Iran

Die Geschichte lehrt, dass gewaltsam erwirkte Regime- oder Systemwechsel – gemeinhin als Revolution bezeichnet – selten eine Lebensdauer von mehr als 70 Jahren aufweisen. Da es bisher noch keiner Revolution gelungen ist, die an sie gestellten Erwartungen längerfristig zu erfüllen, etablierten diese zumeist totalitäre Regime, die sich die Zugriffe auf das Gemeinwesen und der daraus abzuschöpfenden Gewinne sicherte. Spätestens dann, wenn sich das Revolutionsregime als unfähig erweist, den Wünschen und Bedürfnissen der Bevölkerungsmehrheit gerecht zu werden, geraten solche Regime regelmäßig ins Wanken.

Der Iran hat diese kritische Menge der Unzufriedenen längst erreicht. Vor allem die jungen Iraner sind in ihrer breiten Mehrheit der Gängelung durch das Regime der Greise längst überdrüssig. Sie suchen den Anschluss an die moderne Welt, an technischem Fortschritt und individuelle Freiheit. Doch bislang wurden alle Versuche, das Regime abzuschütteln, mit brachialer Gewalt unterdrückt. Noch sind die Revolutionsgarden mächtig genug, der Gesellschaft ihren Willen aufzuzwingen.

Ist ein Regime-Change die Lösung?

Soll „die Welt“ den Versuch unternehmen, einen Regime-Change zu beflügeln? Besteht die Möglichkeit, die Herrschaft der Mullahs von innen derart zu erschüttern, dass sie den Weg zurück finden in ihre Tempel der islamischen Glückseligkeit?
Ähnlich wie in der Türkei ist auch die iranische Gesellschaft tief gespalten. Auf der einen Seite stehen die städtischen, kosmopolitisch ausgerichteten Bürger, die den Blick in die Welt richten und sich fragen, warum sie im Provinzialismus einer mittelalterlichen Ideologie verharren müssen. Auf der anderen Seite finden sich immer noch die ländlichen Strukturen, denen das wichtigste ist, ihren kleinen Wohlstand nicht zu gefährden.

So lange der Wunsch nach Systemwechsel auf die Städter beschränkt bleibt, haben die Mullahs das Menschenpotential, mit dem sie ihre Revolution füttern können. Wollte der Wechsel beflügelt werden, müssten die ländlichen Bewohner einerseits am städtischen Wohlstand teilhaben – gleichzeitig diesen durch das Regime gefährdet sehen. Die Mullahs wissen dieses – und bauen deshalb beständige Bedrohungen von außen auf. Es ist das klassische Prinzip, mit dem alle Herrschaftseliten in kritischen Situationen ihre Macht manifestieren: Schaffe Dir Gegner, die eine gefühlte Bedrohung generieren – und das Volk schart sich hinter Dir, weil es das Vertraute selbst dann bevorzugt, wenn das mit erheblichen Einschränkungen und Makeln belegt ist.

Trumps aktuelle Politik scheint auf die klassische Verelendungstheorie zu setzen. Sorge dafür, dass es den Menschen schlecht geht, dann werden sie ihre Herrschaft abschütteln und durch eine andere ersetzen. Aber – kann das im Iran funktionieren? Nicht, wenn es darauf hinausläuft, auch die städtische Bevölkerung in die Existenzkrise zu schicken. Denn diese ist im Iran derzeit längst in der Position, einen Wechsel herbeizusehnen. Wenn die Sanktionen darauf hinauslaufen sollen, die wirtschaftliche Lage des Iran weiter zu verschlechtern, wird dieses nicht den gewünschten Erfolg bringen. Vielmehr wäre es dann zweckmäßig, mehr Wohlstand in den Iran zu bringen. So viel Wohlstand, dass den Menschen die restriktive Politik der Herrschenden zur Gefahr für diesen Wohlstand wird – und nicht die Schuld auf das Ausland gelegt werden kann. Dazu aber müssten dem Atom-Deal konkrete Maßnahmen der Wirtschaftsförderung folgen – gepaart mit der Horizonterweiterung auch der einfachen Menschen dadurch, dass sie die daraus sich entwickelnden Möglichkeiten als Chance und nicht als Bedrohung wahrnehmen.

Trump als selbstverliebter Spieler?

Eine andere Möglichkeit ist es, dass Trump tatsächlich niemals etwas anderes war als ein selbstverliebter Spieler mit höchsten Einsätzen. Menschen mit 71 Lebensjahren ändern sich nicht mehr. In seinem Geschäftsleben rettete ihn mehr als einmal der exorbitante Bluff vor dem Absturz. Ist es das, was Trump nun ein weiteres Mal versucht? Glaubt er, den Iran an die Wand bluffen zu können – mit Drohung und Vertragsbruch?

