Tichys Einblick
Warten auf das Ja des Kanzlers

Pistorius im Kreuzverhör – wem dient das deutsche Leopard-Zögern?

Ein denkwürdiger Auftritt des Verteidigungsministers: Pistorius eiert in der Frage der Leopard-Lieferung an die Ukraine herum. Der Kanzler müsse entscheiden. Aber ein Ja aus dem Kanzleramt werde „möglicherweise in den nächsten Tagen der Fall sein“.

Verteidigungsminister Boris Pistorius im Interview mit Dunya Hayali im ZDF-Morgenmagazin, 24.01.2023

Screenshot / ZDF

Verteidigungsminister Boris Pistorius hatte einen ungewöhnlichen Auftritt bei Dunya Hayali im Morgenmagazin des 24. Januar. Es ging, wie nicht anders zu erwarten, um die Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine. Der ewige Asselborn, Außenminister des EU-Stadtstaats Luxemburg, hatte dazu bereits die Vorlage geliefert und übernahm die Forderung aus Kiew nach der Lieferung von 300 hochmodernen Panzern westlicher Bauart. Polen, das sich bei seinen Neubestellungen bereits von bundesdeutscher Abhängigkeit gelöst hat und seine jetzt bestellten 1.000 Panzer und 648 Panzerhaubitzen aus Südkorea bezieht, prescht voran, hat angekündigt, aus seinen über 300 Leo2-Panzern die Ukraine auch ohne grünes Licht aus Berlin zu versorgen.

(K)eine Entscheidung?

Der Druck auf die Bundesrepublik, in Sachen Leos endlich zu einer nachvollziehbaren Entscheidung zu gelangen, wächst. Also nahm Hayali den Frischgebackenen ins Kreuzverhör, wollte wissen, ob der Verteidigungsminister bereits eine solche getroffen habe. Pistorius, mit manchen Vorschusslorbeeren versehen, eierte in offenbar amtsüblicher Manier herum. Nicht er treffe die Entscheidung, ob und gegebenenfalls wann und wieviele Leos geliefert würden, sondern der Bundeskanzler. Deshalb habe er ja nun den Auftrag gegeben festzustellen, was überhaupt an verfügbarem Gerät vorhanden sei. Immerhin: Er wolle vorbereitet sein, „wenn ein Ja kommt, was möglicherweise in den nächsten Tagen der Fall sein wird“. Aber noch einmal: „Es ist nicht meine Entscheidung, ich bereite mich darauf vor, die Panzer zu liefern.“

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Weiß Pistorius mehr, als er verraten will? Statt einer klaren Aussage das übliche, schmückende und ablenkende Brimborium. Es gehe darum, die Bündnisverteidigung zu sichern und die Ukraine zu unterstützen: „Ich verstehe und teile die Sorgen der ukrainischen Freunde,“ beteuert der Niedersachse. Vorwürfe an die Bundesregierung seien unbegründet.

Einer der Vorwürfe lautet, dass jeder Tag Verzögerung nicht nur unnötige Tote auf ukrainischer Seite erfordere, sondern dass die erhoffte Lieferung angesichts einer für das Frühjahr erwarteten Großoffensive der russischen Invasionsarmee zu spät erfolgen könne. Passend zum Gespräch mit Pistorius hatte das ZDF einen Bericht der Korrespondentin Katrin Eigendorf aus der Frontstadt Charkiw eingespielt. Tenor: Die Ukraine habe zunehmend den Eindruck, dass die westliche Koalition bröckele und im Kreml bereits gefeiert werden könne.

