Tichys Einblick
Außer Spesen nichts gewesen?

Merkels internationales Libyen-Kaffeekränzchen und die unfriedlichen Konsequenzen

Die Libyen-Konferenz in Berlin brachte nur auf dem Papier eine Waffenruhe. Merkel und Guterres haben mit der Inszenierung ihres wirklichkeitsfremden Friedens-Messianismus die Chance vertan, dem Land tatsächlich Frieden zu bringen.

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Die Frage, wie viel an bundesdeutschen Steuergeldern Merkels Berliner Libyen-Party verschlungen hat, stellen wir besser nicht. Wozu auch? Die Frau Bundeskanzler hat sich mit ein paar alten Bekannten getroffen, ein paar neue gefunden – und ein paar vergessen und diese damit verärgert. Aber so ist das eben bei Partys: Alle glücklich zu machen ist eine Kunst, die kaum jemand beherrscht. Warum also sollte es die Dame aus der Uckermark können?

Beherrscht hat sie hingegen die ihr wohlmeinenden Medien. Am Sonntag, nach einem mehr oder weniger gemütlichen Beisammensein, trat sie mit ihrem alten Kumpel, dem portugiesischen Sozialisten Guterres vom UN-Verein, vor die staunende Presse und verkündete, was bei ihrer Party so alles an wichtigen und wegweisenden Beschlüssen gleichsam en passant beschlossen worden sei.

Alle Partygäste seien sich einig gewesen: Waffenlieferungen oder gar fremde Truppen sind in Libyen tabu. Auch habe man eine Feuerpause vereinbart – von manchen Medialen gierig bereits als Fast-Waffenstillstand gefeiert – und entsprechende Verhandlungen zwischen jenen beiden verfeindeten Gästen vereinbart, deren persönliches Zusammentreffen unbedingt zu vermeiden war, weil andernfalls viel Porzellan oder noch mehr zu Bruch gegangen wäre. Sie, die beiden Herren aus Libyen, hätten zugestimmt, jeweils fünf Vertreter zu entsenden, die in der vereinbarten Feuerpause gemeinsam über die Zukunft Libyens beraten und einen dauerhaften Waffenstillstand, vielleicht sogar Frieden, herbeizaubern sollten.

Deutschland feierte den großen Durchbruch, denn Guterres und Merkel wussten, wie sie betonten, dass in Libyen ein Frieden mit Waffen nicht zu schaffen sei. Sie bedienten damit das stehende Dogma der Wohlmeinenden aus der Garde der Pazifisten, obgleich doch jedermann bekannt sein sollte, dass bislang fast jeder nachhaltige Frieden ohne massiven Einsatz von Waffen und Soldaten niemals zustande gekommen wäre. Aber hier gilt nun einmal in der Kommune das bekannte Morgenstern-Motto, wonach nicht sein kann, was nicht sein darf – oder war es doch umgekehrt?

Feuerpause oder Waffenruhe? Interpretationen sind gestattet

NATO-Mitglied Türkei
Welches Spiel spielt Erdogan in Libyen und im östlichen Mittelmeer?
Merkels Adlatus Maas machte aus der Feuerpause eine Waffenruhe, aus der nun umgehend ein Waffenstillstand zu zimmern sei. Es sei dem saarländischen Berufspolitiker zugutegehalten, dass die englische Sprache hier weniger unterscheidungsfähig ist als die deutsche. Gilt bei den Germanen die Feuerpause als kurzfristiges Agreement, momentan weitere Angriffe einzustellen, hat die Waffenruhe bereits die Dimension eines auf längere Frist angelegten Gewaltverzichts, während der die Möglichkeit erörtert werden soll, zu einem dauerhaften Waffenstillstand als Vorstufe zum Friedensschluss zu kommen. Die Engländer hingegen sehen Krieg und Frieden etwas weniger differenziert. Für sie ist Feuerpause gleichbedeutend mit Waffenruhe „cease-fire“ (Stop des Beschusses), während davon der Waffenstillstand als „armistice“ unterschieden wird.  

