Zugegeben: Die Türkei hat ihn nie unterzeichnet und nicht ratifiziert. Dennoch gilt der Briand-Kellogg-Pakt, dem das Deutsche Reich, vertreten durch Außenminister Gustav Stresemann im Auftrag des Präsidenten, am 2. März 1929 beitrat, als Grundlage der weltweiten Ächtung eines Angriffskriegs. Nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reichs 1945 wurden auch deshalb zahlreiche Verantwortliche der national-sozialistischen deutschen Führung wegen des Führens eines Angriffskrieges vor das Nürnberger Tribunal der Siegermächte gestellt und zum Tode verurteilt.
Der Angriffskrieg als Strafhandlung
Die junge Bundesrepublik zog daraus die Konsequenten, erklärte in ihrem Grundgesetz „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten,“ für verfassungswidrig, weshalb sie unter Strafe zu stellen sind. In Konsequenz dieses Artikels 26 des Grundgesetzes formulierte das Strafgesetzbuch in § 80, damals noch eingeschränkt auf deutsche Geschehnisse: „Wer einen Angriffskrieg, an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.“
Seit ziemlich genau einem Jahr nun ist dieser Strafrechtsparagraph durch §13 des Völkerstrafgesetzbuches als „Verbrechen der Aggression“ ersetzt. Danach wird, wer einen Angriffskrieg führt, mit lebenslanger Haft bestraft. Wer einen solchen nur vorbereitet, darf mit Haft nicht unter zehn Jahren rechnen. Besonders bemerkenswert: Dem VStGB ist es ausdrücklich egal, ob der Straftäter als Deutscher oder Nicht-Deutscher einen Angriffskrieg führt. Entscheidend ist, dass er als „Beteiligter“ an Vorbereitung oder Führung eines Angriffskrieges „tatsächlich in der Lage ist, das politische oder militärische Handeln eines Staates zu kontrollieren oder zu lenken“. Als zu bestrafende „Angriffshandlung“ wird betrachtet, was „gegen die Souveränität, die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtet“ ist oder als sonst „mit der Charta der Vereinten Nationen unvereinbare Anwendung von Waffengewalt durch einen Staat“ betrachtet werden muss.
Gabriel hat ein Problem
Und so hat nun die Bundesregierung – vor allem ihr amtierender Bundesaußenminister Sigmar Gabriel – ein Problem. Denn genau einen solchen Angriffskrieg führen derzeit jene Herrschaften, deren Amtskollege Gabriels jüngst von diesem mit einem unterwürfig servierten Tässchen Tee und zahlreichen Kuscheleinheiten verwöhnt wurde. Der türkische Präsidialdiktator, der sich seinen herbeigeputschten Ausnahmezustand von seinem Scheinparlament jüngst wieder einmal verlängern ließ, hat seit mehreren Wochen schweres Kriegsmaterial an die Grenze zu Syrien verbringen lassen. Seine immer noch zur NATO gehörenden Soldaten stehen bereit zum Überfall auf den südlichen Nachbarn. Laut Informationen aus der Grenzregion hatte die türkische Angriffsarmee am 18. Januar 2018 ihren Überfall mit dem Artilleriebeschuss grenznaher Dörfer begonnen. Das grenznaher Dörfer begonnen. Das Aufmarschfeld wird freigeschossen – und alle Zeichen stehen auf Einmarsch.
Doch die Situation ist eindeutig: Syrien ist immer noch ein souveräner Staat, der jedweden Einmarsch türkischer Truppen in sein Territorium im Nordwesten als genau das betrachtet, was er nach UN-Definition und Völkerrecht ist: Ein Angriffskrieg.
