In der Öffentlichkeit und in den Medien wird der Eindruck erweckt, die Bundestagswahl sei bereits gelaufen. „Merkel-alternativlos“ schwebt über den Wassern, Martin Schulz wirkt nur noch wie ein Schatten seiner selbst und erfüllt die Erwartungen der geheimen SPD-Führung der Hannoveraner Mafia.
Schwarz-Gelb oder auch die Koalition aus Union, FDP und Grünen scheint unausweichlich. Denn die Prognosen sind sich durchweg einig: Merkels Union kommt an die 40 Prozent, Schulz kann froh sein, wenn er die 25 touchiert – die anderen vier Parteien (FDP, Grüne, PdL und AfD) bewegen sich jeweils zwischen sieben und acht Prozent.
Also alles schon gelaufen?
Nun, erfahrene Politikprofis wissen: In den Parteizentralen gibt es vor jeder bedeutenden Wahl zumeist auch eigene Hochrechnungen. Und die zeigen den Politikern häufig ein deutlich anderes Bild als jene zurechtgerechneten Polls, mit denen die Öffentlichkeit bei der Stange gehalten wird. So wird es auch derzeit sein – denn die Bundestagswahl ist keine 14 Tage mehr hin und für viele derjenigen, die mangels Alternative die Politik zu ihrem Beruf gemacht haben, hängt davon nicht weniger als die persönliche Zukunft ab.
Politiker wissen meist mehr als das Wahlvolk
Da ist es nun besonders interessant, einen etwas genaueren Blick auf das Verhalten jener Politiker und Medien zu werfen, die vielleicht etwas mehr wissen als das Wahlvolk. Und da gibt es nun Signale, die darauf hindeuten, dass nichts so schön und längst gelaufen ist, wie es bislang vermittelt wurde.
Schon immer war es so, dass die etablierten Parteien damit haderten, wenn aus dem Nichts Konkurrenz erwuchs. Insbesondere, als die damals noch alternativen Grünen aus dem Sponti-Pool der SPD entstand, wurde sogar mit Dachlatten gedroht, um jene, die nun auch gern an die Diätentöpfe wollten, vor der Tür zu halten. Nachvollziehbar, denn die „Neuen“ kosteten zahlreichen Abgeordneten den Job – und die SPD jede Chance, irgendwann einmal mit absoluter Mehrheit regieren zu können. Dennoch blieb das „Geholze“ gegen die ungeliebte Konkurrenz immer im Rahmen des demokratisch zulässigen.
Das ist derzeit jedoch deutlich anders. Eine breite Front von Medien und etablierter Politik versteigt sich in den letzten Tagen zu einer Art Endkampf gegen eine politische Truppe, die man zwar nicht lieben muss und die vielleicht auch über das eine oder andere Parteimitglied verfügt, auf das sie besser verzichtet hätte – doch weder das Partei- noch das Wahl-Programm dieser sich demokratisch an den Wahlen beteiligenden Partei lassen ernsthaft den Vorwurf zu, dass man es hier mit Verfassungsfeinden zu tun habe. Selbstverständlich: Es geht dabei um die AfD.
Feuer frei gegen die AfD
Genau diesen Vorwurf aber erhob nun jüngst ein um seinen Job bangender Minister, der mit Eingriff in die Unabhängigkeit von Strafermittlungen ebenso wie mit Einrichtung einer fast-staatlichen Schnüffelinstanz und der Übertragung von ausschließlich dem Staat vorbehaltenen Rechtsverstoßfeststellungen an private Unternehmen mehr als einmal den Verdacht nährt, selbst mit der Verfassung auf Kriegsfuß zu stehen. Heiko Maas, Sozialdemokrat aus dem Stall der Linkspartei-Ikone Oskar Lafontaine und Verfassungsrichter von eigenen Gnaden, verkündet via FAZ: „Das AfD-Programm ist in Teilen verfassungswidrig.“
Als AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland in klassischem Politiker-Sprech die Dame, die Deutschland Verfassungsdefinition vom Staat der Deutschen zu einem Land der Einwanderer machen möchte, „nach Anatolien entsorgen“ möchte, wird ein irrationaler Shit-Storm gestartet, als hätte er mit der flapsigen Bemerkung die Deintegrationsbeauftragte zum Abschuss freigegeben.
