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Europa: Das Ende des Postkolonialismus

Trump: "Unsere Führer haben sich mehr damit befasst, Nationen im Ausland aufzubauen, während sie darin scheiterten, unsere Nation Zuhause aufzubauen."

© Mark Wilson/Getty Images

Wer einen Blick auf die Geschichte wirft, dem wird auffallen, dass Jahrhundert-Epochen zumeist nicht mit dem willkürlichen Datumswechsel von *99 auf *00 beziehungsweise von *00 auf *01 enden. So wurde das Zeitalter der Entdeckungen und die Phase des frühen Kolonialismus und der Rivalität zwischen Frankreich und dem Vereinigten Königreich erst 1815 mit der Schlacht bei Waterloo final geschlossen. Das Zeitalter der Industrialisierung und der Ablösung Großbritanniens als Weltführungsmacht durch Deutschland und die USA endete 1914 mit dem Einstieg in den Völkerkrieg der europäischen Imperien.

Gegenwärtig, so deutet vieles an, scheint sich das Zeitalter des Postkolonialismus seinem Ende zuzuneigen. Die Welt sortiert sich neu – und sie orientiert sich nicht mehr unter den postkolonialen Ansprüchen der europäischen Zivilisation nach allgemeinem Menschenrecht und globaler Demokratie. Europa, das im 19. und 20. Jahrhundert das Geschehen der Welt bestimmte, meldet sich ab.

Niemand formulierte dieses dieser Tage deutlicher als der bei den europäischen Postkolonialisten so ungeliebte US-Präsident Donald Trump.  In seiner vorweihnachtlichen Rede zur weltstrategischen Lage stellte er fest:

„Unsere Führer haben sich mehr damit befasst, Nationen im Ausland aufzubauen, während sie darin scheiterten, unsere Nation Zuhause aufzubauen.“

Trefflicher kann das Dilemma der Europäer nicht auf den Punkt gebracht werden. Denn auch wenn sie im Laufe des vergangenen Jahrhunderts sich von der Verwaltungsdominanz über die kolonialen Gebiete verabschiedet hatten – und damit manche Region wie beispielsweise vom Sahel über den Kongo bis Somalia und vom Libanon bis Pakistan im Chaos hinterließen – so wandelte sich der auch mittels militärischer Macht durchgesetzte, koloniale Weltherrschaftsanspruch in den vergangenen einhundert Jahren in den globalen Anspruch, die Errungenschaften der westeuropäischen Zivilisation gleichsam mit friedlicher Gewalt durchzusetzen.

Europas friedliche Gewalt

Was damit konkret gemeint ist? Nun, seit dem 16. Jahrhundert zogen Europäer aus, die Welt zu übernehmen. Sie zwangen indigene Völker unter ihren Kulturanspruch, ersetzten deren Identität durch die Europas. Nicht selten ging dieser erzwungene Kulturwechsel einher mit der Vernichtung ganzer Völkerschaften. Nicht nur die menschlichen Erstbesiedler von Hispaniola oder Tasmanien könnten ein Lied davon singen, hätten sie die Invasion der Europäer überlebt.

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Die Motivation dieser Kulturdominanz war recht unterschiedlich gelagert. Immer spielte die rationale Erwägung des Kaufmanns auf Gewinn eine entscheidende Rolle bei der Eroberung der Welt. Die Flucht vor Repression, wie sie den Exodus christlicher Sekten aus Europa in die Neue Welt veranlasste, oder der psychotische Eifer, anderen Menschen die eigene Gottesillusion aufzwingen zu müssen, waren ebenfalls nicht selten ein Motiv, anderen Menschen ihre Identität zu nehmen. Doch auch der hehre Anspruch, sich als weltweiter Verbreiter der Zivilisation zu verstehen, soll und darf nicht unterschlagen werden. Europa war nicht nur die Macht, die den indigenen Völkern der Welt ihre Identität nahm – es brachte auch Medizin, Bildung und nach einem langen Weg sogar den Schutz vor Versklavung und Unterdrückung. Europas Expansion hatte – wie fast alles auf dieser Welt – Licht- und Schattenseiten.

Als Europa sich als Schutz- und Dominanzmacht zurückzog, hinterließ es den meisten Ländern dieser Welt Führungseliten, die ihre Länder nach europäischem Vorbild gestalten wollten – und die dennoch nicht in der Lage waren, sich aus der zutiefst menschlichen Eigenschaft der persönlichen Gier zu befreien. Korruption und das, was Konrad Löw als „die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen“ beschrieb, beflügelt durch dieses am Lebensende gänzlich nutzlose Verlangen nach immer mehr persönlichem Eigentum, ist rund um den Globus nicht die Ausnahme, sondern die Regel.

