Drei Tage trafen sich die führenden Politiker der Wirtschaftsnationen Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, USA und Vereinigtes Königreich, um die aktuelle Weltlage zu diskutieren. Gastspiele gaben der Ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj per Video-Zuschaltung und die politischen Spitzen Argentiniens, Indiens, Indonesiens, des Senegal und Südafrikas.
Ein Versuch, die Welt neu zu ordnen – und neue Partner zu finden.
Was nicht zu kritisieren ist
Über die 180 Millionen Euro , die das Treffen von 7 + 5 im Schloss Elmau gekostet hat, sollten wir nicht jammern. Die Politik der aktuellen Bundesregierung verballert Unsummen für unsinnige NGO-Finanzierung, Berateraufträge, parteilichen Nepotismus in den Verwaltungen und das Ersinnen ständig neuer Sozialansprüche und Sonderzahlungen. Da sind diese 180 Mios nur Peanuts.
Darüber, dass die Zahlen der Demonstranten meilenweit hinter den Erwartungen der Demo-Organisatoren und ihrer PR-Supporter in den Medien zurückgeblieben sind, muss auch nicht geklagt werden. Sie sind vielmehr der empirische Beweis dafür, dass Wohlstandverwahrlosung in dem Maße abnimmt, wie es mit dem Wohlstand begab geht. Schade nur, dass aufgrund der völlig überhöhten Erwartungszahlen viel zu viel Polizeikräfte unterwegs waren – da hatte man tatsächlich ein erkleckliches Sümmchen sparen können.
Auch dass nun wieder ein Deutschlandbild in die Welt gegangen ist, das von Bayerischer Lebensweise und Alpenkultur geprägt ist – was könnte ich mir als Hamburger nach den eindrucksvollen Erinnerungen an Olaf Scholz‘ G20-Desaster Schöneres vorstellen? Schlechte Erinnerungen werden am erfolgreichsten durch schöne verdrängt. Wobei mein Vorschlag für die nächste Veranstaltung dieser Art Deutschlands einzige Hochseeinsel Helgoland ist. Da reichen ein paar schnelle Patrouillenboote und Hubschrauber für die Sicherheit – und Tausendschaften von Polizei müssen auch nicht anrücken. Die hätten auf der Insel überhaupt keinen Platz. Die Protestanten könnten sich dann am Strand von Cuxhaven echauffieren und einen Sternmarsch durchs Watt organisieren – Zielort Neuwerk.
Vor der Kritik eine Randbemerkung
Soweit zu dem, was nicht zu kritisieren ist. Bei der Kritik vielleicht und nur als Randbemerkung zuerst etwas eher unpolitisches. Ich würde mir schon wünschen, dass unser Bundeskanzler noch einmal einen Rhetorikkurs besucht. Dieses Abgestammel von offensichtlich nur mit wenigen Wörtern beschriebenen Karteikarten wirkt im internationalen Geschäft doch etwas unprofessionell.
Und dann diese ungewöhnliche Begrüßungszeremonie der fünf Nicht-G7-Geladenen, die erst ewig lang unter einer Balustrade entlangstolpern mussten, um dann vom deutschen Bundeskanzler im Freien nach kurzem Treppenaufstieg mit ebenso kurzem Handschlag begrüßt und zurückgeschickt zu werden. Mich erinnerte das an das Hamburger Rathaus, wo der Erste Bürgermeister seine Gäste auf der Senatstreppe vor dem Regierungsflügel empfängt, weil sich der Senatspräses nicht zur Begrüßung auf die Ebene des Gastes herab begibt. Nur sind da die Wege kürzer und das Ambiente ehrwürdiger. Insgesamt also alles etwas provinziell und gequält. Sowas können die Franzosen und die Amis einfach besser und würdevoller. Wobei beides irgendwie dann doch wieder zum in die Welt transportierten Deutschlandbild passt: Einst gefürchtet von der Welt, strahlt heute nicht einmal mehr der Deutschen wichtigster Politiker auch nur einen Hauch von Autorität aus. Auf der Treppe nicht und beim Statement auch nicht.
Aber darauf kommt es auch nicht an. Am Ende zählt, was hinten rauskommt. Und da bleiben nun doch mehr Frage- als Ausrufezeichen.
