Meine Lebenserfahrung sowie das Studium diverser Gesellschaftsentwicklungen, die alle irgendwann verschwanden, machte mich davon überzeugt, dass Systeme von innen heraus nicht reformierbar sind. Und das allein schon deshalb, weil der Reform-Begriff in diesem Zusammenhang ablenkende Camouflage ist. Denn bei diesen sogenannten Reformen geht es nicht um Reform – also die Rückbesinnung auf den eigentlichen Sinn und Zweck des zu Reformierenden –, sondern um Revolution als radikale Überwindung von zwischenzeitlich angehäuften Fehlentwicklungen. Da aber genau dazu Systeme nicht in der Lage sind, weil dieses die Selbstabschaffung bedeuten müsste, werden Systeme immer irgendwann implodieren oder aber von außen in die Bedeutungslosigkeit geschubst werden.
Was die Reform des ÖRR bedeutete
Bezogen auf das ÖRR-System bedeutet dieses: Wollte man dieses Geflecht tatsächlich reformieren, so müsste man – hierin unterscheide ich mich von Fritz Goergen – einfach nur das wiederherstellen, was das Grundgesetz gewollt hat. Und dabei wissen, warum man das gewollt hat. Das Problem dabei aber ist: Das Grundgesetz hat hier entgegen weit verbreiteter Auffassungen überhaupt nichts gewollt. Zwar garantiert es die Meinungs- und Rundfunkfreiheit, von öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ist jedoch in keiner Zeile die Rede. Das ÖRR-Geflecht ist insofern erst eine Folge politischer Selbstreferenzierung durch Politik und Bundesverfassungsgericht. Letzteres hat den politischen Wunsch der Parteien, in irgendeiner Weise Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen zu können, mit mehreren Urteilen sozusagen durch die Hintertür in den Verfassungskatalog aufgenommen, ohne dass er dort irgendetwas zu suchen hätte.
Ursprünglich entstanden die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten als Medienhäuser der Protektoratsverwaltung der Siegermächte. Sie wollten auf diesem Wege sicherstellen, dass im Rahmen der von ihnen gewünschten Umerziehung der Deutschen der Rundfunk unter ihrer Kontrolle blieb. Da nach dem Grundgesetz solche Anstalten in der Bundesrepublik in die Länderhoheit fallen, konnten nach der Gründung der Bundesrepublik neben den bereits bestehenden weitere staatliche Sendeanstalten gegründet werden.
Nun sollte im Parteienstreit sichergestellt werden, dass diese Anstalten nicht einseitig zugunsten einer Seite berichteten, also zu Propagandaorganen wurden. Deshalb gibt es Landesmediengesetze und Rundfunkstaatsverträge – aber, wie gesagt, alles unterhalb der Ebene des Grundgesetzes.
Das Bundesverfassungsgericht wurde erstmals 1961 mit der Frage staatlicher Sendeanstalten befasst, als die Bundesregierung aufgrund gefühlter Negativberichterstattung eine an den Bund angebundene Sendeanstalt als Konkurrenz zu den Landesfunkhäusern gründen wollte. Das Verfassungsgericht lehnte dieses Ansinnen damals vor allem aus formalen Gründen ab. Der Bund habe damit seine Kompetenzen überschritten. Diese lägen bei den Ländern. Zudem sei zu gewährleisten, dass der Rundfunk staatsfrei agiere und nicht als staatliches Propagandaorgan missbraucht werden könne.
Wie das aber häufig so ist in der real existierenden Politik, wurde diese klare Positionierung in den Folgejahren aufgeweicht, partiell sogar konterkariert. Mit ZDF und Deutschlandfunk entstanden an den Bund angebundene Rundfunkanstalten und mit der ARD letztlich eine über der grundgesetzlich gebotenen Länderzuständigkeit stehende Dachorganisation. Statt, wie es nach GG seine Aufgabe gewesen wäre, die verfassungsrechtliche Beurteilung den Landesverfassungsgerichten zu überlassen, mischte sich das Bundesverfassungsgericht nun regelmäßig ein – nicht zuletzt eine Folge der dann doch noch zugelassenen Bundesrundfunkanstalt, die heute unter dem Namen ZDF agiert.
