Tichys Einblick
Merkel im Bundestag

Pandemie-Debatte zwischen Selbstgewissheit und Panik

Nicht was sie sagt, sondern wie Merkel im Bundestag spricht, ist bemerkenswert. Erstaunlicher aber war die auffällige Nervosität ihres Fraktionschefs Brinkhaus. Er weiß es, aber er traut sich nicht, es zu sagen: Merkel lebt in einer Dauerhybris der präsidialen Selbstermächtigung.

Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt eine Regierungserklaerung im Bundestag am 29. Oktober 2020.

imago images / Emmanuele Contini

Manche Debatten sind nicht deshalb bemerkenswert, weil Bemerkenswertes gesagt wird – sondern deshalb, wie es gesagt wird. Dieses trifft in besonderem Maße nun auf jene Generaldebatte des Deutschen Bundestages zu, die sich an die Regierungserklärung der Frau Bundeskanzler zu den sogenannten Corona-Maßnahmen anschloss, welche ein verfassungsmäßig nicht vorgesehenes Gremium aus Bundeskanzler und den Regierungschefs der Bundesländer am 28. Oktober aus eigener Machtvollkommenheit „beschlossen” hatte.

Merkel mit Schlaftablettenrhetorik

Kaum bemerkenswert die Rede der Angela Merkel selbst. Wie immer vorgetragen in der ihr eigenen, simplen Einschlafrhetorik, unterstrich sie ihr sozialistisches Kollektivdenken. „Uns alle“ beträfe die Pandemie „ausnahmslos“ – eine Feststellung, die nicht einer gewissen Ironie entbehrt, betreffen die Ermächtigungsbeschlüsse doch tatsächlich alle Bürger; wenn auch manche, wie die mittelständische Gastronomie, ganz besonders. 

Merkel hat erkannt: „Wir sind Teil eines Ganzen!“ So wurden in der Vergangenheit schon des Öfteren staatliche Eingriffe in die individuellen Freiheitsrechte begründet. Schließlich steht die Gesundheit des „Volkskörpers” über allen anderen Erwägungen. Sich dessen bewusst, kommt dann noch zur Begründung der Staatswillkür der Hinweis, die Pandemie stelle „unsere demokratische Ordnung“ auf eine „ganz besondere Bewährungsprobe“. Doch „miteinander und füreinander“ würden „wir“ diese Krise durchstehen. 

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Das dürfte insbesondere Sportanbieter, Veranstalter und Gastronomen trösten: All die Investitionen in Hygienekonzepte und Maßnahmen zum Schutz von Gästen und Mitarbeitern – zum Fenster herausgeschmissenes Geld. Staatlich verordnete Betriebseinstellung, vorgeblich nur für einen Monat, wird manchem das wirtschaftliche Genick brechen. Auch dann, wenn tatsächlich auf Grundlage der Umsätze des November 2019 ein Teil der Ausfälle mit Staatsschulden kompensiert werden soll. Da warten nicht nur jene, die ihr Geschäft erst nach dem November des vergangenen Jahres eröffnet haben, auf eine Erläuterung, wie genau das eigentlich funktionieren soll.
Gauland direkt und selbstgewiss

Auf Merkel folgt der Oppositionsführer. Alexander Gauland tritt auf wie jemand, der genau weiß, was er tut. Gelassen und selbstsicher spricht er von einer „Corona-Diktatur auf Widerruf“, bezeichnet die täglichen Corona-Stands-Meldungen als „eine Art Kriegspropaganda“, sieht in dem verfassungsmäßig nicht vorgesehenen Organ des Krisenkabinetts „eine Art Kriegskabinett“. Deren Beschlüsse, durch die Parlamente nicht abgesegnet, seien „maßlos und unangemessen“.

Der AfD-Mann trägt seine rhetorische Schärfe in bewusster Gelassenheit vor. Keine Hektik, kein Krawall. Stattdessen selbstsicher und sich der durchaus gezielt eingesetzten Provokation seiner Worte bewusst. Das obligatorische Kopfschütteln in den Reihen der Blockparteien dennoch eher verhalten – und seitdem SPD-Hassprediger Johannes Kahrs aus dem Politgeschäft ausgestiegen ist, unterbleiben nun auch die bislang üblichen Hysterieanfälle.

