Tichys Einblick
Sackgasse?

Harare in Berlin und München – oder eher Harakiri?

Merkel könnte alternativlos auch die ewig-ungewählte Amtierende geben – darüber können noch Wochen ins Land gehen und auch mehr. Bei den Verfahrensfragen steckt der Teufel im Detail.

© Sean Gallup/Getty Images

Ich kann es noch gar nicht glauben, jammerte am Morgen danach Katharina Fegebank, unbedeutendes Grünanhängsel am Hamburger SPD-Stadtfürsten Olaf Scholz im Range einer Zweiten Bürgermeisterin, auf NDR-Info. Es sei nun schon das dritte Mal, wo sie abends mit einem guten Gefühl ins Bett gegangen sei – und am Morgen war alles ganz anders. Erst Brexit, dann Trump – und nun das Ende von Jamaika! Dabei hätten sich die Grünen so viel Mühe gegeben. Doch wer Politik mit Glaubensauftrag verwechselt und am deutschen Wesen Weltklima und mehr genesen lassen möchte, der hat es eben schwer, wenn er auf die Realitäten trifft.

So ahnte der Zuhörer beim Radio-Interview förmlich das lange Gesicht der Hamburger Wissenschaftssenatorin – denn man brauchte nur in die Gesichter von Dunja Hajali und Co. auf den Sendefrequenzen der  Öffentlichen Rechtlichen Jamaika-Propagandisten zu schauen. Da hatte man nun zwei Monate durchsondiert, Grüne und Schwarze ihre Übereinstimmung in immer mehr Positionen gefunden – und dann lässt diese unsägliche FDP das Ding einfach mal so platzen!

Erklärungen von Katja Suding, bis vor kurzem noch FDP-Fraktionschefin im Hamburgischen Landesparlament, ebenfalls via NDR-Info: „Die FDP hätte all ihre Wahlzusagen brechen müssen.“  Ob Bildungsabschlüsse oder Steuererleichterungen – die Liberalen hätten sich in dieser Koalition nicht mehr wiedergefunden. Womit sie wohl recht hat – denn vorsätzliche Vernichtung der Wirtschaftskraft bei gleichzeitiger Aufblähung der finanziellen Ausgaben, da hätte die FDP tatsächlich wieder einmal dem Ruf der Umfallerpartei alle Ehre gemacht. Insofern: Recht getan, Frau Suding. Es wäre ein unerträgliches Gemisch geworden.

Ursachen statt Schuldzuweisung

Die kommenden Tage werden wir die medialen Schuldzuweisungen über uns ergehen lassen müssen. Mein Tipp: Die Grünen haben sich für Deutschland und die Welt bis zur Schmerzgrenze verbogen, die alternativlose Merkel zu wenig Führung bewiesen, Seehofer zu viel laviert – und der aalglatte Lindner alles kaputt gemacht. Achja: Und die SPD, die hat natürlich alles richtig gemacht, indem sie der Regierung nicht mehr angehört, aber in den Regierungsämtern festgeklebt ist, dieweil Außenamtsdarsteller Sigmar Gabriel mal eben 20 Millionen haushaltsbefreite Steuergelder an bengalische Heimkehrer verschenkt – natürlich nicht für die Wiedereingliederung, sondern dafür, dass diese in Flüchtlingscamps wie dereinst die arabischen Umsiedler aus Israel neue islamische Terrorzellen bilden können. So wird wieder einmal gezielt um den heißen Brei herum geredet werden und alle tun so, als wäre nichts geschehen.

Nun ist das mit Schuld am Scheitern so eine Sache – weshalb wir besser von Ursachen für die Malaise sprechen sollten. Die liegen ziemlich deutlich auf der Hand:

  1. Die schwarz flankierte, rotgrüne Demokratievernichtung der vergangenen Jahrzehnte hat in dieser Republik eine Stimmung des Mehltaus und der Angst, anders als im Mainstream der angeblichen Schwarmintelligenz zu denken, gezüchtet. Deshalb wird die offensichtliche und dem Wählerwillen am nächsten kommende Lösung des aktuellen Dilemmas überhaupt nicht angedacht. Union und FDP hätten mit der AfD zusammen 418 Sitze – bei 709 Sitzen insgesamt satte 64 Sitze mehr als zur Regierungsmehrheit benötigt. Also wäre es naheliegend, dass die CDU als Mehrheitsführer nun den demokratisch gewählten Fraktionen von AfD, FDP und CSU Sondierungsgespräche anbietet. Wer sich diesen dann von vornherein verweigert, dem wäre dann tatsächlich die Schuld dafür zuzuweisen, dass es in der Bundesrepublik nicht zu einer mehrheitsfähigen Regierung reicht.

