Nun haben sie es getan. Obgleich Generalsekretär Lars Klingbeil seine Partei gerade erst aufgefordert hatte, mit der Nominierung noch etwas zu warten, hat die SPD-Führung es getan. Sie hat Olaf Scholz zum „Kanzlerkandidaten“ gekürt – die Absegnung durch die Parteigremien ist nur noch Formsache. Das sagt einiges aus über Scholz – aber noch mehr über die SPD. Darüber, wie die SPD mit Mogelpackungen versucht, Boden gut zu machen. Scholz freudig: „Jetzt ist es raus: Auf Vorschlag unserer Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans haben mich Präsidium und Vorstand der SPD gerade einstimmig als Kanzlerkandidaten nominiert. Ich freue mich auf einen tollen, fairen und erfolgreichen Wahlkampf in einem starken Team.“
„Kanzlerkandidat“ ist kein Verfassungsamt
Vorab: Dieses ungewöhnliche Amt ist in der bundesdeutschen Demokratie nicht vorgesehen. Um es in Neusprech zu formulieren: Ein Kanzlerkandidat ist nichts anderes als ein Fake. Ein Fake allerdings, der gezielt und erstaunlicherweise immer wieder zur Volksverdummung beiträgt. Warum das so ist? Nun, das Grundgesetz als Verfassungsersatz schreibt klipp und klar vor: Das Amt des Bundeskanzlers wird nicht vom Bürger besetzt. Vielmehr ist es die vornehme Aufgabe der als Bürgerrepräsentanten gewählten Abgeordneten, dieses zu tun. Diese wiederum sind – ebenfalls im GG festgeschrieben – in ihren Entscheidungen frei und nicht an Weisungen oder Aufträge gebunden.
Rein verfassungsrechtlich ist die Nominierung eines Kanzlerkandidaten daher entweder tatsächlich nichts anderes als ein Fake – oder aber, er wäre als Verfassungsverstoß zu verstehen, wenn aus dieser Nominierung tatsächlich die unanfechtbare Bindung des künftigen Abgeordneten an eben diese durch Parteien vorgenommene Nominierung verbunden wäre. Denn dann stünde bereits vor dem Wahlgang fest, wie ein künftiger, vorgeblich freier Abgeordneter sich in dieser Frage zu verhalten hätte – er wäre folglich an einen Auftrag gebunden, den die Parteien formuliert haben und der durch eine bestenfalls qualifizierte Minderheit der Wahlbürger Unterstützung gefunden hat.
Die EU-Wahl belegt den Fake-Charakter
Selbstverständlich werden nun jene, die ihre Abgeordneten bereits knebeln, bevor diese überhaupt im Amt sind, einwenden, der Abgeordnete könne, sobald er gewählt ist, ja immer noch anders entscheiden. In der Theorie ist das sogar zutreffend. Die Fake-Wahl zum EU-Parlament könnte an dieser Stelle als trefflicher Beweis für diese Behauptung herangezogen werden. Seinerzeit hatten die eher Konservativen ihren potentiellen Wählern zugesagt, den CSU-Politiker Manfred Weber zum Kommissionspräsidenten zu küren. Die Sozialisten hatten gleiches für den Niederländer Frans Timmermans versprochen und die Linksliberalradikale Margrethe Vestager aus Dänemark sollte das Amt erhalten, so die eher links als liberalen Liberalen unerwartet erfolgreich aus dem Rennen gingen.
Doch wie gesagt: Da es das Amt eines Kommissionspräsidentenkandidaten ebenso wenig gibt wie das eines Kanzlerkandidaten, ist das Kommissions-Prozedere der EU durchaus rechtens. Auch wenn es – böse formuliert – der Verklapsung des Wählers dient, der am Ende irgendetwas vorgesetzt bekommt – nicht aber das, wofür er vielleicht seine Stimme abgegeben hatte.
Kanzlerkandidaten sind BürgerFake
Insofern aber gilt auf der Grundlage der bundesdeutschen Verfassung auch: Die Nominierung eines „Kanzlerkandidaten“ zu den Wahlen des Deutschen Bundestages ist BürgerFake. Denn ebenso, wie wir es auf EU-Ebene erleben durften, kann nach den Wahlen plötzlich alles ganz anders aussehen. Das könnte sogar so weit gehen, dass beispielsweise CDU und CSU noch einmal mit Angela Merkel antreten, weil diese aus welchen Gründen auch immer von zahlreichen Bürgern irrational geliebt wird – um dann am Wahlabend feststellen zu müssen, dass die vorgeblich nicht vorhersehbare gesundheitliche Situation der Unions-Möchtegernkanzlerin deren erneuten Antritt zur Nominierung durch den Bundestag leider doch nicht zulässt.
