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Hongkong – von der Komplexität des scheinbar Simplen

Hongkong kann vieles sein: Glutofen eines künftigen Konfliktes, der weit über die Region negative Folgen zeitigt; Hefesatz einer gärigen Maische, der China unerwartete Entwicklungsoptionen eröffnet; oder nur ein vorübergehendes Phänomen, das seine Dynamik verliert, wenn Peking die straffen Zügel lockern sollte und sich an seine Autonomiezusagen hält.

© Joseph Chan

Täglich grüßt das Murmeltier. Zumindest, soweit es die Proteste in jener Handelsmetropole betrifft, die 1843 vom imperialen Königreich der Briten als Kronkolonie und Handelsstützpunkt in Fernost gegründet wurde. Der dem Festland vorgelagerte Naturhafen bot sich an, um von dort aus die Interessen britischer Kaufleute und Landnehmer voranzutreiben. Sie trafen dabei auf eine Region, die seit dem dritten nachchristlichen Jahrhundert von den expandierenden Han-Chinesen aus dem Norden als Siedlungsgebiet erobert worden war.

Von der Kronkolonie zum Sonderstatus

Hongkong war in gewisser Weise das Singapore des Industriezeitalters. Es entwickelte sich vom Fischerdorf zu einer der bedeutendsten Handelsmetropolen des Planeten. Diese Entwicklung unter britischer Krone brachte es mit sich, dass ein ständiger Zustrom von Festlandchinesen die Siedlung auf heute fast acht Millionen Einwohner anwachsen ließ – eine der am dichtesten besiedelten Regionen des Planeten.

Mit dem Niedergang des britischen Empires stand die Frage nach der Zukunft der Stadt im Raum – 1997 erfolgte im Zuge des Ablaufs einer auf 99 Jahre vereinbarten Pacht der auf dem Festland liegenden New Territories – Festland-Hongkong – die Übergabe an die Kommfuzionisten in Peking. Die unter kommunistischer Einparteiendiktatur organisierten Nachfolger des Kulturzerstörers Mao sicherten dabei unter dem Schlagwort des „Ein Land – zwei Systeme“ den Bürgern Hongkongs auf 50 Jahre eine weitgehende Autonomie zu innerhalb dessen, was lange Zeit als „Rotchina“ bezeichnet wurde. Als Sonderverwaltungszone verknüpften die Beteiligten daran jedoch überaus unterschiedliche Erwartungen.

Die Briten, die den unter ihrer Verantwortung stehenden Bewohnern Hongkongs damit vor allem das kapitalistische Wirtschaftssystem sichern wollten, hofften unterschwellig, dass der Funke der freien Marktwirtschaft von dort aus auch seinen Weg nach Peking finden würde. Den Pekingern hingegen war neben der territorialen Eingemeindung vor allem daran gelegen, mit Hongkong einen unmittelbaren Zugang in die kapitalistische Weltwirtschaft zu finden, ohne die kommunistische Durchgriffsfähigkeit auf das unter ihrer Herrschaft stehende Festlandchina zu gefährden.

Hongkong wurde Chinas Tor zur Welt. Zahlreiche Bonzen des kommunistischen Systems nutzen auch heute die Stadt, um ihren auf unterschiedlichste Wege erwirtschafteten Reichtum dem unmittelbaren Zugriff des fragwürdigen Rechtssystems der Pekinger zu entziehen. Dieser Zustand ist einer der Gründe, weshalb die Kommfuzionisten mit mehr als Argwohn auf die ständigen Proteste und die Unfähigkeit der von Peking eingesetzten Carry Lam, diese einzufangen, schauen. Dabei schwebt die Frage im Raum: Wird Rotchina sein Vorgehen von 1989 wiederholen, als der Zusammenbruch des Sowjetsystems in Russland auch in China die Forderung nach mehr echter Demokratie aufkommen ließ? Seinerzeit schlugen die Kommfuzionisten die Demokratiebewegung mit brutalem Militäreinsatz nieder: Das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens soll mindestens 2.600 Menschenleben gefordert haben. Die Anzahl der Opfer der anschließenden „Säuberungsmaßnahmen“ geht in die Tausende.

