Tichys Einblick
Erobert die CDU die Partei von Merkel zurück?

Kandidaten-Roulette

AKK, Spahn oder Merz? Spielt alles noch keine Rolle – Hauptsache, die Medien haben endlich mal wieder etwas Personalpolitisches zur Beschäftigung.

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Merkel tritt ab. Zumindest ein wenig. Denn auf den Job, der ihrem Ego schmeichelt wie kein anderer, möchte sie vorerst noch nicht verzichten. Um dieses abzusichern, hat sie nun der Partei, der sie seit 18 Jahren vorsteht und die sie nie wirklich interessiert hat, das Vergnügen intensiver Selbstbeschäftigung beschert. Beim CDU-Parteitag im Dezember wird sie nicht erneut als Vorsitzende kandidieren. Von „souveräner Entscheidung“ ist nun die Rede, von einem „selbstbestimmten Ausstieg“ aus der Politik.

Ach, wie schön für sie, wenn es so wäre! Doch die Spatzen pfiffen es bereits von den Dächern: Der Parteitag drohte, für Parteivorsitz und Kanzleramt zum Fanal zu werden. Die Parteibasis war ihrer schon lange überdrüssig. Wäre sie erneut angetreten, hätte sie das mit Abstand schlechteste Ergebnis ihrer Karriere eingefahren – und damit ihr zwangsläufiges Ende als Bundeskanzler organisiert.

Kandidaten für morgen und von gestern
Merkel: Ein Abschied, der keiner ist
Dieser Zwangsläufigkeit nun versucht sie zu entgehen, indem sie die Union in die Selbstbeschäftigung stürzt. Und dabei von der Hoffnung gespeist wird, dass die sich nun berufen fühlenden gegenseitig derart zerfleischen, dass am Ende ein schwacher Jemand den Chefsessel an der Berliner Klingelhöferstraße einnimmt, der ihr in ihren Dauerkanzlerambitionen nicht gefährlich werden kann. Je nachdem, wie sich die Situation dann entwickelt hätte, wäre selbst der Versuch nicht auszuschließen gewesen, dann 2021 sich doch noch einmal aufstellen zu lassen – in Ermangelung starker Konkurrenz an der Parteispitze.
Der Blick auf das Bewerberfeld

Manches deutet darauf hin, dass ihr Kalkül aufgehen könnte. Zumindest der aktuelle Sachstand deutet darauf hin, dass drei aus unterschiedlichen Gründen schwache Kandidaten sich gegenseitig zerlegen – und dabei vielleicht sogar die Union in eine derart tiefe Zerrissenheit stürzen, dass die alternativlose Merkel dann auch 2021 alternativlos sein könnte. Um dann als Abrissbirne der einstmals stolzen CDU ihr Werk der Vernichtung der alten, bundesdeutschen Parteien zu vollenden.

Diese Vorstellung gebietet es, einen kurzen Blick auf die drei zu richten, die bislang ihren Hut in den Ring geworfen haben.

Kaum Chancen für AKK

Da ist als erstes Annegret Kramp-Karrenbauer. Die frühere persönliche Referentin des späteren Verfassungsrichters Peter Müller und Ministerpräsidentin der knapp eine Million Saarländer wurde von Merkel selbst nach Berlin geholt. Die Zusage: Erst der Job des CDU-Generalsekretärs, dann Merkel-Nachfolger.

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Das Modell hätte aufgehen können, wäre alles so gelaufen, wie Merkel es sich ursprünglich gedacht hatte. AKK sollte nicht nur über das neue Amt an der Seite der Parteivorsitzenden ständige Medienpräsenz erhalten – die mehr als überflüssige Programmdiskussion, mit der AKK die Union beschäftigten wollte, sollte sie quer durch das Bundesparteiland schicken, an der Basis bekannt machen. Doch diese Nummer hat Merkel ihrem gedachten Homunculus nun kaputt gemacht. Die Zeit war zu kurz – und die Auftritte der AKK als Merkels Wurmfortsatz und Niederlagen-Schönrednerin waren alles andere als geeignet, sie in der Partei zur unangefochtenen Führungsperson zu machen. Ganz im Gegenteil offenbarte die Saarländerin zunehmend mehr ihre mangelhafte Qualität: Traditionelle Sprechblasen statt klare Worte, Umschiffen der tatsächlichen Probleme der Republik statt zukunftsfähige Perspektiven. Nicht eine Idee, wie die Union auch nur halbwegs in der Lage sein sollte, zu alter Stärke zurückzukommen.