Was nicht so bedeutend ist
Schauen wir auf die wesentlichen Ergebnisse, die im Abschlussstatement als Willenserklärungen verfasst wurden.
- Die G7 erklären sich weiterhin mit der Ukraine solidarisch. Nun gut – das stand zu keinem Zeitpunkt außerfrage. Bemerkenswert allerdings der Zusatz in der Erklärung, dieses nebst umfänglicher Unterstützung finanzieller, humanitärer, militärischer und diplomatischer Art gelte, „so lange wie nötig“. Das Signal geht an Russland: Dieser Kampf ist erst beendet, wenn die Ukraine von den russischen Besatzungstruppen und deren Helfershelfern vollständig befreit ist. Da dieses auch die Krim betrifft, können wir uns auf einen langen, kriegsähnlichen Zustand einstellen – vorausgesetzt, die G7 meinen es ernst.
- Es werden zusätzlich 4,5 Milliarden US-Dollar bereitgestellt, um die durch den Ukraineüberfall unmittelbar vom Hunger bedrohten Menschen weltweit zu ernähren. Allerdings: Das Problem ist aktuell nicht die Ware, sondern die durch Russland unterbrochene Logistik.
- Es soll darauf hingewirkt werden, noch bis Ende dieses Jahres einen „offenen und internationalen Klimaclub“ zu gründen. Er soll dazu dienen, die grüne Klimaideologie nebst Vernichtung des klassischen Kraftfahrzeugverkehrs durchzusetzen. Aber „hinwirken“ ist nicht „gründen“, sodass diese Absichtsformulierung lediglich als symbolisches Gipfelgeschenk der Gäste an den Gastgeber zu verstehen ist, der dieses angesichts der weltweiten Bemühungen absolut überflüssige Projekt nun seinen grünen Koalitionspartnern als großen Erfolg verkaufen kann.
- Wegen Covid sollen zu den bereits bereitgestellten 1,175 Impfdosen weitere folgen. Eine Chance für den Pandemieexperten im Bundesgesundheitsministerium, seine vom Verfall bedrohten Überschüsse schnell noch unterzubringen?
Was bedeutend sein könnte
Soweit zu dem entweder Selbstverständlichen oder weniger Bedeutendem. Das eigentlich Bemerkenswerte findet sich in zwei Absichtserklärungen, die deshalb hier im Originalwortlaut wiedergegeben werden sollen.
Globale Resilienz gegen Desinformation und Geschlechtergerechtigkeit
„Geleitet von der Überzeugung, dass uns die Werte der Demokratie bei der Bewältigung globaler Herausforderungen stärker machen, werden wir mit der Zivilgesellschaft und unseren Partnern über die G7 hinaus zusammenarbeiten, um die Resilienz unserer Gesellschaften zu erhöhen, die Menschenrechte online und offline zu stärken, gegen Desinformation vorzugehen und Geschlechtergerechtigkeit zu verwirklichen.“
Es ist erstaunlich, wie ein globalpolitisch sinnvoller und für sich allein zukunftsweisender Aspekt durch die hier vorgenommene Unterfütterung bereits im Ansatz konterkariert wird. Hier werden „unsere Partner“ – als solche wurden beispielsweise jene fünf Länder bezeichnet, die als Zaungäste hinzugeladen wurden – auf die gleiche Ebene gesetzt wie jene durch keinerlei demokratische Legitimation gerechtfertigte „Zivilgesellschaft“ der Nichtregierungsorganisationen, die mittlerweile nicht nur staatliches Handeln über ideologische Single-Issue-Gesichtspunkte an sich gezogen haben, sondern die vor allem in den Staaten des westeuropäischen Kulturkreises die ursprünglich an demokratisch gewählte Volksvertreter gekoppelte Entscheidungsfindung übernommen haben.
So wird hier nun auch die G7 bestimmt von der antidemokratischen Grundhaltung, die den Staat vor seinen Menschen schützen muss, weil er entgegen der eigentlichen, demokratischen Grundwerte von Freiheit und Selbstbestimmung die identitätspolitische Agenda nebst Haltungsdiktat gegen „Desinformation“ und für „Geschlechtergerechtigkeit“ zum Kerninhalt von Demokratie erklärt. So wird auch deutlich, warum zwischen diesen G7 und den geladenen Gästen nebst dem so gern zitierten Rest der Welt keine Gesprächsebene mehr zu finden ist.