Pekings Zugriff auf Hongkongs Recht

Offizielle Ursache der Hongkonger Aufstände ist ein Gesetz, das Lam im Auftrag Pekings in Hongkong implementieren wollte. Es sollte den Hongkonger Behörden ermöglichen, Personen, die von chinesischen  Stellen wegen krimineller Handlungen gesucht werden, auszuliefern. Nicht ohne Grund sehen die Hongkonger darin einen fundamentalen Angriff auf sich selbst. Denn nicht nur, dass das chinesische Rechtssystem nicht auf den Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaates basiert – wer einmal aus welchen Gründen auch immer in die Fänge der Pekinger Strafverfolgung gerät, darf schlimmstenfalls damit rechnen, auf Nimmerwiedersehen in irgendwelchen Umerziehungslagern oder anderswo zu verschwinden.

Xi und Trump

Doch reicht eine solche Befürchtung aus, die Stadt an der Mündung des Perlflusses in den Ausnahmezustand zu treiben? Chinesische Insider gehen davon aus, dass der eigentliche Hintergrund des Pekinger Ansinnens weniger in Hongkong selbst, sondern vielmehr sowohl in jener Kapitalfluchtoase als auch in den Machtkämpfen innerhalb der chinesischen KP zu suchen ist. Jene KP-Funktionäre, die ihr Vermögen über undurchsichtige Kanäle erworben und in Hongkong ausgelagert haben,  könnten sich künftig nicht mehr dem Zugriff des mächtigen Kommunisten Xi entziehen. Pekings neuer starker Mann schlösse damit nicht nur das Wehr, welches chinesisches Kapital derzeit beständig abfließen lässt. Er stellte auch sicher, dass abtrünnige oder missliebige Genossen sich nicht über Hongkong seinem Zugriff entziehen könnten.

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So gesehen mag durchaus auch US-Präsident Donald Trump seinen – ungewollten – Beitrag zur aktuellen Entwicklung geleistet haben. Denn sein Handelskrieg trifft die chinesische Wirtschaft deutlich heftiger, als es offiziell zugegeben wird. Bereits die zehnprozentige Steuer auf US-Importe soll, so ein Shanghaier Chinese, der seit vielen Jahren gutes Geld im Außenhandel verdient, manche der Unternehmen in die Verlustzone getrieben haben. Chinas Außenhandel lebt, so seine Darstellung, bei niedrigsten Margen von der Masse, die im kapitalistischen Ausland abgesetzt wird. Die nunmehrige Erhöhung der US-Einfuhrzölle auf 25 Prozent soll daher nicht wenige Unternehmen in die Existenzbedrohung treiben.

Peking weiß dieses – kann es jedoch nicht zugeben und weist die Verantwortung den jeweiligen Geschäftsleitungen zu. Subventionen durch die Zentralregierung sind nicht vorgesehen. Wer angesichts der US-Politik sein Geschäft schließen muss, gilt als Versager – und Verräter am System. Gut vorstellbar, dass manch einer deshalb nun noch aktiver den Weg beschritten hat oder zu beschreiten gedenkt, sich und sein Vermögen via Hongkong dem Zugriff Pekings zu entziehen. Das zu einem Zeitpunkt, zu dem sich Rotchina den Kapitalabfluss nicht mehr leisten kann, mag für Xi Grund genug sein, in Hongkong nicht nur mit dort längst aktiven Paramilitärs gegen die Demonstranten vorzugehen, sondern die als Drohkulisse bereits auf dem Festland zusammengezogene Volksarmee als „Ordnungsmacht“ im Sinne der KPChina einzusetzen. Das Massaker vom Tian’anmen ließe grüßen.

Der rote Kaiser in der Zwickmühle

Und doch gibt es für Xi gute Gründe, auf genau diesen Einsatz zu verzichten. Da ist zum einen die unvermeidliche Belastung der bislang weitgehend guten Beziehungen zum kapitalistischen Ausland. Seit Mao in den 50ern angesichts fehlender Devisen erste Schritte unternahm, auch mit dem Klassenfeind Geschäfte einzufädeln, hat sich Rotchina zu einem der bedeutendsten Player auf dem Weltmarkt entwickelt. Zwar mag sich Xi damit trösten, dass auch das Pekinger Massaker nur eine vorübergehende Eintrübung der Geschäfte organsiert hatte – doch Hongkong ist nicht Peking. Und Hongkonger sind keine Pekinger.

Auch steht ein weiteres Argument gegen den Militäreinsatz auf der Insel im Perlfluss. Und dieses heißt Taiwan.