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer versteigt sich in der WamS zu der Behauptung, „hinter der pseudo-bürgerlichen Fassade von Frau Weidel verbirgt sich die erschreckende Ideologie einer Reichsbürgerin“. Reichsbürger – damit werden jene Verschwörungstheoretiker bezeichnet, die in einer Parallelwelt die vergangenen 70 Jahren unreflektiert an sich haben vorübergehen lassen.
Armin Laschet, wegen Abstrafung von Rotgrün derzeit CDU-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, zetert: „Das sind Rechtsradikale! Die gehören nicht ins Parlament!“ nun – selbst wenn es so wäre: Solange sie in einer Demokratie über die freie Wahl in ein Parlament einziehen und nicht wegen Verfassungsfeindlichkeit rechtskräftig verboten sind, hat kein CDU-MP darüber zu befinden, dass die Rechte jener Bürger, die diese ungeliebte Partei gewählt haben, unter den Tisch zu fallen haben.
Lindner knickt ein
Die Panik des etablierten Politikbetriebes wird auch deutlich beim Blick auf das Getue um ein Selfie von FDP-Model Christian Lindner. Der hatte anlässlich eines NDR-Besuchs in Hamburg ein Selfie mit dem Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel gepostet. Da Steinhöfel – früher wegen seiner Schärfe auch von der politischen Linken geschätzter TV-Moderator – mittlerweile als vehementer Verfechter von Meinungsfreiheit und Erhalt der europäischen Kulturwerte von jenen, für die es „Populisten“ nur auf der „rechten Seite“ gibt, nun tautologisch als „Rechtspopulist“ geschmäht wird, folgte von Berliner Tagesspiegel bis HuffPost und selbstverständlich über selbsternannte, linke „Medienkritiker“ bis hin zu SPD-General Hubertus Heil ein breit angelegter Shitstorm gegen den FDP-Chef wegen dessen angeblichen „Ankuschelns an den rechten Rand“ (so HH).
Nach anfänglichen Versuchen, seine Gemeinsamkeit mit jenem Radikaldemokraten Steinhöfel zu rechtfertigen, knickte Lindner dann doch ein und löschte das Selfie. Kurz zuvor hatte er Steinhöfel noch ein umfangreiches Interview über das als „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ verklärte Internet-Zensurgesetz des SPD-Ministers Maas gegeben – und darin seine freidemokratische Sicht zu Meinungsfreiheit und Rechtsstaat erläutert. Doch der Druck der linken Einbahnstraße wurde offenbar zu groß.
Gabriels Kernaussage verschwindet über Nacht
Besonders bemerkenswert allerdings ist die über Nacht erfolgte Korrektur eines am 11. September bei t-online veröffentlichten Interviews mit Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel. Erschien es ursprünglich unter der Überschrift mit dem Gabriel-Zitat „Wenn wir Pech haben, senden die Menschen ein Signal der Unzufriedenheit“, war diese spannende Information tags darauf verschwunden. Nun titelte t-online das Interview mit der Zitatzeile „Wir müssen endlich umsteuern“.
Auch im Interview selbst war über Nacht jeglicher Hinweis auf die Befürchtung des Wahl-Kämpfers Gabriel verschwunden. Es ist offensichtlich: Hier hatte „jemand“ die Notbremse gezogen – und t-online hat gekuscht. Denn die ursprüngliche Titelzeile war nichts anderes als der konkrete Hinweis darauf: Der SPD-Führung liegen Prognosen vor, die den Protest weit vor den gegenwärtig veröffentlichten Zahlen sehen. Womit dann auch das partei- und medial-übergreifende Trommelfeuer nachvollziehbar wird, mit dem jene AfD, die derzeit einzig als ernsthafte Protestpartei zu verstehen ist, niedergemacht werden soll.
Wie es am 24. September auch aussehen könnte
Wie nun aber erklärt sich die Diskrepanz zwischen den öffentlichen Zahlen und jenen Hinweisen zur Wahl, die offensichtlich den Parteispitzen vorliegen? Um das nachvollziehen zu können, soll nachfolgend die Rechnung aufgemacht werden, die Schein und Sein zu erklären hilft.