Doch es ist nicht nur die Unfähigkeit des Menschen, sein Ego in den Dienst einer höheren Sache im Sinne des gemeinsamen Fortschritts zu stellen, ohne dass ihm dieses von einer eingebildeten Gottesgestalt oder einer vergötterten Illusion als Lebensauftrag aufgegeben wurde, was die Europäer den von ihnen kolonisierten Völkern ebenso hinterließ, wie es nicht-kolonialisierte Länder wie China oder Russland prägt. Es ist auch der über ein Konstrukt namens Vereinte Nationen scheinbar installierte Anspruch, die Errungenschaften der westeuropäischen Zivilisation weltweit anerkannt und realisiert zu sehen, der bis heute nichts anderes ist als ein Symptom europäischen Dominanzanspruchs.

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Dabei aber steht die europäische Zivilisation zunehmend mehr auf verlorenem Posten. Weit über 70 Prozent der Menschheit haben sich längst von den Idealen eines individuellen Menschenrechts entfernt – falls sie diese überhaupt jemals für sich übernommen haben sollten. China, das allein rund ein Fünftel der Menschheit stellt, konnte als kollektivistisch organisierte Gesellschaft mit dem individuellen Menschenrechtsanspruch noch nie etwas anfangen. In den korrupten und von archaisch-kollektivistischen Vorstellungen geprägten Ländern Afrikas und Vorderasiens standen Menschenrechte schon immer bestenfalls auf dem Papier – für die islamische Welt gilt diese Fiktion eines allgemeinen Menschenrechts ohnehin nur, wenn sich der Mensch den Geboten des Mohammed uneingeschränkt untergeordnet. Mohammed konnte mit einem individuellen Rechtsanspruch, der sich nicht absolut seinen Geboten unterwirft, bereits vor 1.400 Jahren nichts anfangen – seine Nachfolger, gleich ob in Zentralarabien, dem Sahel oder Südostasien können es auch heute nicht.
Europa als Don Quichotte

Die europäische Zivilisation wurde in den vergangenen fünfzig Jahren zum Don Quichotte dieses Planeten Erde. Sie rannte wie gegen Windmühlenflügel an gegen die Macht des Unvermeidlichen, als in Folge ihrer Zivilisierung der Welt die Zahl der Menschen explosionsartig anwuchs und sie immer noch nicht begreifen konnte, dass all das, was ihre Vordenker im 18. und 19. Jahrhunderts an Überlegungen zu Menschenrecht und einer friedlichen Zukunft unter dem Gebot der Vernunft an einem fundamentalen Irrtum krankten: Die großen Humanisten der Aufklärung konnten sich, weil sie auch nichts anderes waren als Kinder ihrer Zivilisation, nicht vorstellen, dass allein schon die schiere Menge Mensch, die im Gefolge der Kultivierung der Menschheit durch die Errungenschaften Europas entstehen musste, ihre Vorstellungen ad absurdum führen würde. Auch konnten sie sich als Kinder ihres Zeitgeistes nicht vorstellen, dass es eine Renaissance des Irrealen geben würde, wie sie sich gegenwärtig im weltweiten Vormarsch der archaischen Vorstellungen des Islam ebenso manifestiert wie in dem verzweifelten Versuch ihrer eigenen, entbildeten Kinder, ihr Heil in der Irrationalität des Nonfaktischen zu suchen – in der Schwärmerei für eine allumfassend sich liebende und achtende Menschheit, deren natürlicher Urinstinkt des individuellen Egoismus einer utopistischen Vision des kollektivistischen Miteinander im Paradies der humanistischen Ewigkeit gewichen ist.

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Das Problem dieser Welt – und mehr noch das der Postkolonialisten der europäischen Zivilisation – ist es, nicht zu begreifen, dass beides gemeinsam nicht geht. Eine Zivilisation, wie sie die europäischen Denker der Aufklärung und der Gründerzeit erdachten, basiert auf einem festen Gleichgewicht zwischen dem Machbaren und dem Wünschbaren. Mit der Dominanz der Europäer schien alles machbar zu werden – und die Jahre bis 1970 waren trotz aller Selbstzweifel geprägt von der Vorstellung, dass es für die Menschheit keine Grenzen des Machbaren gäbe. Ob die Welt als Erde oder als Universum – alles schien erreichbar und zumindest in der europäischen Zivilisation, die zu diesem Zeitpunkt noch von Alaska rund um den Globus bis Kamchatka reichte, vermochte niemand zu erkennen, dass dieser Anspruch immer nur so lange zu erfüllen sein würde, wie der damit einhergehende, postkoloniale Anspruch mittels Macht durchgesetzt werden konnte.
Der Siegeszug der Barbarei

