Sollte man es nicht besser wissen, so müsste man davon ausgehen, dass der türkische Präsidialdiktator entweder nicht nach westeuropäischen Maßstäben der Ratio zu beurteilen ist – oder aber gezielt auf einen Krieg mit Europa zusteuert. Unvorstellbar? Ja, vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.
Immerhin hat die Bundesregierung nun erste konkrete Maßnahmen beschlossen. So ist eine generelle Reisewarnung zur Türkei ausgegeben worden. Begründung: Jeder Deutsche, auch der harmlose All-inclusive-Urlauber, befindet sich in ständiger Gefahr, willkürlich als angeblicher Gülen-Unterstützer zur türkischen Staatsgeisel genommen zu werden.Und auch vor deutschen Unternehmen macht der neue Sultan nicht mehr Halt.
Die Tatsache, dass Recep Tayyip Erdogan sich wie ein Rumpelstilzchen aufführt, ist bekannt. Erstmals international auffällig wurde es, als der ägyptische Offizier Abd alFatah a’Sisi angesichts einer Parlamentsmehrheit der fundamentalislamischen Kräfte von rund 70 Prozent den gewählten Muslimbruder Muhamad Mursi absetzte.
Erdogan sah eine von Israel gesteuerte Verschwörung gegen seinen islamischen Geistesbruder, brach die Beziehungen zu Ägypten ab und weigert sich bis heute, a’Sisi als Präsidenten Ägyptens zu akzeptierten, geschweige denn, sich mit ihm zu treffen. Regelmäßig zeigt er das Vier-Finger-Symbol der ägyptischen Muslimbrüder – es steht für uneingeschränkte Solidarität mit den Antidemokraten der Scharia-Muslime. Doch auch in Richtung Westen tritt er regelmäßig mehr als ungestüm und mit irren Behauptungen auf – bis dahin, die ehedem osmanisch besetzten griechischen Inseln und bulgarischen Territorien zurückholen zu wollen.
Ob Böhmermann, Besuchsverbot, Inhaftierung deutscher Staatsbürger oder die ständige Nazikeule – der Wilde Mann vom Bosporus lässt keine Gelegenheit aus, insbesondere Deutschland als Punchingball zu nutzen. Ständige Besuchsverbote für deutsche Abgeordnete bei auf türkischem Boden stationierten NATO-Soldaten; auf deutschem Boden groß inszenierte Auftritte zur Aufstachelung in Deutschland lebender Türken gegen ihr Gastland; anti-europäische, anti-christliche und anti-jüdische Propaganda in von der Türkei gelenkten Moscheen; Versuche der Infiltrierung der deutschen Nachrichtendienste durch Mitarbeiter des türkischen Geheimdienstes MIT; willkürliche Inhaftierungen von Medienleuten mit deutschem Pass und nun auch NGO-Referenten mit Gaststatus; nun, als jüngster Höhepunkt, eine Liste mit deutschen Unternehmen, die angeblich gemeinsame Sache mit den vorgeblichen Putschisten der Gülen-Bewegung machen – darunter so wohlklingende Namen wie Daimler-Benz und Chemieriese BASF.
Im 19. Jahrhundert – das nur am Rande – hätte die Politik des türkischen Despoten mehrmals ausgereicht, um mit einigen Kanonenbooten vor Istanbul aufzutauchen und den unvermeidbaren diplomatischen Druck mit handfesten Argumenten zu unterstreichen. Doch diese Zeiten sind vorbei – und Erdogan weiß dieses. Europa führt keine Kriege mehr. Zumindest keinen Angriffskrieg gegen die Türkei.
Dennoch führt bei nüchterner Betrachtung faktisch kaum ein Weg vorbei an der Erkenntnis, dass die AKP-Türkei eigentlich längst einen Krieg gegen Europa führt. Zumindest jedoch gegen Deutschland – die Drohungen, die EU mit Flüchtlingen zu fluten oder alternativ durch vermehrungsfreudige Türkmuslime einfach wegzugebären, sind allein für sich schon als Kriegserklärungen zu begreifen.
Da stellt sich einmal mehr die Frage: Was bezweckt der Muslimbruder aus den Slums Konstantinopels? Folgen seine Ausfälle und Handlungen einer irgendwie immer noch rationalen Logik – oder muss sich Europa einfach damit abfinden, dass sich dort in seinem überdimensionierten Kalifenschloss bei Ankara ein Unzurechnungsfähiger befindet, der wie ein Irrer um sich schlägt, weil er nie etwas anderes gelernt hat, als unberechenbar um sich zu schlagen?