Derzeit noch sind bei den öffentlichen Umfragen deutlich über 40 Prozent der Wähler das, was die Demoskopen mit „unentschieden“ ausweisen. Das allerdings bedeutet, wie Experten wissen, noch lange nicht, dass diese Wahlberechtigten tatsächlich noch nicht entschieden hätten, was sie tatsächlich wählen wollen. Für einen Teil der „Unentschiedenen“ steht bereits zweifelfrei fest, sich nicht an den Wahlen zu beteiligen. Mit Blick auf frühere Wahl-Gänge werden das zwischen 20 und 30 Prozent der Wahlberechtigten sein. Doch was ist mit den Anderen?
Da folgerichtig von einer Wahl-Beteiligung von mindestens 70 % auszugehen ist, wird es nun spannend. Denn die prognostizierten Zahlen spiegeln ein Bild, das derzeit gerade auf rund 55 % der Wahlberechtigten beruht.
Schauen wir also auf die realen Zahlen – jene, die sich tatsächlich bei Umfragen konkret für eine Partei ausgesprochen haben. Da sieht das Bild schon deutlich anders aus, denn mit einem Male liegt die Union nur noch bei echten 23 %, die SPD bei 14 % und die vier anderen bei jeweils knapp unter fünf. Und dann sind da noch jene vielleicht 10 % aller Wahlberechtigten, die sich als bislang „Unentschiedene“ möglicherweise bereits entschieden haben, ohne dieses den Prognostikern mitzuteilen – oder die im letzten Moment doch noch an die Urne schreiten, um ihren Wählerwillen per Stimmabgabe zu dokumentieren. Wie werden sie entscheiden?
Die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit ihrer Stimme eine jener Parteien stützen, die langjährig im Geschäft sind, ist erfahrungsgemäß eher gering. Denn wollten sie dieses tun, dann hätten sie sich längst entschieden und würden bei den Umfragen nicht als „Unentschiedene“ auftreten. Entscheiden sie sich für den SPD-Schulz, dessen Kanzleranspruch erkennbar eine Farce ist und der nur noch darauf schielt, irgendwie in eine große Koalition zu rutschen? Wählen sie aus Protest die Grünen, deren Chefpropagandistin im Kanzleramt ihnen so unangenehm ist? Entscheiden sie sich für die Salonkommunisten um Sarah Wagenknecht – was sie, wenn sie tatsächlich dazu stehen sollten, doch schon längst hätten getan haben können? Oder unterstützen sie vielleicht den Juppie-Auftritt des Christian Lindner?
Kommt eine Anti-Merkel-Wahl?
Keine dieser Möglichkeiten ist wahrscheinlich. Und so ist es nicht aus der Luft gegriffen, eine Stimmabgabe aus Protest zugunsten der einzigen Partei vorzunehmen, der sie derzeit eine Fundamentalopposition gegen den politischen Einheitsbetrieb von PdL bis Union zutrauen.
Hinzu kommt ein weiteres: Es ist selbst der Unionsspitze nicht verborgen geblieben, dass es an der Basis heftig rumort. Nicht wenige Unionsmitglieder sind mittlerweile von den politischen Inhalten „ihrer“ Bundesvorsitzenden ebensoweit entfernt wie von denen des Kandidaten aus dem Großraum Aachen oder denen einer grünen Kathrin Göring-Eckardt.
Merkel, die einst als Retterin der CDU gefeiert wurde, gilt als selbstherrlich, abgehoben und beratungsresistent. Ein christdemokratisches Profil, das konservative Vorstellungen mit liberalem und christlichem Gedankengut verknüpft, ist bei ihr nicht mehr zu erkennen. Vielleicht steht sie derzeit noch für ein Deutschland, „in dem wir gut und gerne leben“ – aber wie lange noch? Und zu welchem Preis?
Merkels Sündenregister
Es sind nicht nur die einsamen Entscheidungen um den überhasteten Kernkraftausstieg und jene EU-rechtswidrige Grenzöffnung für die über den Balkan und das Mittelmeer einströmende Invasion aus Asien und Afrika. Es sind auch ganz konkrete Handlungen und Nichthandlungen, die die Parteiseele zum Kochen bringen.
Als der CDU-Bundesparteitag 2016 mehrheitlich beschloss. das Verschenken der deutschen Staatsbürgerschaft unter dem Begriff „Doppelpass“ abzuschaffen, wurde dieses von Merkel konsequent ignoriert.
Als die SPD-Desintegrationsdame im Ministerrang, Aydan Özoguz, ihr Impulspapier zur Abschaffung der bundedeutschen Verfassung vorlegte, stand Merkel daneben und zollte Beifall.