Den Sündenfall ZDF korrigieren
Wenn es nun also tatsächlich um eine „Reform“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ginge, dann müsste als erstes der Sündenfall ZDF korrigiert werden, indem diese Sendeanstalt aufgelöst wird. Sodann wären der ARD jegliche übergeordneten Kompetenzen zu entziehen und diese auf die jeweiligen Länderzuständigkeiten zurückzuführen. Das träfe dann nicht nur ARD-Werbekampagnen, sondern insbesondere die Zwangsgebühren, die derzeit bundeseinheitlich eingenommen und über die ARD an die Sendeanstalten der Länder verteilt werden.
Bundesverfassungsrang jedenfalls haben die Rundfunkgebühren nicht. Folgen wir dem GG, dann wären derartige Gebühren ausschließlich Ländersache: Die Landesparlamente hätten darüber zu entscheiden, ob und in welcher Höhe Zwangsgebühren erhoben werden, welche dann ausschließlich den jeweiligen Länderanstalten zugutekämen. Hierbei stellte sich das nächste Problem, denn da die Kompetenz bei den Ländern liegt, wäre der Zusammenschluss von Sendeanstalten – Beispiel NDR, RBB etc. – zu hinterfragen. Entspricht es dem Diversifikationsziel des GG, dass möglicherweise Berliner darüber entscheiden, was in der Lausitz als Sendeangebot geliefert wird?
All dieses und weitere Konsequenzen wären unverzichtbar, wollte man tatsächlich ansetzen, den ÖRR zu reformieren. Da es allerdings auf der Hand liegt, dass das ÖRR-Geflecht einschließlich der staatsmonopolistischen Politiker- und Juristenkreise eine solche Reform niemals zulassen werden; zudem eine Revolution von innen heraus angesichts des damit verbundenen Pfründeverlustes ebenfalls ausgeschlossen ist, ist jeder Gedanke über mögliche „Reformen“ zur Rettung des ÖRR-Sendesegments vergebliche Liebesmüh und verschenkte Zeit.
Unreformierbar auch der Parteienstaat
Grundsätzlich gilt dieses auch für den Parteienstaat, den die Politik aus dem Parlamentarischen System geschaffen hat. Selbstverständlich ist auch dieser nicht zu reformieren. Dennoch ein paar Anmerkungen zu den Goergen’schen Vorschlägen.
- Schluss mit dem Parteienprivileg? Das ist missverständlich, weil juristisch falsch. Tatsächlich wählt der Bürger keine Parteien, sondern Listen mit natürlichen Personen, die über Parteien aufgestellt wurden. Von einem Parteienprivileg kann also nicht die Rede sein. Ich halte dieses auch für einen wenig zielführenden Ansatz, wenn es um tatsächliche Demokratie geht.
Der Aspekt der Bürgerrepräsentation spricht für das klassische Mehrheitswahlrecht. Es kandidieren Bürger, und ob diese einer Partei angehören oder nicht, ist letztlich deren Privatangelegenheit. In das Parlament zieht nur ein, wer eine absolute Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen auf sich vereinen kann. Das wird voraussichtlich des Öfteren zu einer Stichwahl zwischen den beiden Bewerbern führen, die über die relativ meisten Stimmen, aber eben nicht über die im ersten Wahlgang notwendige Mehrheit verfügen. Wer die Stichwahl gewinnt, kann sich dann mit Fug und Recht als Vertreter einer Mehrheit seiner Bürger fühlen.
In der Debatte wird gegen dieses Mehrheitswahlrecht argumentiert, es sei ungerecht, weil es die auf die Parteien entfallenen Stimmen nicht entsprechend in den Parlamenten berücksichtige. Das ist zutreffend. Goergen ist das egal – er will die Parteien ganz abschaffen. Ich bin da nicht ganz so radikal. Ich könnte mir ein Zweikammersystem vorstellen. Vielleicht sogar ein Dreikammersystem. Jede der Kammern muss im Rahmen der legislativen Aufgabe ihre Zustimmung leisten und kann eigene Initiativen starten. Das macht zwar Entscheidungsvorgänge nicht leichter, verhindert aber zum einen das „Durchregieren“ als gefällige Unterwerfung des Parlaments unter die Order der Exekutive und gewährleistet zudem die gegenseitige Kontrolle.
