Da weiß man nicht: Soll man nun lachen oder weinen? Zwischen seiner göttlichen Exzellenz, dem allosmanischen Führer der Türkei und den Exzellenzen Botschafter von zehn angeblich befreundeten Staaten ist ein diplomatischer Eklat zu vermelden, welcher seinesgleichen sucht und vorübergehend die ohnehin schon dauer-schwächelnde türkische Lira weiter in den Keller trieb. Sultan Recep Tayyip Erdogan der Herrliche, Allherrscher der Osmanen und Stellvertreter Allahs an der Hohen Pforte zu Ankara, hatte seinen Außenminister angewiesen, die unbotmäßigen Botschafter zu „Personae non gratae“ zu erklären. Und wenn der Sultan befiehlt, folgen die Vasallen für gewöhnlich.
Gerassel mit dem Krummsäbel
Die Deklaration als „unerwünschte Personen“ gilt im diplomatischen Verkehr gleichsam als letzte, noch friedliche Eskalation vor der Kriegserklärung. Und mit der rechnete das Osmanenreich am Bosporus offensichtlich umgehend nach der durch den Sultan geforderten Ausweisung. Weshalb der Innenwesir des Großartigen, Süleyman Soylu, vorsorglich schon einmal die Mobilmachung vorbereitete.
„Lasst sie mit Kanonen kommen oder mit Gewehren. Lasst sie nicht nur zehn Botschafter, sondern die Botschafter auf der ganzen Welt hier versammeln. Sie können diesem Volk kein Haar krümmen“, rasselte Soylu mit dem Krummsäbel gegen die westlichen Kreuzritter. Die Untertanen des Herrlichen sollten wissen: Des Sultans Janitscharen stehen bereit, um jedem Angriff der anmaßenden Ungläubigen erfolgreich zu begegnen!
Doch Gemach! Noch war es nicht ganz so weit. Noch rieben sich die Führer der Kreuzritter nur verwundert die Augen und nicht die Wetzsteine an ihren Schwertern. Was geht ab, dort am Bosporus? Das fragten sie sich und sannen auf Antwort.
Kritik am Herrlichen geäußert
Was war nun tatsächlich geschehen, dass die Hohe Pforte zu solch drastischen Maßnahmen und martialischen Aufrufen greifen musste? Was hatten diese Botschafter, was hatten ihre Länder verbrochen, dass es den gerechten Zorn des Herrlichen derart hatte heraufbeschwören lassen?
Tatsächlich ist das, was den Eklat ausgelöst hatte, ein wahrlich unfassbares Fehlverhalten der dann durch Sultanwort degratierten Personen. Denn sie hatten es gewagt, die Unfehlbarkeit des Herrlichen und dessen allbarmherzige Gerechtigkeit in Zweifel zu ziehen! Was selbstverständlich ein unverzeihliches Sakrileg ist in einem Staat, in dem jegliche Macht vom Sultan ausgeht und Kritik am Herrlichen eine Majestätsbeleidigung ist, die selbst gegen Minderjährige auf das Härteste bestraft wird.
Ursache des Eklats war das Vorgehen der osmanischen Justiz gegen einen Mann namens Osman Kavala. Den hält der Sultan seit vier Jahren ohne Gerichtsverfahren in Kerkerhaft, denn für Recep den Herrlichen ist dieser Landsmann eine wirklich tödliche Bedrohung, hatte er es doch einst gewagt, sich öffentlich an die Seite jener zumeist jugendlichen Demonstranten zu stellen, die den traditionsreichen Gezi-Park vor der Zerstörung durch des Erdogans Investorenheer zu retten suchten. Auch später noch wagte es der Frevler, wider den Herrlichen Kritik zu üben, seine Unfehlbarkeit in Frage zu stellen.