Mützenich, der gelangweilte Demokrat

Kahrs Parteifreund Rolf Mützenich glänzt durch Belanglosigkeit, wirkt gelangweilt und absolviert seinen Redebeitrag als Pflichtübung. Bemerkenswert nur das Angebot, fraktionsübergreifend Regeln für derartige Ausnahmesituationen zu entwickeln, in denen die Beteiligung des Parlaments definiert werden solle. Er bietet dieses Angebot „ausdrücklich den demokratischen Fraktionen“ des Bundestages an – und der unbedarfte Zuhörer darf sich fragen: Was will uns Mützenich damit sagen? Demokratisch gewählt sind alle Parlamentarier des Hohen Hauses. Das also kann nicht das Kriterium sein, nach dem der SPD-Fraktionsvorsitzende offenbar seine Einladung einschränken will. Auch die inneren Parteiverfassungen aller im Bundestag vertretenen Parteien erfüllen die vom Grundgesetz eingeforderten Demokratieansprüche. Das kann es also auch nicht sein. Folglich scheint Mützenich seine Einschränkung auf die Programmatik von Parteien zu beziehen – also werden die Kommunisten vermutlich außen vor bleiben müssen. Denn bis heute haben die sich nicht von der marxistischen Vorstellung einer verfassungswidrigen Diktatur des Proletariats verabschiedet, auch wenn sie ihr politisches Handeln in demokratische Tücher hüllen.

Lindner ungewohnt erfrischend

Ungewohnt erfrischend dann der Chef der FDP-Fraktion. Christian Lindner hat einen guten Tag, scheint sich endlich einmal auf liberale Traditionen zu besinnen und von seinem sonst üblichen Anwanzen an die schwarzgrüne Merkel-Göring-Eckardt-Fraktion abzusehen. Er spricht rhetorisch ausgefeilt und auf den Punkt davon, dass das Vorgehen der Regierungen „unsere parlamentarische Demokratie zu unterwandern“ drohe. Mit ständigen „Showdown-Sitzungen“ werde an der „Gewöhnung an Panikvokabular“ gearbeitet. Krisen-Aktionismus ersetze ausgewogene und sinnvolle Maßmaßnahmen. Stattdessen müsse, wie auch von Fachmedizinern gefordert, zu „Risikostrategien“ gewechselt werden.

Wie gesagt: Lindner hat einen guten Tag – und bliebe er einer solchen, fundierten Regierungskritik treu, könnte er sich sogar Hoffnungen machen, sein FDP-Auslaufmodell in den nächsten Bundestag zu retten.

Brinkhaus nervös und hysterisch

Auf den FDP-Mann folgt der Vormann von der CDU. Dessen Auftritt ist nun tatsächlich überaus bemerkenswert. Ralph Brinkhaus ist sichtbar nervös, traktiert das Rednerpult ununterbrochen mit Faust, Hand und Zeigefinger. Unter den Stoßgeräuschen geht manches Wort seines hysterisch vorgetragenen Redebeitrags verloren – und doch ist unüberhörbar, dass der CDU-Fraktionschef gleich zweimal hintereinander die Regierungsbeschlüsse als „fruchtlos“ bezeichnet. Gemeint hatte er vermutlich „furchtlos“ – doch auch einem Politprofi kann der Freud’sche Versprecher dann einen Streich spielen, wenn er nicht richtig bei der Sache ist oder sich in der Situation befindet, etwas öffentlich behaupten zu müssen, von dem er weiß, dass es an den Zielen vorbeigeht. 

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Was den Westfalen verunsichert, bringt er selbst durch einen inhaltlichen Widerspruch auf den Punkt: „Die Rechtsdurchsetzung obliegt den Ländern, nicht dem Bund“ stellt er im Sinne der föderalistischen Verfassung der Bundesrepublik zutreffend fest. Das aber bedeutet auch: Gremien, wie diese ominöse Runde der kanzlerbefohlenen Regierungspräsidentenrunde, sind in einem solchen Modell nicht vorgesehen. Brinkhaus weiß es, aber er traut sich nicht, es zu sagen: Merkel lebt in einer Dauerhybris der präsidialen Selbstermächtigung. Das wurde bereits deutlich, als sie aus Südafrika eine demokratische Ministerpräsidentenwahl verbot, weil ihr das Ergebnis nicht gefiel. Ob Asylpolitik, Atomausstieg und nun staatliche Pandemik – Merkel maßt sich mehr Rechte an, als sie der deutsche Kaiser jemals hatte. Brinkhaus spürt es und macht sich selbst zu einer unbedeutenden Randfigur, der statt sachlicher Diskussion nur panisches Herumtoben bleibt.