Bei Nordkorea scheint dieses Vorgehen aufgegangen zu sein. Obwohl – man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Wird Kim noch Verträge mit den USA abschließen, wenn ein überdimensional-exzentrischer Federstrich des Präsidenten reicht, um völkerrechtlich geschlossene Verträge zu Altpapier werden zu lassen? Denn nichts anderes hat Trump jetzt getan. Man muss den Atom-Deal mit dem Iran nicht gutheißen. Aber er trägt die Unterschrift zahlreicher Staatsmänner. Deshalb sollte man ihn nur aufkündigen, wenn es dafür vertragsrelevante Gründe gibt. Zwar folgt Trump der Diktion der israelischen Regierung mit der Behauptung, der Iran habe seinen Teil der Abmachung nicht eingehalten. Möglich, dass es so ist. Aber dann muss Trump vor der Kündigung nicht nur Nachbesserung einfordern, sondern vor allem den Beweis erbringen, dass es so ist. Nicht einmal mit FakeNews, so wie es einige seiner Vorgänger taten, wartet der US-Präsident auf. Er stellt eine Behauptung in den Raum – und nutzt sie, um den Vertragsbruch zu begehen.

Was ist Trumps politisches Ziel?

Angenommen, es wäre so. Was aber ist dann Trumps politisches Ziel? Hat er überhaupt eines?

Die iranische Atombombe schien durch den Vertrag erst einmal aus dem Rennen. Dass der Iran dennoch weiterhin kräftig mitmischt – im Irak, im Jemen, in Syrien – das war nicht Gegenstand des Vertrages. Schlecht verhandelt, vielleicht. Das mag man kritisieren. Und dennoch gilt das alte Strauß-Wort: Pacta sunt servanda. Doch könnte Trump sich der Vorstellung hingeben, den Iran mit seiner Aufkündigung erneut an den Verhandlungstisch zu zwingen. Ziel: Der Iran beschränkt sich künftig nicht nur auf konventionelle Rüstung – er unterlässt auch die Unterstützung von Terrororganisationen wie der Hisbollah und Widerstandgruppen wie den Huthi. Er zieht sich aus Syrien zurück und überlässt das Spiel dort den Russen, Türken, Saud – und Amerikanern.

Noch einmal: Bei Nordkorea scheint das Bluffen und Drohen aufgegangen zu sein. Aber die Situationen sind nicht vergleichbar.

Der Iran ist nicht Nordkorea

Nordkorea war seit Beginn des Koreakrieges nichts anderes als eine Kolonie der Pekinger Führung. Ein Konstrukt ähnlich dem, was Putin in Tschetschenien eingerichtet hat. Ein totalitärer, unberechenbar wirkender Lokaltyrann kann schalten und walten, wie er will – Hauptsache, er hängt am langen Gängelband der fernen Metropole. Insofern eben ist das Einknicken Nordkoreas auch kein Sieg Trumps, sondern ein Sieg Xis. Der hat seinem Mündel klar gemacht, dass China ihn fallen lassen könnte, wenn er auf der Halbinsel einen Vernichtungskrieg vom Zaum bricht. Und Xi hat Kim auch klargemacht, dass China Südkorea dringender braucht als den Norden. Als Handelspartner, wirtschaftliche Expansionsbasis – und als Lieferant von hochwertigem Knowhow.

Der Iran aber hat keine Macht, die ihn faktisch kolonisiert. Er versteht sich selbst als solche. Im Konflikt mit dem Iran gibt es keinen Xi, der den notwendigen Druck ausübt, um ein Einlenken zu erzielen. Sollte Trump tatsächlich einen vergleichbaren Ablauf wie im Korea-Konflikt erwarten, dann könnte es gut sein, dass es ihm geht wie dereinst Adolf Hitler, der seinen geduldeten Coup gegen die Tschechoslowakei in Polen wiederholen wollte. Das aber musste bereits Napoleon lernen: Szenarien sind nicht beliebig reproduzierbar. Politische nicht und militärische auch nicht.

Will Trump einen „überschaubaren“ Krieg?

Deshalb ist es auch zulässig, eine noch andere Variante anzudenken. Will Trump vielleicht sogar einen regionalen und deshalb überschaubaren Krieg? Lebt er in der Vision, nach den desaströsen Einsätzen in Vietnam, Afghanistan und Irak als großer Kriegspräsident in die Geschichte einzuziehen? Als jemand, der die Schmach des amerikanischen Versagens aus den Geschichtsbüchern tilgt?

Unterstellen wir, es sei so. Wäre dann nicht der Iran nun der ideale „Partner“? Wer sollte ihm zur Seite stehen, wenn Trump die Schuld am Konflikt dorthin abtreten kann? Hierbei könnte ihm die Politik der Mullahs gezielt in die Karten spielen.

