Mehrere Landtagswahlen stehen in den kommenden Monaten an. Auch Kommunalwahlen und ähnliches finden – von der überregionalen Öffentlichkeit zumeist unbeachtet – mal hier, mal da, statt. Spannend werden all diese Wahlen, weil nicht nur der rasante Niedergang der SPD dabei einmal mehr deutlich werden kann – auch die Position der angeschlagenen Angela Merkel bedarf der Klärung.
Merkel vertut ihre letzte Chance
Merkel ficht das nicht an. Sie scheint, nachdem der Schlag von Dienstag erkennbar gesessen hatte, die Wirklichkeit einmal mehr auszublenden.
Zum Nikolaustag trifft sich die Partei in Hamburg, um wieder einmal einen Bundesparteitag abzuhalten. Turnusmäßig stehen Neuwahlen des Vorstandes an – für Merkel ein günstiger Zeitpunkt, um ihren politischen Abgang in Ehren zu gestalten. Doch sie wird diese letzte Chance, mit erhobenem Haupt die Bühne zu verlassen, vertun. Denn sie hat bereits angekündigt, noch einmal als Parteivorsitzende anzutreten. Und belegt damit einmal mehr, dass sie Partei nicht begriffen hat.
Worauf hofft Merkel?
Worauf hofft sie? Glaubt Merkel im Ernst, jene, die ihr in der Fraktion den Rücken gekehrt haben, würden reumütig zurückkehren? Setzt sie vielleicht auf diese immer noch nicht unbedeutende Minderheit, die sich für Kauder ausgesprochen hatte? Dann wird sie sich bald enttäuscht sehen. Denn die Gesetze in der Fraktion sind unerbittlich: Kauder ist politisch tot. „They’ll never come back“ gilt in der Politik noch mehr als im Show-Geschäft, wo manch ein abgehalfteter Star Abschiedstournee an Abschiedstournee knüpft, um die Hallen immer wieder noch einmal mit den Getreuesten der Getreuen zu füllen.
In der Politik aber ist das wie in freier Wildbahn, wo ein Alphamann die Horde führt: Der Entthronte kann froh sein, wenn er am Rande der Gemeinschaft sein Leben fristen darf. Und wie in diesen Tierrudeln, so orientieren sich auch in den Fraktionen die verbliebenen Anhänger des abgesetzten Führers schnell neu. Niemand hält es lange mit Verlierern. Gerade jene, die in der Unionsfraktion noch für Kauder gestimmt hatten, werden alles daran setzen, dieses vergessen zu machen.
Schließlich möchte man doch nicht längerfristig auf dem untergegangenen Dampfer sitzen. Ralph Brinkhaus ist bis zum Ende der Legislatur gewählt. Das kann – je nach Regierungswetterlage – kürzer oder länger dauern. Aber es kann ihm auch egal sein. Selbst bei vorgezogenen Neuwahlen ist er der neue Chef im Ring – sollte Kauder, vorausgesetzt, er zieht überhaupt wieder in den Bundestag ein, auf die Idee kommen, in einem solchen Falle ein Comeback zu versuchen – chancenlos.
Die Partei zwischen Basis und Traum
Und in der Partei? Glaubt Merkel jenen Protagonisten ohne jegliche Bodenhaftung wie Daniel Günther und Karin Prien aus dem Land zwischen den Meeren, die immer noch linksgrüngestrickte Merkelpolitik propagieren? In der Breite des Landes sieht es längst ganz anders aus. Der Zorn auf die Merkelpolitik ist in der Partei nicht nur ungebrochen – er steigert sich von Tag zu Tag. Wie also sollen die Parteitagsdelegierten vor ihre Basis treten, wenn am Ende des Parteitages Merkel erneut als Vorsitzende bestätigt ist?
