Es ist nicht lange her, da galt Marokko als „best friend“ der Bundesregierung. Noch im Dezember 2018 reiste Angela Merkel gezielt in das islamische Land, um den maßgeblich von ihr im Auftrag der UN durchgepeitschten „Migrationspakt“ als Allheilmittel gegen illegale Einwanderung und Überbevölkerung zu preisen und für die Bundesrepublik zu zeichnen. Doch schon damals stand ihre Reise in das Land, aus dem einst die islamischen Mauren (Mohren) ihre Invasion Europas organisierten, unter keinem guten Stern: Nicht nur wurde sie in der Rednerliste unter „ferner liefen“ absortiert – auch ihrem Wunsch, den marokkanischen König und (behaupteten) Nachkommen des frühmittelalterlichen Religionsimperialisten Mohammed zu treffen, wurde nicht entsprochen. Die Frau Bundeskanzler musste mit Premierminister Saadeddine Othmani vorlieb nehmen. Das entsprach durchaus den diplomatischen Gepflogenheiten: König Mohammed VI bewegte sich – wenn überhaupt – als Staatsoberhaupt ausschließlich auf der Ebene des deutschen Bundespräsidenten. Gespräche mit subalternen Personen sind nicht vorgesehen – und das nicht nur bei Mohammed VI. Auch Merkel selbst verspürte in Marrakesch wenig Interesse, sich mit untergeordneten Personen zu treffen: Minister aus Südafrika, Vietnam und Madagaskar, durchaus wichtige Partnerländer, entsprachen nicht dem protokollarischen Niveau der Frau Bundeskanzler und unterblieben.
In der Folge häufte das Außenamt einen Fauxpas an den nächsten. Waren die Beziehungen zwischen Bundesregierung und dem vor allem in Sachen illegale Migration wichtigen Partner an der Nordwestkante Afrikas so bereits spürbar abgekühlt, sollte Marokko nun zu drastischen Mitteln greifen. Ohne Vorbereitung und ohne, dass Berlin darüber informiert worden wäre, gab Marokkos Außenminister am 1. März die Order aus, jeglichen Kontakt mit der deutschen Botschaft und den im Land tätigen Nichtregierungsorganisationen bis auf Weiteres auszusetzen. Eine konkrete Begründung lieferte Nasser Bourita nicht. Lediglich „tiefe Missverständnisse“ werden in seinem Schreiben an die marokkanischen Institutionen genannt.
Von Marokkos Schritt kalt erwischt
Für das Bundesaußenminister kam dieses Einfrieren der Kontakte völlig überraschend. So wurde erst einmal die marokkanische Botschafterin in das Außenamt gebeten – dass dabei konkrete Ursachen benannt werden, erscheint jedoch eher unwahrscheinlich.
Naheliegender als dieses Herauswinden ist eine tiefgreifende Verstimmung des Landes der Mauren über grundlegende Fragen, in denen sich die Bundesrepublik gegen die Interessen des Partnerlandes positioniert hat. Der zuständige Landesbeauftragte der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung formulierte das Versagen deutscher Diplomatie gegenüber dpa vorsichtig mit folgender Annahme: „Wir vermuten, dass das eine Akkumulierung verschiedener Probleme und Ursachen ist.“
Desaster der Diplomatie
Verschiedene Probleme und Ursachen? Tatsächlich ist es offensichtlich so, dass die Bundesrepublik die im Zuge des Migrationspakts bei den Marokkanern erweckten Hoffnungen in der EU nicht durchsetzen kann. Nach wie vor hadern viele EU-Regierungen mit dem Einwanderungspakt, ignorieren ihn durch Missachtung.
Doch es gibt auch eklatante Fehler des durch einen ideologisch geprägten Saarländer geführten Außenamtes. So richtete Berlin Ende 2019 eine – wie damals bereits bei TE dargelegt – in der Sache gänzlich überflüssige „Libyen-Konferenz“ aus. Dennoch hätte es bei diesem ergebnislosen Treffen den diplomatischen Gepflogenheiten entsprochen, Marokko als von dem Konflikt unmittelbar betroffenes Land hinzu zu bitten. Doch die Einladung unterblieb, obgleich Marokko selbst bereits zuvor Schritte eingeleitet hatte, den libyschen Krieg in regionaler Regie zu beenden. Ob späte Rache für die Merkel-Missachtung durch Mohammed VI oder lediglich ein weiteres Dokument der Unfähigkeit des Heiko Maas – Marokko hat diesen Affront nicht vergessen.
1976 rief eine Widerstandsgruppe mit der Bezeichnung Frente Polisario im an Mauretanien angrenzenden Osten der ehemaligen Kolonie einen unabhängigen Staat mit der Bezeichnung „Demokratische Arabische Republik Sahara“ bzw. „Arabische Saharauische Demokratische Republik“ aus. Der auch bewaffnete Konflikt mit Marokko war unvermeidbar. In der Folge kam es zur Verlegung der saharaurischen Regierung aus der im von Marokko beherrschten Westen gelegenen „Hauptstadt“ Al A’iun in die rund 3.000 Menschen beherbergende Wüstenstadt Tifariti. Unabhängig davon, dass die Saharaui die Kontrolle über die östliche Wüste beansprucht und der Pseudostaat von 46 zumeist afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten anerkannt wird, gilt der Status der Polisario in der UN als eher fragwürdig. Offiziell soll ein Referendum klären, ob und in welchem Territorium die Saharaui einen souveränen Staat betreiben können – doch nach einem Waffenstillstand im Jahr 2011 sitzt Marokko derartige Bestrebungen bewusst und erfolgreich aus.
Maas unterbindet US-Anerkennung
Als nun im November 2020 der damalige US-Präsident Donald Trump den Unruheherd Westsahara dadurch lösen wollte, dass er den staatsrechtlichen Anspruch Marokkos auf das gesamte Gebiet der früheren Kolonie anerkannte, war es ausgerechnet der Außenamtsleiter der Bundesrepublik, der in seinem notorischen Anti-Trumpismus ohne Rücksprache mit den USA und Marokko den UN-Sicherheitsrat anrufen ließ, um das US-Vorhaben zu unterlaufen.
Nachvollziehbar, dass dieses Vorgehen vor allem in Rabat auf wenig Freude traf und zutreffend als unfreundlicher Akt der Deutschen gewertet wird. Das Einfrieren der Zusammenarbeit dürfte insofern maßgeblich einmal mehr der Tatsache geschuldet sein, dass das Außenamt keine pragmatische, sondern eine an ideologisch begründeten Phantasien orientierte Außenpolitik betreibt. Der Haufen des diplomatisch zerbrochenen Porzellans nimmt langsam gigantische Ausmaße an.