Als Joseph Aloisius Ratzinger, deutscher Kardinal, am 19. April 2005 in der Nachfolge von Johannes Paul II zum Papst gewählt wurde, ahnte er trotz langjähriger Präsenz im Vatikan vermutlich noch nicht, was auf ihn zukam. Er, der Intellektuelle und Philosoph, der seine Aufgabe in der Belehrung der Gläubigen sah, sich deshalb den Papstnamen Benedikt gab und damit jener sein wollte, der Gutes sagt, warf nach knapp acht Jahren in der Stellvertretung Christi am 28. Februar 2013 entnervt hin. Der alltägliche Kleinkrieg in der Kurie und seine körperliche Zerbrechlichkeit ließen ihn resignieren und damit einen Schritt wagen, den die Katholische Kirche eigentlich nicht vorgesehen hat. Päpste, so das Dictum, werden durch göttlichen Willen zu dem, was sie sind – die Kardinäle, die hinter verschlossenen Türen ihre Stimmzettel ausfüllen, sind lediglich Instrumente Gottes auch dann, wenn Gott einige Tage und manchmal Wochen benötigt, um seinen Willen in genügend Kardinalsköpfen zu verankern. Gottes Wille wiederum, so die Erzählung, macht einen Papst nur durch Gott selbst abrufbar.
Doch Benedikt XVI Ratzinger haderte mit Gottes Willen und wollte ihm die Chance geben, einen tatkräftigeren als ihn in das wichtigste Amt der westlichen Christenheit zu berufen. Vielleicht allerdings wollte er auch nur vermeiden, den Weg seines Vor-Vorgängers Albino Luciano zu gehen, der 1978 als Johannes Paul nach nur 33 Tagen des Pontifikats im Alter von 65 Jahren unerwartet verstarb und um dessen Tod sich bis heute Legenden ranken, die besagen, er sei Opfer seiner mafiösen Verschwörung in der Kurie geworden. Einer Verschwörung, in der es um viel Geld und unsaubere Geschäfte gegangen sei. Um unchristliche Geschäfte von Banken des Vatikan und dem kriminellen Krebsgeschwür des Stiefellandes, das seine Metastasen in aller Welt wuchern lässt.
Auf Benedikt folgte nun ein Papst, mit dem niemand gerechnet hatte und der wie sein Vorgänger mit seinem Namen ein Programm beschrieb. Jorge Mario Bergoglio, in Argentinien geborener Sohn italienischer Flüchtlinge vor dem Faschismus des Mussolini, wählte den Namen Franziskus, der in der katholischen Geschichte an Franciscus de Assisio – deutsch Franz von Assisi – erinnert. Jener Heilige, der im frühen 13. Jahrhundert den durch seinen Namen geprägten Orden gründete, war das, was man heute einen radikalen Fundamentalisten heißen würde: Er wollte die Kirche zurückführen zu den Wurzeln Jesu, predigte Armut und Bescheidenheit und legte sich so mit jenen Kirchenfürsten an, die ihr ihnen von Gott gegebenes Amt vorrangig darin erblickten, aus den mühsam abgesparten Gaben der Gläubigen persönlichen Luxus zur Ehre Gottes zu generieren.
Die Kirche der Armen für die Reichen der Kirche
Als Papst Franziskus, der – allein das schon voll unübersehbarer Symbolik für das Selbstverständnis des Vatikan – der erste aller Heiligen Väter ist, der sich für den Prediger der kirchlichen Armut als Programmgeber entschied, sein Amt antrat, lag vor ihm eine Kirche in der Dauerkrise. Noch waren die Nachwirkungen der Epoche des ersten Johannes Paul mit Bankenskandal und fragwürdigen Geschäften nicht überwunden, da hatte das institutionalisierte, sexuelle Fehlverhalten nicht weniger Seelenhirten die Glaubwürdigkeit und das Ansehen der Kirche weltweit erschüttert.
Ohnehin: Deutschlands Katholiken sind – marxistisch gesprochen – Großkapitalisten. Mit rund 8.250 Quadratkilometern sollen sie der größte Grundeigentümer der Republik sein. Das Gesamtvermögen der Diözesen wird auf 200 Milliarden Euro geschätzt. Wie hoch es tatsächlich ist, bleibt im Ungefähren. Die wenigen Herren, die tatsächlich den genauen Einblick haben oder zumindest haben könnten, halten sich trotz der Veröffentlichung jährlicher Geschäftsberichte bedeckt.