Es bleibt zutreffend: Zumindest mit dem Mund führt der Iran seit Jahrzehnten einen Krieg mit dem Ziel der absoluten Vernichtung gegen Israel. Es ist auch zutreffend: Durch Obamas Versagen in Syrien sind iranische Militärs und Paramilitärs den Grenzen der einzigen Demokratie im Nahen Osten bedenklich nahe gekommen. Und Israel war und ist ein fragiles Gebilde. Nehmen wir die arabischen Westbanks heraus, so ist das Land an seiner schmalsten Stelle gerade einmal 14 Kilometer breit. Die gut acht Millionen Einwohner leben zumeist eng gedrängt in den Ballungsraumen um Jerusalem, Tel Aviv und Haifa. Mittlerweile sollen es 80 Prozent der Menschen sein, die in urbaner Umwelt ihren täglichen Geschäften nachgehen.

Die Archillesferse Israel

Drei oder vier erfolgreich platzierte Atombomben würden diesen Staat Israel vernichten. Wer keine Skrupel hat, im Namen Allahs auch gleich die islamische Bevölkerung ins Himmelreich zu schicken und den Fallout über Amman und Damaskus als göttliche Fügung akzeptiert, könnte durchaus in Versuchung geraten. Deshalb vor allem kam es zum Atom-Deal, auch wenn Israel nicht mit am Tisch saß und Netanjahu nicht müde wird, gegen diesen Deal zu wettern. Folgt Trump der Logik des israelischen Präsidenten, dann hat der Vertrag mit dem Iran bestenfalls einen befristeten Aufschub gebracht. Dann wird der Iran dennoch in absehbarer Zeit über diese Massenvernichtungswaffe verfügen.

Den Iran zurück in die Steinzeit schicken

Sollte diese Auffassung den amerikanischen Präsidenten zur Aufkündigung des Deals bewegt haben, dann hieße die einzig logische Konsequenz eigentlich nur: Den Iran zurück in die Steinzeit schicken, solange es noch geht. Dann benötigt Trump nur noch einen Anlass, um den Mullahs die Verantwortung für einen amerikanischen Gegenschlag zuweisen zu können. Die Wiederaufnahme der Urananreicherung infolge der Vertragskündigung könnte ein solcher sein. Ein noch überzeugender wäre es, wenn die in Syrien stationierten, aus Teheran gelenkten Kampfeinheiten zum Sturm auf Israel ansetzten. Flankiert möglicherweise von einem „grünen Marsch“ der angeblich Unbewaffneten im Gaza-Streifen, die entsprechende Testläufe in jüngster Zeit bereits gestartet hatten.

Sollte ein solches Szenario Trumps Vorstellungswelt beherrschen, fände er erwartbar Israel an seiner Seite. Auch die Saud könnten nicht abgeneigt sein, den ewigen Konkurrenten mit einem Hammerschlag aus dem Weg zu räumen. Und selbst Erdogan könnte überzeugt werden, die Attacke zu flankieren, sollte ihm Trump dafür beispielsweise die Hoheit über die syrischen, vielleicht auch die irakischen Kurdengebiete zusichern und der Umvolkungspolitik, die in Afrin bereits in vollem Gange ist und in der die von Assads Truppen vertriebenen Radikalmuslime nun das kurdische Eigentum übernehmen, weiterhin tatenlos zuschauen. Nicht an seiner Seite stünden die Verbündeten in Europa. Um deren Einstieg in einen solchen Krieg zu erreichen, müsste die erste iranische A-Bombe bereits auf Tel Aviv abgefeuert sein.

Das Risiko internationaler Erschütterung

Sollte ein solches Szenario tatsächlich Trumps Ziel sein, dann wird er nicht nur im Nahen Osten einen Konflikt ungeahnten Ausmaßes auslösen können – vermutlich würde er die internationale Politik bis ins Mark erschüttern.

Doch wie verhalten sich Russen und Chinesen, wenn es tatsächlich dazu kommen sollte? Sterben für Teheran? Sicherlich nicht, solange nicht unmittelbar eigene Interessen bedroht sind. Dafür aber werden sie eine Lektion mitnehmen, die dieses Jahrhundert insgesamt in eine Dauerkrise werfen kann. Eine Lektion, die lautet: Internationale Verträge können jederzeit gebrochen werden, wenn sie mir nicht mehr gefallen. Und: Klein- und Mittelstaaten können nach Belieben überfallen, zerbombt, vernichtet und übernommen werden, solange sie keinen großen Bruder haben, der sie vor den anderen Großen beschützt.

Nicht auszuschließen, dass es so ist. Möglich aber auch, das Trump ganz simpel nur eines will: Rache für die „Operation Adlerklaue“, als am 24. April 1980 der Befreiungsversuch der als iranische Geiseln festgehaltenen Amerikaner in einer Blamage ohnegleichen, wenn nicht in einer Katastrophe endete. Verbunden vielleicht mit ein wenig Waffenschau, um die Umsätze der US-Militärindustrie zu fördern und Arbeitsplätze zu sichern. Wenn nebenbei Israel und die Verbündeten Saud ein wenig Entlastung von ihrem Erzfeind erfahren, wird das Trump nicht missfallen. Ansonsten gälte auch hier: America first! Koste es, was es wolle.

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