Tichys Einblick
Wer keine Feinde hat, der schafft sich welche

Der Phänomenbereich verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates

Die neue Rubrik, deren inhaltliche Ausgestaltung die verfassungsmäßige Ordnung massiv bedroht, wird „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ genannt. Wer keine Feinde hat, der schafft sich welche: Die Erscheinungen des Thomas Haldenwang. Teil 1.

imago/Future Image

Wer sich ein wenig in öffentlicher Verwaltung auskennt, der weiß: Bürokraten neigen dazu, sich unentbehrlich zu machen. Am besten funktioniert das, indem ständig irgendwelche neuen Regeln und Verordnungen aufgestellt werden, welche wiederum durch die Aufstellenden selbst zu kontrollieren sind. Ein solches Vorgehen schafft dauerhafte Arbeitsplatzsicherheit und, wenn es in irgendeinem mehr oder weniger relevanten Bereich geschieht, zudem öffentliche Bedeutung. Die ist nicht unwichtig, wenn es um die langfristige Legitimation des eigenen Tuns geht. Vor allem dann, wenn die Bürokraten sonst wenig vorzuweisen haben, was nach Qualifikation und Autorität aussieht.

Haldenwangs Klassiker

Ein klassischer Fall solchen Handelns findet sich nun beim obersten Schützer der Republik, Thomas Haldenwang. Da die Suche nach rechts-, links- und islam-extremen Bestrebungen seine Mitarbeiter offenbar nicht mehr ausgelastet hat, erfand er für den Verfassungsschutzbericht 2021 eine neue Rubrik, mit deren Beobachtung und Ausforschung sich die Herrschaften in dem imposanten Zickzackbau in Köln die Zeit vertreiben können.

Die neue Rubrik, deren inhaltliche Ausgestaltung die verfassungsmäßige Ordnung massiv bedroht, wird „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ genannt. Das klingt zumindest schon einmal recht bedeutungsschwanger. Und es lohnt, sich diese Bezeichnung etwas genauer anzuschauen – bevor wir dann einen kurzen Blick auf das werfen, was Haldenwang tatsächlich darunter zu verstehen scheint.

Staatsschutz statt Verfassungsschutz

Wo fangen wir an? Mit „verfassungsschutzrelevant“ oder mit „Staat“? Oder doch besser mit „Delegitimierung“? Was ist das eigentlich Entscheidende bei diesem neuen Wortmonster? Machen wir es klassisch: „verfassungsschutzrelevant“ beschreibt, was die Sache ist, um die es geht. „Delegitimierung“ ist das, was das zu Beschreibende tut. Und „Staat“ ist das, um was es geht, was gleichsam das Ziel der beiden zuerst Genannten ist. Daraus folgt: Es geht um den Staat.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Das ist verwunderlich. Gänzlich unabhängig davon, als was oder wie man „Staat“ definiert, fällt der zumindest dann nicht in Haldenwangs Aufgabengebiet, wenn man seine offizielle Bezeichnung betrachtet. Denn der Verwaltungsjurist mit Innendienstkarriere in den Personalabteilungen erfüllt offiziell die Funktion des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Notabene: für „Verfassungsschutz“! – Nicht für „Staatsschutz“.

Es wäre demnach nicht Aufgabe des Thomas Haldenwang, sich um den Schutz des „Staates“ Gedanken zu machen, sondern um den Schutz der Verfassung. In jener – in der BRD immer noch „Grundgesetz“ geheißen und als dort so definierter Verfassungsersatz noch nicht vom Souverän abgesegnet – wird zwar der Aufbau der staatlichen Organe sowie deren Aufgaben und Interaktionen beschrieben, doch was konkret unter „Staat“ zu verstehen ist, kann bestenfalls im Rahmen einer komplexen Betrachtung vollumfänglich definiert werden.

Andererseits: Wenn ein Verwaltungsjurist wie Haldenwang in der Lage ist, den „Staat“ zum relevanten Gegenstand seines Aufgabengebiets zu machen, dann sollte er wissen, was er tut. Schauen wir dazu also in den Verfassungsschutzbericht. Wenn die Leitung des Amtes ein neues Aufgabenfeld einführt, sollte dort eine nachvollziehbare und zutreffende Definition zu finden sein.

Von Recht und Nicht-Recht

Zuvor allerdings und um im schlüssigen Aufbau des Textes zu bleiben, schauen wir noch auf die „Delegitimation“ und die „Verfassungsschutzrelevanz“. Legitimation bedeutet nichts anderes, als das einem etwas – im hier vorliegenden Falle dem „Staat“ – ein Gesetzeswerk als Rechtsgrundlage seiner Begründung und seines Tuns vorliegt. Wenn besagter Staat nun, wie in der BRD zu unterstellen, auf einer solchen Rechtsgrundlage basierend besteht und handelt, dann kann das zuständige Gesetzeswerk eben maßgeblich das Grundgesetz selbst sein. Wer nun den Staat „delegitimiert“, ihm also abspricht, auf eben solcher Grundlage zu existieren und zu agieren, kann das auf unterschiedliche Weise tun.