In jedem anderen Land wäre so etwas als Mitte-Rechts-Regierung unmittelbar nach dem Wahlgang  erwogen worden – nicht so aber in der Anti-Rechts-Republik Germany. Dabei könnte eine solche Koalition endlich mit dem Mehltau aufräumen, den die linke Minderheit seit Jahrzehnten trickreich über die Republik gelegt hat. Vielleicht wäre eine solche Politik des bürgerlichen Neuanfangs dann tatsächlich eine Alternative für das nach links verschobene Deutschland geworden. Und wenn nicht, dann hätte der bürgerliche Wähler zumindest gewusst, was tatsächlich von den jeweiligen Parteiangeboten zu halten ist dann, wenn es um die Zukunft der bundesdeutschen Republik geht.

  1. Das schöne Bayernland leidet unter Morbus Seehofer. Irgendwie erinnert die Situation an jene Vorgänge im fernen Simbabwe: Dort wollen die Bürger einen in sich selbst erstarrten Despoten loswerden – und der will und will nicht weichen. In der CSU sind es breite Teile der Parteibasis, die nach frischer Luft rufen. Doch der Horst hat sein Nest noch nicht bestellt. Dobrindt ein Leichtgewicht, der vuz Guttenberg eine gelegentlich am Firmament geisterhaft aufflackernde Erscheinung – und die Stabübergabe an Vertreter aus Franken oder der Oberpfalz ist den Oberbayern ein Sakrileg, das die Dimension des Beitritts der Wittelsbacher Monarchie zum preußisch dominierten Reich des Jahres 1871 noch überstiege. Also klammert sich „der Alte“ an die schwindende Macht – und offenbarte gleich einmal sein mangelndes taktisches Geschick, als er in der Nacht der platzenden Sondierungen Merkel innigst dankte und von lauter fast-Einigungen mit den Grünen sprach.

Das ist nur so zu verstehen, dass aus der ohnehin schon ausgeleierten Obergrenze nun ein undefinierbarer Puddingschleim geworden war. Denn bayerische Obergrenze und grüne Einwandererflut – das geht nicht zusammen, wenn nicht einer seinen Prinzipien untreu wird. Und dieser eine scheint nun einmal mehr der kläglich jammernde, bayerische Bettvorleger aus Löwenfell zu sein.

  1. Regieren tut sie schon lange nicht mehr – und so ist die eigentliche Ursache des Desasters tatsächlich an dem Namen Merkel festzumachen. Nur moderieren und sich jedem medial gespürten Windhauch beugen – das hat mit verantwortungsvoller Politik nicht mehr das Geringste zu tun. Ob überhasteter Atomausstieg, Beschneidungsgesetz, unkontrollierte Grenzöffnung, Zustimmung zum verfassungswidrigen Impulspapier zur Integration, fragwürdige „Ehe“ für Alle, das schnell durchgewinkte Netzwerkdurchsetzungsgesetz des kleinen Despoten im Justizministerium – die Reihe des gerauteten Totalversagens wider die Grundsätze deutscher Nachkriegspolitik ließe sich unbegrenzt fortsetzen.

Deswegen kam bei den Bundestagswahlen die Klatsche. Deswegen fielen die CDU um 21, 6 Prozent von 34,2 auf 26,8 und die CSU um 24,3 Prozent  von 7,4 auf 6,2.

Merkel alternativlos hat ihre Partei gezielt ins grüne Fahrwasser geschoben – und damit nicht nur für die AfD den Geburtshelfer gespielt, sondern auch Deutschlands Zukunft verspielt. Noch mehr real existierenden Merkelismus sollte die Union dem Volk ersparen. Doch wo ist die Alternative? Wer schon einen Jens Spahn als Hoffnungsträger andenken muss, der belegt: Personell ist die CDU so leergefegt wie die Gasse eines Tornados.