Als SPD-Justizminister Maas sein Internet-Zensurgesetz einbrachte, folgten die Unionsabgeordneten auf Order von oben wie die Lämmer zur Schlachtbank und setzten damit die Gewaltenteilung außer Kraft.
Als die SPD das für viele Christen und Bürgerliche absolute Tabu-Thema „Homo-Ehe“ in die Diskussion brachte, gab Merkel sofort grünes Licht für die Zustimmung.
All dieses und vieles mehr hat die offizielle Union derart von ihrem bürgerlichen Millieu entfernt, dass selbst treue Parteisoldaten, die bislang trotz allem immer noch nach dem Motto „Augen zu und durch“ hinter ihrer Vorsitzenden standen, in kleinem Kreise halblaut darüber nachdenken, bei dieser Bundestagswahl ihre Stimme an die AfD zu geben. Und das nicht, weil man die AfD liebt oder ihr Personalangebot beglückend findet – einfach nur, weil darin die einzige Chance gesehen wird, die Merkelsche Unionsvernichtung im letzten Moment zu verhindern.
Sachsen-Anhaltinische Abgeordnete gehen bereits „Irrwege“
So ist es denn auch kein Wunder, dass nicht nur in Sachsen-Anhalt Unions-Abgeordnete mehr oder minder heimlich rebellieren und mit AfD-Kollegen kooperieren, um das aus ihrer Sicht Schlimmste von der Republik abzuwenden. Was nun jüngst zum Eklat führte, als die dortige Union gegen ihre von Merkel aufgezwungenen Koalitionspartner SPD und Grüne für einen AfD-Antrag stimmte, mit dem eine „Enquete-Kommission zur Beobachtung des Linksextremismus“ durchgesetzt werden sollte.
Prompt kam aus Berlin die Rüge: „Die CDU schließt aus, dass die Unionsfraktion im Bundestag mit der AfD zusammenarbeitet.“
Dieser eine, kurze Satz offenbart das ganze Dilemma der Partei. Denn es gibt nicht einen einzigen, entsprechenden Parteibeschluss – auch keinen des Bundesvorstandes – der eine solche Nicht-Zusammenarbeit explizit festschreibt. Es gibt nur entsprechende Äußerungen einzelner Parteiführer.
Merkels Verfassungsbeugung
Es könnte einen derartigen Beschluss auch überhaupt nicht geben, denn er wäre ein tiefgreifender Verfassungsverstoß, weil zumindest auf dem Papier die zu wählenden Abgeordneten ausschließlich ihrem Gewissen verpflichtet und an keinerlei Aufträge gebunden sind. Also kann im Sinne der von der Verfassung verlangten Unabhängigkeit des Abgeordneten weder eine Partei noch ein Vorstand und schon gar nicht eine Parteivorsitzende darüber befinden, was eine Fraktion, die von Mitgliedern dieser Partei gestellt wird, nach der Wahl tun und lassen wird. Wenn überhaupt, dann könnte einen solchen Beschluss nur die Fraktion der Abgeordneten selbst fassen – die aber sind noch nicht einmal gewählt.
Die Berliner Rüge par ordre de mufti entlarvt sich damit nicht nur als grandiose FakeNews – sie dokumentiert auch das Verhältnis, das Merkel und ihr Hofstaat zu Partei und Grundgesetz entwickelt haben: Ein Verhältnis, welches faktisch keines ist, denn Merkel macht den Erdogan und befiehlt ihren Parteimitgliedern als künftigen Abgeordneten, was sie zu tun und zu lassen – und damit selbstverständlich auch zu denken – haben. Das aber ist zunehmend weniger das, was diese Individuen tatsächlich denken und denken wollen.
Angenommen, „Unentschiedene“ wählen AfD
Unterstellen wir nun als Gedankenspiel, jene voraussichtlich noch rund zehn Prozent der „Unentschiedenen“ würden in ihrer breiten Mehrheit wider das öffentliche Trommelfeuer die AfD wählen. Unterstellen wir weiterhin, dass einige bislang treue Unionswähler im letzten Moment doch die „Merkel-muss-weg“-Taste drücken – und ebenfalls aus Protest die ungeliebte Konkurrenz unterstützen.