Erdogan und das Neuosmanische Reich
Nichts spricht dafür, dass der Muslimbruder in Ankara davon ablassen wird. Für ihn geht es um den Bestand seines Neuosmanischen Reichs. Zumindest meint er das – und begründet damit seinen Krieg. Denn dort, wo die Türkei derzeit ihre Kampfkraft zusammenzieht, befindet sich auf syrischer Seite die Enklave Afrin. Das ist ein derzeit autonom verwaltetes, bislang friedliches Gebiet im Nordwesten des Bürgerkriegslandes, von wo aus die dort seit Ewigkeiten siedelnden Kurden als Verbündete der US-geführten Allianz gegen die Radikalmuslime vom Islamischen Staat als Bodeneinheiten erfolgreich agiert haben. Die Yekîneyên Parastina Gel (kurz YPG), „Volksverteidungseinheiten“ der Demokratischen Kräfte Syriens, sind die Kampfeinheiten der Kurden im Norden Syriens wie im Nordwesten des Irak. Sie bildeten die Speerspitze bei der Befreiung der jezidischen Städte ebenso wie bei der Übernahme der IS-Hauptstadt Raqa.
„Terroristen“ wider die islamischen Terroristen
Für Erdogan jedoch sind diese Verbündeten der amerikanisch-europäischen Allianz nichts anderes als Terroristen. Denn für ihn gelten sie als Teil der Kurdischen Arbeiterpartei der Türkei, die trotz des von ihr bis zu unprovozierten Angriffen durch die Türken eingehaltenen Waffenstillstands nicht nur in der Türkei, sondern auch in der EU immer noch als Terrororganisation betrachtet wird. Doch die YPG betont, eine eigenständige Volksvertretung der Kurden in Syrien und im West-Irak zu sein. PKK-Chef Cemil Bayik unterstrich in „Tichys Einblick“ 09/2017 diese Darstellung, wenngleich er aus seiner Position heraus der YPG eine „ideologische Nähe“ zu seiner PKK zusprach.
Doch für den Islamnationalisten Erdogan müssen die Kurden in Syrien ebenso wie die Kurden im Irak und jene Kurden in der Türkei, deren Wohngebiete er seit Monaten bedrängt und zerstört, Terroristen sein. Denn mit dieser Lüge meint er, seinen Angriffskrieg legitimieren zu können.
Erdogans politisches Ziel ist die Vernichtung eigener, kurdischer Verwaltungsstrukturen an der Grenze zur Türkei, die Ergebnis einer künftigen Friedenslösung sein könnten, weil sie längst existieren. In diesen Strukturen sieht Erdogan eine entscheidende Gefahr für das von ihm angestrebte neo-osmanische Reich. Die Selbstverwaltung der Kurden in Syrien und im Irak ist genau das, was auch die Kurden der Türkei für sich seit gut einem Jahrhundert verlangen – nachdem die Siegermächte Frankreich und Großbritannien ihre 1920 gemachte Zusage auf einen unabhängigen Kurdenstaat über den Kopf der Betroffenen hinweg strichen.
Die Zeichen stehen auf Angriffskrieg
Die Zeichen an der Südgrenze der Türkei stehen auf Angriffskrieg. Erdogan wird keine Skrupel haben, die bislang friedliche Region Afrin ebenso in Schutt und Asche zu legen, wie er es bereits mit Kurdenstädten in Ostanatolien getan hat. Afrin – Zufluchtsort auch für nicht-kurdische Flüchtlinge aus den südlich gelegenen Regionen Syriens – könnte so eine neue, eine echte Flüchtlingswelle veranlassen, die dann jedoch nicht in die Türkei ausweichen kann, sondern vor dieser nach Süden fliehen muss.
Der von Erdogan eingeleitete Angriffskrieg kann allerdings noch weit mehr bewirken. Zum einen wird die YPG nicht bereit sein, einem Überfall der Türken widerstandslos zuzusehen. Die Türkei kämpft auf fremden Gebiet und die Kurden haben Erfahrung im Guerillakrieg. Waffentechnisch allerdings sind sie hoffnungslos unterlegen, stehen doch auf türkischer Seite unter anderem Hochleistungskampfmaschinen aus deutschen Waffenschmieden.
Auch Syriens Staatschef Assad, der die Russen an seiner Seite weiß, hat bereits wissen lassen, dass er einen Einfall der Türkei als Kriegserklärung verstehen wird. Und die Kurden haben nicht nur die eigenen YPG-Kräfte im Osten Syriens, in der autonomen Region Rojava, als Verbündete. Vor allem Israel hat längst einen engen Schulterschluss mit den Kurden gefunden, gelten sie doch wie die Israeli als eine Kraft, die sich trotz aller Schwierigkeiten an demokratischen Zielen orientiert und die islamische Diktatur über den Nahen Osten mit aller Kraft verhindern will.