Der Widerstand der Traditionalisten
Wen darf es angesichts solcher Zahlen verwundern, dass ein Papst, der sich in den Schuhen des Heiligen Franz von Assisi sieht, die von Jesus gepredigte Liebe zum Nächsten auch darin erkennen möchte, dass die Kirche ihren Reichtum nicht nur hortet und mehret, sondern damit für die Menschen wirkt? Ist Gott mehr als jemand, der seinen Gläubigen nur ein gutes Leben nach dem Tode verspricht? Für Franziskus aus Argentinien ist er es – und das hat ihm weltweit dort, wo mit kirchlichem Geld gearbeitet wird, wenig Freunde eingebracht.
Hinter den Kulissen tobt nicht nur in der Kurie ein Kampf zwischen jenen Traditionalisten, denen als Kirche eher die prunkvolle Symbolik der gottgefälligen Eigenliebe vorschwebt, und jenen christlichen Fundamentalisten, die es mehr mit den kargen Vorstellungen des Jesus halten und Geld als Mittel der Heilung von menschlicher Not betrachten.
„Man soll die Christen lehren, dass es besser sei, den Armen etwas zu schenken und den Bedürftigen zu leihen, als Ablässe zu kaufen“ – postulierte er sehr zum Unwillen jener, die mit dem Geld aus dem Sündenfreikauf statt Sozialhilfe lieber im römischen Verwaltungszentrum einen prunkvollen Bau für die Ewigkeit errichten wollten.
Das ewige Dilemma der Kirche
Es ist das alte Dilemma, das nicht nur die Kirche seit Ewigkeiten umtreibt, sondern selbst in der Demokratie ständig die Verantwortlichen quält. Hamburg, diese Stadt der sozialdemokratischen Pfeffersäcke, stand dereinst vor diesem Dilemma, als es mit der Elbphilharmonie nicht zuletzt auch ein Zeichen des Stolzes setzen wollte. Könnte man das Geld nicht besser, nicht sinnvoller einsetzen? Sanierungsstau in Schulen und auf den Straßen sprachen wider die Symbolik – doch warum nicht auch einmal etwas schaffen, das zumindest für die halbe Ewigkeit geschaffen ist?
Für die Kirche stellte sich solche Fragen zu früheren Zeiten nicht. Die Gottgefälligkeit fand ihren Ausdruck in den prachtvollen Kathedralen, die noch Jahrhunderte später von den Menschen bewundert werden. Das Lob Gottes fand seinen Ausdruck in der Größe des Gotteshauses und in der Macht der Symbole – dem Herrn zu dienen und darüber zu sterben und als Dank dafür in das himmlische Paradies einzuziehen war der Lohn, den Gottes Kirche für die Gläubigen vorgesehen hatte. Und was schon ist der Mensch im Angesicht der Ewigkeit?
Moderne Kirche ist mehr als Gotteslob
Doch der Wandel des Denkens blieb auch an den Pforten der Bischofssitze und Kathedralen nicht auf ewig ausgesperrt. Die Kirche lernte in einem für sie oftmals bitteren Prozess, dass moderne Kirchgänger mehr erwarteten als das himmlische Versprechen auf ein ewiges Leben. Und so war die Kirche eben auch eine Institution, die mit ihrem Wirken den Menschen im Hier und Jetzt dienen sollte und wollte. Vorausgesetzt, es ginge dabei nicht an ihren manifesten Reichtum, der der Kirche in allen Zeiten und aller Not die Existenz und ihren obersten Dienern ein auskömmliches Dasein sichern sollte. So war und ist die Kirche auch heute noch ein Onkel Dagobert, der in seinem Geldspeicher Vermögen hortet, das keinem anderen Zweck als sich selbst dient, während der Supermultireiche in abgerissener Kleidung vor dem Banktor sitzt und um milde Spenden bettelt.