Deshalb noch einmal die Frage: Worauf hofft sie? Merkel ist es nie gelungen, wie dereinst Kohl eine direkte Beziehung zur Partei aufzubauen. Kohl kannte jeden Kreisvorsitzenden beim Namen und hatte dessen Telefonnummer notfalls im Kopf. Auf diesem Wege wendete er die Palastrevolution, die ihn kurz vor der damals noch nicht einmal geträumten Vereinigung der beiden Restdeutschlands Ende der Achtziger hinwegfegen sollte. Kohl sicherte sich die Zustimmung der Basis, indem er seine Drähte nach unten glühen ließ. Merkel hat dazu keine Chance – vermutlich weiß sie nicht einmal, wie viele Kreisverbände ihre Bundespartei überhaupt hat.
Realitätsverlust zwischen Führung und Volk
Trotzdem will Merkel noch einmal antreten. Sie vertut – das nun wiederum keine Singularität in der Politik – die letzte Chance, mit erhobenem Haupt von der Bühne zu gehen. Die Gründe dafür können vielschichtig sein. Entscheidend werden zwei sein: Zum einen scheint sie tatsächlich mittlerweile der Hybris erlegen zu sein, sich für alternativlos halten zu müssen – und dieses sowohl in ihrer nach links orientierten Politik als auch in ihrer Person selbst. Zum anderen werden ihr dieses genau jene Hofschranzen unermüdlich einreden, mit denen sie sich umgeben hat.
Nachvollziehbar, denn fällt Merkel, wird wie einst bei den Pharaonen im antiken Ägypten der Hofstaat mit dem verstorbenen Herrscher beerdigt.
Doch welche Bataillone hat sie überhaupt noch? Die Unterführer in den Landesverbänden scheinen ihr einzuflüstern: Wir stehen hinter Dir!
Manche, wie diese Nordlichter, die die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt haben, scheinen dieses tatsächlich auch noch zu tun. Aber selbst Getreue wie der ewig Grinsende aus der Düsseldorfer Staatskanzlei werden ins Grübeln kommen. Vor allem das immer noch mitgliederstärkste Nordrhein-Westfalen ist durch die Brinkhaus-Wahl im wahrsten Sinne des Wortes gerockt worden. Nicht nur in Gütersloh knallten die Sektkorken. Die bodenständigen Westfalen wissen, wo sie ab sofort stehen. Und das ist nicht in Sachen Merkel. Die katholischen Münsterländer wissen es ebenfalls. Nur das politische Überauslaufmodell Ruprecht Polenz, den selbst in seiner Heimat Münster niemand mehr ernst nimmt, wird in Vasallentreue mit Merkel in den Untergang marschieren. Doch selbst den Frohnaturen vom Rhein ist zu unterstellen, dass sie die Zeichen der Zeit erkennen und die Macht in der Partei zurück nach NRW holen wollen. Das einzige, was ihnen bislang dazu fehlte, war ein Frontmann – doch wer weiß: Vielleicht ist genau dieser gerade in Berlin geboren worden.
Fragen nach der Zukunft
Der Niedergang der Merkelianer zeigt sich jedoch nicht nur in der Frage nach dem Parteivorsitz. Im Hintergrund schwelt längst auch ein ungelöstes, strategisches Problem. Es geht um den Umgang mit der AfD.
So darf es nicht verwundern, dass auch in der Union längst schon die Frage diskutiert wird, ob man sich im Sinne Merkels weiter zur Geisel rotgrüner Politik machen lässt und den Umbau der deutschen Demokratie in eine ökomaoistische Meinungsdiktatur mitträgt, oder ob man nicht den offensichtlichen Mehrheitswillen des Volkes nach einem Ende der linken Indoktrination folgt und es dem Österreichischen Vorbild gleich tut. Konkret steht die Frage nach Koalitionen mit der AfD im Raum – mit Personen wie Jörg Meuthen und Alice Weidel gibt es für viele Unionsmitglieder keine unüberbrückbaren Gegensätze.
