US-Präsident Donald Trump hatte persönlich sein Militär angewiesen, den sich widerrechtlich im Irak aufhaltenden Qasem Soleimani, führender General der Revolutionsgarden zu liquidieren. Der Einsatz nahe des Flughafens der irakischen Hauptstadt Bagdad war erfolgreich, führte jedoch zwangsläufig dazu, den sich aufheizenden Konflikt im mehrheitlich schiitisch besiedelten und zunehmend aus dem Iran gesteuerten Irak zu verschärfen.
Trump begründete den Einsatz damit, dass Soleimani, der für das iranische Regime der islamischen Glaubensdiktatoren deren Auslandseinsätze koordinierte und befehligte, die Verantwortung für die Versuche trage, die US-Botschaft in Bagdad zu stürmen. Angesichts dieser Bedrohung hatten die USA nicht nur ihre Militärpräsenz im Irak erhöht – sie unternahmen mit der Aktion gegen Soleimani auch den Versuch, den iranischen Aktionen in Syrien einen erheblichen Schlag zu versetzten.
Die Antwort der Mullahs ließ nicht lang auf sich warten. Ali Khamenei, sogenannter oberster Glaubensführer der islamischen Pseudorepublik, kündigte traditionsgemäß „Rache“ für das US-Vorgehen an – und schloss dabei die rituellen Hassangriffe gegen Israel in seine Drohungen mit ein. Der iranische Verteidigungsminister präzisierte: Die Rache für Soleimanis Tod werde vom iranischen Militär kommen.
Die USA forderten daraufhin alle US-Bürger vor allem im Irak auf, das Land zu verlassen oder sichere Orte aufzusuchen. Die Hoffnungen der EUropäer, den Atomvertrag mit dem Iran irgendwie noch retten zu können, dürften damit abschließend zu Grabe getragen werden. Eine weitere Eskalation der ohnehin schon höchst angespannten Lage in der Region ist damit zwangsläufig – und sie könnte eine neue Dimension bekommen, nachdem nun das irakische Parlament für Sonnabend zu einer Sondersitzung zusammengerufen wurde, bei der ausschließlich über das Verhältnis zu den USA beraten werden soll. Sollten sich die Abgeordneten dabei auf die Seite des Iran schlagen, verlören die USA nicht nur ihre Legitimation der Anwesenheit auf irakischem Boden – der Irak selbst geriete in Turbulenzen ungeahnten Ausmaßes, da weder die an Saudi-Arabien orientierten arabischen Sunniten noch die Kurden, die sich bereits jetzt in der Zange zwischen Iran und Türkei befinden, eine totale Übernahme des Landes durch die letztlich iranisch gesteuerten Schiiten akzeptieren werden.
Angesichts der sich zuspitzenden Situation sind nicht nur die Amerikaner in Alarmbereitschaft. Die Regierung des Vereinigten Königreichs teilte am Mittag des Freitag mit, dass sie die Alarmbereitschaft ihrer Militärbasen im Nahen Osten entsprechend der sich durch den Tod Soleimanis ergebenden Situation erhöht hat. Die Internationale Ölkonzerne evakuieren seit Freitagmittag ihr Personal über den irakischen Flughafen Basra. Reagiert hat auch Israel, dessen Regierung das bei Touristen beliebte Skigebiet auf dem Hermon-Berg gesperrt hat. Der Hermon grenzt unmittelbar an Syrien, in dem sich ebenfalls kampfbereite, iranische Einheiten befinden.
Die Signale der verschiedenen Seiten machen deutlich, dass mit unmittelbaren, militärischen Zusammenstößen nicht mehr nur auf Ebene von Milizen, sondern zwischen den eigentlichen Militärapparaten der involvierten Staaten gerechnet wird.
Türkei: Dreibund gegen Erdogan
Befeuert wird die sich zuspitzende Lage auch durch die Türkei. Dessen Parlament billigte mit deutlicher Mehrheit die Pläne Erdogans, im zerrütteten Libyen militärisch einzugreifen und befristete den Einsatz vorläufig auf ein Jahr.
Bei den Konsultationen der Regierungen der beiden EU-Staaten Griechenland und Zypern mit Israel, bei dem auch der Bau einer an der Türkei vorbei führenden Gas-Pipeline durch das Mittelmeer beschlossen wurde, warnten die Vertreter der drei Staaten die Türkei ausdrücklich vor einem solchen Militäreinsatz in Nordafrika. Ein möglicher Einsatz sei ein grober Verstoß gegen die Resolution 1970 des UN-Sicherheitsrats aus dem Jahr 2011, mit dem unter anderem ein Waffenembargo gegen das Land verhängt worden ist.