Und doch sei unbestritten: Wer allein dem Weg des Franziskus folgt, der hat am Ende nur die Seelen, aber nichts mehr, um sie zu retten. Wer aber dem Weg des Geldes folgt, der hat am Ende vielleicht alles, aber nicht die Seelen, die es noch zu retten gäbe. Kirche – und das unterscheidet sie vom globalen Großkonzern – muss, so sie wirken will, immer beides sein: Wirtschaftsunternehmen und christliche Missionsstation. Verliert sie eines davon aus dem Auge, wird sie nicht bestehen können. Die Balance zu halten zwischen dem Anspruch Christi und der Unchristlichkeit der Welt ist das, was Kirche auszeichnen sollte – auszeichnen muss.
Ein Bischof räumt auf
Genau diesen Weg schien das jüngste der deutschen Bistümer, das erst 1994 wieder begründete Hamburg, gehen zu wollen. Es trat offensiv nach Außen, leistete vorbildliche Arbeit für die Menschen in der Bildung wie in der Betreuung.
Am 26. Februar 2015 wurde der damals erst 48 Jahre alte Kölner Generalvikar Stefan Heße von Franziskus zum Erzbischof von Hamburg ernannt. Unter seinem Motto „Mit Gott ist alles möglich“ machte Heße noch im Jahr seiner Ernennung mit der Feststellung auf sich aufmerksam, dass das von ihm übernommene Bistum völlig überschuldet sei und es ein Weiter-so nicht gäbe.
Das alles aber sind fast schon „peanuts“ gegen das Kapitalvermögen, über welches die Katholische Kirche im Norden der Republik verfügt. Die Finanzanlagen – überwiegend krisensichere Staats- und Bankanleihen – wurden im Wirtschaftsbericht mit 162.014.472,42 Euro beziffern – zuzüglich Anlagen für den Priesterversorgungsfond in Höhe von 76.306.365,29 Euro. Addiert man allein diese Beträge ohne Forderungen aus Lizenzen und weitere Einnahmequellen zusammen, so verfügte das Bistum zum Ende des Jahres 2015 über ein Vermögen von deutlich über 260 Millionen Euro. Franziskanische Armut sieht anders aus.
Ernst & Young greift ein
Woher nun dennoch die unerwartete Offenbarung des bischöflichen Stuhls, dass die Katholische Kirche im Norden kurz vor dem finanziellen Ruin stünde?
Offensichtlich verfügte die Bischofsverwaltung über Erkenntnisse, die den Experten von Solidaris nicht zugänglich gemacht wurden. Nach schrillenden Alarmglocken jedenfalls sucht man in deren Wirtschaftsbericht vergebens.
So machte sich das Bistum auf und suchte nach Partnern, die ihre Sicht der Dinge zu belegen vermochten. Und selbstverständlich wurden sie fündig, denn wie steht es schon in Petruswort 5.8: „Der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.“
Ernst & Young, auf kapitalistisch orientierte Wirtschaftsunternehmen spezialisierter Großsanierer, wurde eingeschaltet – offenbar hatte der Bischof sein Vertrauen in die Leute von Solidaris verloren. Und selbstverständlich wurde E&Y fündig.
Am 8. Dezember 2017 – das Bistum hatte mittlerweile längst alle einst geplanten Investitionen gestoppt und die ursprünglich selbständig agierenden Fachgebiete wie den Katholischen Schulverband direkt dem Generalvikar unterstellt – veröffentlichten die Wirtschaftsberater ihre „Grundlagen für einen Wirtschaftlichen Orientierungsrahmen“. Hier endlich hatten nun Heße und seine Truppe von Kirchensanierern jene Argumente, mit denen sie zum Kahlschlag ausholen sollten.
„Solidaris“ als Totalversager
„10 Berater und weitere Experten aus dem EY-Netzwerk“ hätten vom 1. September bis zum 8. Dezember des Jahres „mittelfristige Perspektiven für die wirtschaftliche Gesundung des Erzbistums Hamburg und mögliche Szenarien für Einsparungen erarbeitet“, erläutert dieser Orientierungsrahmen. 99 Tage einschließlich Abfassung eines erwartbar umfassenden Berichts und jener Grundlagenbroschüre, welche allein für sich schon mindestens eine Woche Produktionszeit in Anspruch genommen haben dürfte – und das alles für einen Patienten, der noch zum 31. Dezember 2015 als kerngesund entlassen wurde.
Entsprechend liest sich, was die „Berater und Experten“ zu Papier brachten.