Hayali nimmt diesen Ball auf, will wissen, ob die deutsche Verzögerungstaktik nicht Moskau in die Hände spiele, weil sie einen tiefen Riss dokumentiere, der durch die Nato gehe. Pistorius antwortet mit einem bemerkenswerten Satz: „Es ist nicht so, dass alle einer Meinung sind“, bestätigt er die Dissonanzen. Und dann schiebt er nach: „Es geht kein Riss durch die Allianz.“ Nun, Dissonanzen müssen nicht zwingend immer gleich einen „Riss“ bedeuten, doch der Eindruck ist der, dass Deutschland auf recht einsamem Posten steht. So wird kolportiert, dass es bei dem ersten Gespräch zwischen Pistorius und seinem US-Kollegen Lloyd Austin „richtig laut“ geworden sein soll, weil sich der Deutsche nicht zu klaren Zusagen durchringen mochte. Danach allerdings fragt Hayali nicht. Stattdessen möchte sie wissen, ob Deutschland, ob die Nato denn überhaupt eine Strategie im Umgang mit dem russischen Überfall habe? Und ob die von Scholz versprochene Führung überhaupt noch eine Bedeutung habe?

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Ja, selbstverständlich, sagt Pistorius. Welche Strategie das allerdings ist, erläutert er nicht. Aber es könne schließlich nicht „die Rolle Deutschlands“ sein, der Nato und vor allem den osteuropäischen Nato-Partnern den Weg vorzuschreiben. Und der „Wunsch nach Abstimmung“ sei doch keine Verhinderung.

Da spielt nun auch Annalena Baerbock in die Situation. Die Frau Außenminister hatte jüngst erklärt, Deutschland werde sich nicht in den Weg stellen, wenn Polen seine Leo2-Panzer auch ohne Genehmigung aus Deutschland abgebe. Pistorius: „Das klang am Wochenende schon etwas anders“ – und tatsächlich scheint Baerbock zurück zu rudern, verzichtet mit der Miene eines geprügelten Hundes auf die sonst übliche Bissigkeit – und auf die Erwähnung des Wortes Panzer.

Ohnehin scheint das Machtwort des SPD-Mitvorsitzenden Lars Klingbeil zu wirken. Der hatte die Parteivorsitzenden der Koalitionspartner aufgefordert, die lautstarken Kanzler-Kritiker aus ihren Reihen an die kurze Leine zu nehmen. Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP, die sich noch am Wochenende via Twitter heftig mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich fetzte, der als die treibende Kraft der Russland-freundlichen Position in der SPD gilt, war eine Stunde vor Pistorius zu Gast beim Morgenmagazin, gab sich ungewohnt zurückhaltend, sprach von „Emotionen“, die bei solchen Debatten auch mal „hochkochen“ könnten. Da hatte es offenbar am Sonntag ein längeres Gespräch mit Christian Lindner gegeben, der um keinen Preis der Welt sein Amt als Finanzminister gefährdet sehen möchte.

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Hayali jedenfalls möchte zum Schluss ihres Gesprächs von Pistorius noch wissen, ob es dabei bleibe, die Ukraine in ihrem Ziel zu unterstützen, die Grenzen von 2014 wiederherzustellen. Die Antwort, die Pistorius darauf gibt, spricht, sollte sie überlegt erfolgt sein, Bände: „Wir unterstützen die Ukraine, diesen Krieg nicht zu verlieren … ihn zu gewinnen.“ Ob das bedeutet, dass die Ukraine ihre staatliche Souveränität auch über jene Gebiete zurückerhalten soll, die Russland bereits 2014 gestohlen hatte, sagt Pistorius nicht. Einmal mehr drängt sich der Eindruck auf, dass es der SPD am Liebsten wäre, wenn aus Kiew das Signal käme: Ja, lieber Wladimir Putin – das, was Du uns bislang geraubt hast, schenken wir Dir. Dafür aber gibst Du jetzt Ruhe und lässt ab von Deinen Ukraine-Vernichtungsphantasien. Und dass es in Berlin auch deshalb lieber gesehen würde, wenn die Ukraine nicht zu energisch mit modernem Gerät ausgerüstet wird. Dass Putin dem deutschen Bundeskanzler mit dem Losbrechen der Hölle gedroht haben soll, sollte es die Ukraine wagen, in ihrem Abwehrkampf mit europäischem Kampfgerät etwa gar Städte und Stützpunkte im russischen Kernland anzugreifen, pfeifen die Spatzen längst von den Dächern.