Deutliche Kritik aus dem Süden
Naledi Pandor, Außenministerin der Republik Südafrika, hatte es anlässlich der Gipfeleinladung im ÖR-TV treffend auf den Punkt gebracht: Afrika sei nie an den Verhandlungstisch gebeten worden, um dort Probleme zu diskutieren – jetzt in Sachen Ukraine von Südafrika zu fordern, sich für eine Seite zu entscheiden, sei unmöglich.
Hier genau liegt das Problem: Nicht nur Länder wie Südafrika wurden von den G7 über Jahrzehnte aus postkolonialer Arroganz heraus betrachtet. Dabei spielten nicht nur ideologische Prägungen eine Rolle, die selbst in einem durch und durch korrupten Zuma lieber einen Befreiungshelden feierten als in ihm einen Kriminellen zu erkennen, oder die beim Blick auf Argentinien entweder verklärt auf eine scheinheilige Evita schauten oder missbilligend eine menschenverachtende Militärdiktatur erkennen wollten. Die darauf aufgesattelte Arroganz einer mit Ablasshandel zu entschuldenden, vor allem deutschen mea-culpa-Identität wurde unter den linksgrünen Visionären zudem noch um den weltweiten Kampf für Genderstern und Homoehe ergänzt.
Das aber sind für gut sieben der acht Milliarden Menschen auf diesem Planeten nicht die Probleme, deren Luxus sie sich leisten könnten. Die deshalb auch für Länder wie Südafrika, Indien oder auch Ägypten oder Brasilien bestenfalls eine mehr als periphere Relevanz haben. Es sind Luxusprobleme der „Weißen“, deren angeblich fortschrittliches Welterklärungsmodell nun einmal mehr von den früheren Kolonialmächten den jüngeren Staaten dieser Welt aufgezwungen werden sollen. Und die noch weniger Bedeutung haben, wenn beispielsweise Südafrika hier von einer selbstbewussten, dunkelhäutigen Frau vertreten wird.
Wo es wirklich spannend wird
Insofern ist dann auch der einzig wirklich relevante Abschnitt der G7-Abschlusserklärung jener, in dem es um neue Partnerschaften geht.
„Mithilfe unserer Partnerschaft für Globale Infrastruktur und Investitionen (Partnership for Global Infrastructure and Investment) wollen wir im Laufe der nächsten fünf Jahre 600 Milliarden US-Dollar mobilisieren, um die globale Investitionslücke zu verringern. Wir werden unsere Zusammenarbeit weltweit verstärken, auch indem wir auf neue Partnerschaften für eine gerechte Energiewende (Just Energy Transition Partnerships) mit Indonesien, Indien, Senegal und Vietnam hinarbeiten, wobei wir an unsere bestehende Partnerschaft mit Südafrika anknüpfen.“
Spät, wenn auch vielleicht noch nicht zu spät, scheinen die G7 erkannt zu haben, dass ihre Zukunft maßgeblich davon abhängt, die Welt nicht den Chinesen zu überlassen. Nachdem der Tross der Verwirrten seit den 90ern des vergangenen Jahrhunderts sogar noch Milliarden von Dollars und Deutschmark in die Säckel der Pekinger Eliten karrte, um dem Roten Reich der Mitte seine Patente und technischen Geheimnisse anvertrauen zu dürfen, blickte der Westen über Jahrzehnte immer noch in der Hybris seiner Arroganz unbeteiligt darauf, wie China ein weltweites Netz von neokolonialen Stützpunkten und Einflusszonen schuf. Statt die Alarmglocken anzustellen, wurden Seidenstraßenprojekte und Firmenübernahmen sogar noch als Zeichen der Freundschaft missdeutet und heftig beworben.