Wie Taiwan im Konflikt wirkt

Die Situation der dem chinesischen Festland vorgelagerten Insel ist nach wie vor ungeklärt. Peking pocht darauf, dass die demokratische Republik Taiwan unveräußerlicher Teil des Reichs ist. Das sehen vor allem die Vertreter der Kuomintang ähnlich – nur mit dem Unterschied, dass für sie die Pekinger Regierung illegal einen Großteil der Republik China besetzt hält. Um das zu verstehen, ist ein kurzer Blick auf die Geschichte der Insel unumgänglich.

Von Holländern, Chinesen und Japanern

Bis ins späte 17. Jahrhundert war das 1517 durch portugiesische Seefahrer für Europa entdeckte Taiwan kein Teil des chinesischen Reichs, sondern weitgehend terra inkognita. 1624 nahm die Niederländische Ostindien-Kompanie den Süden der Insel in Besitz und christianisierte die regionalen Stämme. Die Spanier, die ab 1626 im Norden Fuß zu fassen suchten, wurden bis 1641 durch die Niederländer verdrängt. Der Arbeitskräftebedarf der Holländer erst brachte es mit sich, dass eine erste Siedlungswelle von festlandchinesischen Han auf die Insel kam. Erst damit begann die chinesische Übernahme der ursprünglich von Verwandten der Philippinos besiedelten Insel.

In der Folge des Machtkampfes zwischen mongolischen Mandschu und den Han-Chinesen der Ming-Dynastie setzte 1644 ein der bedrängten Dynastie ergebenes Militärkontingent von rund 35.000 Soldaten auf die Insel über und eroberte bis 1662 die bis dahin niederländische Kolonie. Zwar träumte – Parallelen zur Gegenwart sind offensichtlich – der damalige Heerführer Zheng Chengong davon, das verlorene Festland zurück zu erobern – doch dazu sollte es nicht kommen. Stattdessen eroberten 1682 die Mandschu die Insel – die bereits eingeleitete Hanisierung der indigenen Bevölkerung wurde forciert. Taiwan wurde chinesisch kultiviert, die von Holland betriebene Christianisierung durch die Lehren Buddhas und Kon-Futses ersetzt.

Nach einigen erfolglosen Versuchen europäischer Mächte, die Insel im 19. Jahrhundert in Besitz zu nehmen, gliederte das chinesische Kaiserreich Taiwan 1886 aus der Festlandsprovinz Fuijan aus und machte es zur eigenständigen Provinz mit eigener Verwaltung – um die noch junge Provinz 1894 nach einem verlorenen Krieg an Japan abzutreten. Bis zur Niederlage Nippons im Krieg gegen die Westalliierten 1945 gehörte Taiwan damit offiziell zum Reich der aufgehenden Sonne und wurde – anders als das im 20. Jahrhundert besetzte Festlandchina – ohne Gräueltaten und Gewalt verwaltet.

Die „Rückgabe“ und Besitznahme durch die Republik

Am 25. Oktober 1945 folgte nach der Besetzung durch China die offizielle „Rückgabe“ der nunmehr auch japanisch geprägten Insel an die Republik China. Diese wurde seinerzeit von der bürgerlichen Regierung der Kuomintang unter Chiang Kai-shek geleitet und befand sich bereits im Bürgerkrieg mit den Kommunisten Maos. Die Übernahme erfolgte durchaus nicht auf freundschaftlicher Basis: Taiwanesen hatten im Krieg in der japanischen Armee gedient, tatsächliches oder auch nur behauptetes Eigentum von Japanern und Kollaborateuren wurde beschlagnahmt und enteignet. Nach heutigen Schätzungen sollen die Truppen der Kuomintang rund 30.000 Taiwanesen ermordet haben, als diese sich der Übernahme durch die Festlandchinesen widersetzten.

Als im Oktober 1949 die Rote Armee Maos die Macht in Festlandchina erkämpft und die sozialistische Volksrepublik ausgerufen hatte, flohen rund zwei Millionen Anhänger der Republik nach Taiwan und errichteten eine Diktatur, die erst ab 1975 behutsame Schritte der Liberalisierung einleitete. 1992 kam es zu den ersten freien Wahlen auf der immer noch Republik China benannten Insel. Im Jahr 2000 wurde erstmals ein Mann zum Präsidenten gewählt, der nicht der eingewanderten Kuomintang-Elite angehörte.