Er kann hingehen und sagen: „Hey, Staat! Das Gesetzeswerk, auf dem Du agierst, gibt es in Wirklichkeit überhaupt nicht!“ Solche Personen lassen sich finden und sie werden vom Verfassungsschutz als Rechtsextremisten unter der Rubrik „Reichsbürger“ geführt. Dafür also wäre eine Neurubrizierung nicht nötig.

Ein neues Karlsbad?
Verfassungsschutzbericht: Der Bürger unter Generalverdacht
Er kann auch hingehen und sagen: „Hey, Staat! Das Gesetzeswerk, auf dem Du agierst, hat für mich keine Bedeutung, weil es meiner Weltanschauung widerspricht!“ Das anerkennt zwar immerhin noch, dass es ein solches Gesetzeswerk gibt, lässt aber wissen, dass es dem Ablehner gänzlich egal ist und für ihn keine Bedeutung hat. Auch solche Personen gibt es auf dem Boden der Bundesrepublik. Es können radikale Muslime sein, die grundsätzlich kein Gesetz anerkennen, welches nicht von ihrem Allah diktiert wurde. Es können irgendwelche Internationalisten sein, die grundsätzlich jeden Nationalstaat abschaffen und durch irgendwelche Globalphantasien ersetzen wollen. Oder es können Personen sein, die das Parlamentarische System grundsätzlich ablehnen, die sich gegen Bürgerbeteiligung aussprechen und stattdessen Elitendiktaturen bevorzugen, die gegen jede internationale Kooperation sind und so weiter und so fort.

Kurz: Die Palette jener, die das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) beschäftigen können, weil sie die Rechtsgrundlage des Gemeinwesens, formuliert im Grundgesetz, aus den unterschiedlichsten Motivationen nicht akzeptieren, ist breit gefächert und seit Jahrzehnten in jedem Verfassungsschutzbericht gelistet. Da all jene, die das Grundgesetz für sich nicht akzeptieren und es abschaffen wollen, damit die Legitimation des Aufbaus des Gemeinwesens, mithin des Staates, nicht anerkennen und insofern zum Mittel der Delegitimation greifen, bedarf es hierfür auch keiner neuen Rubrik für die Beschäftigung der Verfassungsschützer.

Verfassungsschutz bedeutet in erster Linie Bürgerschutz

Allerdings soll an dieser Stelle ein nicht unwichtiger Hinweis nicht unterschlagen werden. Da das Grundgesetz in seiner ursprünglichen Intention den Bürger vor Übergriffen durch staatliche Organe schützen sollte, hat es einen liberalen Meinungsfreiheitsbegriff formuliert, der ausdrücklich Religionen und anderen, auch politischen Weltanschauungen seinen Schutz zuspricht, solange deren Vertreter nicht aktiv auf die Überwindung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) hinarbeiten.

Die oben zitierten „Hey“-Sager haben daher auf der Grundlage des Grundgesetzes durchaus das Recht, ihre „Hey“-Sätze laut in die Öffentlichkeit zu rufen. Relevanz entwickelt das erst dann, wenn den Rufen konkrete Taten gesetzesrelevanter Natur folgen, die auf die Abschaffung oder Überwindung der aus dem Grundgesetz abzuleitenden FDGO zielen.

Was ist „verfassungsschutzrelevant“?

Doch zurück zur neuen Rubrik und dem handlungsbestimmenden Adjektiv „verfassungsschutzrelevant“. Muss man tatsächlich genau hinschauen, um zu verstehen, was mit der Verwendung dieses Wortes geschehen ist? Im Rahmen der Aufgabengebiete des BfV hätte es völlig ausgereicht, von „verfassungsrelevanten“ Dingen zu sprechen. Wobei das eigentlich auch nicht nötig wäre, denn es ergibt sich aus der Aufgabenstellung des BfV automatisch, dass Dinge und Vorgänge, mit denen es befasst ist, verfassungsrelevant sind. Andernfalls hieße es ja nicht „Bundesamt für Verfassungsschutz“.

