Die Unfähigkeit der NATO, der russischen Aggression Einhalt zu gebieten, ist offiziell eingestanden. So drehen sich alle Ängste nun nur noch darum, ob der Russisch-Ukrainische Krieg gewollt oder ungewollt auch NATO-Territorium erreichen könnte. Spätestens, wenn ukrainische Einheiten im Abwehrkampf unmittelbar vor der Grenze Polens stehen sollten, könnten russische Raketen auch im NATO-Gebiet einschlagen, lautet eine Befürchtung. Wäre das dann bereits der Casus belli? Vermutlich nicht, wenn es sich tatsächlich nur um einen eingestandenen Irrläufer handelt. Und doch: Was geschieht, wenn beispielsweise russische Flugzeuge auf NATO-Gebiet ausweichen? Selbst, wenn dieses scheinbar ungewollt geschähe – ein Abschuss wäre völkerrechtlich gerechtfertigt. Und dann?
So dreht sich im Moment die Kriegsangst in Westeuropa vor allem um die Frage, ob Putin Halt macht, wenn er den ukrainischen Widerstand zerschlagen und die legitime Regierung in Kiew durch ein Marionettenkabinett ersetzt hat. Kommt es zu Übergriffen gegen das Baltikum? Greift Putin vielleicht nach Lemberg/Lwiw Polen an – oder Rumänien, wenn er die Region Odessa übernommen hat? Die NATO verlegt vorsorglich Kräfte an die Grenze zum neuen alten Feind – und sie werden dort bleiben, solange die Diktatur Putins eine Bedrohung darstellt.
Joe Biden hat angekündigt, auch die Garnisonen in der Bundesrepublik aufzustocken. Von 7.000 GIs ist die Rede – und das erscheint auch bitter nötig angesichts der Tatsache, dass mittlerweile nicht nur Militärangehörige, sondern auch die Politik eingesteht, dass die Bundeswehr „blank“ ist. Weshalb beispielsweise FDP-Vertreter nun von dringender „Ausrüstung“ sprechen, weil von einer „Aufrüstung“, wie sie beispielsweise Sandra Maischberger vom Öffentlich-Rechtlichen im Gespräch mit FDP-Vertretern ständig einforderte, noch lange nicht die Rede sein kann.
Die NATO verteidigt nur NATO
Die NATO stünde bereit, jederzeit geschlossen nach Artikel 5 auf jeden bewaffneten Angriff auf ein Bündnismitglied ge- und entschlossen zu reagieren. Das betonen unisono Jens Stoltenberg und US-Präsident Biden – es gibt vor allem dem Baltikum eine gewisse Sicherheit. Doch es verstellt den Blick auf das, was Putin nach der NATO-offiziellen Freigabe der Ukraine dennoch unternehmen könnte, um seinen nun ohnehin sanktionierten Imperialismus weit möglichst voranzutreiben.
Da steht – bereits ein wenig aus den Augen verloren – Finnland auf der Liste. Bei der Restauration des Zarenreichs gehören nicht nur die ohnehin russisch besetzten Gebiete Kareliens und Viborg zur Russkji Mir (Russische Welt), sondern auch der gegenwärtig nicht russisch besetzte Teil von Lappland bis Helsinki. Finnland ist nicht Mitglied der NATO – Stoltenberg hat wiederholt darauf hingewiesen, dass Artikel 5 im Falle Finnland keine Anwendung fände. Gleichwohl scheint ein russischer Überfall auf Finnland aktuell auch deshalb wenig wahrscheinlich, weil Putin die einsatzfähigen Teile seiner Armee benötigt, um die Ukraine zu unterwerfen.
Moldawien als nächstes Opfer
Wie aber sieht es dort aus, wo die russische Kriegsmaschine ohnehin in Kürze stehen wird und wo Putin schon vor langer Zeit einen Terroristenstützpunkt gegen eine ehemals sowjetische Kolonie eingerichtet hat? Die Rede ist von Moldawien, dieser kleinen Republik Moldau, die überwiegend rumänisch besiedelt ist und durch den Hitler-Stalin-Pakt im Juni 1940 von der Roten Armee annektiert wurde. Nach der Implosion der Sowjetunion übernahm dort die rumänische Mehrheit die Macht, setzte Rumänisch in lateinischer Schrift als Amtssprache durch, wobei die russische als solche abgeschafft wurde. Der zur Grenze zur Ukraine gelegene Landesteil Transnistrien erklärte daraufhin seine „Sezession“ und wurde, immer noch Hammer und Sichel auf rotem Grund in der „Landesflagge“, zum „frozen conflict“, mit dem Putin seinen imperialen Fuß in der Tür der ehemals „Sozialistischen Sowjetrepublik“ hielt.
Beistand der NATO kann auch Moldawien nicht erwarten – mit jener Rücksicht auf russische Befindlichkeiten, die den Untergang der Ukraine ermöglicht haben, ist auch dieser Landstreifen südlich des Dnister offiziell neutral. Doch mit Maia Sandu ist seit November 2020 in der Hauptstadt Chisinau eine pro-westliche Politikerin an der Macht, die Putin ebenso ein Dorn im Auge ist wie der ukrainische Präsident Selenskij, der gegenwärtig auf dem besten Weg ist, sich als tragischer Held in die Geschichte der Ukraine einzuschreiben.
Geostrategische Grenzbereinigung ohne Risiko
Geostrategisch stellt die Republik Moldau aus russischer Sicht einen Fremdkörper in der Russkji Mir dar, der den künftig russisch besetzten Küstenstreifen des ukrainischen Bessarabiens von den westlichen Landesteilen der Ukraine trennt. Militärstrategisch wäre die Einverleibung Moldawiens für den Russischen Imperialismus eine optimale Verkürzung der Grenzlinie zum Feind NATO von gegenwärtig 1.222 auf nur noch 450 Kilometer. Mit den sowjettreuen Sezessioinisten in Transnistrien stünden – ähnlich Donbass – auch jene Moskau-treuen Vasallen zur Verfügung, die von Putin als Marionettenregierung eingesetzt werden könnten.
Angesichts der Tatsache, dass NATO und EU mit ihren Sanktionen ihr Pulver weitgehend verschossen haben, stellt der russische Vormarsch durch die Ex-Sowjetrepublik für Putin kein zusätzliches Risiko dar. Ähnlich scheint das auch das NATO-Hauptquartier zu sehen, wenn es gegenwärtig sein Hauptaugenmerk neben dem Baltikum auf NATO-Mitglied Rumänien lenkt.