Taiwan befindet sich heute in einer letztlich nach wie vor ungeklärten Situation. Die Vertreter der Kuomintang beharren darauf, dass sie die einzig legitime Vertretung Chinas sind und betrachten die Pekinger KP-Führung als Usurpatoren. Die Vertreter jener Taiwanesen, die vor 1945 bereits auf der Insel Wurzeln hatten, verbindet hingegen politisch nichts mit dem Festland. Für sie ist die Phase zwischen 1682 und 1894 eine koloniale Besetzung – und die Kuomintang sind, auch wenn man sich mit ihnen arrangiert hat, letztlich immer noch ungewollte Einwanderer. Statt, wie von der Kuomintang propagiert, sich als Basis einer demokratischen Großrepublik China zu betrachten, streben sie nach der offiziellen Unabhängigkeit von China, wollten insofern einen Status legitimieren, den die Insel in den vergangenen 75 Jahren faktisch längst erreicht hat.

Kein KP-Verzicht auf Territorien

Das jedoch entspricht weder in der einen noch in der anderen Sichtweise den Intentionen der roten Kaiser in Peking. Für die KPChina ist Taiwan unveräußerlicher Teil der Volksrepublik, der gegenwärtig von einer Clique besiegter Bürgerkriegsfeinde besetzt gehalten wird. Dieser Status allerdings ist – da er pro forma die Reichseinheit aufrecht erhält – immer noch angenehmer als die Vorstellung, eine demokratisch gewählte Regierung Taiwans würde sich offiziell zum unabhängigen Staat ausrufen. Für diesen Fall hat die Pekinger Führung wiederholt mit einer Invasion der sogenannten Volksarmee gedroht, der Taiwan militärisch wenig entgegenzusetzen hätte.

China geht seinen Weg
China: Mehr Shenzen als Hongkong
Hier nun kommt die Hongkonger Vereinbarung von 1997 ins Spiel. Das Modell von dem einen Staat mit zwei Systemen sollte aus Pekinger Sicht auch den Weg zur friedlichen Eingliederung Taiwans ebnen. Denn tatsächlich hat Peking kein Interesse daran, Taiwan militärisch zu überrennen. Ähnlich Hongkong ist die Insel längst wirtschaftlich eng mit dem Festland verwoben, agieren taiwanesische Unternehmen in Festlandchina  und umgekehrt – und von dort in alle Welt.

Sollte Pekings starker Mann sich veranlasst sehen, in Hongkong gewaltsam einzugreifen, so wäre dieses ein fatales Signal hinsichtlich der Hoffnung, die Annexion Taiwans auf friedlichem Wege zu erreichen. Es steht die Erwartung im Raum, dass bei einem militärischen Eingreifen Rotchinas am Perlfluss jene Kräfte Taiwans die Oberhand gewönnen, die eine strikte Trennung vom Festland anstreben. Damit stünde Peking vor der Situation, auch in Taiwan militärisch aktiv zu werden, will es seinen Anspruch auf die Insel nicht aufgeben. Ein solcher Militäreinsatz gegen Taiwan wiederum müsste zwangsläufig nicht nur die Amerikaner auf den Plan rufen, die nach der Niederlage Japans als Schutzmacht Taiwans auftraten – es würde auch die Machtarchitektur rund um das Chinesische Meer  in ihren Grundfesten erschüttern.

Hongkong und Taiwan sind zwei Seiten derselben Medaille

Der Konflikt mit den Taiwanesen, der mittelbar auch in Hongkong wirkt, zeigt darüber hinaus etwas anderes. Sowohl die Bewohner Hongkongs wie auch die Taiwans haben sich kulturell längst auf gänzlich anderen Schienen bewegt als Festlandchina. Ist es auf der Insel, die die Portugiesen einst Formosa tauften, nicht zuletzt aufgrund der japanischen Prägung, gepaart mit einem erstaunlichen wirtschaftlichen Erfolg, ein nunmehr 120-jähriger Weg der Trennung vom Festland, so ist es in Hongkong der britische Einfluss, der die Hongkonger in den vergangenen zwei Jahrhunderten geprägt hat. Zwar hatte die Kolonialmacht vom anderen Ende der Welt niemals demokratische Prinzipien zugelassen, dennoch ist der Einfluss westeuropäischer Politikvorstellungen nicht zu übersehen. Bei den anglisierten Chinesen kommt hinzu, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes die Pekinger nicht verstehen: Die südchinesische Region spricht Kantonesisch, während im Rest des Reichs Mandarin als Umgangssprache genutzt wird. Die Forderung nach Demokratie, die sich die Proteste auf die Fahnen geschrieben haben, hat insofern mehr als nur eine Ursache. Das Auslieferungsgesetz war der aktuelle Auslöser – der Widerstand gegen Peking geht jedoch deutlich tiefer, denn neben der mehr als schleichenden Übernahme schwebt vor allem das Jahr 2039 wie ein Damoklesschwert über der Stadt. Jenes Jahr vereinbarten seinerzeit Briten und Chinas Kommfuzionisten als jenen Zeitpunkt, zu dem der Sonderstatus der Stadt fallen wird. Dann, so die Erwartung in Peking und die Befürchtung in Hongkong, ist endgültig Schluss mit Vorrechten und Selbstbestimmung.