Lassen wir die zweite Variante einmal außer acht – denn dann wäre tatsächlich jede Spekulation über Sinn und Zweck der Erdogan‘schen Rundumschläge müßig – und versuchen wir, einige mögliche Szenarien aufzuzeigen, die zumindest aus Erdogan‘scher Sicht einer Art Ratio folgen könnten.
1. Erdogan will einen national-islamischen Staat.
An dieser Feststellung führt so oder so kein Weg vorbei. Erdogan hat schon zu Zeiten, als er die Politik frisch für sich entdeckte, niemals einen Hehl daraus gemacht, dass Christentum und westeuropäisch geprägte Demokratie aus seiner Sicht unvereinbar sind mit türkischem Selbstverständnis. Für ihn ist die Türkei ein islamisches Land und der einst vom europäisch geprägten Kemal Atatürk zwangsverordnete Laizismus ist aus Erdogan-türknationaler Sicht widernatürlich. Dieses Ziel einer Islamisierung des Landes zwischen Schwarzem und Mittelmeer hat er mittlerweile erreicht. Die Kemalisten – seit eh und je eine Veranstaltung der Stadteliten – stehen auf verlorenem Posten. Die Einführung des Scharia-Gottesrechts scheint so nur noch eine Frage der Zeit, wobei anders als im Iran nicht der Klerus, sondern eine türkislamisch-sunnitische Politelite den Staat organisieren soll.
2. Erdogan will raus aus der NATO
Die ständige Konfrontation mit NATO-Partnern – vorneweg die Bundesrepublik, nun jedoch auch unmittelbar mit dem Hauptquartier in Brüssel – lässt keinen anderen Schluss zu: Erdogan will die Türkei aus der NATO-Bindung lösen und die Schuld daran der NATO zuweisen können. Zu sehr scheint ihm der Druck, der seitens des Bündnisses auch auf die türkische Innenpolitik ausgeübt werden kann, zu missfallen. Zudem hat er gut in Erinnerung, dass die NATO entgegen ihrer Statuten die kemalistischen Militärputsche zumindest tolerierte. Tatsächlich unterstellt er seinem Militär trotz erfolgreicher Enthauptung, gegen die aus seiner Sicht von der türkischen Mehrheit gewollte, islamische Regierung zu opponieren. Getrieben wird er von der tiefsitzenden Furcht, in einem solchen Falle selbst als erster Delinquent vor einem Erschießungskommando zu stehen. Gute Gründe, die Todesstrafe einzuführen, um mit fadenscheinigen Begründungen all jene eliminieren zu können, denen er derartige Ziele unterstellt. Dass er eines Tages selbst auf Grundlage der von ihm eingeforderten Todesstrafe von einem Gericht verurteilt werden könnte, scheint ihn nicht zu schrecken.
Gibt es eine Alternative zur NATO? Erdogan könnte davon träumen, sich mit Russland zusammenzutun. Putin würde das gefallen – und den Muslimbruder dennoch niemals als gleichberechtigten Partner betrachten. Erdogans Ambitionen, mit arabischen und islamischen Staaten eine Art Gegen-NATO zu schmieden, dürften hingegen vorläufig auf Eis liegen. Mit den Saud hat er es sich spätestens mit seinem engen Zusammenschluss mit Qatar verdorben. Syrien liegt in Trümmern, der Irak bräche ohne enge US-Bindung innerhalb kürzester Zeit zusammen.
Und der Iran? Eine gemeinsame Frontstellung gegen die USA, die Erdogan offen der Unterstützung seines Erbfeindes Gülen anklagt, könnte die religiösen Gegensätze zwischen sunnitischem und schiitischem Gottesstaat überwinden helfen. Irak und Syrien als gemeinsame Beute in konfessioneller Aufteilung hätte den Stoff, aus dem im Europa der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts Geheimabkommen geschmiedet wurden.
So oder so würde dem Türken der Wegfall der NATO-Bindung freie Hand gegen die Kurden geben – und damit die Chance, in der zerfallenden Region die frühere, osmanische Größe zu rekreieren.