Käme es so, könnte sich niemand ernsthaft beschweren. Denn im Gegensatz zu jener Weisungsbindung, die die Parteien durch die Nominierung von „Kanzlerkandidaten“ gezielt zu schaffen suchen, sieht unser Grundgesetz eben weder diese ominöse Funktion eines Kanzlerkandidaten vor, noch wäre gar jene Weisungsbindung in irgendeiner Weise verfassungsrechtlich zulässig.
Der Basisfehler des Grundgesetzes
Dennoch und immer wieder werden nicht nur solche „Kanzlerkandidaten“ präsentiert, sondern die Abgeordneten durch die zur Parteiendiktatur verkommene parlamentarische Repräsentation sogar gezwungen, unabhängig von ihrer weisungsungebundenen Entscheidung ihre Stimme für diese verfassungsrechtlich nicht vorgesehene Person abzugeben.
Ein Modell übrigens, welches gegenwärtig bei allen Versuchen, die künstliche Aufblähung des Parlaments durch Wahlrechtsänderung zu verhindern, sogar noch verschärft werden soll. Die Parteien als bürgerferne Elitendiktaturen wissen also, was sie tun – und weshalb. Denn die Macht der Eliten hängt ausschließlich davon ab, dass sie darüber verfüge können, wer künftig dem im Parlament sitzenden Parteienkader angehört. Deren Abhängigkeit von der Parteispitze entscheidet über ihre Karriere – nicht der verfassungsmäßige Souverän.
Fake-Nominierungen sichern Macht
Die Parteien – oder besser: deren Führungskader – haben sich insofern kommod eingerichtet mit dem Fake der Nominierung eines Kanzlerkandidaten. Dieser Fake nämlich dient vor allem dem Ziel, von eben dieser Schwäche des Systems und der ständigen Konzentration aller Macht darauf, dass diese nicht vom Bürger, sondern von den Parteieliten ausgeht, abzulenken. Dem Wähler wird vorgegaukelt, er habe etwas bedeutendes zu entscheiden. Schön, wenn er daran glaubt.
Von der Logik der Prognostik aus betrachtet, waren Hohn und Spott nicht unbegründet. Mit Union und SPD hätte es seinerzeit immer noch mindestens zwei Parteien geben, die besser abschneiden mussten – und die, was dann wiederum verfassungskonform wäre, wenn die gewählten Fraktionen und nicht irgendwelche Parteivorstände oder Parteitage über die künftige Besetzung der Exekutive entschieden, einen der Ihren im Parlament als Kanzlerbewerber einforderten.
Die SPD macht Westerwelle
Dennoch und trotz der Reaktionen vor allem aus Union und SPD im Jahr 2002 gibt sich nun die SPD derselben Lächerlichkeit preis. Eine Partei, die bei den Umfragen seit gefühlten Ewigkeiten irgendwo zwischen 13 und 15 Prozenten rumdümpelt, will Kanzler werden. Wobei diese Zahlen ebenfalls ein Fake sind, denn die in der Regel rund 30 Prozent der Befragten, die am Ende nicht zur Wahl gehen werden und sich entsprechend bei der Befragung äußern, fallen nach den Regeln der Statistik und des Wahlrechts unter den Tisch. Tatsächlich also lesen sich diese 13 bis 15 Prozent so, dass bestenfalls noch zehn von hundert Wahlbürgern sich für die SPD ausgesprochen haben – was wiederum bedeutet, dass dann, wenn diese SchrumpfPartei Deutschlands tatsächlich noch einmal Regierungsverantwortung übernehmen sollte, der rote Schwanz mit dem bunten Hund wedelt.
