Der Umgang mit der Volksrepublik China ist nicht einfach. Und er wird es immer weniger. Gegenwärtig erhitzen sich die Gemüter an einer geplanten Beteiligung des chinesischen Logistikunternehmens COSCO am Containerterminal „Tollerort“ im Hamburger Hafen. Eigentlich, so müsste man meinen, sei das ein gänzlich normaler und unbedeutender Vorgang zwischen zwei Wirtschaftsunternehmen. Eigentlich. Denn COSCO ist ein chinesisches Staatsunternehmen. Und damit wird der Deal zum Politikum. Deshalb befürchten – auch nach den Erfahrungen mit Putins Russland – manche einen zu starken Einfluss der Kommunistischen Partei Chinas auf Europas Logistikbranche. Nicht unbegründet, so will es scheinen angesichts der Tatsache, dass die VRC sich bereits rund um Europa in ähnliche Projekte eingekauft und den griechischen Hafen Piräus fast komplett übernommen hat.
Der Deal erhält so eine Bedeutung, der weit über die engen Grenzen der Hansestadt hinausreicht. Dort jedenfalls sieht man keine Gründe, davon abzulassen. Die Hansestadt befürchtet, aufgrund ihrer unglücklichen Lage rund 100 Kilometer von der Nordsee an der Elbe gelegen, den mittelfristigen Zusammenbruch ihrer Hafenwirtschaft, sollten die Chinesen Hamburg abhängen und ihre Containergeschäfte künftig beispielsweise ausschließlich über Rotterdam oder Antwerpen abwickeln. Geschähe solches, müsste sich Hamburg grundsätzlich neu erfinden – und die milliardenschweren Terminalausgaben als Verluste abschreiben. Unzählige Mitarbeiter des Hafengewerbes könnten vor dem Aus stehen – und selbst für Deutschlands größten Güterbahnhof Maschen, unmittelbar im Süden vor den Toren der Metropole gelegen, könnten sich erhebliche Nachteile ergeben, gehen doch von dort die im Hafen angelandeten Waren auf dem Schienenweg quer durch Europa. Verständlich daher, wenn Hafenwirtschaft, Gewerkschaften und Politik in der Hansestadt vehement für den Teilverkauf plädieren.
Berechtigte Bedenken gegen ein übermächtiges China
Auf der anderen Seite stehen global- und sicherheitspolitische Bedenken. Der Deal fällt – so kann man es sagen – in eine unglückliche Zeit. Ohne den russischen Überfall auf die Ukraine und ohne den Parteitag der KPCh, auf dem sich Diktator Xi Jinping gerade eine dritte Amtszeit gesichert hat, wäre die Angelegenheit vermutlich unbemerkt im Sinne der 35-Prozent-Übernahme abgewickelt worden. Nun aber kommen die Bedenken. Und auch diese sind ernst zu nehmen.
So gibt es gute Gründe für beide Seiten – und vielleicht einige mehr für jene, die Chinas Expansion mittlerweile als grundsätzliche Gefahr begreifen. Denn eines haben sie alle mittlerweile verstanden: Egal, ob auf rotchinesischen Unternehmen Staat oder privat steht – die KPCh hat grundsätzlich immer den absoluten und ungehinderten Zugriff auf alles, was in deren Geschäftstätigkeiten vor sich geht. Weshalb es dann auch völlig egal ist, ob beispielsweise auf einem Mobilphone Huawei oder Xiaomi steht.
Wonach entscheiden?
Nach welchen Kriterien also sollte die Entscheidung fallen? Geht es tatsächlich nur um eine quasi privatwirtschaftliche, unbedeutende Beteiligung – oder haben jene Recht, die hier einen weiteren Versuch wittern, Europas Wirtschaft zu unterwandern?
Eine Antwort kann das Interesse der rotchinesischen Regierung an dem Deal geben. Ginge es tatsächlich nur um eine weitgehend unbedeutende Beteiligung, so könnte es Peking egal sein, ob der Deal zustande kommt. Oder geht es doch um einen staatspolitisch bedeutsamen Akt, der für Xis Herrschaft in Peking von großer Relevanz ist? Um das zu erkunden, hilft ein Blick in das staatlich-chinesische Propagandaorgan „Global Times“ (GT). Und die schäumt.
Das 50-jährige Jubiläum
Unter dem bereits eindeutigen Titel „Ideologische Scharfschützen zielen auf Scholz, noch bevor er nach China geht: Leitartikel der Global Times“ positioniert sich das offizielle China in aggressiver Weise gegen die deutschen Kritiker – und gibt ihnen damit, gewollt oder ungewollt, recht.
Allerdings könnte diese Reise mehr noch als Scholzens zeitweiliger Auftritt als Hamburgs Erster Bürgermeister erklären, warum das Kanzleramt den HHLA-Deal am liebsten unbemerkt durchgewinkt hätte. Chinesen mögen es nicht, wenn überraschend ihre Vorstellungen ausgehebelt werden.