Dort schmorte der in Ungnade Gefallene über die Jahre, was nun den Kreuzfahrerstaaten USA, Kanada und Neuseeland, der BRD, Frankreich, Schweden, Finnland, Norwegen, Dänemark und den Niederlanden doch etwas zu lang wurde. Also setzten sie sich zusammen und verfassten eine Denkschrift, in der sie das Osmanische Reich aufforderten, im Falle Kavala endlich zu einer gerechten und raschen Regelung der Angelegenheit zu kommen. Da ihnen, die selbstverständlich mit der Rückendeckung ihrer Regierungen gehandelt hatten, bewusst war, dass ein solcher Appell allein für sich wie ein sanfter Ägäiswind über Smyrna-Izmir unbemerkt verweht wäre, fügten sie noch einen erklärenden Satz hinzu: „Die anhaltenden Verzögerungen im Kavala-Prozess einschließlich der Zusammenlegung verschiedener Fälle und der Schaffung neuer Anschuldigungen nach einem Freispruch, werfen einen Schatten auf die Achtung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Transparenz im türkischen Justizsystem.“
Ein Satz, der traf und zutraf
Nun darf sich ohne Zweifel auch der Unbeteiligte fragen, ob es Aufgabe von Botschaftern ist, öffentlich derartige Feststellungen zu treffen, oder ob es nicht vielmehr Aufgabe der Politiker in deren Regierungen gewesen wäre, selbst und aufrecht eine solche Kritik an der richtigen Stelle vorzutragen. Gleichwohl und auch wenn die eigentlich Verantwortlichen sich hinter ihren Diplomaten versteckten, war dieser Satz ebenso ohne jeden Zweifel noch mit diplomatischer Zurückhaltung formuliert. Denn eigentlich wurde da gesagt: „Erdogan, Du bist der kriminelle Chef eines Unrechtssystems, welches mit unseren Vorstellungen von Demokratie und Rechtsstaat nicht mehr das Geringste zu tun hat!“ – was allerdings so unmissverständlich im diplomatischen Umgang nie formuliert werden würde.
Jedoch: Der Herrliche, der selbst gern eine klare und bodenständige Sprache spricht, hatte diesen Satz genau so verstanden. Und da der Sultan wusste, dass der Satz zwar in der Sache zutraf, er dieses jedoch niemals würde zugeben können, und da weiterhin angesichts einer galoppierenden Inflation in Höhe von rund 20 Prozent, der dahinsiechender Wirtschaft und den ungelösten Kolonialabenteuern des Sultans Glorienschein bei seinen Untertanen zu verblassen beginnt, nahm Erdogan den diplomatischen Vorstoß zum herbeigesehnten Anlass, wieder einmal den Unbesiegbaren herauszuholen. So erklärte er flugs die Majestätsbeleidiger zu unerwünschten Personen und wollte mit den Hunden die Herren treffen. Dann ein paar martialische Sprüche seines Innenwesirs hinterhergeschickt, um die nationalistischen Horden des wahren Glaubens einmal mehr geschlossen hinter seiner Selbstherrlichkeit zu scharen.
Es wird kräftig gerasselt und gedroht – denn der Sultan wusste: Die nun Gescholtenen würden einmal mehr den Schwanz einkneifen, statt, wie martialisch behauptet, mit gezogenem Rapier vor den Toren Istanbuls zu stehen – bereit zur Befreiung von Byzanz und dem christlichen Asia minor!
Denn die nun Getroffenen in Europa, Amerika und Ozeanien lieben ihren Sultan selbst noch dann, wenn er in deren Heimat seine dort lebenden Vasallen zur osmanischen Standhaftigkeit aufruft und seine ausgewanderten Untertanen auffordert, niemals den Sirenengesängen der christlichen Dekadenz zu erliegen.
