Sagt Ihnen, liebe Leser, der Begriff „Sozialpakt“ etwas? Falls nicht, so sollte sich das nun ändern. Bei diesem „Sozialpakt“ handelt es sich um einen Text, den die Vereinten Nationen am 19. Dezember 1966 als „International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights“ beschlossen hatten. Regierungsamtliche deutsche Übersetzung: „Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“. Was möglicherweise etwas irreführend ist, denn „covenant“ wird gemeinhin als Vertrag übersetzt.
Dieser Covenant wurde am 9. Oktober 1968 von der Bundesregierung unterzeichnet. Daraufhin gingen fünf Jahre ins Land. Am 23. November 1973 dann beschloss der Deutsche Bundestag ein recht kurzes Gesetz. Es lautete:
Artikel 2 – Dieses Gesetz gilt auch im Land Berlin, sofern das Land Berlin die Anwendung dieses Gesetzes feststellt.
Artikel 3 – (1) Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft. (2) Der Tag, an dem der Pakt nach seinem Artikel 27 für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft tritt, ist im Bundesgesetzblatt bekanntzugeben.“
Es folgt der Abdruck der 31 Artikel dieses Vertrages in den drei Versionen – englisch, französisch, deutsch. Die deutsche Version ist allerdings nicht verbindlich. Artikel 31 legt fest: Verbindlich sind lediglich die Versionen in chinesischem, englischem, französischem, russischem und spanischem Wortlaut.
Artikel 27, auf den das Deutsche Übernahmegesetz Bezug nimmt, schreibt den jeweiligen Wirkungsbeginn in den Ländern fest, die ihn entweder ratifizieren oder ihm beitreten: drei Monate. Unter Ratifizierung wird jener Akt beschrieben, mit dem das Organ, das den Unterzeichnerstaat nach Außen vertritt, die Verbindlichkeit des Vertrages für sein Land völkerrechtlich verbindlich zeichnet. Die Frage, ob dieser Ratifizierung eine parlamentarische Zustimmung vorausgehen muss, interessiert die UN folglich nicht – das ist eine innerstaatliche Angelegenheit des jeweiligen Landes.
So wurde dieser Sozialpakt am 23. November 1973 bundesdeutsches Recht – und die undatierte Broschüre Globale Landflächen und Biomasse des Bundesumweltamtes stellt zurecht fest:
„Auch im Internationalen Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt) von 1976 ist dieses Recht festgeschrieben. Alle Staaten, die den Sozialpakt unterzeichnet haben, sind völkerrechtlich verpflichtet, das Recht auf Nahrung in ihrem Land zu verwirklichen.“
Faktisch ist die Bundesrepublik jedoch bereits seit 1968 verpflichtet gewesen, sich an die Regelungen des „Covenant“ zu halten. Da diese zahllose Vorschriften für das innerstaatliche Rechtssystem vorsehen, war das Gesetz von 1973 letztlich unnötig – doch es ist ein formaljuristischer Akt, der UN-Recht nun abschließend zu Bundesrecht machte. Folge: Deutsche Gerichte sind bei Fragen, die den Inhalt des Covenant berühren könnten, in der Pflicht, die Regelungen dieses Abkommens in ihre Rechtsprechung einzubeziehen.
Wo kein Kläger…
So schreibt bereits Artikel 1 das Selbstbestimmungsrecht der Völker verbindlich fest:
„(1) Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.“
Schauen wir beispielsweise auf die Situation der Kurden in der Türkei, Syrien, dem Irak und dem Iran, so dokumentiert das Verhalten der Bundesrepublik seit Jahrzehnten den Verstoß gegen diesen Artikel 1 (1), indem es dieses Recht bei den Kurden (und anderen Völkern, die um ihre Selbstbestimmung kämpfen) offensichtlich nicht anerkennt. Allerdings befindet sich die Bundesrepublik hier in erlauchter Gesellschaft.
Auch ist der Unterzeichnerstaat nicht verpflichtet, sich bis zur Selbstaufgabe für die Realisierung des Artikels einzubringen. Er kann sich insofern zurücklehnen und feststellen: Selbstverständlich anerkennen wir dieses Recht – wenn jene, die dieses Recht haben, es nicht durchsetzen können, ist dieses jedoch nicht unser Problem.
Dagegen spricht zwar Absatz (3) des Artikels 1 –
„Die Vertragsstaaten, einschließlich der Staaten, die für die Verwaltung von Gebieten ohne Selbstregierung und von Treuhandgebieten verantwortlich sind, haben entsprechend der Charta der Vereinten Nationen die Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung zu fördern und dieses Recht zu achten.“
– doch wo kein Kläger, da kein Richter.
