Tichys Einblick
Nach dem EU-Gipfel

Ein typisch deutscher Kompromiss: EU vertagt Grundsatzstreit auf übermorgen

Der EU-Haushaltskompromiss der deutschen Ratspräsidentschaft zeigt wieder den Hang der Union zur Selbstlähmung. Die Ansprüche einzelner Mitgliedsländer auf Souveränität passen nicht mit dem Brüsseler Alleinherrschaftsanspruch zusammen.

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imago images / Steinach

Nun ist er also da, der sogenannte EU-Haushaltskompromiss, den die zum Monatsende auslaufende, deutsche Ratspräsidentschaft vorgelegt hat. Man mag von einer Mogelpackung sprechen – am Ende ist er nichts anderes als ein weiteres Dokument dafür, dass die Europäische Union sich selbst lähmt, weil der legitime Anspruch einzelner Mitgliedsländer inkompatibel ist mit dem Alleinherrschaftsanspruch der sozialistischen Bürokratoren in Brüssel.

Das EU-Transformationsziel

Worum ging es? Die EU-Kommission, flankiert durch das demokratisch mangels One-Man-One-Vote-Prinzip nur scheinlegitimierte EU-Parlament, wollte einen vorgeblich Corona-bedingten Expansionshaushalt durchsetzen. Es geht dabei für die kommenden sieben Jahre um die horrende Summe von 1,8 Billionen Euro (1.800.000.000.000 Euro), die bereitgestellt werden sollen, um unter dem Vorwand der Corona-Pandemie die EU-Transformationspläne verwirklichen zu können. 

Wesentliche Ziele dieser Transformation sind:

Der polnisch-ungarische Widerstand

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Wurden die als Klimapolitik bezeichneten Visionen als Umweltziele der Null-Emission von allen Beteiligten einmal mehr akzeptiert und verschärft nicht zuletzt auch deshalb, weil außerhalb der Bundesrepublik auf die umweltfreundliche Kernenergie gesetzt wird, stoßen sowohl der Umbau der bürgerlichen Demokratie in eine sozialistische NGO-Räterepublik als auch die Umsiedlungspläne der UN auf den energischen Widerspruch jener demokratisch legitimierten Regierungen, die die Ziele der Selbstaufgabe ihrer Kulturtraditionen nicht zu akzeptieren bereit sind. Vor allem Ungarn und Polen, beide derzeit regiert von Parteien, denen seitens ihrer Gegner im freundlichen Fall „Rechtspopulismus“ unterstellt wird, sind nicht bereit, die von der EU vorgesehene Selbstaufgabe mitzugehen.

Gleichwohl interessiert an den finanziellen Ausschüttungen der EU-Bürokratie, nahmen sie eine von der Kommission vorgesehene Disziplinierungsklausel zum Anlass, ihre Zustimmung zum Haushaltsentwurf zu verweigern. Da es den Räterepublikanern bislang noch nicht möglich gewesen ist, bei den Entscheidungsprozessen in der EU durchgängig ein Mehrheitsprinzip durchzusetzen, sondern maßgebliche Entscheidungen einstimmig zu erfolgen haben, waren die beiden früheren COMECON-Staaten in der Lage, den gegenwärtig vorrangig gegen sie gerichteten, sogenannten Rechtsstaatlichkeitsmechanismus zum Anlass zu nehmen, den Haushaltsbeschluss durch Nichtzustimmung als Instrument zur Abwehr der EU-Fremdbestimmung zu nutzen. Damit allerdings stellten sie nicht nur die künftige Funktionsfähigkeit des bürokratorischen Systems in Brüssel infrage – sie waren auch in der Lage, das EU-Konstrukt an sich aus den Angeln zu heben. Letztlich stand somit nicht mehr und nicht weniger als die Existenz der EU selbst auf dem Spiel, denn auch dort gilt: Ohne Moos nix los!

