Wer durch den afrikanischen Urwald pirscht, der kann, wenn er ein wenig Glück hat, ein Schauspiel besonderer Art erleben. Vor allem Affen beherrschen diese Rituale perfekt: Je nach Art gehen sie zähnefletschend, wild mit den Armen rudernd oder sich laut hörbar auf den Brustraum trommelnd auf jene zu, von denen sie sich bedroht fühlen oder die sie selbst im Kampf um Weibchen und Futterquellen bedrohen möchten. Bei vielen Arten endet dieses Imponiergehabe ohne Gewaltausbruch. Das allerdings setzt voraus, dass einer der sich zumeist gegenseitig bedrohenden den Rückzug antritt – also das von ihm beanspruchte Areal dem anderen überlässt. Zieht sich keiner der Kontrahenten zurück, dann kann es durchaus zu heftigen Auseinandersetzungen kommen – bis hin zur physischen Vernichtung des einen durch den anderen. Denn es geht um die Deckung der fundamentalsten Bedürfnisse: Futter, Weibchen – kurz: Macht.
Szenenwechsel. Operation Olivenzweig
Seit Anfang Januar schickt der nationalislamische Präsidialdiktator Recep Tayyib Erdogan seine jungen Männer zum Morden und Sterben nach Syrien. Seit an Seit mit den Überlebenden der von der westlichen Allianz aus Irak und Zentralsyrien Vertriebenen der Terrormiliz IS fallen die Nachkommen der zwangsislamisierten Anatolier über ihre südlichen Nachbarn her. Begründet wird der völkerrechtswidrige Angriffskrieg eines Landes, das offiziell noch Türkei heißt, mit der Lieblingsbehauptung der Diktatoren über all jene, die nicht ganz so ticken wie sie selbst: Die Opfer – in der syrischen Provinz längst auch Frauen und Kinder – seien „böse Terroristen“, welche es mit Stumpf und Stiel auszurotten gelte.
Nun, wenn Terrorist sich von Terror ableitet, dann ist sicherlich zuallererst jener ein Terrorist, der friedlich lebende Menschen ohne Anlass mit einer mörderischen Soldateska überfällt. Und friedlich war es in Afrin. So friedlich, dass selbst zahllose Opfer des mörderischen Krieges im Rest Syriens dort Zuflucht suchten. Darunter viele Jeziden und Christen, die trotz jahrtausendelanger Zwangsislamisierung an ihren alten Religionen festhalten – und an der Seite der muslimischen Kurden gegen die Vergewaltiger ihrer Frauen und Mädchen und Mörder ihrer Männer und Söhne kämpfen.
Trotzdem geschah das, worauf der Aggressor aus Ankara gesetzt und wovor sich die Betroffenen in Afrin gefürchtet hatten: Die Welt schaut weg.
Doch selbst die Rufe des Menschenrechtskommissars der Vereinten Nationen, Sajid ibn Sajid Ra’ad al Hussajn aus der jordanischen Königsfamilie, dieses Blutbad zu beenden, verhallten ungehört. Offenbar lassen sich die westlichen Türkei-Partner einlullen von der an Zynismus kaum zu übertreffenden Benennung des türkischen Angriffskriegs als „Operation Olivenzweig“ – nicht nur im Nahen Osten seit der Antike ein Symbol für den Frieden.
Erste Verluste des Anatoliers
Obgleich die angegriffenen Verteidigungskräfte der QSD kaum über Waffen verfügen, die es mit der hochgerüsteten Armee Erdogans auch nur ansatzweise aufnehmen können, vermeldeten die Verteidiger jüngst den Abschuss zweier türkischer Hubschrauber, von denen einer über dem Himmel Syriens zu tödlichen Schlägen gegen die Bevölkerung eingesetzt wurde, während ein Sikorsky als Truppentransporter neun türkische Soldaten in die Kampfzone bringen sollte.
Prompt echauffierte sich der Obertürke, warf jenen, die seine Armee mit hochmodernen Kriegswerkzeugen ausgestattet hatten, vor, sie würden „Verrat an der Türkei“ begehen, weil sie seinen Feldzug nicht unterstützen und nicht alle unter Kollektivanschuldigung stehenden, kurdisch-stämmigen Menschen in ihren Ländern längst verhaftet haben.