So wagte es denn der ebenfalls neu gekürte Vorsitzende der CDU-Fraktion in Sachsen, Christian Hartmann, angesichts schwindender Zustimmung auch, eine mögliche Zusammenarbeit mit der AfD nicht mehr auszuschließen.
Das kategorische Nein …
Die Antwort aus Berlin kam prompt: Merkel erklärte, solche Koalitionen könne sie „kategorisch ausschließen“, und sie gehe davon aus, dass das auch in Sachsen so gesehen werde. Merkels geklontes Sprachrohr Annegret Kramp-Karrenbauer erklärte: „Es wird keine Zusammenarbeit oder Koalition mit der AfD geben!“ Das sehe der Ministerpräsident von Sachsen ebenso.
Das klingt deutlich und scheinbar unabwendbar. Und es ist dennoch nur schlicht lächerlich. Denn über Koalitionen in den Ländern – oder auf den Ebenen darunter – entscheiden die Fraktionen in Abstimmung mit ihren Landesverbänden.
In Sachsen, wo die CDU mittlerweile in Gefahr gerät, bei den Wahlen noch hinter die AfD zu rutschen, hätte die Union, sollte sie knapp als erste aus dem Rennen gehen, tatsächlich nur diese eine halbwegs sinnvolle Möglichkeit: Die AfD in eine gemeinsame Regierung zu holen. Die Alternative wäre eine Koalition der Verlierer – und diese würde die CDU in Sachsen unweigerlich in die Selbstzerstörung treiben.
Nicht viel anders sieht es in Hessen aus. Volker Bouffier mag noch so sehr tönen und noch so geräuschlos mit den Grünen regieren – am Ende entscheiden bei den Wahlen die Zahlen. Eine schwarzrotgrüne Koalition wäre der Garant dafür, dass die Union in die politische Bedeutungslosigkeit verschwindet. Vor allem die Basis der eher konservativ gestrickten Hessen-Union, die bereits mit großen Bauchschmerzen in die Koalition mit den Grünen gegangen ist, würde der Parteiführung eine Regierungszusammenarbeit mit den seit Ewigkeiten linksradikalen Hessen-Sozialdemokraten um Thorsten Schäfer-Gümbel nicht verzeihen.
Auf kommunaler Ebene ist alles möglich
Noch spannender wird es auf den untersten Ebenen des Parlamentarismus. So ist beispielsweise in Hamburg im kommenden Jahr erstmals die von der Wahl des Landesparlaments abgekoppelte Wahl der Bezirksparlamente angesagt. Vor allem im südlich der Elbe gelegenen Harburg rumort es. Dort arbeitete seit einigen Jahren als Alternativmodell für die rotgrüne Senatspolitik eine von der SPD-Führung bewusst gebilligte rotschwarze Koalition erfolgreich zusammen. Jüngst nun kündigte die regionale SPD diese Zusammenarbeit auf, weil die Union – wie im Koalitionsvertrag zugebilligt – einer parteipolitisch motivierten Besetzung der Amtsleitung nicht zustimmen wollte. Die SPD holte sich ihre Unterstützung bei Kommunisten und Grünen – mit der Folge, dass in der Union angesichts solcher in Berlin erprobter Niedergangs-Koalitionen darüber nachgedacht wird, in welchen Konstellationen ohne die Sozialdemokratie nach den Bezirkswahlen die Kommunalpolitik organisiert wird. Eine Zusammenarbeit mit der AfD ist dabei in Folge des SPD-Ausstiegs durchaus eine Option, die nicht mehr grundsätzlich von der Hand gewiesen wird.