Sollte es tatsächlich so kommen, dann lägen die auf alle Wahlberechtigten bezogenen Realzahlen unerwartet deutlich anders. Selbst wenn sich bei SPD, FDP, Grünen und Linkspartei nichts mehr bewegen sollte, könnte die AfD unter der hier theoretisch aufgestellten Annahme, dass die „Unentschiedenen“ weitgehend für die AfD votieren und aus den Unions-Befürwortern noch ein bis zwei Prozentpunkte in diese Richtung abwandern, plötzlich auch auf Bundesebene nicht nur zur drittstärksten Kraft werden, sondern sogar ernsthaft am Status der SPD kratzen.
Warum? Weil dann die Union real nur noch bei 22 %, die SPD immer noch bei 14 % und die drei anderen Etablierten bei jeweils knapp 5 % lägen – die AfD jedoch zu ihren derzeit prognostizierten knapp 5 % noch weitere 2 Prozentpunkte von der Union und bis zu 10 Prozentpunkte aus den „Unentschiedenen“ holen könnte. Und so läge die von allen anderen niedergemachte Partei plötzlich bei real bis zu 17 % – eine Zahl, die zwar utopisch klingen mag, jedoch nach den nicht minder deutlich von den Prognosen abweichenden Ergebnissen in den Bundesländern nicht mehr gänzlich ausgeschlossen werden kann.
Umgerechnet auf eine Wahl-Beteiligung von nunmehr 70 % ergäben sich die relativen Ergebnisse am Wahlabend dann wie folgt: Union 31 bis 32 %, AfD 24 bis 25 %, SPD 19 bis 21 %, FDP, PdL, Grüne jeweils 6 bis 8 %. Und tatsächlich gibt es heute bereits Prognostiker, die ihre Rohdaten angesichts zahlreicher Unbekannter bei der Union auf nur noch 34 % rechnen. Sie trauen sich nur nicht, das laut zu sagen. Da macht es dann auch Sinn, dass Gabriels offenbar begründete Angst vor „einem Signal der Unzufriedenheit“ über Nacht im Nirvana der Bits and Bytes entschwindet.
Also denken wir dieses Gedankenspiel einmal weiter.
Ein politisches Erdbeben
Ein solches Wahl-Ergebnis käme tatsächlich dem so oft und gern genannten, politischen Erdbeben gleich. Nicht nur, dass damit jede Demoskopie zur Farce würde – es wären auch alle bisherigen Überlegungen zur künftigen Koalitionsbildung obsolet. Das ohnehin schon ausgeschiedene Rot-Rot-Grün – nur noch um die 34 %. Das in Unionskreisen präferierte Modell mit der FDP – vielleicht 40 %. Selbst Schwarz-Gelb-Grün, möglicherweise genau aus den hier dargelegten Möglichkeiten von der Merkel-Camarilla ständig wieder ins Gespräch gebracht, würde die Zielmarke verfehlen.
Einzig die Fortsetzung der bisherigen Koalition aus Union und SPD könnte es vielleicht so gerade noch über die Fünfzig-Prozent-Marke schaffen. Eine Koalition, die dann aus der Sicht der Betroffenen als „Regierung der nationalen Rettung gegen den Rechtsruck“ verkauft werden könnte.
Merkels Rückzug?
Doch es gäbe auch andere Szenarien der Wahl, bei denen die AfD nicht einmal die SPD überholen muss. Selbst wenn die AFD deutlich auf Platz Drei aus dem Rennen geht, wäre ein Unions-Ergebnis von knapp über 30 Prozent eine schallende Ohrfeige für Merkel – und jeder, der über politischen Anstand verfügt, müsste aus einem solchen Ergebnis die persönlichen Konsequenzen ziehen und umgehend seinen Rückzug erklären.
Käme es so, würde Merkel am Wahlabend aus zutiefst empfundener Kränkung alles hinschmeißen und getreu dem Motto des letzten Sachsenkönigs Friedrich August III dem undankbaren Volk ein „Nu da machd doch eiern Drägg alleene!“ zurufen, wäre Deutschland in Not. Zumindest deren Parteien. Der bisherige Fraktionsvorsitzende Volker Kauder brächte sich nun vermutlich umgehend als neuer Kanzler einer Nationalen Rettungskoalition ins Spiel. Die SPD würde zustimmen, aber noch mehr Macht einfordern und ihren „Kampf gegen rechts“ zum wichtigsten Staatsziel erklären. Dem Restriktionsstaat wären Tür und Tor geöffnet.