Unverständnis zwischen Hongkong und Festlandchinesen

Genau diese Vorrechte allerdings sind es, die der in manchen westlichen Zirkeln diskutierten Hoffnung, die Hongkonger Demokratiebewegung könnte auf Festlandchina übergreifen, als Illusion zerplatzen lassen wird. Sehen die Hongkonger mit größter Skepsis auf Land und Leute auf dem Festland, so neiden die Festlandchinesen den Hongkongern ihre Vorrechte – paaren trotz wirtschaftlichen Aufschwungs den neidischen Blick auf die Metropole mit einem unterschwelligen Minderwertigkeitsgefühl.

Auch dieses gilt es für Xi zu bedenken.  Erweckt er den Eindruck, sich von den Inselchinesen auf der Nase herumtanzen zu lassen, produziert er damit den Unmut seiner unmittelbaren Untertanen mit für ihn unabsehbaren Folgen. Dennoch geht ein intimer Kenner der Situation davon aus, dass ein Militäreinsatz nur die ultima ratio sein wird. Dann, wenn Hongkonger Protestler beispielsweise den Regierungssitz stürmen oder Stadtteile besetzen sollten, in denen sie die Unabhängigkeit von Peking ausrufen. Gänzlich auszuschließen ist auch ein solches Vorgehen nicht. Der Einsatz paramilitärischer Einheiten, die längst die Hongkonger Polizei verstärken und mittlerweile brutal gegen die Demonstranten vorgehen, verschärft den Konflikt täglich. Auf der Seite des Protestes könnten jene radikalen Kräfte die Oberhand gewinnen, für die friedlicher Widerstand keine Option ist.

Hongkong ist nicht Peking

Sollte es so weit kommen und sollte Xi den Einmarsch befehlen, wird dieses zwangsläufig Folgen nicht nur für Hongkong und China haben. Hongkong ist eben nicht Peking. Die Niederschlagung der Proteste von 1989 war bei aller Brutalität immer noch eine innere Angelegenheit Chinas. Die Niederschlagung der Proteste in Hongkong wäre dieses nicht – auch wenn Peking es anders betrachtet. Insofern wäre Xi  – was immer auch seine langfristige Perspektive sein mag – zu raten, mehr Gelassenheit zu zeigen und den Bogen nicht zu überspannen. Denn eines ist sicher und sollte ihn Geduld lehren: Ablegen und über den Pazifik nach Amerika fahren kann Hongkong nicht. Und ab 2039 wird China ohnehin den uneingeschränkten Zugriff auf die Metropole haben.

Ob China dann allerdings noch unter der Alleinherrschaft der Kommunisten steht oder ob die wirtschaftliche Entwicklung ein selbstbewusstes Bürgertum geschaffen hat, das seine Rechte durchsetzt;  oder aber auch, ob der gegenwärtige Konflikt mit den USA nicht noch ganz andere Entwicklungsrichtungen aufzeigt – all das steht gegenwärtig in den Sternen und entzieht sich jeglicher Spekulation.

Hongkong kann insofern vieles sein: Der Glutofen eines künftigen Konfliktes, der weit über die Region negative Folgen zeitigen wird; der Hefesatz einer gärigen Maische, der China unerwartete Entwicklungsoptionen eröffnet; oder einfach nur ein vorübergehendes Phänomen, das seine Dynamik verliert, wenn Peking die straffen Zügel lockern sollte und sich an seine Autonomiezusagen hält. Der weitere Weg ist derzeit nicht gewiesen und es hängt von den Akteuren auf allen Seiten ab, wohin er führen wird.

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