Deutsche Gastgeber ebenso wie der weltvereinte Übernationale gaben sich in Berlin davon überzeugt, mit der Feuerpause eine Waffenruhe und damit die Voraussetzungen für einen Waffenstillstand beschlossen zu haben, zu dessen Detailverhandlung nun eben jene jeweils fünf (vermutlich) Herren antreten sollten, welche die beiden Kontrahenten des libyschen Kriegsschauplatzes zu entsenden hätten.

Wir können getrost davon ausgehen, dass der durch irgendwelche Wendungen des Schicksals als offizieller Staatsführer Libyens anerkannte Fayis a‘Saradj mit dieser Lesart einverstanden war. Eine Waffenruhe schien ihm das politische Überleben zu sichern – nachdem er bereits vor der Konferenz vom gefühlten Weltchef Guterres gefordert hatte, dieser möge doch bitte eine internationale Armee ins Land entsenden, um ihn und seine Regierung vor dem unbotsamen Chalifa Haftar zu schützen.

Der wiederum hatte zwar in Berlin Maas kräftig die Hand geschüttelt und ihm dem Vernehmen nach in diese versprochen, eine Feuerpause einzulegen – doch ziemlich viel spricht dafür, dass er lediglich keine Lust mehr hatte, sich länger mit unnötigem Geschwätz jene Zeit stehlen zu lassen, die er in Libyen selbst hätte besser nutzen können, um Fakten zu schaffen. Und so interpretierte er offenbar das cease-fire lediglich als kurzfristige Feuerpause – und nicht als längerfristige Waffenruhe. Also ließ der frühere CIA-Mitarbeiter und US-Bürger Haftar die 1987 von den USA im Tschad gegen Qadhafi gegründete Libysche Nationalarmee (Libyan National Army – LNA) am Sonntag das Feuer einstellen, um das Berliner Kaffeekränzchen nicht zu stören. Und weil man als Gast der Höflichkeit verpflichtet ist, stimmte er zu, fünf (vermutlich) männliche Getreue zu den gewünschten Gesprächen mit den Vertretern des Konkurrenten zu entsenden.

Wunschträume statt Realpolitik

Doch wie das bei gemütlichen Treffen am Sonntag nicht selten der Fall ist – versprach man sich dort vielleicht noch dieses und jenes, so oblag die Interpretation des Versprochenen spätestens nach der Heimkehr der Gäste deren Einsicht in die Notwendigkeit. Und in die sich bietenden Möglichkeiten. Die von Merkel und Guterres verkündete Waffenruhe ging an den Realitäten vorbei – auch hatte man in der wohligen Atmosphäre des Beisammenseins vergessen, die guten Vorsätze in verbindliche Vertragsform zu gießen.

Kaum heim in Libyen, ließ Haftar seine LNA Feuerpause Feuerpause sein und setzte seine Aktivitäten fort. Wer wollte es dem überzeugten Gegner radikalislamischer Machtbestrebungen auch verübeln, waren seine Kämpfer doch seit geraumer Zeit deutlich erfolgreicher als die der sogenannten Einheitsregierung. Die Kämpfe um die Hauptstadt Tripolis, in der Haftars LNA heute keine zehn Kilometer vom Regierungsviertel entfernt steht, gingen ebenso weiter wie der Vormarsch über Syrte in Richtung Misrata. Etwas weniger energisch vielleicht als in den Wochen zuvor. Aber unverdrossen. Und immer so, dass die beiden verbliebenen Flughäfen des Saradj sich in Reichweite der LNA-Luftwaffe befinden. Womit die Hoffnung Erdogans, eine Luftbrücke zur Unterstützung seines Partners Saradj einrichten zu können, einen erheblichen Dämpfer erlitt. 

Feuerpause zum Aufrüsten?

Ein Sprecher Haftars erklärte, Konkurrent Saradj habe mit der Feuerpause lediglich Zeit gewinnen wollen. Zeit, so meinte er es, in der dessen neuer Verbündeter in der Türkei Waffen und Kämpfer in jene vielleicht noch zehn Prozent des Landes bringen könnte, die Haftar seinem Gegner und dessen Regierung der nationalen Einheit (Government of National Accord – GNA) in fünf Enklaven noch gelassen hatte.