Der Bruch kam in den Siebzigern. Die Feinde der europäischen Zivilisation eroberten sich erste Bastionen zurück. Das im Mittelalter verharrende Arabien den Söhne Sa’uds ließ seine erdöl-polierten Muskeln spielen; im Iran übernahm ein geistig ebendort verharrender Klerus die Macht und vertrieb jenen Despoten, der aus dem Iran einen europäischen Staat machen wollte. In China – niemals in Gänze kolonialisiert und doch von Europäern und Japanern jahrzehntelang geschunden – bediente sich eine in den Traditionen des Konfuzius denkende, neue Elite der europäischen Kollektivismusvorstellungen des Karl Marx. Das individuelle Menschenreicht spielte in allen diesen Konzepten keine Rolle.

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Doch auch in der Peripherie Europas hatten die Ideale der europäischen Hochkultur zunehmend ausgedient. In Russland, welches mit dem individuellen Recht des Einzelnen noch nie in seiner Geschichte viel anfangen konnte, wurde der sozialistische Kollektivismus als Instrument der Herrschaft von einer kleinen oligarchischen, auf die persönliche Bereicherung bedachte Elite reaktiviert. Ein wie auch immer begründetes, fiktives Recht des Menschen auf Selbstbestimmung interessierte Russlands neue Elite nur dann, wenn es ihren Zielen dienlich schien. Ob Krim oder Ukraine oder auch inländische Opposition – wer nicht nach den Wünschen der Elite agierte, hatte seinen Menschenrechtsanspruch verspielt.

Auch die Türkei – um ein weiteres Beispiel aus der Peripherie Europas zu benennen – verabschiedete sich von den zarten Pflänzchen individueller Freiheit und politischer Selbstbestimmung, die westeuropäische Ideen in die Köpfe der Eliten des 20. Jahrhunderts gepflanzt hatten. Im 21. Jahrhundert hatten diese Ideen unter einer irrationalen Mischung aus Nationalethos und Rückbesinnung auf das Diktat Mohammeds ausgedient.

Kollektivismus statt Gemeinwohl

Doch auch die Wiege der Zivilisation, das westliche Europa zwischen Atlantik und Ostsee, verabschiedete sich zunehmend mehr von seinen Ansprüchen und baute sich stattdessen Schimären, die als wertlose Hüllen nur noch den Anschein dessen erweckten, was dereinst gedacht war. Die Kollektivisten des 20. Jahrhunderts verloren den Bezug zu den bürgerlichen Wurzeln ihrer Zivilisation. Innenpolitisch wurde der Gemeinwohlbegriff durch den individuellen Anspruch auf staatliche Leistung ersetzt – und je mehr unter dem vorgeblichen Individualanspruch die Gemeinsamkeit der Gesellschaft unter dem Diktat von Minderheiten verschwand, desto mehr wurde mit dem postkolonial-irrationalen Anspruch eines weltweiten Menschenrechts genau dieses vernichtet.

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Der Barbar hatte schon immer ein gutes Gespür dafür, wann eine Hochkultur sich selbst überlebt hatte. Mit List oder Gewalt oder mit List und Gewalt ging er daran, ihren zivilisatorischen Anspruch erst sich selbst nutzbar zu machen, die Früchte ihrer Errungenschaften zu plündern und sie dann durch die eigene Barbarei zu ersetzen. Es ist dieses kein neues Phänomen – ob das antike Rom oder die Hochkultur der persischen Sassaniden, sie alle fielen von ihrem zivilisatorischen Anspruch zurück in die Barbarei, als sie ihr Selbstvertrauen einbüßten und damit die Bereitschaft und die Fähigkeit verloren, ihre Hochkultur gegen den Barbaren intellektuell wie mit Waffengewalt zu verteidigen.
Das Dilemma der Europäer

Trump nun, dieser Unmensch in den Augen jener, die ihre eigene Zivilisation zu Grabe tragen, brachte es mit diesem einen Satz, den es zu wiederholen gilt, auf den Punkt:

„Unsere Führer haben sich mehr damit befasst, Nationen im Ausland aufzubauen, während sie darin scheiterten, unsere Nation Zuhause aufzubauen.“

In ihrem postkolonialen Anspruch, eine Welt nach ihren Vorstellungen zu schaffen, konzentrierte die europäische Zivilisation all ihre Energien darauf, aus Barbarenkulturen Zivilisationen zu machen. Gleichzeitig aber vergaß sie, dass nur derjenige erfolgreich seine Idee einem anderen aufzwingen kann, dem die Instrumente der vernunftmäßigen Überzeugung ebenso gegeben sind wie die der materiellen Mittel der Macht – und diese erschöpfen sich nicht in Geld, sondern sie benötigen vor allen auch die materiellen wie immateriellen Waffen, die sie ihre Überzeugung verteidigen lässt.