3. Erdogan hat alle EU-Ambitionen aufgegeben
Der Obertürke weiß schon seit geraumer Zeit, dass die von ihm geprägte Türkei niemals EU-fähig werden wird. Deshalb spielt er mit Brüssel, klagt und jammert darüber, schon seit Jahrzehnten hingehalten zu werden – und versucht auf diesem Wege erfolgreich, Unsummen an Hilfsgeldern aus dem EU-Haushalt zu erpressen. Offiziell, um die türkischen Institutionen auf demokratisch-rechtsstaatlichen Kurs zu bringen. Tatsächlich jedoch unterstützt die EU damit nur Erdogans Überleben – und wenn EU-Kommissionpräsident Jean-Claude Junker beharrlich rügt, Erdogan könne, wenn er nicht Einkehr halte, den türkischen Rechtsstaat beschädigen, dann ist die Frage erlaubt, wohin er eigentlich in den vergangenen Jahren seinen Blick gewendet hat. Die Türkei jedenfalls kann es nicht gewesen sein, denn mit Demokratie und Rechtsstaat hat diese Türkei spätestens seit dem herbeigeputschten Staatsstreich nicht mehr das Geringste zu tun.
4. Erdogan braucht Geld und will Investitionen nationalisieren
Der behutsame Aufschwung, den die türkische Wirtschaft seit der Jahrtausendwende nahm, basiert maßgeblich auf den engen Verflechtungen zur EU. Ausländische Unternehmen investierten Milliarden in das Land – europäische Touristen schaufelten harte Devisen ins Urlaubsbilligparadies. Mit beidem ist es vorbei.
Investoren wie die ETC der Otto-Gruppe versuchen behutsam, ihre Beteiligungen an Einkaufszentren und anderen Investments ohne allzu große Verluste abzubauen. Alles läuft derzeit auf eine Nationalisierung der Auslandsinvestitionen hinaus – und der ungebildete Mann an der Spitze scheint zu glauben, dass diese Investments, sind sie erst einmal in türkischer Hand, weiterhin wie bisher Umsätze generieren – und die Gewinne vollständig in der Türkei verbleiben. Dass jedoch zum Erfolg solcher Investitionen nicht nur die internationalen Netzwerke unverzichtbar sind, sondern auch das Knowhow von Nationaltürken in Jahrzehnten nicht reichen wird, um hier erfolgreich zu sein, blendet er aus.
Die Terrorbeteiligungs-Attacke gegen führende deutsche Wirtschaftsunternehmen könnte darüber hinaus der Einstieg in eine großangelegte Enteignungskampagne sein.
So ist die deutsche BASF derzeit an zwölf türkischen Standorten mit Hauptsitz in Istanbul aktiv. Von dort aus wird das komplette BASF-Geschäft in Nahost, Afrika und Russland gemanagt. Außerdem verfügt der Chemieriese in der Türkei über sechs Produktionsstandorte, die so ziemlich die gesamte Bandbreite von Haushaltschemie über Farbe bis hin zu Crop-Science abdecken. Sollte die BASF von türkischen Gerichten wie nunmehr eingeleitet wegen Terrorunterstützung verurteilt werden, könnte die Enteignung im Handstreich erfolgen. Träumt Erdogan von einem kostenlosen, nationaltürkischen Chemiegiganten, der weltweit Geld generiert? Mercedes-Benz produziert in Werken in der Türkei die breite Palette seiner Nutzfahrzeuge und ist auf dem türkischen Markt uneingeschränkter Marktführer.
Deshalb baut das Stuttgarter Unternehmen seine Produktionsstätte in Aksaray bis 2018 mit einem Investitionskapital in Höhe von 113 Millionen Euro derzeit aus. Im Falle einer entsprechenden Terrorverurteilung gilt selbiges wie bei der BASF – und die Türkei könnte eines der modernsten Werke der LKW-Produktion nationalisieren.
Unvorstellbar, weil kein europäisches Gericht eine solche Enteignung billigen würde? Kaum, denn das nationale türkische Recht ermöglicht es und die gleichgeschalteten Richter ohnehin – und wie sehr europäische Gerichte Erdogan interessieren, sollte mittlerweile offenkundig sein. Die Enteigneten hätten kaum eine Chance, ihr Eigentum zu sichern – und vollständige, nagelneue Produktionsstätten lassen sich ohnehin kaum in einer Nacht- und Nebel-Aktion außer Landes holen.