Die erste Kammer eines Zweikammersystems wird mit vielleicht 200 Abgeordneten, die direkt in den Wahlkreisen nach Mehrheitswahlrecht gewählt werden, besetzt. Die zweite Kammer in vergleichbarer Größe setzt sich nach Verhältniswahlrecht zusammen. Ob dabei Listen oder Einzelkandidaten antreten, obliegt den Bewerbern. Die Entscheidung liegt ohnehin beim Wähler.
Sollten wir noch eine dritte Kammer für zweckmäßig erachten, so könnte diese die aus der ersten Reichsverfassung übernommene und überkommene Bundesländerkompetenz repräsentieren. Sie wäre jedoch nicht mit Regierungsvertretern zu besetzen, sondern mit Repräsentanten der jeweiligen Länderparlamente. Denn die Aufgabe der Legislative liegt bei den Parlamenten als Legislative, nicht bei den Regierungen als ausführende Organe.
Einverstanden – wird alles im Zuge einer Reform nicht geschehen. Allein schon deshalb, weil dann all die Sonntagsfragen-Institute überflüssig würden. Und selbstverständlich bedeuteten diese Änderungen die Selbstvernichtung zahlreicher Politkarrieren. Aber vielleicht irgendwann mal, nach dem nächsten Schubs …
- Das ersatzlose Streichen der Parteienfinanzierung? Vorbehaltlos einverstanden. Denn wer vom Staat Geld erhält, ist am Ende Staatsdiener und nicht Bürgervertreter. Parteien müssen sich darum bemühen, von ihren Wählern finanziert zu werden. Gelingt dieses einer Partei nicht, so ist dieses notwendig darauf zurückzuführen, dass ihr inhaltliches Angebot offenbar beim Wahlvolk nicht auf die entsprechende Unterstützung trifft.
- Diäten und sonstige Finanzierung von Abgeordneten? Sehe ich etwas anders als Goergen. Grundsätzlich gilt: Ein gewählter Abgeordneter darf nicht schlechter gestellt sein als vor seiner Wahl. Denn er wäre mit dem Klammerbeutel gepudert, unter solchen Voraussetzungen anzutreten. Insofern liegt die Lösung auf dem Tisch: Der gewählte Abgeordnete legt seine Steuererklärungen der vorangegangenen drei Jahre vor. Das daraus errechnete, versteuerte Mittel bestimmt die Höhe der Diät. Hatte er vor seiner Wahl keine Einkünfte, so erhält er den sozialen Mindestsatz. War er vorher Vorstandsvorsitzender bei Daimler oder Siemens, wird es etwas teurer. Dafür hat dann aber tatsächlich jeder Bürger die Chance, ohne finanzielle Nachteile zu kandidieren.
Weiterhin stellt sich die Frage der Arbeitsfähigkeit. Ein vernünftig aufgestelltes Parlament muss heutzutage arbeitsfähig sein. Also bekommt der Abgeordnete ein Büro und einen Mitarbeiter, der nach Bundesangestelltentarif bezahlt wird. Unverzichtbare Arbeitsgeräte etc. werden entweder gestellt oder auf Basis eines Genehmigungsverfahrens beantragt. Pauschalbeträge werden abgeschafft – ich denke immer noch an jenen Bundestagsabgeordneten zurück, der seinen teuren Arbeits-PC angesichts eigenen digitalen Unvermögens seinem Sohn als Game-PC überantwortete. So etwas muss nicht sein, wenn es der Steuerzahler finanziert.
- Steuerfinanzierte Medien? In der Tat absurd in einer Gesellschaft, die sich durch einen offenen, liberalen Meinungsstreit auszeichnen will. Wer von Steuern lebt, ist abhängiger Diener. Journalistisches Berufsethos ade. Insofern bedarf das keiner Diskussion.
Soweit ein wenig Grundsätzliches und eine Reaktion auf Fritz Goergen. Freuen wir uns auf die Beiträge unserer Leser.