Merkel tritt ab. Zumindest ein wenig. Denn auf den Job, der ihrem Ego schmeichelt wie kein anderer, möchte sie vorerst noch nicht verzichten. Um dieses abzusichern, hat sie nun der Partei, der sie seit 18 Jahren vorsteht und die sie nie wirklich interessiert hat, das Vergnügen intensiver Selbstbeschäftigung beschert. Beim CDU-Parteitag im Dezember wird sie nicht erneut als Vorsitzende kandidieren. Von „souveräner Entscheidung“ ist nun die Rede, von einem „selbstbestimmten Ausstieg“ aus der Politik.
Ach, wie schön für sie, wenn es so wäre! Doch die Spatzen pfiffen es bereits von den Dächern: Der Parteitag drohte, für Parteivorsitz und Kanzleramt zum Fanal zu werden. Die Parteibasis war ihrer schon lange überdrüssig. Wäre sie erneut angetreten, hätte sie das mit Abstand schlechteste Ergebnis ihrer Karriere eingefahren – und damit ihr zwangsläufiges Ende als Bundeskanzler organisiert.
Der Blick auf das Bewerberfeld
Manches deutet darauf hin, dass ihr Kalkül aufgehen könnte. Zumindest der aktuelle Sachstand deutet darauf hin, dass drei aus unterschiedlichen Gründen schwache Kandidaten sich gegenseitig zerlegen – und dabei vielleicht sogar die Union in eine derart tiefe Zerrissenheit stürzen, dass die alternativlose Merkel dann auch 2021 alternativlos sein könnte. Um dann als Abrissbirne der einstmals stolzen CDU ihr Werk der Vernichtung der alten, bundesdeutschen Parteien zu vollenden.
Diese Vorstellung gebietet es, einen kurzen Blick auf die drei zu richten, die bislang ihren Hut in den Ring geworfen haben.
Kaum Chancen für AKK
Da ist als erstes Annegret Kramp-Karrenbauer. Die frühere persönliche Referentin des späteren Verfassungsrichters Peter Müller und Ministerpräsidentin der knapp eine Million Saarländer wurde von Merkel selbst nach Berlin geholt. Die Zusage: Erst der Job des CDU-Generalsekretärs, dann Merkel-Nachfolger.
Das wichtigste Argument jedoch, das AKK den Durchmarsch an die Parteispitze kaum noch möglich macht, liegt in der Psyche der Partei. Diese – immer noch mehrheitlich männlich – sehnt sich nach den KiTa-Jahren unter Merkel nach einer durchsetzungsfähigen Führungsperson. Der nächst Parteichef muss tatsächlich ein Der sein. Nicht noch weitere Jahre der Entsachlichung von Politik durch weibliche Intuition des Postfaktischen. Insofern hilft es auch nicht, wenn die Bundesvorsitzende der Frauen Union, Annette Widmann-Mauz, pflichtschuldig ihre AKK-Solidarität erklärt – selbst zahlreiche Unionsfrauen sehnen sich nach starker Führung. AKK hätte insofern ausschließlich dann einen Hauch von Chance, wenn entweder sie allein angetreten wäre – was nach der Merkel-Scharade nicht mehr geschehen wird – oder genug männliche Gegenkandidaten sich gegenseitig die Stimmen der Blöcke streitig machen.
Jens Spahn – zu schnell „Hier!“ gerufen
Jens Spahn, der blitzschnell seinen Anspruch anmeldete, ist kein Sebastian Kurz. Sein gelegentliches Aufmucken gegen Merkel ließ ihn zwar in den Medien zum „Merkel-Kritiker“ avancieren – doch wusste der Mann aus dem Norden Nordrhein-Westfalens immer noch, schnell genug die Kurve zu kriegen, um die große Vorsitzende nicht zu sehr zu verärgern. Belohnt wurde er dafür mit dem Amt des Gesundheitsministers. Ein geschickter Schachzug, denn zum einen ist er nun in die Kabinettsdisziplin eingebunden und muss sich mit Kritik an der Chefin zurückhalten, zum anderen ist er mit seinem Amt beschäftigt, welches ihm angesichts der überalternden Gesellschaft einen Berg an Problemen kredenzt.
Zwar gilt Spahn als Kandidat vor allem der Jüngeren in der Union – doch die sind weit davon entfernt, in der Partei eine Mehrheit zu stellen. Spahns manchmal nassforsche Auftreten hat ihm auch nicht nur Freunde gebracht – und sein schnelles „Hier!“ aus eigenem Anspruch unterstrich den Eindruck, vorm eigenen Ehrgeiz die Überlegung zurückzustellen. Parteien funktionieren so nicht – das hätte Spahn wissen müssen.
Sein eigentliches Manko aber ist ein anderes – wir werden darauf zurückkommen, wenn wir uns mit dem dritten Kandidaten beschäftigt haben.
Merz – kein Phoenix aus der Asche
Friedrich Merz, immerhin vor vielen Jahren kurzzeitig Fraktionschef der Bundestagsfraktion, ist gleichsam der ewige Hoffnungsträger der parteiinternen Merkelgegner. Gegen ihn spricht aber mehr als nur seine langjährige Abstinenz.