Kein SPD-Politiker wird Kanzler
Doch abgesehen davon, dass die mediale Gewichtung der Wichtigtuer von der SPD ohnehin gänzlich überproportional ist: Kein SPD-Politiker wird am Ende des Wahlgangs Kanzler der Bundesrepublik werden. Auch nicht Olaf Scholz, den die Partei noch vor knapp einem Jahr in die Wüste schickte. Zu uncharismatisch, zu sehr Zahlmeister – und der Parteibasis ohnehin zu „rechts“ – was immer das in der SPD auch bedeuten mag. Stattdessen entschied sich die Basis für ein weitgehend unbekanntes Doppelpack aus Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, die seitdem alles daran setzen, die Partei von Willy Brandt und Helmut Schmidt noch weiter ins linke Aus zu schicken.
Es wummst in der SPD
Doch der volksfrontelnden SPD gefiel es. Endlich konnte Scholz beweisen, dass er ein echter Sozialist ist und das nicht vorhandene Geld mit vollen Händen ausschütten. Für die SPD gilt so etwas als Ausweis guter Politik. Also hagelte sozialdemokratische Begeisterung. Der beiden Halbvorsitzenden jubeln unisono: „ „Jetzt ist es raus: Olaf Scholz ist unser Kanzlerkandidat. Gemeinsam mit Olaf, mit SPD Deutschland und SPD Bundestag sind wir ein starkes Team. Wir freuen uns auf einen großartigen und erfolgreichen Wahlkampf. Olaf hat den Kanzler-Wumms!“
Kaum weniger auf Haribo-Werbeniveau versucht es der Parteivorstand – formuliert selbstverständlich von den Profis in der Pressestelle: „Keine Konfettikanonen. Kein Schloss. Einfach nur SozialdemokratInnen, die dasselbe wollen: sozialdemokratischen #Wumms in der Krise. Ein gerechtes Land für alle. Respekt für Leistung. Deshalb stehen sie auf dieser Bühne und deshalb ist Olaf Scholz unser Kanzlerkandidat.“
Ein „Wumms“ also soll es sein – da muss der uneingeweihte Zuhörer unweigerlich an Beirut denken: Ein Riesen-Wumms – und kein Stein steht mehr auf dem anderen. Und genauso könnte es den Wählern gehen, sollten sie tatsächlich auf die Mogelpackung „Wumms-Olaf“ hereinfallen. Allein schon das Team, mit dem sich Scholz wird schmücken müssen, macht deutlich: Hier wurde eine Schaufensterpuppe ins Fenster gestellt. Die Politik wollen künftig andere machen: Lars Klingbeil, Walter-Borjans, Esken und Rolf Mützenich – zumindest die letzten drei welche, die nicht den Mumm haben, als Ersatz-Olaf mit ihren Politik-Vorstellungen an die Front zu treten, umrahmen den Mann aus Osnabrück.
Wohin die Richtung gehen soll, wird ebenfalls aus dem Willy-Brandt-Haus verkündet: „Wir haben viele Gespräche geführt. Wir wissen, dass Olaf unsere Vision einer gerechten Gesellschaft teilt. Wir wissen, dass er ein Teamplayer ist. Für einige ist unsere Entscheidung eine Überraschung. Wir bitten um Vertrauen.“ Hier allerdings irren die Hoffnungsvollen: Als Scholz in Hamburg ein CDU-Missverständnis ablöste, machte er klipp und klar deutlich: „Wer Führung bestellt, bekommt Führung.“ Ein Teamplayer war der kleingewachsene Mann nie. Er wird es auch nie werden – es ist wider seine Natur und vor allem wider seine Erkenntnis, wie Politik funktioniert. Und so kann es der SPD nun ergehen, wie einst mit Peer Steinbrück, der ebenfalls als Schaufensterpuppe ausgestellt wurde und dann nicht bereit war, wider sein besseres Wissen sich ein Linksprogramm überhelfen zu lassen.
Das Linkschaos lauert schon
Denn wohin die Reise tatsächlich gehen soll – auch daran lässt die SPD keinen Zweifel. Die weltfremden Illusionisten träumen davon, aus dem Kandidaten Scholz tatsächlich einen Kanzler machen zu können. Als Übervater in einer Regierungskoalition aus SPD-Sozialisten, Grünmaoisten und Altkommunisten soll der Ex-Stamokapler künftig die Geschicke Deutschlands lenken. Sollte es tatsächlich dazu kommen, dann müsste Scholz entweder offenbaren, dass seine von ihm behauptete Läuterung als Linksausleger nichts als Mimikri gewesen ist – oder es wird ihm ergehen wie Schmidt, dem seine Partei in den Rücken fiel und ihn gezielt zu Fall brachte.