Immerhin: Im Netz kursierten bereits Fotos türkischer Kampffahrzeuge und ein Video, das des türkischen Präsidenten Erdogans syrische Islamkämpfer auf dem Flug nach Libyen zeigt. Und so war auch der Großosmane nicht untätig, schimpfte vernehmlich über den „Terroristen“ Haftar, der sich nicht an die Absprachen halte. Wobei er jedoch zu erwähnen vergaß, wie er selbst es unter der Hand mit den wohlfeilen Ankündigungen aus Berlin hielt.

Haftar als einziger Verlierer

Die Waffenruhe in Libyen zumindest blieb das, was sie bereits gewesen war, als Merkel zum Plausch in ihre Hauptstadt eingeladen hatte: Ein Traum, der mit den Realitäten der Welt wenig zu tun hatte. Denn wer den Blick sich nicht mit Träumen vernebelte und pragmatisch auf die Situation schaute, dem konnte nicht verborgen bleiben, dass es Haftar und nicht die nationale Einheitsregierung des kläglichen Restes des Landes ist, der das Heft des Handelns in der Hand hält. Als militärischer Stratege wird ihm jederzeit bewusst gewesen sein, dass der einzige echte Verlierer einer Waffenruhe, vielleicht sogar eines Waffenstillstandes, nur er selbst sein kann.

Immer auf der falschen Seite
Was, so lautet eine nicht gestellte Frage, soll überhaupt das Ergebnis der vollmundig erklärten Waffenruhe mit dem Verhandlungsziel eines dauerhaften Waffenstillstandes sein? Wird allen Ernstes erwartet, dass Haftar seine Erfolge zugunsten des von der UN gehätschelten Saradj zur Disposition stellt? Träumt das Merkel-Guterres-Tandem vielleicht sogar von einer noch einheitlicheren Einheitsregierung, in der sich Haftar unter einem Präsidenten Saradj freiwillig einbringt und damit all das aufgibt, was er in den vergangenen Monaten gewonnen hat?
Deklarationen des Unmöglichen

Offiziell war man sich in Berlin immerhin einig, das bereits vor Jahren verhängte Waffenembargo gegen Libyen nun endlich durchzusetzen. Wie allerdings dieses geschehen soll, vergaß man zu erklären. Darf es da wundern, dass die GNA-Abwehr am Dienstag den Abschuss einer LNA-Drohne über Misrata feierte, die offensichtlich aus den Beständen der mit Haftar verbündeten Vereinigten Arabischen Emirate stammt? 

Ein Waffenembargo ohne massiven Einsatz bewaffneter Kontrollen an allen Grenzen des Landes, das mit seinen knapp 1.800 Quadratkilometern fast fünfmal so groß ist wie die Bundesrepublik mit ihren knapp 360, ist eine Farce vor allem dann, wenn jene, die es gern hätten, nicht einmal in der Lage sind, die NGO-Einwanderungshelfer vor der Küste Libyens von ihrer Kooperation mit illegalen Schlepperbanden abzuhalten.

Die Absetzbewegungen der Realisten

Haftar kontrolliert längst das komplette Territorium an der Grenze zu Algerien, das sich zwar offiziell aus dem Konflikt heraushält, aber angesichts eigener Probleme kaum Energie aufwenden wird, die 982 Kilometer lange Wüstengrenze ernsthaft gegen Waffenschmuggel und anderes zu sichern. Mehr noch gilt dies für die 1.115 Kilometer lange Grenze zu Ägypten, das spätestens seit der Hinwendung der GNA zum Muslimbruder in Ankara fest an der Seite Haftars steht und dabei die Vereinigten Arabischen Emirate ebenso wie Saudi-Arabien hinter sich weiß.

Längst auch schon sind die Absetzbewegungen von der immer noch als offizielle Regierung gehandelten Saradj-Gemeinde offensichtlich. Hatte Russlands Putin bereits früh erkannt, dass der stinkende, schwarze Reichtum des Wüstenstaates, der unter der Erde ruht, weitestgehend unter Kontrolle Haftars ist und diesen aktiv unterstützt, so agiert nun auch Frankreichs Präsident Macron pragmatisch und spinnt seine diplomatischen Fäden zum libyschen General mit US-Pass. 