Das wichtigste Argument jedoch, das AKK den Durchmarsch an die Parteispitze kaum noch möglich macht, liegt in der Psyche der Partei. Diese – immer noch mehrheitlich männlich – sehnt sich nach den KiTa-Jahren unter Merkel nach einer durchsetzungsfähigen Führungsperson. Der nächst Parteichef muss tatsächlich ein Der sein. Nicht noch weitere Jahre der Entsachlichung von Politik durch weibliche Intuition des Postfaktischen. Insofern hilft es auch nicht, wenn die Bundesvorsitzende der Frauen Union, Annette Widmann-Mauz, pflichtschuldig ihre AKK-Solidarität erklärt – selbst zahlreiche Unionsfrauen sehnen sich nach starker Führung. AKK hätte insofern ausschließlich dann einen Hauch von Chance, wenn entweder sie allein angetreten wäre – was nach der Merkel-Scharade nicht mehr geschehen wird – oder genug männliche Gegenkandidaten sich gegenseitig die Stimmen der Blöcke streitig machen.

Jens Spahn – zu schnell „Hier!“ gerufen

Jens Spahn, der blitzschnell seinen Anspruch anmeldete, ist kein Sebastian Kurz. Sein gelegentliches Aufmucken gegen Merkel ließ ihn zwar in den Medien zum „Merkel-Kritiker“ avancieren – doch wusste der Mann aus dem Norden Nordrhein-Westfalens immer noch, schnell genug die Kurve zu kriegen, um die große Vorsitzende nicht zu sehr zu verärgern. Belohnt wurde er dafür mit dem Amt des Gesundheitsministers. Ein geschickter Schachzug, denn zum einen ist er nun in die Kabinettsdisziplin eingebunden und muss sich mit Kritik an der Chefin zurückhalten, zum anderen ist er mit seinem Amt beschäftigt, welches ihm angesichts der überalternden Gesellschaft einen Berg an Problemen kredenzt.

Zwar gilt Spahn als Kandidat vor allem der Jüngeren in der Union – doch die sind weit davon entfernt, in der Partei eine Mehrheit zu stellen. Spahns manchmal nassforsche Auftreten hat ihm auch nicht nur Freunde gebracht – und sein schnelles „Hier!“ aus eigenem Anspruch unterstrich den Eindruck, vorm eigenen Ehrgeiz die Überlegung zurückzustellen. Parteien funktionieren so nicht – das hätte Spahn wissen müssen.

Sein eigentliches Manko aber ist ein anderes – wir werden darauf zurückkommen, wenn wir uns mit dem dritten Kandidaten beschäftigt haben.

Merz – kein Phoenix aus der Asche

Friedrich Merz, immerhin vor vielen Jahren kurzzeitig Fraktionschef der Bundestagsfraktion, ist gleichsam der ewige Hoffnungsträger der parteiinternen Merkelgegner. Gegen ihn spricht aber mehr als nur seine langjährige Abstinenz.

Ähnlich wie sein Vertrauter Norbert Röttgen lebt Merz in der Arroganz der absoluten Selbstüberzeugung. Er geht davon aus, dass man ihn ob seines Intellekt und seiner Fähigkeiten einfach wollen muss, weil er einfach der Beste ist. Intellektuelle Überlegenheit jedoch ist in einer im Selbstgefühl dann doch noch Volkspartei eher ein Hindernis denn eine Hilfe. Denn die Basis benötigt Personen, mit denen sie sich gleichzeitig identifizieren und zu denen sie aufsehen kann. Eine solche Position in der Partei zu erlangen, ist Merz nie gelungen.