Konfrontation mit der Hand, die füttert
Nun geht Erdogan noch einen Schritt weiter. Sobald er Afrin als Generalgouvernement an die Türkei angeschlossen hat, will er die Stadt Manbidj übernehmen. Diese frühere Stellung des IS liegt rund 100 Kilometer östlich von Afrin, westlich des Euphratufers. Im August 2016 war sie von der QSD mit US-amerikanischer Unterstützung nach achtmonatigem Kampf befreit worden. Seitdem herrscht dort Friede unter der Verwaltung der demokratischen Kräfte.
Doch die syrische Großstadt liegt genau in jenem Korridor, den Erdogan für die Türkei beansprucht und mit dem er die Kurden im Westen Syriens von jenen im Osten des Landes trennen will. Ihm ist darum zu tun, den Nachschub aus Rojava zur Enklave Afrin abzuschneiden – und eine Ausgangsbasis dafür zu schaffen, um auch dieses östlich an der Grenze zur Türkei liegende Kurdengebiet durch einen Klammerangriff einzukesseln, um dort seinen Vernichtungsfeldzug gegen die Bevölkerung fortzusetzen. Aber er hat ein Problem. Denn obgleich die USA offiziell nicht in den syrischen Krieg eingegriffen haben und sich darauf beschränken, die Erdogan-Verbündeten vom IS zu bekämpfen, sind auch sie längst auf syrischem Boden anzutreffen. In Manbidj hat die US-Armee mittlerweile schlagkräftige Einheiten stationiert – und General Paul Funk, der erst jüngst seine Leute in der syrischen Großstadt besucht hatte, ließ mitteilen: Sollte die Türkei US-Truppen angreifen, werde man „hart reagieren“.
Das nun passt dem selbsternannten Kalifen Anatoliens überhaupt nicht. Er hatte – was immer ihn auch zu dieser Einschätzung bewogen haben mag – darauf gesetzt, dass die Amerikaner einmal mehr rechtzeitig die Kampfzone räumen und ihre regionalen Verbündeten im Stich lassen würden. Danach aber sieht es gegenwärtig zumindest am Westufer des Euphrat nicht aus. Aus gutem Grunde, denn in Washington hat man längst erkannt, dass Erdogans Geheimdient eng mit den Radikalmuslimen in Syrien zusammenarbeitet und die versprengten IS-Verbrecher als angeblich „gemäßigte“ Islamkämpfer nicht nur unterstützt hat, sondern sie jetzt auch zu seinen besonders brutal vorgehenden Hilfstruppen in Syrien macht.
Also echauffiert sich der Muslimbruder in seinem üblichen Imponiergehabe, droht nun sogar den USA mit einer „osmanischen Ohrfeige“ – was immer das auch sein soll in einem Land, in dem die Feigen an den Bäumen wachsen. Selbstverständlich werde man die US-Soldaten nicht gezielt angreifen, so der Mann, der in postkolonialem Phantomschmerz nicht nur davon träumt, die früheren Grenzen des Osmanischen Reichs wiederherzustellen, sondern sich bei seinem Besuch beim Papst in Rom jüngst selbst als „Kalifen und Führer aller Muslime weltweit“ feierte. Wenn sie aber aus eigener Dummheit zufällig neben einem der „auszumerzenden Terroristen“ stehen sollten – nun, dann würden sie „eben einsehen, dass es besser für sie ist, nicht neben einem Terroristen zu stehen und diesem auf die Schulter zu klopfen“.
Trump ist nicht Obama
In Washington werden diese Töne eines angeblichen Verbündeten mit wachsendem Interesse zur Kenntnis genommen. Erdogan spielt mit dem Feuer. Denn sollte er es tatsächlich wagen, US-Soldaten als „Kollateralschäden“ gemeinsam mit den von ihm erdachten „Terroristen“ auszumerzen, könnte dieses für ihn zu einem schmerzhaften Erlebnis werden. Für die USA gibt es Grenzen, die zu übertreten sie niemandem gestatten.
Es spielt dabei nur noch eine untergeordnete Rolle, welche militär-strategischen Überlegungen betroffen sein könnten. Längst hat Erdogan den Konflikt zu einem psychologischen Kräftemessen hochgefahren. Das aber ist eine Disziplin, die Trump besser als alles andere beherrscht. Also wird der US-Präsident den avisierten Besuch seines Außenministers Rex Tillerson in Ankara abwarten – und sollte dieser den wilden Mann vom Bosporus nicht nachhaltig in seine Schranken weisen können, könnte es eng für Erdogan werden.