Die EU-Ratspräsidentschaft entwickelt einen deutschen Kompromiss

Die Bundesregierung als maßgeblicher Protagonist der Abschaffung nationaler Selbstbestimmungsrechte konnte diese Gefahr nicht zulassen und erarbeitete daher etwas, das nun als Haushaltskompromiss die Zustimmung auch der beiden Renegaten erhielt. Dieser Kompromiss sieht als erstes vor, den 1,8-Billionen-Haushalt wie von der Kommission vorgelegt zu verabschieden. Vorteil für Polen und Ungarn: Sie werden weiterhin Nutzen aus der EU ziehen, indem sie mehr Gelder beziehen als sie selbst einzahlen.

Ebenfalls im Kompromiss vorgesehen ist der Beibehalt der sogenannten Rechtsstaatsklausel. Diese besagt, dass Mitgliedsländer, in denen die EU-Bürokratoren „Mängel der Rechtsstaatlichkeit“ erkennen, mit finanziellen Sanktionen auf den rechten Weg im Sinne der EU gebracht werden können. 

Der Vertrag von Lissabon als Grundlage

Grundlage der entsprechenden Beurteilung ist der Vertrag von Lissabon, der am 1. Dezember 2009 in Kraft getreten ist. Er löste – im Wesentlichen inhaltgleich – als Vereinbarung der Regierungen der Mitgliedsländer jenen EU-Verfassungsvertrag ab, welcher ursprünglich den nationalen Bevölkerungen zur Zustimmung vorgelegt werden sollte. Dieses Verfahren wurde jedoch gestoppt, sodass beispielsweise die Deutschen zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit bekamen, ihr entsprechendes Votum zu formulieren. 

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Ursache des Abstimmungs-Stopps war seinerzeit die Ablehnung des Vertrages in Frankreich und den Niederlanden, weshalb nunmehr als Hilfskonstrukt eben jener Vertrag von Lissabon zusammengeschrieben wurde. Anders, als ursprünglich vorgesehen, erwartete dieses Vertragswerk angesichts der Risiken der Ablehnung bei Volksbefragung nur noch die Zustimmung der Länderparlamente, welche erwartungsgemäß im Sinne der jeweiligen Regierungsmehrheiten ihre Zustimmung erteilten. Allerdings zeichnete sich bereits damals das spätere Ausscheiden des Vereinigten Königreichs ab: Zwar wurde ein von damals in der Opposition befindlichen Konservativen eingebrachter Antrag auf Durchführung eines Referendums am 5. März 2008 mit 311 zu 248 abgelehnt und dem Vertragswerk mit 346 zu 206 Stimmen zugestimmt, doch sollte die englische Skepsis am undemokratischen Vorgehen der EU-Regierungschefs letztlich zu Brexit führen.
Die EU als übernationale Machtinstanz 

Auch wenn die Bürger Europas nie über den Vertrag abstimmen durften, bestimmt er gleichwohl mit fragwürdigen Instanzen wie dem Europäischen Gerichtshof (EuGh), der sich lässig über Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hinwegsetzt, seitdem ihr Leben. Auch wird der Anspruch erhoben, dass demokratisch gewählte Regierungen nur dann exekutive Rechte haben, wenn diese durch die EU-Bürokratoren als rechtstaatlich anerkannt werden. Ein möglicherweise durch Mehrheiten gewählter Parlamentarier in nationalen Parlamenten zustande gekommener Beschluss, der auf das Missfallen der Brüsseler (oder anderer Regierungschefs nebst Parteien und NGO) stößt, steht so aus Sicht der EU immer unter dem Vorbehalt der Zustimmung durch die EU. Damit ist nicht nur das jeweilige Selbstbestimmungsrecht der Länder außer Kraft gesetzt – es interessiert auch nicht mehr, ob eine Bürgermehrheit die Entscheidungen ihres Parlaments begrüßt. Entscheidend ist ausschließlich die Auslegung der sogenannten Rechtsstaatprinzipien nach Interpretation durch die Brüsseler Bürokratoren.