Die Kaiserin ohne Volk
Merkel und ihre Kamarilla mögen heute noch vom Thron herab Orders ausgeben – doch deren Wirkkraft schwindet mit der wegbrechenden Autorität der Vorsitzenden. Verhindern kann die Parteispitze weder die derzeit noch theoretischen Überlegungen noch tatsächliche Kooperationen – auch wenn Merkel offenbar der Fehleinschätzung unterliegt, mit dem Job des Parteivorsitzes zum autokratischen Parteiherrscher gewählt worden zu sein. Beschließen Untergliederungen, mit einer demokratisch gewählten, nicht durch das Bundesverfassungsgericht verbotenen Partei zu koalieren, ist Merkel machtlos – und dieses umso mehr, weil ihr später Fan Günther mit seiner absurden Ansage zu Koalitionen mit den Kommunisten das finale Freizeichen gegeben hatte, auch über Koalitionen nachzudenken, vor denen die Partei bislang zurückschreckte. Merkel steht heute da wie ein Kaiser ohne Volk – ihre Dekrete verhallen in den Echokammern der Medien, doch sie erreichen das Volk nicht mehr.
Und in Bayern die CSU
Abgesehen von den Untergliederungen der CDU gibt es zusätzlich mit der CSU immer noch die Schwesterpartei, die sich ohnehin nicht im Geringsten um das schert, was in der Berliner Klingelhöferstraße verkündet wird. Zwar haben in Bayern die Unionsfürsten bislang ebenfalls ihre Ablehnung einer AfD-Zusammenarbeit bekundet – die aktive Wahlwerbung jedoch, die Söder und die Seinen seit geraumer Zeit ständig für die Konkurrenz von rechts betreiben, könnte fast schon die Vermutung aufkommen lassen, dass man mit der AFD nach den Landtagswahlen eine Fraktion haben möchte, die allein für eine Regierungszusammenarbeit mit der CSU ausreicht.
Der Dezember wird spannend – und unterhaltsam
Insofern wird es im Dezember nicht nur spannend, sondern auch unterhaltsam werden. Merkel hat ihre erneute Kandidatur abgekündigt. Davon wird sie nur schwerlich wieder runterkommen.
Vertraut sie darauf, dass sich kein Gegenkandidat findet und die Partei, um sich nicht selbst zu entmannen, dann doch widerwillig für Merkel stimmt? Es ist dieses die einzig nachvollziehbare Erklärung für dieses Harakiri-Unternehmen. Und es spricht wenig dafür, dass dieses Kalkül aufgehen wird.
Ein Salvini droht auch in Deutschland
Die CDU hat ohne diesen die reelle Chance, wie einst Democratia Christiana und andere konservative Parteien ihre Wählerschaft an neue, dynamische Kräfte zu verlieren. Wie dieses funktioniert, stellt derzeit Italiens Matteo Salvini unter Beweis. Während die EU kocht und die versammelte Volksfront europaweit gegen ihn in Stellung geht, wird er für zunehmend mehr Italiener zum Retter ihrer Republik vor Fremdbestimmung und Übernahme.
Merkel kann froh sein, dass es in Deutschland noch keinen Salvini gibt – und Österreichs Sebastian Kurz ist froh, die Freiheitlichen in die Regierung genommen zu haben, bevor an der Donau ein Salvini aus der Asche der Altparteien entstiegen ist.
Vor allem aber für Deutschland gilt: Die Zeit ist mehr als überreif, die politischen Irrwege des real existierenden Merkelismus zu beenden. Noch hat die Union eine kleine Chance, hierbei selbst die Führung zu übernehmen. Die Abwahl des Vasallen Kauder hat gezeigt: Noch ist ein wenig Leben unter der Kruste.
Unterwirft sich hingegen die Partei im Herbst erneut der „Alternativlosen“, dann gibt sie den Weg frei für eine tiefgreifende Neustrukturierung der politischen Landschaft auch in der Bundesrepublik.
So, wie derzeit die Sozialdemokratie zwischen Grünen und AfD verdampft, könnte es dann auch der Union ergehen. Der Dezember wird zeigen, wohin der Weg führt – für die Union und für die Republik.