Merkel unlimited

Wie also geht es jetzt weiter? Der schwarzgrüne Traum ist dank gelber Mitwirkung geplatzt.  Verhandlungen zu einer Mitte-Rechts-Koalition wird es unter Merkel nicht geben. Eine Fortsetzung des schwarzroten Trauerspiels unter Merkel allem Anschein nach auch nicht. Also wäre es das Sinnvollste, die evangelische Pastorentochter mit SED-Sozialisierung machte jetzt einfach den Platz frei. Mit einer neuen, halbwegs unverbrauchten Spitze könnte die CDU vielleicht noch die Reißleine ziehen und die Selbstvernichtung aufhalten.

Nicht anders in Bayern: Seehofer hat wie Merkel versäumt, sein Haus zu bestellen – also wird er es unbestellt abgeben müssen, um der CSU noch eine Chance zu geben, aus dem vernichtenden Merkelsog zu entrinnen.

Und was, wenn die Parteien zur Selbstheilung nicht mehr fähig sind? Wenn der Bundestag sich selbst blockiert? Dann läuft im Berliner Harare Merkel unlimited. Denn so ohne weiteres ist die amtierende schwarzrote Katastrophe nicht aus dem Amt zu jagen.

Artikel 63 des Grundgesetzes beschreibt das Procedere: Der Bundespräsident kann dem Bundestag einen Kandidaten als Kanzler vorschlagen. Das wird er nach klassischem Muster nur tun, wenn der Kandidat damit einverstanden ist.

Berlin ohne Merkel-Mehrheit
Ohne Jamaika kann sich das Land endlich von Lebenslügen befreien
Unterstellen wir einmal, Merkel spielt dieses Spiel. Dann wird sie im ersten Wahlgang kaum mit einer Mehrheit rechnen können. Nun wäre der Bundestag dran und könnte innerhalb der nächsten 14 Tage einen eigenen Kandidaten ins Rennen schicken. Angenommen, hier träten nun Merkel und Schulz an. Voraussichtlich bekäme keiner von beiden im ersten Wahlgang die notwendige, absolute Mehrheit von 355 Stimmen. Daraufhin wäre der Bundestag erneut gefordert. Hier nun reicht die einfache Mehrheit – schwarzgrün könnte also Merkel wählen. Oder vielleicht auch rot-rot-grün einen Martin Schulz, falls die anderen Fraktionen nicht geschlossen gegenhalten.

Nun läge der Ball erneut beim Präsidenten. Der könnte den Minderheitenkandidaten ernennen – oder den Bundestag auf- und Neuwahlen auslösen.

Ernennt Steinmeier einen mit relativer Mehrheit ausgestatteten Überraschungskandidaten Schulz, dann könnte der ein paar Wochen den Kanzler geben. Denn eine Mehrheit hätte dieser Kanzler selbst mit der Duldung durch Grüne und PdL nicht – und er wäre über die üblichen Wege der Vertrauensfrage abzulösen.

Ernennt Steinmeier eine ewige Merkel ohne Mehrheit, wäre das die klassische Minderheitenregierung, die sich bei entscheidenden Abstimmungen jeweils Mehrheiten organisieren müsste. Lässt sie die SPD-Minister im Amt, könnte sie ohne offizielle schwarzrote Koalition die sogenannte GroKo einfach fortsetzen. Oder sie stellt ein neues Kabinett auf, in dem Grüne und Liberale auftauchen. Das wäre dann Jamaika ohne Koalitionsvertrag. Wie realistisch diese Szenarien sind, sei dahingestellt – aber wir hätten es mit einem überaus spannenden Experiment zu tun, welches zu testen sich durchaus lohnen würde. Vermutlich allerdings verlöre Merkel unlimited dabei irgendwann die Lust am Durchregieren. Dann könnte sie nun wie beim Modell Schulz als regulär amtierender Bundeskanzler die Vertrauensfrage stellen, keine Mehrheit bekommen und den Bundespräsidenten bitten, nunmehr das Parlament aufzulösen.