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Hinzu kommt: Auch wenn seine Kontakte zu den alten Kampfgefährten nie abgebrochen sind: Er ist seit nunmehr bald zehn Jahren raus aus der aktiven Politik. In dieser Zeit haben sich die Parteistrukturen deutlich verändert – und ob Merz überhaupt noch sieht, wo die Basis der emotionale Schuh drückt, darf angezweifelt werden. Insofern ist seine nun offizielle Kandidatur eine reine Kopfgeburt, zu der ihm die Mittelständler und Unternehmensnahen Kreise geraten haben mögen. Doch diese Gruppe allein macht in einer Partei wie der CDU noch keinen Vorsitzenden.
Ein gemeinsames Problem und Parteienmechanismen

Spahn und Merz haben darüber hinaus ein gemeinsames Problem, welches Merkel sehr zu pass kommt: Sie beide sind Mitglieder im mitgliederstärksten Landesverband NRW. Treten sie beide an, verliert dieser Landesverband sein dominantes Gewicht – Königsmacher werden dann andere, nicht die Westdeutschen.

Damit nun sind wir bei Mechanismen, die bei der öffentlichen Diskussion bislang gänzlich unberücksichtigt bleiben – und die dennoch am Ende darüber entscheiden, wer erfolgreich aus dem Rennen geht.

Wer in einer Partei ganz nach oben möchte, der muss über kräftige Ellenbogen und schlagkräftige Seilschaften verfügen. Solche Seilschaften wachsen über die Landesverbände hinweg über Jahrzehnte der Parteitätigkeit. Deshalb war es in der CDU vor Merkel so, dass die sogenannte Rheinschiene darüber bestimmte, wer in der Partei die Führung stellte. Die alte BRD aus Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz entschied, wo es in der CDU langging. Sie bestimmte, wer die Partei führen sollte.

Angst vor Wahlen
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Diese Landesverbände stellen auch heute die klare Mehrheit auf dem Parteitag. Rund 420.000 Mitglieder zählt die CDU derzeit. NRW verfügt über 140.000, Baden-Württemberg über 68.000, Hessen über 41.000 und Rheinland-Pfalz über 43.000. Stehen diese Verbände wie zu Kohls Zeiten geschlossen, so repräsentieren sie 292.000 Mitglieder und verfügen auf dem Parteitag über eine deutliche Mehrheit der Delegierten. Nicht zuletzt deshalb kuschelte die Niedersächsin Ursula von der Leyen bereits via TV mit dem künftigen Chef: Ihr Platz sei in der zweiten Reihe und sie stünde loyal zu jedem Vorsitzenden. Da schwingt die berechtigte Angst mit, im Dezember auch auf das Altenteil geschickt zu werden. Die Chancen dafür stehen gut – zu groß VdLs Nähe zu Merkel. Und ihr Landesverband, der zwar auch über 46.000 Mitglieder verfügt, aber mangels Rhein nie der Rheinschiene angehörte, richtet sich unter Bernd Althusmann bereits auf die Nach-Merkel-Ära neu aus. Für VdL ist da kein Platz mehr.
Nicht noch einmal eine ewige Übergangslösung

Die Zurückhaltung der führenden Mandatsträger erklärt sich insofern aus dieser Machtkonstellation. Bevor die Partei rufen wird: „Die Königin ist tot – es lebe der König“, werden in den kommenden Wochen zahlreiche VoiceOverIP- und Funkstrecken heiß laufen. Nicht wenigen der führenden Entscheidungsträger steckt noch die Erfahrung der Merkel-Wahl in den Knochen. Damals, im Jahr 2000, entschied man sich für den Fremdkörper aus Brandenburg/Vorpommern in der festen Überzeugung, eine kurzfristige Übergangslösung gefunden zu haben. Merkel sollte amtieren, bis die westdeutschen Verbände sich nach dem Chaos des Endes der Kohl-Ära sortiert hätten und dann einen der ihren an ihre Stelle setzen könnten. Sie sollten sich täuschen – noch einmal darf ihnen so etwas nicht passieren.