So starten die erwähnten Fachleute mit einer fast schon strafrechtsrelevanten Attacke gegen die Solidaris-Konkurrenz: „Der Umfang und die Komplexität der kirchlichen Aktivitäten in einem zunehmend schwierigen Umfeld (Säkularisierung, demographische Entwicklung, Niedrigzinsphase, hohe Pensionsansprüche) haben zu unerkannten Fehlentwicklungen geführt.“
Mit anderen Worten: Die langjährig im Geschäft der Non-Profit-Organisationen tätigen Herrschaften der „Solidaris“ sind Totalversager. Sie waren demnach als langjährige Betreuer des Bistums außerstande, „Fehlentwicklungen“ zu erkennen. Bitter und durchaus geeignet, den guten Ruf des Beratungsunternehmens zu beschädigen.
Die Schwund der Schäfchen
Welches also sind die „Fehlentwicklungen“, die die Katholische Kirche des Nordens nun in den Ruin treiben, so ihnen nicht radikal entgegen gewirkt wird?
Die „Berater und Experten“ überraschen mit einer ihnen offenbar gänzlich unerwarteten Erkenntnis: „Etwa 90 Prozent des Kirchensteueraufkommens im Erzbistum Hamburg entfallen derzeit auf die Altersgruppe von 20 bis 65 Jahren.“
Nun, wer auch sonst soll sie abführen, wird sie doch von der steuerzahlenden Bürgerschaft entrichtet. Kinder und Jugendliche ebenso wie Rentner und Pensionäre gehören traditionell nicht zu den Bevölkerungsgruppen, die überproportional Steuern zahlen – für die Herren in Bischofssitz und Unternehmensberatung gleichwohl eine offensichtlich unerwartete Erkenntnis. Und so verblüfft dann auch die nachfolgende Feststellung: „Gerade diese Gruppe wird langfristig kleiner werden“.
Wird sie? Nun war es noch nie so, dass alle Norddeutschen Katholiken sind – ganz im Gegenteil wähnt man sich in der Hansestadt trotz eines spürbaren Zustroms von Kirchgängern aus Polen und südslawischen Regionen, aber auch aus Südwesteuropa seit Generationen in der Diaspora. Auch arbeitet die Bundesregierung doch seit geraumer Zeit aktiv daran, den gefühlten Bürgerschwund durch den Import von mehr oder weniger leistungsfähigen Neubürgern aus Afrika und Asien auszugleichen, von denen zumindest jene aus Westafrika häufig eine feste Bindung zum christlichen Gott haben.
Diffuse Feststellungen begründen einen Kahlschlag
Nun könnte man die aus dem erwarteten Schäfchen-Schwund resultierende E&Y-Feststellung, dass das Kirchensteueraufkommen angesichts der kirchlichen Lethargie im Jahr 2050 um knapp ein Viertel geringer sein wird als gegenwärtig, vielleicht noch akzeptieren, wenn denn ansonsten qualifizierte Bestandsaufnahmen die kirchliche Finanzkrise begründen könnten. Doch da wird es nun vollends diffus – und es darf die Frage gestellt werden, wie denn das ohne jeden Zweifel recht kostenintensive Honorar der „Unternehmensberater“ angesichts einer solchen Arbeitsleistung überhaupt gerechtfertigt werden soll.
Schauen wir als erstes auf den immobilen Besitz des Bistums, nicht nur in Kirchenkreisen Grundlage einer soliden Haushaltssituation. Hier kommt E&Y – – – zu keinem Ergebnis.
„Der Immobilienbestand des Erzbistums Hamburg beläuft sich nach grober Schätzung auf eine Bruttogrundfläche von 450.000 bis 525.000 m²“, ist zu lesen. Also eine „grobe Schätzung“ mit einer Differenzbreite von 75.000 Quadratmetern? Wer hat denn da nun keinen Überblick? Der Unternehmensberater oder der Auftraggeber? Oder beide? Und wie kann sich jemand erdreisten, auf Grundlage einer solchen „groben Schätzung“ konkrete Handlungsempfehlungen abgeben zu wollen? Wäre es nicht das erste Gebot eines jeden seriös agierenden Kaufmanns, die wirtschaftliche Situation niet- und nagelfest zu bestimmen? Nicht so offenbar für Ernst&Young. Und dennoch reicht diese unqualifizierte Grobschätzung den Herrschaften, um einen aktuellen „Instandhaltungsstau“ von 157 Millionen Euro zu erschätzen.