Damit ist klar zum Ausdruck gebracht: Alles, mit dem die Behörde zu befassen ist, muss in Zusammenhang damit stehen, die Verfassung zu schützen. So stellt sich zwangsläufig die Frage: Warum reicht nicht, wenn man schon als Thomas Haldenwang gleich dem Loriotschen Jodeldiplom etwas eigenes, neues haben möchte, die Rubrik „Delegitimation des Staates“? Warum muss es „verfassungsschutzrelevante Delegitimation des Staates“ sein. Gibt es denn auch eine „Delegitimation des Staates“, die nicht in irgendeiner Weise relevant für die Verfassung wäre?

Erst einmal geht es um mehr Personal

Sagen wir es so, wie es ist. Hier nun hat Haldenwang bereits die Hosen heruntergelassen. Stellte sich noch bei der Delegitimation des Staates die Frage, wozu die explizite Feststellung einer solchen angesichts des klassischen Aufgabenfeldes überhaupt nötig sei, finden wir nun die Antwort. Es geht tatsächlich ausschließlich darum, den Mitarbeitern des Bundesamtes ein neues Arbeitsfeld zu geben, welches längst durch die Bestehenden abgedeckt ist. Deshalb zusätzlich das „verfassungsschutzrelevant“ – es geht um etwas, für das nun ausdrücklich und ausschließlich das BfV zuständig ist und womit sich bloß keine andere Dienststelle beschäftigen soll. Klassisch nennt man so etwas Arbeitsbeschaffungmaßnahme, was es allerdings auch nur begrenzt trifft. Tatsächlich geht es um eine Personalaufstockungsmaßnahme und damit auch um die Bedeutung des Aufstockers in Person des Thomas Haldenwang.

Nun wird vor allem ein klassischer Verwaltungsjurist, der aus der Personalabteilung kommt, eine solche Personalaufstockungsmaßnahme nicht gänzlich ohne verwaltungsrelevante Begründung erfinden. Bevor wir allerdings nach dieser suchen, verharren wir noch einen kurzen Moment bei den durch Haldenwang verwendeten Begriffen.

Der Staat als Selbstzweck
Der delegitimierte Staat und Haldenwangs Verfassung
Da nun ist es von hoher Relevanz, dass Haldenwang als Objekt der durch das BfV abzuwehrenden Delegitimation nicht mehr die Verfassung nennt, sondern den Staat. Womit wir nun auch offiziell und ohne jede Gefahr einer Gegendarstellung oder anderer juristischer Schritte den Thomas Haldenwang einen vom Verfassungs- zum Staatsschützer mutierten Verwaltungsjuristen nennen dürfen. Denn Verfassung und Staat sind nun einmal nicht identisch – was ein Jurist auch dann, wenn er sein Leben in Personalabteilungen verbracht hat, wissen sollte.

Nun ja, vielleicht weiß er es nicht. Aber dann weiß es auch niemand in seinem Hause und niemand in dem ihm vorgesetzten Bundesministerium des Innern. Was wiederum nicht nur bedauerlich ist, sondern auch einen gewissen Schreck nicht verbergen lässt, hat sich doch in der deutschen Geschichte auf deutliche Weise gezeigt, wie kurz der Weg von Staatsschutz zur Staatssicherheit sein kann. Vor allem dann, wenn ein Amt, das die Aufgabe hat, gegen die Verfassung gerichtete Vorgänge zu beobachten, sich dann als Sicherheitsorgan selbst polizeiliche Gewalt aneignet und eben statt der Verfassung nun den Staat – oder noch schlimmer: die Staatspartei – schützt.

So weit ist es zwar noch nicht, aber wie heißt es so schön? – Wehret den Anfängen! Wenn ein Verfassungsschützer zum Staatsschützer wird, könnte es mit diesen Anfängen schon recht weit fortgeschritten sein.

Was versteht Haldenwang unter Staat?

Wenden wir uns dennoch nun dem Konkreten des neuen Staatsschutzorgans zu. Was außer einem indifferenten Staatsschutz ist die neue Aufgabe des BfV? Schauen wir deshalb darauf, wie „Staat“ zu definieren ist. Da stehen wir vor einem echten Problem. Denn eine eindeutige, allgemeingültige Definition gibt es nicht. Wem es Spaß macht, der kann hier gern den Link zum „Volxlexikon“ Wikipedia nutzen. Zwar gilt das nicht als wissenschaftliche Quelle und hat nicht selten die Tendenz, eine linksweltanschauliche Sicht der Dinge zu verbreiten, doch haben die Wikis hier recht nett die gänzlich unterschiedlichen Definitionsansätze zusammengefasst.

Für unsere gegenwärtige Beschäftigung sollten wir daher die Frage stellen: Wenn sich Haldenwang nun schon als Staatsschützer und nicht mehr als Verfassungsschützer begreift, was versteht er unter „Staat“?

Die Antworten auf die Fragen, gibt es in Teil 2. Soweit es welche gibt.

Anzeige
Die mobile Version verlassen