Und bevor es übersehen wird: Ist dem Leser aufgefallen, welche Länder in diesem Abschnitt der Abschlusserklärung gleichsam als privilegierte Partner genannt wurde? Vier davon waren geladen – das fünfte nicht. Dabei könnte es sich vor allem mit Blick auf die Eindämmung der chinesischen Ambitionen als Schlüsselpartner herausstellen. Nur ist dieses nicht geladene Vietnam eben noch keine lupenreine Demokratie. Wenn es hier trotzdem explizit genannt wird, sind die Zeichen allerdings nicht zu übersehen.
Eine neue Zugehensweise
Insofern – wenn von diesem Gipfel ein Aufbruchssignal ausgegangen sein sollte, dann ist es diese neue Zugehensweise auf eine Welt, die nicht mehr am Gängelband der Großen Sieben hängt.
Wenn dieses Aufbruchssignal zudem verknüpft werden soll mit dem Weltanspruch einer tatsächlichen Demokratie statt einer NGO-durchwirkten Gender- und Identitäts-Scharade, dann allerdings hätten auch noch andere an den Tisch gehört. Vorrangig Australien, Neuseeland, Südkorea und auch Taiwan, die bei dem sich nunmehr postulierenden Kampf der Systeme unverzichtbare Partner an der Seite der G7 sein müssen. Und vielleicht hätte es zudem Sinn gemacht, Länder wie Brasilien, Ägypten und Saudi-Arabien mit an den Tisch zu bitten. Aber davor stand wieder die euroideologische Arroganz – weil ein Brasilianer namens Bolsonaro eben ein absolutes No-Go ist und die Herren über Nil und Öl als Despoten gelten.
Wenn der Westen nun jedoch angesichts seiner Versäumnisse nach der Implosion der Sowjetunion erneut zum globalen Kampf für die Demokratie ruft, dann wird man auf dem Weg dorthin auch nicht an jenen Ländern vorbeikommen, deren real gelebte Demokratie noch in oder sogar vor den Kinderschuhen steckt. Es sei denn, die Arroganz der selbsterklärten Guten möchte die Willigen als potentielle Partner der Zukunft gleich ins gegnerische Lager schicken.
Zeitenwende inhaltlich begreifen – nicht als Schlagwort
Wenn Olaf Scholz den von ihm auch anlässlich des Gipfels ständig gleich einer Selbstvergewisserung penetrierten Begriff der „Zeitenwende“ wirklich bis zum Ende denken sollte, dann bedeutet dieses beispielsweise, so schnell wie möglich alle nachvollziehbaren Waffenwünsche der Saud und der Ägypter durch die deutsche Industrie bedienen zu lassen. Es bedeutet, nicht länger mit erhobenem Zeigefinger die Menschenrechtskeule zu schwingen, sondern durch gutes Beispiel und leise Töne auch in den problematischen Regionen behutsam für eine bessere Welt wirken. Es bedeutet, so ein wenig mehr Einfluss zu gewinnen auch auf schwierige Partner, die dennoch für die angestrebte Zukunft unverzichtbar sind.
Zeitenwende bedeutet, Prioritäten neu und richtig und damit anders zu setzen. Nicht länger sich und die Welt mit irgendwelchen schrägen Pseudowissenschaften zu verschrecken, sondern die tatsächlichen Probleme der breiten Mehrheit der bald acht Milliarden Erdenbewohner zu erkennen und die notwendigen, aber auch unvermeidbaren Konsequenzen zu ziehen.
Der 600-Milliarden-Ansatz scheint eine solche Konsequenz zu sein. Soll sie aber zu einem erfolgreichen Abschluss im Sinne der G7 führen, kann das nur ein erster und sehr kleiner Schritt auf einem sehr, sehr langen Weg sein.
Der nächste Schritt auf diesem Weg muss es sein, das westeuropäisch-verklärte Wolkenkuckucksheim der grünen Wünsch-Dir-Was-Welt durch das zu ersetzen, was internationale Politik seit der Steinzeit bestimmt: Die Formulierung der eigenen Interessen und die pragmatische Suche und Anbindung von Partnern, mit denen man auch bei partiell unterschiedlichen Positionen diese auf Gegenseitigkeit umsetzen kann.
Sollte der Gipfel in Elmau dazu der erste Schritt gewesen sein, dann war es ein trotz allem guter Gipfel. Sollte allerdings umgehend wieder die klassische Verzagtheit einkehren, dann war es nichts als heiße Luft.