Im Unbestimmten bleibt auch ein weiteres Argument, mit dem die Hamburger Kirchenleitung derzeit die Unvermeidbarkeit künftiger Rotstiftaktionen zu begründen sucht. Angeblich, so der „Orientierungsrahmen“, führe der Pensionsfond durch „ungedeckte Verpflichtungen zu erheblichen Belastungen“.
Angesichts dieser ohnehin schon vagen bis fragwürdigen Zahlenspiele greift E&Y auch noch die bislang als sehr solide dargelegte Kapitalpolitik des Bistums an: „Das derzeitige Anlageprofil des Erzbistums beinhaltet im Wesentlichen Bundes-und Bankanleihen, deren Renditen durch die anhaltende Niedrigzinsphase zurückgehen. Es ist zu prüfen, inwiefern eine neue Anlagestrategie das aktuelle Renditepotenzial steigern und dabei Kriterien der Nachhaltigkeit erfüllen kann.“
Vermutlich soll das heißen: Legt das Geld Eurer Schäfchen nicht mehr solide an, sondern haut es raus für spekulative Papiere und Derivate, die mit Glück satte Gewinne, mit Pech aber auch den Totalverlust verursachen können. Und die Diözese durfte sicher sein, in ihrem Vermögensverwaltungsrat auf offene Ohren zu stoßen, sitzen dort doch honorige Vertreter aus Banken wie Berenberg und Donner & Reuschel – und sogar ein langjähriger Mitarbeiter eben jener Unternehmensberatung, die der Kirche die Umsteuerung empfiehlt.
Der Sparstift schafft Entsetzen
Trotz dieser für seriöses Handeln überaus fragwürdigen Basis hat das Bistum nun erste, radikale Maßnahmen in die Tat umgesetzt und seinen Sparstift genau dort angesetzt, wo eigentlich dem befürchteten Rückgang der kirchensteuerzahlenden Leistungsträger entgegengewirkt werden könnte: an den Schulen.
In ein Nacht- und Nebelaktion wurde den Leitern von acht katholischen Bildungseinrichtungen am 17. Januar mitgeteilt, dass ihre Schulen schließen werden. Gleichzeitig wurden sie zu Stillschweigen verdammt – die Lehrkräfte erfuhren es erst einen Tag später und den Schülern, denen vorsorglich angesichts der Verkündigung der unfrohen Botschaft Schulhofverbot erteilt wurde (man befürchtete, sie könnten unschöne Szenen für zufällig herumlungernde Journalisten liefern), wurden am Freitagvormittag in Schockstarre versetzt, die zunehmend mehr einer unendlichen Enttäuschung und der blanken Wut wich.
Das Aus war offensichtlich von langer Hand geplant: Pünktlich zu jener Anmeldewoche, in der die neuen Schüler sich für Grundschule und Gymnasien bewerben, ging Generalstreichvikar Ansgar Thim an die Öffentlichkeit – von den Schulen lang vorbereitete Werbetage wurden kurzfristigst abgesetzt . Ein Schelm, der Böses dabei denkt – doch ist es offensichtlich: Hier wollte das Bistum gleich das Boot, auf dem die Kirche fuhr, final versenken. Denn ohne neue Schüler keine Schule.
Weg mit dem, was kostet
Konsequent war es denn auch, als bei der nachfolgenden Samstagsabendmesse in der Hamburger Domkirche die Betroffenen, die zu hunderten zum stillen und friedlichen Protest erschienen waren, zur Begrüßung vom Altar aus aufgefordert wurden, die Kirche zu verlassen. Ein Gotteshaus sei kein Ort des Protestes, ließ man die Kinder und ihre Eltern und Lehrer wissen – und gab ihnen gleich noch ein Bibelwort mit auf den Weg, wonach allein Jesus wisse, was der richtige Weg sei und man einfach nur auf ihn vertrauen möge.
Schluss sein allerdings wird mit dieser Radikalkur, die Schüler, Eltern und Lehrer aus der Entsetzensstarre nun zu kreativem Protest anstachelt, nicht. Generalvikar Thim, der die Botschaft im Namen seines bischöflichen Herrn der Öffentlichkeit verkündete, machte deutlich, dass Schule für ihn kein vorrangiger Hort des Glaubens sei. Eine Position, die die Deutsche Bischofskonferenz in ihrer am 25. April 2016 veröffentlichten Position „Erziehung und Bildung im Geist der Frohen Botschaft“ noch deutlich anders sah.