Und wenn Merkel nicht erneut zur Wahl antritt? Dann bleibt sie nach Art 69.3 GG so lange geschäftsführend im Amt, bis die Abgeordneten sie über die verfassungsmäßige Kanzler-Neuwahl durch jemand anderen ersetzen. Denn ersatzlos herausschmeißen kann sie niemand. Weder Bundespräsident per Dekret noch Abgeordnetenmehrheit über klassisches Misstrauensvotum ohne Neukanzlerwahl. Und insofern sind die Forderungen nach Neuwahlen nicht nur deshalb unsinnig, weil es nach wie vor diverse Optionen gäbe, ohne diese entweder eine Mehrheits- oder eine Minderheitsregierung zu bilden, sondern auch deshalb, weil nach Stand der Dinge niemand diese Wahlen ohne weiteres veranlassen kann.

Keine Neuwahlen ohne komplizierte Wege

Ein simpler Mehrheitsbeschluss des gewählten Parlaments, sich aufzulösen, ist im Grundgesetz aus guten Gründen nicht vorgesehen.

Bei einem kaum zu erwartenden Merkel-Rücktritt müsste der Vizekanzler die Geschäfte übernehmen, bis das Parlament einen neuen Kanzler gewählt hat. Schafft es das nicht – dann hätten wir statt Merkel nun Gabriel unlimited.

Merkels Bonapartismus am Ende
Demokratie-Frühling im November
Will man angesichts dieser Sachlage zu Neuwahlen kommen, dann wird sich jemand opfern und der Bundestag die gezielte Niederlage eines Kanzlerkandidaten durchexerzieren müssen: Vorschlag durch den Bundespräsidenten – Nichtwahl des vorgeschlagenen Kandidaten – Vorschlag aus dem Parlament – keine absolute Mehrheit für den Kandidaten – nächster Wahlgang nun mit relativer Mehrheit für einen Kandidaten – Bundespräsident ernennt den Gewählten nicht und löst den zur Neuwahl eines Bundeskanzlers unfähigen Bundestag auf – Neuwahlen.

Doch um diesen Weg zu gehen, müsste Steinmeier erst einmal jemanden haben, der sich vorschlagen lässt. Kann er Merkel gegen deren Willen vorschlagen? Theoretisch möglich. Kann sie sich der Wahl verweigern, indem sie erklärt, ohne Mehrheit nicht anzutreten? Es findet sich keine rechtliche Verpflichtung, dass ein Präsidentenvorschlag wider den eigenen Willen antreten muss. Es findet sich aber auch keine Regelung, dass ein solcher Kandidat überhaupt gefragt werden muss. Zu dieser Thematik könnten sich folglich Verfassungsrechtler einige nette Nächte um die Ohren schlagen.

Selbst wenn nun dieser Weg gegangen werden sollte – denn Merkel könnte alternativlos auch die ewig-ungewählte Amtierende geben – werden darüber noch ein paar Wochen ins Land gehen. Bis dahin geben Merkel in Berlin und Seehofer in München den Mugabe – Festklammern an Ämtern, die schon längst verloren sind. Dabei den Karren mit dem Vertrauen in die Politik immer weiter in den Mist fahren. Und das alles nur, weil der unerschütterliche Glaube an die eigene Unentbehrlichkeit eine rechtzeitige, sinnvolle Machtübergabe verhindert hat, fähige Ersatzleute regelmäßig weg gemobbt wurden und die Harare-Parteien nun vor dem Harakiri stehen.

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(1) Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestag ohne Aussprache gewählt.

(2) Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereinigt. Der Gewählte ist vom Bundespräsidenten zu ernennen.

(3) Wird der Vorgeschlagene nicht gewählt, so kann der Bundestag binnen vierzehn Tagen nach dem Wahlgange mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder einen Bundeskanzler wählen.

(4) Kommt eine Wahl innerhalb dieser Frist nicht zustande, so findet unverzüglich ein neuer Wahlgang statt, in dem gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält. Vereinigt der Gewählte die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich, so muss der Bundespräsident ihn binnen sieben Tagen nach der Wahl ernennen. Erreicht der Gewählte diese Mehrheit nicht, so hat der Bundespräsident binnen sieben Tagen entweder ihn zu ernennen oder den Bundestag aufzulösen.

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