Herrschaft des Unrechts
Merkel im Kanzleramt als Feldherrnhügel der Hypermoral
Nur die Träumer aus Deutschland verkennen einmal mehr die Zeichen der Zeit – und hätte Merkel bei ihrem Kaffeekränzchen wirklich etwas erreichen wollen, dann hätte sie im Chor mit den bedeutenden Gästen dem Saradj erklären müssen, dass seine Zeit vorbei ist. Die Zusicherung, außerhalb Libyens seinen Lebensabend in Frieden und mit der notwendigen finanziellen Ausstattung verbringen zu können, hätte reichen müssen, um dem vom Krieg geplagten Land den Frieden zu bringen. Gleichzeitig hätte die vermutlich einmalige Möglichkeit bestanden, Haftar in eine internationale Solidarität einzubinden, die ihn am dann absehbaren Ende des Konfliktes zu einem berechenbaren Partner hätte machen können, der nicht nur Bollwerk gegen die islamischen Terrorbanden im Sahel wäre, sondern vielleicht sogar davon hätte überzeugt werden können, eine behutsame, den regionalen Traditionen angepasste Demokratisierung des Landes zuzulassen.

Doch da war nicht nur der bundesdeutsche Friedens-Messianismus vor, allüberall mit der Brechstange etwas durchsetzen zu müssen, was auf dem Papier nach Demokratie aussieht und was angeblich nur mit friedlichen Mitteln zu erreichen ist. Merkel hätte auch ihren Hassfreund Erdogan zutiefst verärgert, dessen Traum von einem Mare divisa zwischen der Türkei und Libyen allerdings auch ohne Merkels Liebesdienst zu platzen droht. 

Wenn nun und absehbar angesichts des Berliner Versagens das Morden in Libyen weitergeht und dabei, wie am Dienstag, immer wieder auch Kinder zu Opfern werden, trägt Merkel daran Mitverantwortung durch ihren Anteil am Verhindern einer friedlichen Zukunft unter dem Gebot des Pragmatismus.

Selbst die Ölförderer setzen sich ab

Dabei ist es bezeichnend, dass mittlerweile sogar die Libyan Oil Corporation mit Sitz in der Noch-Saradj-Stadt Tripolis erklärt hat, hinsichtlich der Aufteilung der Reichtümer des Mittelmeeres zwischen der GNA und der Türkei nicht gefragt worden und nicht beteiligt gewesen zu sein. Böse Zungen könnten davon sprechen, dass hier die noch reichsten Ratten Libyens das sinkende Schiff verlassen. Wohlmeinenden Beobachtern hingegen sei gestattet, darin die Erkenntnis der Ölmanager in die Unvermeidbarkeit des Realen zu sehen.

Merkel und Guterres haben die Chance auf Frieden vertan

Die Chance, dem Land endlich Frieden zu bringen, haben Merkel und Guterres in Berlin vertan. Stattdessen verlängern sie den Krieg und das Leid jener, die zwischen den Mühlsteinen zerrieben werden – gleich ob sie Libyer sind oder mit dem Traum vom europäischen Schlaraffenland aus Schwarzafrika die ungewisse Reise in das Kriegsgebiet angetreten haben. 

Kriegsgewinnler sind jene, die an dem Konflikt verdienen, weil sie Waffen liefern oder durch den Weltmarktverzicht auf libysches Öl höhere Gewinne einfahren können. Nicht zu vergessen sind allerdings auch jene Schiffskapitäne und -innen, die die Arbeit der kriminellen Menschenschlepper Nordafrikas vollenden, indem sie vor Libyens Küste illegale Einwanderer in die Europäische Union verschiffen, statt sie in Afrika in einen sicheren Hafen zu bringen, wie es das Seerecht vorsieht.

Doch wie dem auch sei: Merkel hatte immerhin die Freude, sich für einen kurzen Moment der Geschichte im Glanz der internationalen Öffentlichkeit zu sonnen. Das sollte dem deutschen Steuerzahler seine Sonnenkönigin dann doch schon einiges wert sein.

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