Sollte es tatsächlich zu einer Mehrheit der Parteien links von der Union kommen, hat Scholz ausgedient. Denn auch die SPD weiß: Mit dem Kanzler wird das nichts. Dazu müssten unerwartet reihenweise Grün-Anhänger das Fähnchen wechseln und zu Scholz überlaufen. Warum aber sollten sie das tun?
Damit steht jetzt schon fest: Das Linksbündnis wird im Falle einer Mehrheit unter der Führung eines Grünen die Macht ergreifen. Scholz darf sich dann vielleicht noch aussuchen, ob er noch ein wenig mitspielen will – doch, und das ist nun besonders perfide – als „Kanzlerkandidat“ ist er dann Geschichte und kann gehen. Eben weil er Kanzlerkandidat und nicht Spitzenkandidat ist. Nicht mehr Kandidat und nicht Kanzler – wer braucht ihn dann noch, wenn es um das Verteilen der Pfründe geht?
Schon wieder vorsätzlicher Wählerbetrug
Fazit: Die SPD setzt an, den nächsten Wählerbetrug zu begehen. Nicht nur, dass sie die Absicht hat, unter Umgehung der grundgesetzlichen Vorgaben ihren künftigen Abgeordneten konkrete Weisungen mit auf den Weg zu geben. Sie glaubt auch, dem Wähler mit einer Fiktion aus der Trickkiste politischer Illusionen etwas präsentieren zu können, das jenseits jeglicher Realisierungschance ist. Eben dieses, ein Versprechen durch die Politik, das von vornherein darauf angelegt ist, die wahren Absichten zu verschleiern, trägt heute die Bezeichnung Fake. Oder auf Deutsch: Täuschung.
Nichts anderes als eben eine solche Täuschung ist es, was die Sozialdemokratie nun auf den Weg gebracht haben. Denn egal, wie die SPD abschneidet: Entweder die Union oder die Grünen werden nach Stand der Dinge den Ton angeben, wenn es darum geht, im Parlament einen Kandidaten für das mächtigste Amt im Staate vorzuschlagen. Daran ändert sich nichts dadurch, dass Union und Grünmaoisten selbst am Grundsatz der Verfassung vorbei mit der Benennung von „Kanzlerkandidaten“ ein unzulässiges imperatives Mandat schaffen werden. Deren künftige Fraktionen werden zumindest eine gewisse Chance haben, den künftigen Kanzler zu stellen – zu der Frage, ob ein benannter „Kandidat“ das dann auch tatsächlich werden muss, ist bereits alles gesagt.
Die Lächerlichkeit der Autosuggestion
Bei der SPD allerdings ist die Benennung eines „Kanzlerkandidaten“ in jeder Hinsicht lächerlich. Und so dürfte es hier vor allem um Autosuggestion gehen. Denn beschränkte sich die SPD darauf, nur einen Spitzenkandidaten zu benennen als jenen, der fiktiv die Listenwahl anführt, müsste die SPD sich und ihren noch verbliebenen Wählern eingestehen: Wir sind weg vom Fenster! Vor allem aber: Ein Spitzenkandidat Scholz müsste bei einer künftigen Regierungsbildung prominent berücksichtigt werden. Ein Kanzlerkandidat Scholz muss dieses nicht.
Sollte dem Wahlbürger der Fake, den die SPD aufs Gleis gesetzt hat, bewusst werden, dann hat sie gute Chancen, aus dem „Wumms“ einen Rohrkrepierer zu machen. Oder sie fährt mit „Wumms“ an die Wand. Entsprechende Erfahrungen hat sie ja bereits. Der Scholz-Vorgänger Schulz startete zwar nicht mit Wumms, aber dafür mit einem Zug, der unaufhaltsam sein sollte. Der Wumms kam dann, als der Zug mit Macht an die Wand fuhr und katastrophal entgleiste. Womit wir dann wieder in Beirut sind. Aber vielleicht ist das auch ein Kernproblem der SPD: In er Selbsthypnose der Autosuggestion von Dingen träumen, die bar jeglicher Realität sind.
Scholz jedenfalls ist irreal – zumindest, solange er den Kanzlerkandidaten gibt. Da könnte das Beirut, zu dem die Bundesrepublik wird, wenn der Wumms zur Linkschaotenregierung ohne Scholz führt, deutlich realer werden.