Auch Zypern und die Ägäis im Blick
Hierbei werden die Aversionen der USA gegen den Anatolier noch dadurch bestärkt, dass dieser nun auch gegen das EU-Mitglied Zypern militärisch aktiv wird. Denn an den südlichen Gestaden deren Insel soll nach Erdgas gesucht werden. Für die bislang eher durch Geldwäsche aufgefallene Kleinstrepublik könnte der erwartete Erfolg der Bohrungen einen ungeahnten Aufschwung bringen – und für die EU eine Alternative zum Gas Putins.
Genau das aber ist Erdogan nun ebenfalls ein Dorn im Auge. Sein Land, das dereinst völkerrechtswidrig Zypern mit einem türkisch besetzten Nord- vom griechischen Südteil geteilt hatte, fordert nun die Teilhabe „seiner“ zyprischen Türken an den Vorkommen in den Hoheitsgewässern der Republik Zypern. Um seinen gefühlten Anspruch durchzusetzen, hindert die türkische Marine seit Tagen ein Bohrschiff des italienischen Energieriesen ENI daran, das Erkundungsgebiet südlich von Nikosia zu erreichen. Und auch seinen Nervenkrieg um die griechischen Ägäisinseln setzt der Obermuslim unbeirrt fort. Hier rammte dieser Tage ein Boot der türkischen Küstenwache vorsätzlich ein Patrouillenboot der griechischen Kollegen.
Erdogan auf Konfrontation
Erdogan fährt auf Konfrontation. Geht es ihm nur darum, endlich einen Anlass zu haben, um offiziell aus der NATO aussteigen und dann ungehindert seine osmanischen Kolonialträume ausleben zu können? Geht er davon aus, mit „seinen“ türkischen Landsleuten in den Ländern der EU genug Schläfer platziert zu haben, um notfalls auch bewaffnete Konflikte durch innenpolitische Unruhen im Feindesland durchstehen zu können? Und verwechselt er tatsächlich Trumps „America first“ mit einem weltweiten Rückzug der Noch-Weltmacht in die „splendid isolation“ auf den nordamerikanischen Kontinent? Spätestens hier dürfte er sich verkalkulieren. Denn „Amerca first“ gilt immer noch auch in Übersee. Vor allem dann, wenn man mit Israel und Jordanien Verbündete an seiner Seite hat, die jedem als notwendig erachteten Militärschlag als Bodenbasis dienen können, und es um konkrete Interessen geht, bei denen Gas und Öl eine tragende Rolle spielen.
Israel als Joker
Apropos Israel. Das soll, so ist zu hören, bei seinen jüngsten Attacken gegen zwölf Ziele auf syrischem Hoheitsgebiet vor allem der syrischen Luftwaffe erhebliche Schäden zugefügt haben. Im Zentrum der Angriffe standen Luftabwehrstellungen und die Maschinen selbst, von denen, wie Insider berichten, gut die Hälfte am Boden zerstört sein soll. Syrien selbst ist auch unter Assad für Israel nie ein tatsächliches Problem gewesen – und der Alawit hat sich gehütet, seinen Feldzug gegen die eigene Bevölkerung mit Provokationen gegen den gehassten Nachbarn für sich abschließend unberechenbar zu machen.
Welchem Zweck also diente die israelische Kommandoaktion tatsächlich? Offiziell richtete sie sich gegen die schiitischen Milizen und die in Syrien aktiven Iraner – Erzfeind Nummer Eins. Gut vorstellbar aber auch, dass Netanjahu schon einmal in Abstimmung mit den USA die Flugschneisen auch in die kurdischen Regionen im Norden Syriens freiräumen wollte.
Und während so nicht nur vor, sondern auch hinter unserer Haustür sich die Wolken bedenklich zusammenziehen, fantasiert Merkel von einem angeblichen Bürgerauftrag, der sie für die kommenden vier Jahre zur Bundesobermutti berufen habe – und die Sozialdemokratie zerlegt sich mit Personalscharmützeln und der Abschaffung demokratischer und vereinsrechtlicher Grundprinzipien selbst.
Felix Germania, das Du offenbar die Einschläge nicht einmal mehr merkst, wenn sie auf Deinem Sofa detonieren.