„Die Schließung von acht Schulen ist nur der erste Schritt“ – ein Schritt, der angesichts der Auswahl auf verblüffende Weise genau jene Stadtteile traf, in denen die katholische Klientel mehrheitlich nicht über exorbitante Einkommen und Vermögenswerte verfügt.
Auch wird der kirchliche Kahlschlag nicht auf die Schulen beschränkt bleiben. Das E&Y-Papier nennt explizit nicht nur Pfarreien und Kirchen, sondern auch die kirchlichen Krankeneinrichtungen, die keine Gewinne abwürfen. Die ANSGAR-Gruppe, die in Hamburg und Lübeck drei Krankenhäuser betreibt, „sieht sich einem zunehmenden Wettbewerb mit größeren Klinikketten ausgesetzt und mit ansteigenden Investitionsbedarfen konfrontiert“. Die Klinik Groß-Sand auf der Hamburger Elbinsel Wilhelmsburg „ist in eine wirtschaftliche Schieflage geraten. Eine Sanierung ist nur mit erheblichen Mitteln des Erzbistums Hamburg möglich“. Die Botschaft ist unmissverständlich: Weg damit! Interessenten für die Immobilien stehen angeblich schon bereit.
Zurück zum klerikalen Kapitalismus
Und so ist naheliegend, was ein Insider aus der Bistumsverwaltung hinter vorgehaltener Hand wissen lässt: Dem Generalvikar Thim, der als treibende Kraft bei E&Y-Beauftragung wie beim Sanierungskahlschlag gilt, gehe es nicht im Geringsten darum, gefühlte oder tatsächliche Defizite im Sinne der Betreuung der Gläubigen abzuschaffen. Er orientiere sich ausschließlich an dem Ziel, aus dem Bistum ein unabhängiges, auf Gewinnmaximierung orientiertes Wirtschaftsunternehmen zu machen, welches künftig das Kirchensteueraufkommen nur noch als willkommenes Zubrot benötige. Deshalb werde nun alles, was keine Gewinne abwirft, entweder verkauft oder in gewinnträchtige Unternehmen wie Wohnungsbau umgewandelt.
Selbstverständlich kann die Kirche, wenn sie ihres Glaubensauftrages überdrüssig ist und angesichts der zunehmenden Islamisierung Deutschlands sich ohnehin keine Chancen auf Wachstum und staatliche Subventionierung erhofft, zu einem reinen Wirtschaftsunternehmen werden. Dann allerdings sollte sie auch dazu stehen und Papst Franziskus über die Umorientierung in Kenntnis setzen.
„Auch das ist Eitelkeit“
Und doch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, in die Führung des Bistums sei eine Geheimgesellschaft eingedrungen, die nach klassischem Muster das Geld der Kirche mit ihrem Privatvermögen verwechselt. Franziskus, der einst den Kölner Stefan Heße zum Bischof von Hamburg machte, sollte seinen Kirchendiener vielleicht an jenes Wort aus der Apostelgeschichte 8.20 erinnern, in dem die Positionierung der Christen zum Geld deutlich gemacht wurde und dereinst Martin Luther beflügelte: „Petrus aber sprach zu ihm: Dein Geld fahre samt dir ins Verderben, weil du gemeint hast, dass die Gabe Gottes durch Geld zu erlangen sei!“
Und sollte das nicht genügen, um das bischöfliche Amt an seine christlichen Aufgaben zu gemahnen, so halten die Sprüche 17.16 ebenso wie die Prediger 5.10 noch einige weitere Hinweise bereit: „Wozu doch Geld in der Hand eines Toren, um Weisheit zu kaufen, da ihm doch der Verstand fehlt? – Wer das Geld liebt, wird des Geldes nicht satt; und wer den Reichtum liebt, nicht des Ertrages. Auch das ist Eitelkeit.“
Wer wäre der Autor, dieser Weisheit noch etwas hinzufügen zu wollen …
Anhang: Erklärung der Gesamtschülervertretung der katholischen Schulen unter der privaten Trägerschaft des Erzbistums Hamburg: Widerstand