Neuanfang wie?
In der SPD rumort es
Hinzu kommt ein weiteres Argument, welches die Wahl im Dezember maßgeblich beeinflussen wird. Wer immer den Vorsitz der CDU übernimmt – er ist zwangsläufig erste Wahl bei der Frage, wer Merkel im Amt des Bundeskanzlers beerbt. Will die Rheinschiene ihrem Anspruch gerecht werden, müssen nun die Weichen gestellt werden für jemanden, der das Format hat, selbst bei vorgezogenen Bundestagswahlen ohne Merkel der Partei zumindest im Ansatz eine Rückkehr zu früherer Größe zu versprechen. Hier wird folglich erwogen werden: Wer aus unseren Reihen – denn dass der nächste Unionschef von der Rheinschiene gestellt werden muss, steht außer Frage – ist in der Lage, das Volk zu überzeugen? Wer hat die notwendige Bekanntheit und nach Möglichkeit auch das Charisma, die Union zu führen, dabei die Interessen der Landesverbände auszugleichen und nicht zuletzt in der Öffentlichkeit als überzeugende Kristallisationsfigur des Neuanfangs zu wirken?

Beim Blick auf diese Frage steht fest: Weder AKK noch Spahn werden diese Person sein. Und Merz? Zu lange aus dem Parteigeschäft – und mit dem Stigma versehen, vor Merkel gekniffen zu haben. Allein die ihm zugeschriebene Wirtschaftsnähe wird nicht reichen – und das auch deshalb, weil insbesondere in NRW Kolpings Soziallehre zum Selbstverständnis der Partei gehört. Die Union muss über ihre Führungsperson Arbeitnehmer und Unternehmer zugleich binden, will sie ihren Anspruch als Volkspartei auch künftig erheben wollen.

Das Spargel-Prinzip

Bei all dem kommt in Parteien ein klassisches Element hinzu, welches als das „Spargel-Prinzip“ bezeichnet wird: Wer den Kopf zu früh aus der Erde streckt, der wird ihn als erster los. Insofern haben AKK – angesichts der Merkel-Trickserei dazu gewzungen – und Spahn – durch seinen Ehrgeiz getrieben – deutlich zu schnell „Ich“ gerufen. Doch auch Merz hätte noch einige Zeit warten sollen – und bis dahin hinter den Kulissen an einer Mehrheit arbeiten müssen.

Notizen nach Hessen
Wenn das Neue von Gestern ist
So spricht vieles dafür, dass wir den Namen desjenigen, der sich im Dezember erfolgreich um die Merkel-Nachfolge in Partei und Kanzleramt bewerben wird, noch nicht kennen. Es sei denn, Merkel zwingt die Partei dazu, die Möchtegern-Nachfolger ab sofort auf Partei-Tournee zu schicken. Gelänge ihr dieses, bräche nicht nur die klassische Mehrheitsstruktur in der Partei zusammen – es müsste dann auch der- oder diejenige, die den Anforderungen der Rheinschiene entsprechen könnte, schnell präsentiert werden und aus der Deckung kommen.

Damit hätte Merkel dann erreicht, was ihr offenbar gegenwärtig das dringlichste Anliegen ist: Die Partei, die ihr nach ihrem Verständnis ihren Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde nicht gönnt, ins selbstzerfleischende Chaos zu werfen.

Kann sich die Parteiführung ihre Partei zurückholen?

Nero-Befehle sind in der Geschichte keine Seltenheit. Zumeist fanden sich Menschen, die deren Ausführung verweigerten. Die CDU-Führung der Nach-Merkel-Ära, die am Montag nach der Hessenwahl begonnen hat, wird zeigen müssen, ob sie noch den Mumm in den Knochen hat, sich ihre Partei von Merkel zurückzuholen. Und ob sie in der Lage ist, über persönliche Eitelkeiten hinweg die Weichen für die Zukunft der Partei zu stellen.

Wissen werden wir das am zweiten Dezember-Wochenende. Und damit auch, ob die CDU die Kurve kriegt, den Merkel-Niedergang zu überwinden, oder ob sie den Weg anderer christdemokratischer Parteien Europas geht, zerstört von einer Frau, die niemals aus Überzeugung der CDU angehörte und für die die Partei von Adenauer und Kohl nichts anderes als ein Instrument zur Befriedigung eigener Karrierewünsche war.

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