Ohnehin – nähme man das im Vertrag geschriebene Wort ernst, so müssten die Internationalen Gerichtshöfe ganze Jahrgänge von Jungjuristen rekrutieren. Gleichberechtigung, Diskriminierungsverbot wegen Religion, Hautfarbe, Geschlecht etc.; kurz: All das, was gemeinhin als „Menschenrechte“ beschrieben wird, hat in den Unterzeichnerstaaten umfänglich geachtet zu werden. Und unterzeichnet haben ihn bis auf die Staaten Saudi-Arabien, Malaysia, Mozambik, Zimbabwe, Südsudan und Westsahara sowie einigen kleinen Inselrepubliken so ziemlich alle Staaten der Erde. Trotz Unterzeichnung nicht ratifiziert wurde er bislang von den Vereinigten Staaten von Amerika und Kuba.
Ein innerer Widerspruch
Bemerkenswert allerdings ist der Absatz 1 des Artikel 1 insbesondere deshalb, weil er bei genauer Betrachtung in fundamentalem Widerspruch zum sonstigen Vertragswerk steht. Denn wer „frei über seinen politischen Status“ entscheidet und „in Freiheit seine wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung gestaltet“, der hat auch uneingeschränkt das Recht, Teile dieses Vertragswerkes abzulehnen oder diesen nicht zu entsprechen selbst dann, wenn er den Vertrag unterzeichnet hat. Artikel 1 (1) gibt ihm ausdrücklich das Recht dazu.
Zumindest theoretisch. Denn tatsächlich gibt der Unterzeichnerstaat einen bedeutenden Teil seiner Souveränität auf. Er akzeptiert die Vorschriften und Regelungen, die in den anderen 30 Artikeln festgeschrieben werden, muss sie letztlich in sein eigenes Recht übernehmen.
Deshalb wurde er von einigen Ländern nicht gezeichnet und von einigen nicht ratifiziert. Und deshalb beschloss der Deutsche Bundestag 1973 jene Zustimmung: Spätestens damit wurde das Vertragswerk für die deutsche Rechtsprechung bindend. Manch ein Bundesverfassungsgerichtsurteil macht deutlich: Die Bindungswirkung steht über deutschem und europäischem Recht.
Vom Sozial- zum Migrationspakt
Einmal abgesehen davon, dass es wenig Sinn macht, ein Abkommen zu unterschreiben, wenn dessen Inhalte dann doch an der eigenen Souveränität scheitern sollen, ist folglich davon auszugehen, dass der Unterzeichnerstaat sich trotz seiner Souveränität den entsprechenden Inhalten unterwirft.
So einfach geht das …
Wirklich spannend jedoch ist etwas anderes.
So forderte die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags bereits mehrfach eine umfassende Ausweitung des Migrationsrechts. Es müssten, meint Claudia Roth, beispielsweise Folgen der Klimaveränderungen als Asylgrund festgeschrieben werden. Es ist unübersehbar: Für sie und ihre grünen Mitstreiter wird das Globale Abkommen für Migration zu einem Kernelement ihrer künftigen, gegen Deutschland gerichteten Politik werden.
Einmal angenommen, ihre grüne Fraktion bringt rechtzeitig zum neuen Jahr einen Antrag in den Bundestag ein mit dem folgenden Wortlaut:
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen
Artikel 1 – Dem in Marokko am 11. Dezember 2018 von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichneten Internationalen Pakt für Migration wird zugestimmt. Der Pakt wird nachstehend veröffentlicht.
Artikel 2 – Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft.“
Kann sich irgendjemand vorstellen, dass nach den manchmal fast schon hysterischen Auftritten im Deutschen Bundestag sich die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und PdL einem solchen Gesetz verweigern könnten?
Wie wollten sie das begründen, wäre doch eine Ablehnung dieses Gesetzes gleichzeitig das Eingeständnis, entweder mit der Unterzeichnung ein fulminantes Lippenbekenntnis abgegeben oder aber nicht nur im Bundestag, sondern auch gegenüber der Öffentlichkeit einen Berg unsinniger und unzutreffender Behauptungen über Sinn und Zweck der Unterzeichnung dieses Vertrages verbreitet zu haben!
Und schon – fast mit einem Federstrich – wird aus einem angeblich unverbindlichen Schriftwerk ein Werk, welches deutsches Recht bestimmt.
So einfach geht das.
Mehr zum Thema:
Roland Tichy (Herausgeber), Der UN-Migrationspakt und seine Auswirkungen. Tichys Einblick, 112 Seiten, 12,00 €.
Soeben erschienen und EXKLUSIV im Tichys Einblick Shop >>>