Um Scholz den Rücken zu stärken, lobt die GT nun dessen „pragmatische Haltung“ in den Beziehungen zwischen EU und VRC, erinnert daran, dass der VW „Santana“ (der in der Bundesrepublik wie Blei in den Verkaufsräumen lag) als „ikonisches Projekt“ die guten und erfolgreichen Handelsbeziehzungen eingeleitet hatte. Bis 2021 sei Peking sechsmal der wichtigste Handelspartner der BRD gewesen – und so sei es „normal“, dass der Bundeskanzler für seinen Besuch, der die freundschaftlichen Beziehungen „aufrechterhalten“ soll, einen „monumentalen Tag“ gewählt habe. Gemeint ist der 50. Jahrestag der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der damaligen Bundesrepublik und der VRC im Jahr 1972.
Von Radikalen und Scharfschützen
Dann allerdings kommt es faustdick. Obgleich Scholz und die deutschen Unternehmen immer wieder ihr Interesse an guten Beziehungen zu China betonten, hätten „radikale Kräfte“ die Reisepläne von vornherein bemängelt. Die hätten Scholz gedroht, sich nicht zu beugen und zudem deutsche Unternehmen eingeschüchtert. Der geplante Besuch sei zur Zielscheibe „ideologischer Heckenschützen“ geworden.
China weiß, wer hinter den Kritikern steckt
In dieser Situation sei es egal, welche „Vorurteile und Bosheiten“ die Akteure gegen China hegten – sie grüben derzeit ein Loch, in dem Deutschland und Europa versinken können. Weshalb die GT nunmehr auf die eigentlichen Hintergründe zu sprechen kommt.
Zuerst wird festgestellt, dass „der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine die missliche Lage Europas verschärft“ habe. Das habe „externen Kräften“ die Gelegenheit gegeben, das „Narrativ zu verzerren und Verbindungen zu China als gefährlich oder sogar Bedrohung zu stigmatisieren“.Darauf nun müssten Deutschland und Europa ihr eigentliches Augenmerk legen und die Frage stellen, ob die Schwächung oder gar der Abbruch der Beziehungen zu China tatsächlich mehr Sicherheit und Unabhängigkeit schaffe: „Und wer ist der Ungeduldigste, der darauf wartet, den Kuchen zu essen, den die „Entkopplung“ zwischen China und Europa hinterlassen hat?“, fragt GT und liefert die Antwort gleich mit. „Für US-amerikanische und westliche Politiker ist es einfach, einseitig eine Show der ‚Härte gegenüber China‘ zu inszenieren. Sie müssen nur ins Mikrofon schreien“, klärt GT auf.
Diesen sei die kooperative Zusammenarbeit zwischen Deutschland und China ein Dorn im Auge, weil diese die wirtschaftliche Globalisierung und den Multilateralismus fördere und deshalb eine stabile, konstruktive und führende Rolle spiele, von der nicht nur beide Völker profitierten, sondern die auch einen wichtigen Beitrag zu Frieden und Ruhe in der Welt leiste.
Ein Kompromiss, der keine Lösung ist
Lassen wir den bildreichen Boulevardstil und die in keinem Artikel der GT fehlende Spitze gegen den großen Konkurrenten USA außen vor, so bleibt dennoch die Erkenntnis, dass das Hamburger Hafengeschäft für Peking von maßgeblicher politischer Bedeutung ist. Und genau das muss misstrauisch machen:
Weshalb echauffiert sich die VRC derart öffentlich, wenn ein paar wenige „radikale Kräfte und Heckenschützen“ einen angeblich unbedeutenden Deal unterlaufen wollen? Ist es lediglich die Kränkung, die hier einem „Weißen Ritter“, der selbstlos den Hamburger Hafen retten wollte, zuteil wird?
Die Schärfe der Attacke spricht ein andere Sprache – und so wird der mühsam eingeleitete Kompromiss, der der Volksrepublik China über das Staatsunternehmen COSCO nun statt 35 Prozent Beteiligung mit Geschäftsführer und Einspruchsrecht nur eine Minderbeteiligung von 24,9 Prozent zubilligen will, sich in jeder Hinsicht sein Attribut „faul“ verdienen. Faul deshalb, weil er den Chinesen, für die es offensichtlich um weit mehr geht als nur um eine unbedeutende Geldanlage an einem Hafenterminal, dennoch den Zugang zu Hamburg Hafenlogistik ermöglicht. Faul aber auch, weil andererseits Chinas Ansprüche mit diesem knappen und einflussarmen Viertel kaum befriedigt sein werden.
Olaf Scholz wird den Unmut der kommunistischen Geschäftspartner zu spüren bekommen, wenn er im November nach Peking reist. Er hat nicht das durchsetzen können, was den Chinesen zugesagt gewesen war. Und er hat nicht verhindern können, dass Chinas Ambitionen weit über die regionale Dimension hinaus öffentlich diskutiert und letztlich auch beschädigt wurden. Xi wird darüber nicht begeistert sein.