Europa befindet sich seit der Antike in einem Krieg gegen die Barbarei. Es war im frühen Mittelalter dabei, ihn zu verlieren – und konnte doch genug antike Zivilisation hinüberretten, um in seinem Zentrum darauf eine neue, zivilisatorische Idee aufzubauen. Doch mit dem Versuch, seine Zivilisation zur Weltzivilisation zu machen, ist es kläglich gescheitert.

China und Rom
Aufstieg und Niedergang von Zivilisationen
Bereits in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts ging ein um das andere Land, in dem europäisch geprägte Eliten den Anspruch Europas erfüllen wollten, verloren. Der Iran gab den Anstoß – und es findet sich heute zwischen Ägäis und Indus außer Israel kein einziges Land mehr, welches in irgendwelcher Weise als an den Werten Europas orientiert bezeichnet werden könnte. In Afrika, diesem verlorenen Kontinent, in dem Europa einst ungewollt die rivalisierenden Ethnien erstarken ließ und sie ohne zivilisatorisches Konzept in eine trügerische Unabhängigkeit entließ, sieht die Situation kaum anders auch. Lediglich in Lateinamerika scheint die von Westeuropa und Nordamerika ausgehende, europäische Weltidee noch einen kleinen Hauch der Chance zu haben – doch auch dort stehen nicht nur in Venezuela die Zeichen auf Despotie und den Rückfall in die Barbarei.
Letzte Rückzugsgefechte

Dort, wo Europa bereits verloren hat, kämpfen europäische Truppen ihre letzten Rückzugsgefechte. Afghanistan, einstmals eines der in europäischem Sinne fortschrittlichsten Länder Asiens, ist längst verloren an die Atavisten Mohammeds.

Dort, wo Europa wie in China niemals gewonnen hatte, beginnt es sich zu arrangieren, akzeptiert längst stillschweigend, dass der Wunschtraum globalen Menschenrechts nicht im Sinne Europas geteilt wird.

Spezial zur Buchmesse
Frankreich als Land der brillanten Niedergangsanalysen
Die überbordende Bevölkerung in zahlreichen anderen Regionen der Erde wird das ihre dazu beitragen, den Wert des menschlichen Individuums nur noch als unbedeutenden Aspekt im zu ernährenden und zu beschäftigenden Kollektiv zu betrachten – so, wie es die Vereinten Nationen längst tun, wenn sie ihr Kernproblem dadurch zu lösen versuchen, ohne Rücksicht auf regionale und nationale Traditionen den Menschenüberschuss aus Afrika, Asien und Südamerika in die Länder der europäischen Zivilisation zu verschieben.

Die Vorstellungen der europäischen Zivilisation, geschaffen in einer Zeit, als eine überschaubare Menge Mensch und ein durch naturbedingte wie kulturelle Vorzüge und Errungenschaften bedingter Standortvorteil es tatsächlich denkbar erscheinen ließen, die Individualität des Einzelnen als Mittelpunkt menschlichen Seins zu definieren, gehören der Vergangenheit an. Nicht nur in der sogenannten Dritten Welt – auch in Europa selbst vernichten die Völker ihren Werteanspruch durch diesen selbst.

Sie haben verlernt, den Wert ihrer Zivilisation als verteidigenswert zu begreifen.

Sie haben vergessen, dass Freiheit kein Geschenk ist, sondern täglich verteidigt werden muss.

Sie kasteien sich selbst, weil sie über hausgemachte Fehler und Irrtümer die Werte ihrer Zivilisation einerseits überhöhen, andererseits aber verdammen, jegliches Selbstbewusstsein der eigenen, geistigen Überlegenheit preisgeben und sich in das Nonfaktische des Geträumten zu retten suchen.

Europa – das war zu seiner kulturellen Hochzeit mehr als eine Region. Es war eine Idee, nach der seine Vordenker die Zukunft der Menschheit formen wollten.

Europa, das seinen zivilisatorischen Anspruch aufgegeben hat, wird zum Spielball der Barbarbei. Und es verklärt sich die Übernahme durch die Barbarei als den Höhepunkt seiner eigenen kulturellen Anspruchs, ohne zu begreifen, dass es diesen längst verloren hat.

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