Fraglich ist auch, wie sich die USA des Donald Trump positionieren, wenn NATO-Partner Türkei einen Angriffskrieg gegen US-Verbündete führt. Trumps Positionierung zu Israel lässt erwarten, dass sich Washington eng mit Jerusalem abstimmen könnte und sich an der Seite der Kurden positioniert. Selbst eine Annäherung der USA an Russland und Israels zu Assad ist nicht ausgeschlossen, wenn die Türkei nun selbst aktive Kriegspartei wird.
Die Internationalisierung des Krieges
So wie dereinst in dem, was später als Dreißigjähriger Krieg bezeichnet wurde, aus einem innerdeutschen Konflikt mehrere europäische Interventions- und Angriffskriege wurden, könnte Erdogan nun den sich gegenwärtig ausblutenden Syrischen Krieg in die nächste Phase führen. Und ihn tatsächlich zu einem Flächenbrand werden lassen.
Wie jeder Despot, der wie Erdogan mit seinem irrationalen Handeln seinen eigenen Staat demoliert hat, wird er keine Skrupel haben, die ganze Region in Asche zu legen. Die Kriterien des Völkermordes erfüllt er ohnehin – denn sein Angriffskrieg richtet sich faktisch nicht gegen eine YPG als gegnerische, militärische Kampfeinheit, sondern gegen die kurdische Nation an sich. So, wie seine jungtürkischen Vorgänger christliche Armenier und Griechen in Massen ermordeten oder aus dem Land trieben, um eine angeblich ethnisch reine Türkei zu schaffen, so strebt Erdogans Camarilla nun einen kurdenfreien Korridor im Norden Syriens an. Und liefert so neben dem Angriffskrieg einen weiteren Anlass, niemals wieder selbst oder in Person seiner Mittäter in der türkischen Regierung einen Fuß auf deutsches Staatsgebiet zu setzen.
§13 VStGB ist eindeutig. Wer einen Angriffskrieg führt, ist ein Verbrecher und muss in Deutschland vor Gericht gestellt und abgeurteilt werden. Wäre die amtierende Bundesregierung konsequent, müsste sie umgehend den türkischen Botschafter einbestellen und ihn darüber unterrichten, dass alle Mitglieder der einen Angriffskrieg planenden und führenden Erdogan-Bande nach deutschem Recht in Deutschland unter Anklage stehen. Gleichzeitig sollte sie den in Deutschland lebenden Anhängern des türkischen Kriminellen im Sinne des VStGB mitteilen, dass die Unterstützung eines Verbrechers den Straftatbestand der Mittäterschaft erfüllen kann – auch dann, wenn man selbst nicht an der Vorbereitung und Führung des Angriffskrieges beteiligt ist.
Tatsächlich allerdings steht zu befürchten, dass die Erdogan-hörige Bundesregierung sich ähnlich aus der Affäre zu ziehen versuchen wird, wie in der Affäre des iranischen Blutrichters Shahrudi, der angesichts der Anklagen von Kurdischer Gemeinde und anderen in einer Nacht- und Nebelaktion unter Absicherung durch deutsche Sicherheitskräfte ausgeflogen wurde, bevor die Staatsanwaltschaft zum Handeln gezwungen gewesen wäre.
Wobei – ob das mit dem „aus der Affäre ziehen“ tatsächlich funktioniert, wird sich erst noch zeigen müssen. Im Fall Shahrudi deuten Signale aus dem Bundestag darauf hin, dass die Affärer kurzfristig thematisiert werden wird. Sollten die Erklärungen der Bundesregierung nicht unmissverständlich und nachvollziehbar sein, wird in Reihen der Opposition bereits über einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss nachgedacht. Um wieviel mehr könnte der bundesregierungsamtliche Kuschelkurs mit einer Bande von Kriegsverbrechern im Sinne des Völkerstrafgesetzbuches Anlass für einen PUA geben …