Die offensichtliche Stresssituation, in der Brinkhaus qua Amt die Maßnahmen einer sich selbst ermächtigenden Merkel verteidigen muss, an deren Zustandekommen er nicht nur nicht beteiligt worden ist (was, nur am Rande, seinem Vorgänger niemals passiert wäre), sondern die offensichtlich in seiner Fraktion auch nicht auf ungeteilte Zustimmung treffen, prägt seinen Auftritt. Hier tanzt einer Ungeübter bei Seitenwind auf dem Hochseil, und so erklärt sich auch, weshalb er mit einer Breitseite gegen Lindner startet. Die pandemischen Maßnahmen als Aktionismus zu bezeichnen, dafür hätte sich die FDP zu früheren Zeiten „geschämt“, meint Brinkhaus. Wobei – und darauf weisen alle Oppositionskandidaten hin – die Bezeichnung als „Aktionismus“ ohne Zweifel zutrifft, wenn die zweite Welle der Corona-Infektionen über die Verantwortlichen offensichtlich ebenso unerwartet gekommen ist, wie das alljährliche Weihnachtsfest in die noch nicht geschlossenen Einzelhandelsgeschäfte. 

Die Kommunistin bleibt sich treu und KGE beim Kirchentag

In Erwartung des Herbstes hätte die Bundesregierung längst vorbereitende Maßnahmen ergreifen müssen, meint dann auch Amira Mohammed Ali von den Kommunisten. 

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Während Brinkhaus noch seinen Hochseilakt dadurch abzusichern sucht, dass er feststellt, Freiheit, die auch er als Grundrecht eingeschränkt sieht, sei „nicht nur die Freiheit der Gesunden und Jungen“, übt sich die Linksradikale in der für ihre Partei unverzichtbaren Sozialkritik, fordert einmal mehr eine Vermögensabgabe – sprich: Enteignung – der „Multimillionäre und Milliardäre“, um damit die staatlichen Almosen für jene finanzieren zu können, die aus eigener Leistungskraft nicht dazu in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt abzusichern. Dabei, das soll nicht unerwähnt bleiben, erfüllt sie ihren Arbeitsauftrag souverän und ohne Aufregung. Das aus ihrer politischen Position heraus als Kritik an Merkels Camarilla zu Adressierende kommt auf den Punkt und trifft – wobei unerwähnt bleibt, dass mit dem von Merkel zum Ministerpräsidenten gemachten Bodo Ramelow auch einer ihrer Parteigenossen in die Riege der Corona-Aktivisten eingeschert ist. 

Den Abschluss der Oppositionsrunde macht Katrin Göring-Eckardt für die Grünen. Nicht bemerkenswert, da wie üblich als Kirchentagsrede vorgetragen. Es bleibt nur der Eindruck, dass die Ökomaoisten mit sich nicht so recht im Reinen sind, ob sie die Ermächtigungsmaßnahmen nun grundsätzlich begrüßen sollen, oder ob es nicht doch ihre Aufgabe wäre, ein wenig schärfere Merkelkritik zu platzieren.

Kein tatsächlicher Erkenntnisgewinn

Alles in allem also kein tatsächlicher Erkenntnisgewinn, keine wirklich nachvollziehbare Argumentation, warum nun zum zweiten Mal das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird, und dafür vor allem der Mittelstand in die Knie gehen wird.

Die maßgeblich von AfD und FDP vorgetragene Kritik setzte zwar wichtige Akzente – doch die Frage, warum „wir alle“ nun in Geiselhaft genommen und mit Freizeit- und Aufenthaltsverboten belegt werden, wurde auch von Gauland und Lindner nur am Rande gestreift. 

Sind die Maßnahmen tatsächlich „alternativlos“ – oder wird hier kollektiv ein Volk wider seine Verfassungsrechte zwangsverpflichtet, weil man sich nicht traut, die tatsächlichen Spreader zu benennen? Müssen tatsächlich Hoteliers, Gastronomen und Veranstalter, die viel Geld in die Hand genommen haben, um ihre Angebote mit der größtmöglichen Sicherheit zu versehen, zu Opfern einer möglicherweise gänzlich verfehlten, panikartigen Politik werden?

Das immer wieder vorgetragene Hauptargument lautet: Die Gesundheitsämter seien nicht mehr in der Lage, die Wege der Virus-Verbreitung nachzuvollziehen. Deshalb sei dieser vorgebliche „Lockdown light“ nun unvermeidbar.