Mit Aufstand zum „Hamburger Modell“
Doch es könnte auch geschehen, dass der Unmut über die Niederlage in der Union zu offenem Zorn mutiert und Kauder, der maßgeblich für die Merkel-Politik mitverantwortlich zeichnet, die Gefolgschaft der neugewählten, geschrumpften Fraktion verweigert wird. Dort könnten diejenigen Kräfte, die im Geheimen schon seit langem die Faust in der Tasche ballen, auf einen radikalen Kurswechsel drängen und nach einer anderen „Koalition der nationalen Rettung“ streben: Gemeinsam mit der AfD und – so dort eine entsprechende Bereitschaft bestünde – auch mit der FDP. Es wäre quasi das Hamburger Modell des Ole von Beust, welches seinerzeit die Hansestadt nach einer langen Phase sozialdemokratischer Stagnation zu neuer Blüte gebracht hatte.
Angenommen, es käme so – mit einem christdemokratischen Übergangskanzler Wolfgang Schäuble, der trotz seiner konkreten Ablehnung der Zusammenarbeit mit der AfD vor der Wahl nun ein letztes Mal seine Verantwortung für Union und Deutschland spürt. Würde sich die AfD verweigern – so wie sie es ebenfalls angekündigt hat? Kaum – denn sie hätte mit einer solchen Mehrheit der Bürgerlichen die Chance, wesentliche Elemente ihrer politischen Vorstellungen, die weitgehend darauf zielen, die sozialistischen „Errungenschaften“ des 68er-Diktats rückabzuwickeln, Realität werden zu lassen.
Und die FDP, sollte sie für ein solches Modell unverzichtbar sein? Auch sie hätte ein grundlegendes Problem, ihren Wählern zu erklären, dass nun zwar Merkel endlich weg ist – sie die Republik aber dennoch den Systemüberwindern aus dem rotgrünen Lager überlässt.
Also völlig undenkbar? Vielleicht. Doch die Hamburger Wahl des Jahres 2001 hat bewiesen, dass ein beherzter Unionsmann durchaus in der Lage sein kann, trotz medialen Shitstorms ein Bündnis mit den sogenannten „Rechtspopulisten“ einzugehen. Und dabei derart erfolgreich sein kann, dass es bei der nächsten Wahl sogar zur absoluten Mehrheit gereicht hat.
Auch für die Union der beste Weg
Sollte es so kommen, wie dieses Gedankenspiel es anreißt, dann wäre es übrigens für die Union ohnehin aus langfristigen Überlegungen der beste Weg. Denn Hamburg hatte auch gezeigt, dass unmittelbare Unionskonkurrenz nur an sich selbst scheitern kann.
Setzt die Union nach der Wahl weiter auf eine Zusammenarbeit mit Roten oder Grünen, wird sie damit die AfD abschließend zu einem Dauerfaktor in der deutschen Politik machen. Zwänge sie die AfD hingegen in die Regierungsverantwortung, könnte diese wie dereinst in Hamburg die Partei Rechtstaatliche Offensive des Richters Schill vielleicht an sich selbst scheitern. Und wenn nicht, würde sie sich zwangsläufig von ihren radikalen Auslegern befreien, damit dauerhaft den konservativen Bürgerflügel abdecken und als natürlicher Partner der Union bereit stehen, um in Deutschland wieder Politik für Deutschland zu machen.
Im wahrsten Sinne des Wortes gleichzeitig zusammenbrechen und explodieren würden dann all jene, die sich links von der nach links gerückten Union einsortieren. Denn das bislang so erfolgreich verteidigte Kartell der 68er hätte schlagartig ausgespielt. Und wir hätten im Bundestag damit endlich auch wieder eine Opposition mit echten Debatten, die den älteren unter den Lesern vielleicht noch aus den Zeiten des Schlagabtausches zwischen Franz Josef Strauß, Herbert Wehner und dem dieser Tage verstorbenen Heiner Geißler in Erinnerung sind.
Wie gesagt – Gedankenspiele. Doch sie könnten einen konkreten Hintergrund haben – und sie zeigen: Die Wahl ist noch nicht gelaufen. Es bleibt mehr als spannend und der Wahlabend könnte allen Prognosen zum Trotz für manche Überraschung gut sein.