Ähnlich wie sein Vertrauter Norbert Röttgen lebt Merz in der Arroganz der absoluten Selbstüberzeugung. Er geht davon aus, dass man ihn ob seines Intellekt und seiner Fähigkeiten einfach wollen muss, weil er einfach der Beste ist. Intellektuelle Überlegenheit jedoch ist in einer im Selbstgefühl dann doch noch Volkspartei eher ein Hindernis denn eine Hilfe. Denn die Basis benötigt Personen, mit denen sie sich gleichzeitig identifizieren und zu denen sie aufsehen kann. Eine solche Position in der Partei zu erlangen, ist Merz nie gelungen.
Ein gemeinsames Problem und Parteienmechanismen
Spahn und Merz haben darüber hinaus ein gemeinsames Problem, welches Merkel sehr zu pass kommt: Sie beide sind Mitglieder im mitgliederstärksten Landesverband NRW. Treten sie beide an, verliert dieser Landesverband sein dominantes Gewicht – Königsmacher werden dann andere, nicht die Westdeutschen.
Damit nun sind wir bei Mechanismen, die bei der öffentlichen Diskussion bislang gänzlich unberücksichtigt bleiben – und die dennoch am Ende darüber entscheiden, wer erfolgreich aus dem Rennen geht.
Wer in einer Partei ganz nach oben möchte, der muss über kräftige Ellenbogen und schlagkräftige Seilschaften verfügen. Solche Seilschaften wachsen über die Landesverbände hinweg über Jahrzehnte der Parteitätigkeit. Deshalb war es in der CDU vor Merkel so, dass die sogenannte Rheinschiene darüber bestimmte, wer in der Partei die Führung stellte. Die alte BRD aus Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz entschied, wo es in der CDU langging. Sie bestimmte, wer die Partei führen sollte.
Nicht noch einmal eine ewige Übergangslösung
Die Zurückhaltung der führenden Mandatsträger erklärt sich insofern aus dieser Machtkonstellation. Bevor die Partei rufen wird: „Die Königin ist tot – es lebe der König“, werden in den kommenden Wochen zahlreiche VoiceOverIP- und Funkstrecken heiß laufen. Nicht wenigen der führenden Entscheidungsträger steckt noch die Erfahrung der Merkel-Wahl in den Knochen. Damals, im Jahr 2000, entschied man sich für den Fremdkörper aus Brandenburg/Vorpommern in der festen Überzeugung, eine kurzfristige Übergangslösung gefunden zu haben. Merkel sollte amtieren, bis die westdeutschen Verbände sich nach dem Chaos des Endes der Kohl-Ära sortiert hätten und dann einen der ihren an ihre Stelle setzen könnten. Sie sollten sich täuschen – noch einmal darf ihnen so etwas nicht passieren.
Beim Blick auf diese Frage steht fest: Weder AKK noch Spahn werden diese Person sein. Und Merz? Zu lange aus dem Parteigeschäft – und mit dem Stigma versehen, vor Merkel gekniffen zu haben. Allein die ihm zugeschriebene Wirtschaftsnähe wird nicht reichen – und das auch deshalb, weil insbesondere in NRW Kolpings Soziallehre zum Selbstverständnis der Partei gehört. Die Union muss über ihre Führungsperson Arbeitnehmer und Unternehmer zugleich binden, will sie ihren Anspruch als Volkspartei auch künftig erheben wollen.
Das Spargel-Prinzip
Bei all dem kommt in Parteien ein klassisches Element hinzu, welches als das „Spargel-Prinzip“ bezeichnet wird: Wer den Kopf zu früh aus der Erde streckt, der wird ihn als erster los. Insofern haben AKK – angesichts der Merkel-Trickserei dazu gewzungen – und Spahn – durch seinen Ehrgeiz getrieben – deutlich zu schnell „Ich“ gerufen. Doch auch Merz hätte noch einige Zeit warten sollen – und bis dahin hinter den Kulissen an einer Mehrheit arbeiten müssen.
Damit hätte Merkel dann erreicht, was ihr offenbar gegenwärtig das dringlichste Anliegen ist: Die Partei, die ihr nach ihrem Verständnis ihren Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde nicht gönnt, ins selbstzerfleischende Chaos zu werfen.
Kann sich die Parteiführung ihre Partei zurückholen?
Nero-Befehle sind in der Geschichte keine Seltenheit. Zumeist fanden sich Menschen, die deren Ausführung verweigerten. Die CDU-Führung der Nach-Merkel-Ära, die am Montag nach der Hessenwahl begonnen hat, wird zeigen müssen, ob sie noch den Mumm in den Knochen hat, sich ihre Partei von Merkel zurückzuholen. Und ob sie in der Lage ist, über persönliche Eitelkeiten hinweg die Weichen für die Zukunft der Partei zu stellen.
Wissen werden wir das am zweiten Dezember-Wochenende. Und damit auch, ob die CDU die Kurve kriegt, den Merkel-Niedergang zu überwinden, oder ob sie den Weg anderer christdemokratischer Parteien Europas geht, zerstört von einer Frau, die niemals aus Überzeugung der CDU angehörte und für die die Partei von Adenauer und Kohl nichts anderes als ein Instrument zur Befriedigung eigener Karrierewünsche war.