Konkret beruft sich die EU-Administration dabei auf Artikel 2 des Lissaboner EU-Vertrags:

„Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“

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Wenn beispielsweise Ungarn die NGO eines Mannes, der sein Vermögen dadurch erwirtschaftete, dass er aus einer Steueroase heraus Insidergeschäfte und gegen Volkswirtschaften gerichtete Währungsspekulationen steuerte, als demokratisch nicht legitimierten Influencer in ihrem Land nicht dulden will, so erkennen die EU-Bürokratoren darin einen Angriff auf den Pluralismus. In Polen ist es eine Justizreform, die die EU-Bürokratoren gegen das Land aufbringt. Der Regierung der PIS, die nach eigenen Angaben einen zu großen Einfluss der Sozialisten auf die Gerichte durch eine Justizreform eindämmen wollte, wird nun ihrerseits durch die EU-Bürokratoren vorgeworfen, ihrerseits stattdessen einen zu großen Einfluss der rechten Parteien durchsetzen zu wollen.
Der Kompromiss der Verschiebung

Um nunmehr die Abweichler von den EU-Interpretationen an die Kandare nehmen zu können, sollte aus dem mehr als schwammigen Rechtsstaatlichkeitsanspruch gleichsam ein Automatismus werden. Allen voran Polen und Ungarn begriffen dieses Ansinnen als unzulässigen Eingriff in ihre staatliche Autonomie und griffen mit der Haushaltsverweigerung zur Notbremse.

Nun wurde auf Initiative der Bundesregierung daher etwas beschlossen, das als Kompromiss von EU-Ratschef Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gleichermaßen bejubelt wird. Für die Bürokratoren entscheidend: Der sogenannte Rechtsstaatsmechanismus bleibt erhalten und wird festgeschrieben.  Gleichzeitig erhalten Polen und Ungarn – sowie eventuell andere, vom Mechanismus künftig betroffene Mitgliedsländer – das Recht, in solchen Fällen den EuGh anzurufen, wodurch die Auszahlung von EU-Geldern solange nicht blockiert werden darf, wie dieses Verfahren nicht abgeschlossen ist.

Das wiederum erklärt nun die Zufriedenheit des Ungarn Victor Orban und des Polen Mateusz Morawiecki. Die dringend benötigten Gelder werden in die jeweiligen Landeshaushalte fließen – die Prüfung der angeblichen Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip vorm EuGh zu endlosen Prozessen führen. Sollte das Gericht dann als verlängerter Arm der EU-Bürokratoren irgendwann zu dem Schluss kommen, dass die Behauptungen der EU gegen die besagten Ländern zutreffend seien, so werden nicht nur die bereits erhaltenen Gelder längst verbraucht sein – es stünde für die jeweiligen Landesregierungen auch immer noch die Möglichkeit im Raum, der EU durch Verlassen den Todesstoß zu versetzen, um so einer möglichen Rückzahlung zu entgegen.

Und Deutschland bleibt Zahlmeister

Der sogenannte Kompromiss, entwickelt und durchgesetzt durch die Bundesregierung, ist insofern klassisch-neudeutsch. Er löst kein Problem – er verschiebt es nur auf übermorgen. Denn der längst heftig ausgefochtene Streit um jene, die ihr Wohl in einer rätesozialistischen Über-Union sehen, und jenen, die die EU als Konföderation von selbstbestimmten Nationalstaaten sehen, wird mit dieser Formel nicht gelöst. Die Drohung, Mitgliedsländer aus der Union zu drängen, indem ihnen über den Rechtsstaatlichkeitsmechnismus der Geldhahn abgedreht werden kann, steht ebenso weiterhin im Raum wie die Drohung, die EU von innen heraus zu sprengen. 

Insofern hat die Bundesregierung nur Zeit gewonnen – nicht mehr. Zeit allerdings, die teuer erkauft ist. Denn der 1,8 Billionen-Euro-Haushalt wird zu einem nicht geringen Teil von deutschen Steuerzahlern finanziert werden müssen – entweder in bar oder über Schuldenaufnahme. Dabei hat die BRD allein schon über die Kreditvergabe im Rahmen der Target-II-Geschäfte Forderungen an die EU-Staaten in Höhe von 1.060.263.482.812,05 Euro – Stand 30. November 2020 laut Bundesbank. Niemand geht ernsthaft davon aus, dass diese Forderungen jemals kapitalisiert werden.

Deutschland lässt sich als maßgeblicher Antreiber der Entnationalisierung der europäischen Traditionen seine räterepublikanische „Elitenvision” viel kosten …

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