5. Erdogan will den europäischen Bürgerkrieg
Die ständigen Attacken gegen Deutschland und das permanente Aufstacheln der türkischen Gemeinden in der Bundesrepublik bei gleichzeitiger, radikaler Integrationsverweigerung könnten durchaus als Instrumente betrachtet werden, in Deutschland eine aus Ankara gelenkte Armee gegen die satten Germanen zu schaffen. Die gezielte Unterwanderung staatlicher Institutionen durch DITIB und Co. ebenso wie der Versuch, Erdogan-treue Türkdeutsche in den Geheimdiensten zu platzieren, deuten recht offensichtlich auf Unterwanderung ohne Integration hin.
Ein deutscher Bürgerkrieg zwischen türkisch geprägten Fundamentalmuslimen, flankiert durch Teile jener in die Million gehenden jungen, unbefriedigten „Flüchtlinge“ traditionell-islamischer Prägung sollten reichen, um das Gefüge der Bundesrepublik in seinen Grundfesten zu erschüttern. Gibt es einen solchen Krieg in Deutschland, dann gibt es ihn auch in Frankreich, in dem heute schon die Voraussetzungen dazu deutlich ausgeprägter sind.
Das Ziel der Islamisierung Europas gehört bei Erdogan zum Kernkonzept. Ein konfessionell begründeter Konflikt in den wichtigsten Ländern der EU würde nicht nur die EU selbst zur Implosion bringen – Erdogan hätte freie Hand für seine sonstigen Ambitionen – und im optimalen Falle ein türkislamisch geprägtes Europa unter seiner Führung.
6. Erdogan will den Krieg gegen Griechenland und Bulgarien
Der Cheftürke hat bereits wiederholt öffentlich gesagt, dass er die Ergebnisse des Ersten Weltkrieges nicht anerkennt. Er träumt davon, zumindest die griechischen Ägäisinseln und den bulgarischen Südosten zurückzuholen. Ist die EU im Zerfallsprozess und dadurch die NATO gelähmt, könnte Erdogan darin die Chance sehen, diese Territorialansprüche endlich ohne allzu große Widerstände militärisch durchzusetzen. Griechenland ohne NATO hat ebenso wie Bulgarien ohne NATO kaum eine Chance, gegen eine türkische Angriffsmacht erfolgreich zu widerstehen. Für Erdogan würde die „Heimholung“ der vom Westen „gestohlenen“ osmanischen Gebiete auf dem Balkan einen Lebenstraum erfüllen – gut vorstellbar, dass er dabei auf die Unterstützung durch bosnische Muslime hofft, deren in sich zerstrittener Staat mangels ernsthafter EU-Perspektive zum Armenhaus der ehemaligen Länder Jugoslawiens wird.
Fazit.
Die hier aufgezeigten Möglichkeiten sind – ich wiederhole dieses – nur Spekulationen. Sie gehen davon aus, dass der türkische Präsidialdiktator tatsächlich eine aus seiner Sicht rationale Agenda verfolgt. Sie lassen außer Acht, dass möglicherweise die Staaten Europas doch irgendwann begreifen, womit sie es bei Erdogan zu tun haben – und unverzichtbare Konsequenzen wie die sofortige Abschaffung doppelter Staatsbürgerschaften sowie die Sicherung der EU-Südostgrenze durch entsprechende Maßnahmen zur Stützung Griechenlands unternehmen. Sie lassen außer Acht, dass ein sofortiger Stopp der EU-Finanzierung Erdogans und das spürbare Zurückfahren der Handelsbeziehungen mit der Türkei das ohnehin von der Pleite bedrohte Erdoganistan selbst in das Chaos und damit Erdogan stürzen könnten. Sie gehen statt dessen davon aus, dass die Länder Europas auch weiterhin sich vom Muslimbruder in Ankara am Nasenring durch die Arena führen lassen.
Und – als wichtigste Voraussetzung – die Spekulationen gehen davon aus, dass der Wilde Mann vom Bosporus tatsächlich eine in seinen Vorstellungen rationale Agenda verfolgt, die er beharrlich und konsequent umsetzt. Wer seinen bisherigen Werdegang verfolgt, dem muss diese Voraussetzung als naheliegend erscheinen.
Alle anderen mögen sich weiterhin der Vorstellung hingeben, es mit einem politischen Irrläufer zu tun zu haben, der zu keinerlei politischer Planung und Strategie fähig ist.
So warten wir also gemeinsam ab, ob und welche der hier angerissenen Spekulationen tatsächlich Wirklichkeit werden – oder ob es eben nur Spekulationen unter einer falschen Voraussetzung gewesen sind.