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So könnte unabhängig davon, dass der Kremlzar sich in eine Situation hineinmanövriert hat, in der es aus seiner paranoiden Position kein Zurück mehr gibt, des Mützenichs Illusion eines „Verhandlungsfriedens“ aus gegenseitiger Ermüdung tatsächlich der eigentliche Hintergrund der selbstdemontierenden Entscheidungsunfreude des Bundeskanzlers sein. Eine Entscheidungsscheu, die, siehe auch Polens Kaufentscheidung, maßgeblichen Einfluss nehmen wird auf die Zukunft der großen deutschen Rüstungskonzerne, allen voran Rheinmetall. Der Hersteller des Leopard hat wiederholt darauf hingewiesen, dass in seinen Hallen noch zahlreiche Leopard1 stehen, die kurzfristig abgegeben werden können – und dass es auch noch Leopard2 gibt, die schnell einsatzfähig gemacht werden können.
Deutschlands Rüstungsindustrie ins Aus gedrängt

Doch der deutschen Waffenschmiede droht nun dasselbe Schicksal wie es die Schweizer Regierung bereits ihrer eigenen Munitionsproduktion zugemutet hat. Als Deutschland der Ukraine Gepard-Luftabwehrpanzer geliefert hatte, stand zwangsläufig auch die Frage nach der Munition im Raum. Denn ohne solche haben Waffen bestenfalls Museumswert. Doch die Gepard-Munition kommt aus der Schweiz – und die erklärte kurzerhand den Lieferstopp, weil es ihr ihre Neutralität verbiete, sich durch Munitionslieferungen an die Ukraine zur Partei zu machen. Kurzum: Sollte die Bundesrepublik selbst in einen Krieg verwickelt werden, kann sie angesichts eidgenössischer Neutralitätsschwüre ihre eigenen Gepards in ein letztes Gefecht schicken und dann als Panzerschrott auf dem Feld stehen lassen.

Strack-Zimmermann drohte im damaligen Einvernehmen mit Scholz mit „Aushungern“ der Schweizer Rüstungsindustrie – ein Schicksal, das angesichts des Leo-Dilemmas nun auch der deutschen droht. Denn wer kauft noch Waffen aus deutscher Produktion, wenn er im Ernstfall erst in Berlin nachfragen muss, ob er sie auch einsetzen darf? Nicht jeder hat so viel Chuzpe wie der türkische Präsidialdiktator, der seine Leos ohne jede Bedenken, Rückfragen und bundesdeutsche Schelte bei seinen völkerrechtswidrigen Aktionen in Syrien und dem Irak zum Einsatz bringt, und der gegenwärtig Moskaus Geschäft betreibt, indem er mit substanzlosen Begründungen den Nato-Beitritt von Schweden und Finnland verhindert.

Celyn Arden vom Amerika-Institut hat angesichts der deutschen Position und der mit Inkompatibilität begründeten US-Weigerung, den Abrams zu liefern, auch eine andere Erklärung parat. „Bedenken Sie Folgendes: Die Hunderte von Panzern, die der Westen bald in die Ukraine schicken könnte – Asselborn erwähnte 300, um einer erwarteten russischen Frühjahrsoffensive entgegenzuwirken – müssen schließlich ersetzt werden. Aber die deutsche Verteidigungsindustrie ist möglicherweise nicht schnell genug, um rechtzeitig genügend Fahrzeuge zu produzieren, die die Lagerbestände für alle Verbündeten auffüllen. Angebote, diese Leoparden durch amerikanische Abrams-Systeme zu ersetzen, sind daher möglicherweise nicht völlig selbstlos – die USA werden ein Dutzend neuer europäischer Kunden gewinnen, während Deutschland nur einen einzigen bekommt: die Ukraine.“

Den Aspekt, dass Scholz Deutschlands Panzerexport so oder so an die Wand fährt, hat Arden bei seinen Überlegungen noch unberücksichtigt gelassen.

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