Angesichts der türkischen Aggression mittlerweile nicht nur in Syrien und Irak, in denen die Türkei völkerrechtswidrig Truppenstützpunkte unterhält und territoriale Ansprüche sichert, sowie der Vereinbarung zwischen der Türkei und der gegenwärtig international anerkannten, aber machtlosen Regierung des zerrütteten Landes in Nordafrika über die Aufteilung des östlichen Mittelmeeres in eine türkische und eine libysche Zone, bildet sich damit eine neue Allianz der drei demokratischen Staaten, die faktisch einen Riegel gegen den Süden Kleinasiens bilden kann. Damit ist nun auch die EU unmittelbar in den Konflikt involviert, denn Griechenland und Zypern sind Vollmitglieder, Israel ist seit 2014 auch offiziell assoziierter EU-Partnerstaat.
Libyen: Haftar vor dem Sieg
In Libyen selbst steht die LNA (Libyan National Army) des Generals Chalifa Haftar kurz davor, die Hauptstadt Tripolis zu übernehmen. Beobachter erwarten, dass die offiziell anerkannte Regierung nach Misrata fliehen wird. Dort verfügt der vor der Ablösung durch die erfolgreichen LNA-Einheiten stehende Fayez a’Sarraj derzeit noch über den einzigen Flughafen, der nicht in unmittelbarer Erreichbarkeit der LNA liegt. Haftars Einheiten kontrollieren mittlerweile den deutlich größeren, Internationalen Flughafen von Tripoli. Misrata Airport, der nur über eine funktionsfähige Start- und Landebahn verfügt, wurde bereits in den vergangenen Tagen von türkischen Maschinen angeflogen – es wird damit gerechnet, dass dieser letztverbliebene Airport der Regierung als Anflugpunkt der türkischen Armeeeinheiten zum Einsatz kommt.
Unklar ist derzeit noch, wie sich Ägypten positioniert. Dessen Präsident A’Sisi hatte angesichts des Votums des türkischen Parlaments den Nationalen Sicherheitsrat einberufen – über die konkreten Ergebnisse der Beratungen ist hinsichtlich der Situation in Libyen bislang nichts bekannt. Offiziell verlautete, es seien zahlreiche Maßnahmen beschlossen worden, um auf mögliche Bedrohung der nationalen Sicherheit Ägyptens zu reagieren. Diese wiederum sieht das Statement der ägyptischen Regierung auch in der militärischen Einmischung in Libyen durch fremde Mächte.
Im Schulterschluss mit der Arabischen Liga verurteilte Ägypten den Beschluss des türkischen Parlaments und stellte fest, diese Entscheidung befeuere den Konflikt. Ägypten und die meisten arabisch geprägten Länder stehen – wie auch Russland – hinter Haftars „Rebellen“, während die Türkei und derzeit auch noch die EU-Staaten den unterlegenen Fayez a’Sarraj unterstützen. Allerdings sind auch bei der EU vorsichtige Absetzbewegungen zu erkennen: Am Vormittag des Freitags warnte Brüssel offiziell seinen türkischen Noch-Anwärter vor einer Eskalation des Konflikts durch eine militärische Intervention in Libyen. Eine Warnung, die zuvor bereits von Donald Trump ausgesprochen worden war. Dass derartige Warnungen den türkischen Präsidialdiktator jedoch nur marginal beeindrucken, hat dieser in der Vergangenheit wiederholt unter Beweis gestellt.
Der Frontverlauf: Noch nicht eindeutig geklärt
Angesichts dieser Situation brennen im östlichen Mittelmeerraum bis zum Golf diverse Lunten an diversen Pulverfässern. Erdogans Türkei unternimmt dabei den Versuch, an alte osmanische Größe unter der Führung sunnitischer Kalifen anzuknüpfen. Die iranischen Mullahs träumen vom Großpersischen Reich als schiitischen Gottesstaat. Die arabischen Staaten positionieren sich sowohl gegen die von Erdogan getragenen Ziele der islamischen Muslimbruderschaft und gegen den Traditionsfeind der schiitischen Perser. Ausnahme: Das kleine Qatar, das an der Seite der Türkei steht, ebenfalls in Libyen a’Sarraj unterstützt und nebenbei noch in zwei Jahren die Fußball-WM ausrichten möchte.
Die USA sind hinsichtlich des Iran eindeutig positioniert, befinden sich jedoch bei Noch-NATO-Partner Türkei gleichsam im freien Fall. Noch sind die Fronten einer zunehmend wahrscheinlicher werdenden heißen Phase der Konfrontationen nicht abschließend geklärt. Einiges allerdings zeichnet sich bereits ab. So wird die Türkei, verfolgt sie ihren Kurs weiter, nicht an der Seite von EU und USA stehen. Die arabischen Staaten – vor allem Ägypten und die Saud sowie in deren Schlepptau Jordanien – werden enger an Israel rücken, welches seine Interessen über Zypern bis nach Griechenland erweitert hat. Die EU selbst wird zwischen allen Stühlen sitzen – und die NATO ein Problem bekommen, wenn tatsächlich reguläre iranische Militäreinheiten die USA angreifen sollten.
Wer darauf gehofft hatte, dass die Situation im Nahen Osten im Jahr 2020 ruhiger werden wird, dürfte sich bereits am dritten Tag des neuen Jahres bitter enttäuscht sehen. Nichts deutet darauf hin, dass es dort friedlicher wird. Ganz im Gegenteil.