Die Aussgen aus Neukölln klarstellen!

Es ist noch nicht lange her, da wagte es der Bürgermeister des Berliner Bezirks Neukölln, etwas im Sinne regierungsamtlicher Sicht Unerlaubtes laut zu sagen. Anfang September stellte der SPD-Mann Martin Hikel unwidersprochen fest: „Nach momentanem Stand waren es fünf große Hochzeiten und Veranstaltungen, die stattgefunden haben und jetzt den Bezirken in Gänze zu schaffen machen.“ Landesweites Superspreading, ausgehend von fünf (!!!) Events.

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Zwar sagte Hikel nicht, wer die Verantwortung für diese Großhochzeiten und Veranstaltungen trug, die demnach das Virus über alle Bezirke Berlins verteilten – doch das holte dann indirekt die „Integrationsbeauftragte“ des Bundeslandes NRW, Serap Güler, nach. In Reaktion auf Hikel meinte sie: Angesichts des milden Pandemieverlaufs nähmen nicht nur Teile der Migranten-Community die Situation nicht so ganz ernst.

Sind also die Kulturtraditionen der Multikulti-Parallelgesellschaften maßgebliche Verursacher – gepaart mit jener „Partyszene“ die sich nicht nur in Stuttgart einen Spaß daraus machte, die Corona-geplagten Innenstadt zu verwüsten?

Panikmache ersetzt keine Aufklärung

Es ist ja durchaus möglich, dass die aktuelle Verbreitung des Virus ein völlig normaler und unvermeidlicher Prozess ist. Einer, auf den dann allerdings das Merkel‘sche Ermächtigungskabinett längst hätte vorbereitet sein müssen. Es ist aber auch möglich, dass die nun hochschnellenden Fallzahlen nicht nur mit zahlenmäßig umfangreicheren Tests einer ohnehin schon partiell durchseuchten Gesellschaft zusammenhängen, sondern tatsächlich, wie es Hikel für Berlin konstatierte, auf spezifische Kulturtraditionen zurückgeführt werden können.

Ob dieses so ist oder nicht: Das Volk, dass nun in Kollektivhaft genommen wird, hat einen Anspruch darauf zu erfahren, ob Hikel richtig lag oder er lediglich eine Berliner Spezialität beschrieb. Darüber zu diskutieren, diese Möglichkeit darzulegen oder auszuräumen – das hätte eine Aufgabe sein können, die durch die Bundesregierung anlässlich der Debatte wahrzunehmen gewesen wäre selbst dann, wenn die Erkenntnisse, um einen früheren Innenminister zu zitieren, das Volk „verunsichert“ hätten.

Recht und Freiheit sollen zerstört werden
Lauterbach (SPD) will in jeder Wohnung schnüffeln lassen dürfen
So bleibt nach der Bundestagsdebatte und im Angesicht eines überaus nervösen, panischen CDU-Fraktionsvorsitzenden das flaue Gefühl, dass die Corona-Maßnahmen ein überdimensioniertes Ablenkungsmanöver sein könnten. Die bewusste Vernichtung des kulturellen Lebens nur deshalb, um nicht Ross und Reiter benennen zu müssen. 

Sollte das tatsächlich so sein, dann waren die Attacken der Opposition durch die Bank viel zu harmlos – und dann sind die eingestandenen, massiven Eingriffe in die Grundrechte nicht nur überaus fragwürdig, sondern eine regierungsamtliche Unverschämtheit mit unverantwortlichen Folgen. Doch ebenso, wie Hikels Erkenntnisse schnell aus der medialen Berichterstattung verschwanden, blieben die politisch Verantwortlichen auch in der Bundestagsdebatte die Antworten auf wesentliche Fragen schuldig. So dürfen sie sich dann nicht wundern, wenn auf dem Boden der bewussten Nichtaufklärung Verschwörungstheorien erwachsen bis dahin, dass all diese Maßnahmen letztlich nur dem Ziel dienen sollen, mit einem selbständigen und unabhängigen Mittelstand jene zu zerstören, die noch am ehesten bereit und willens sind, dem Übergang in einen partei- und NGO-bestimmten Staatsökonomismus Widerstand zu leisten. Forderungen nach einem staatlichen „Grundgehalt“ beispielsweise für sogenannte „Kulturschaffende“ stehen längst im Raum. Sie lassen erahnen, wohin es gesellschaftlich gehen soll, um die große Transformation der freien marktwirtschaftlichen Ordnung zu vollenden.

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