Die Eurokraten knicken ein
Also wiegelten die Geprügelten wieder einmal ab. Nein, ihre Botschafter würden sich niemals in die „Inneren Angelegenheiten“ des großartigen Osmanenreichs einmischen – was sie allerdings tatsächlich und nicht ohne Grund getan hatten. Das nun wiederum reichte dem Herrlichen, dem bereits seine ohnehin schwächelnde Lira aus den Händen zu rutschen drohte, um aus dem von ihm verursachten Fast-Zusammenbruch der osmanischen Ökonomie einen Sieg zu narratieren. Zu Kreuze seien sie gekrochen, die Ungläubigen – oder war es doch der Halbmond, dem sie sich unterworfen hatten? Nach ihrem unverzeihlichen Fehler hätten sie schnell die Allherrlichkeit des Einzigartigen erkannt und sich ihm einmal mehr unterworfen. Niemals wieder würden sie es wagen, den unerträglichen Versuch zu unternehmen, ihm und seiner gnadenvollen Gerechtigkeit Vorwürfe zu machen, gar seine allweisen Handlungen zu kritisieren!
Vergessen auch das kurze Murren, dem Herrlichen nun endlich doch einmal ohne jeden Schuss und ohne jeden Säbel zu zeigen, wo der westeuropäische Hammer hängt. Die EU müsste einfach nur das tun, was ohnehin längst Realität ist und unverzichtbar wäre, sollten die in Brüssel und Straßburg ständig vorgetragenen Demokratie- und Menschenrechtsschwüre noch einen Rest an Glaubwürdigkeit behalten: Den unsäglichen Beitrittskandidatenstatus der osmanischen Islamokratur auf byzantinischem Boden für beendet erklären. Aber darauf werden die Bürger der nun vorübergehend unerwünschten Staaten ewig warten müssen. Lieber lassen sich die kommissionierten Selbstherrlichen weiter beleidigen, sich vom Sultan und dessen Vasallen zum Affen machen und reist weiterhin unbedarft zum Kotau an den Hof Erdogans oder als Billigurlauber ins Osmanenreich.
Mit weiteren Kooperationen belohnt
Der Herrliche in Ankara weiß um die Huldigungsbereitschaft der Masochisten EU-Europas. So wird er nach Belieben auch künftig gleich einem Hasch-berauschtem Assassinen mit orientalischem Erfindungsgeist Krummschwert und Dolch gegen die Ungläubigen schwingen, wann immer ihm dieses dient, um seine Untertanen auf Spur zu bringen und vom eigenen Versagen abzulenken. Die nicht minder Selbstherrlichen in den Heiligen Hallen des neuen Brüsseler Byzanz‘ werden weiterhin dem Herrlichen in Ankara ihren Tribut zollen und darauf hoffen, ihn alsbald als Mitglied in ihren westeuropäischen Überstaat zu holen.
Dem Sultan tat all das für den Moment Genüge. Wie auch sollte er zu einer anderen Auffassung gelangen können, hatten sich doch die kurz Empörten, kaum dass der anatolische Löwe seine mächtige Stimme erhoben hatte, umgehend vor seiner Herrlichkeit in den Staub geworfen.
Vielleicht ist das auch gut so – denn dann werden dereinst die Scharmützel, mit denen die Brüsseler Selbstherrlichen und ihre Gerichtsdiener im EuGH auf die Unbotmäßigkeiten kleiner Partner wie Ungarn und Polen reagieren und diese mit unsinnigen, täglich zu erhebenden Strafgebühren aus dem gemeinsamen Verein vertreiben, schnell vergessen sein. Dann endlich werden die Brüsseler Bürokratoren, Exekutoren und Judikatoren es in ihren eigenen Reichen mit einem Gegner aus echtem, türkischem Stahl zu tun bekommen. Mit einem, der sich niemals irgendwelchen EU-Richtsprüchen unterwerfen wird, für den Demokratie und Rechtsstaat ein Fremdwort ist und dem die Fantasia des westeuropäischen Menschenrechts als Machtwerk einer dem Untergang geweihten, christlichen Dekadenz gilt. Dann heißt es: Unterwerfen oder Untergehen – so wie es zu allen Zeiten im Reich der osmanischen Muselmanen im Umgang mit Unbotmäßigen und Ungläubigen üblich war.