Tichys Einblick
DPA über Giorgia Meloni

Italien vor der Wahl: Phantasieerzählungen über eine Spitzenkandidatin

Die DPA verschärft in der Übersetzung eine Aussage von Giorgia Meloni, der Vorsitzenden der Partei Fratelli d'Italia und womöglich künftigen Ministerpräsidentin. Die DPA vermittelt den Eindruck, man habe es mit einer überzeugten EU-Gegnerin und Rechtsextremen zu tun.

Giorgia Meloni, Vorsitzende der Partei Fratelli d'Italia, bei einer Wahlkampfveranstaltung in Mailand, 11.09.2022

IMAGO / Italy Photo Press

Es gab eine Zeit, da galt die Deutsche Presseagentur (DPA) als Hort des neutralen und seriösen Nachrichtenjournalismus. Die Hamburger verstanden sich weder als Kommentatoren noch als Propagandisten, sondern einer neutralen, sachlichen Darstellung von Fakten verpflichtet. Doch das ist lang her. Wie in den sogenannten Mainstream-Medien insgesamt manipuliert die DPA haltungsgerecht das Publikum. Indem Behauptungen aufgestellt, Einschätzungen dargeboten und Beurteilungen als Fakten behauptet werden.

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Aktuelles Beispiel ist eine Rede, die die Wahlkämpferin der Fratelli d’Italia, Giorgia Meloni, in Mailand gehalten hat. Die DPA zitiert laut Wiedergabe in deutschen Medien aus dieser Rede den folgenden Absatz: „Es heißt, in Europa sei man ein bisschen besorgt wegen der Meloni. Was wohl mit der geschehen werde? Was passieren wird: Der Spaß ist vorbei! Auch Italien wird anfangen, seine nationalen Interessen zu verteidigen. So wie es die anderen machen auf der Suche nach gemeinsamen Lösungen.“
Was Meloni tatsächlich gesagt hat

Laut diversen italienischen Zeitungen hat Meloni auf dem Mailänder Domplatz folgende Aussage getätigt: „In Europa sono tutti preoccupati per la Meloni al governo e dicono cosa succederà? Ve lo dico io cosa succederà, che è finita la pacchiae anche l’Italia si metterà a difendere i propri interessi nazionali come fanno gli altri, cercando poi delle soluzioni comuni“.

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Dieser Absatz übersetzt lautet: „In Europa machen sich viele Sorgen, was mit einer Meloni im Amt geschehen wird. Ich sage Ihnen, was passieren wird: Es wird Schluss sein mit dem süßen Nichtstun, auch Italien wird seine nationalen Interessen verteidigen, so wie es die anderen tun, und dann nach gemeinsamen Lösungen suchen.“

Es ist unschwer zu erkennen, dass die DPA hier eine bewusste Verschärfung der Aussage vorgenommen hat. Die Formulierung „der Spaß ist vorbei“ hat einen deutlich aggressiveren Duktus als die Aussage „es wird Schluss sein mit dem süßen Nichtstun“. Und auch der Hinweis auf die Suche nach ngemeinsmen Lösungen unter dem Aspekt der nationalen Interessen kommt bei der DPA deutlich aggressiver rüber.

Was die DPA zudem nicht zitiert, ist der dann folgende Absatz:

„Difficilmente potrei essere una minaccia, visto che sono presidente di una delle più stabili e forti famiglie europee. Capisco che essendo stati abituati in Europa a una politica italiana disposta, per farsi dire brava, ad accettare qualsiasi cosa, l’idea che possa arrivare qualcuno che al pari di Francia e Germania difenda il proprio interesse su un tavolo delle trattative può essere per alcuni preoccupante ma non lo capisco perché altri lo fanno e io penso sia giusto“.

Übersetzt liest sich das wie folgt: „Ich könnte kaum eine Bedrohung sein, da ich Präsident einer der stabilsten und stärksten (Partner) der europäischen Familie bin. Ich verstehe, dass ich mich in Europa an eine italienische Politik gewöhnt habe, die bereit ist, alles zu akzeptieren. Die Vorstellung, dass jemand kommen könnte, der wie Frankreich und Deutschland seine Interessen an einem Verhandlungstisch verteidigt, mag für einige beunruhigend sein, aber ich verstehe es nicht, weil andere es tun und ich es für richtig halte.“

Kurzum: Meloni tut nichts anderes als das, was jeder gewählte Politiker zu tun hätte. Sie erklärt, in der EU die Interessen ihres Landes vertreten zu wollen und diese auf der Suche nach gemeinsamen Lösungen durchsetzen zu wollen. Anti-EU, wie es die DPA zu suggerieren sucht, ist eine solche Position nur dann, wenn die EU-Mitgliedschaft als bedingungslose Aufgabe nationaler Vorstellungen zu verstehen sein sollte – eine Position, die sich bestenfalls im rotgrünen Lager der Bundespolitik wiederfindet.

Statt also Meloni als konstruktives EU-Mitglied mit berechtigten nationalen Interessen zu beschreiben, wie sie sich offensichtlich selbst versteht, vermittelt DPA den Eindruck, man habe es bei der gegenwärtig auf einer Welle der Zustimmung schwimmenden Politikerin mit einer überzeugten EU-Gegnerin zu tun.

Nationale Interessen als „Provokation der EU“

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Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass laut den zitierenden Medien die Deutsche Presseagentur ihren Text mit den üblichen Frames versehen hat. Ob FAZ oder Mannheimer Morgen, welcher immerhin die dpa als einzige Quelle angibt – sie zitieren den Agenturtext mit folgendem Beiwerk: „Zwei Wochen vor den Parlamentswahlen in Italien hat Giorgia Meloni als mögliche künftige Ministerpräsidentin die Europäische Union mit nationalistischen Aussagen provoziert.“

Wir lernen: Die Ankündigung eines Politikers, die Interessen seiner Wähler und Bürger zu vertreten, ist „nationalistisch“ und zudem eine Provokation der Europäischen Union.

Weiterhin ist zu lesen: „Bei einem Auftritt auf dem Domplatz von Mailand sagte die Parteichefin der rechtsextremen Fratelli d’Italia am Sonntagabend“ – es folgt das besagte Zitat.

Wir lernen: Die Partei Fratelli d‘Italia ist „rechtsextremistisch“. Auch wenn Italien ein anderes Verhältnis zu seiner Vergangenheit hat als Deutschland und auch dann, wenn man die Fratelli in einen inhaltlichen Kontext mit den Faschisten Mussolinis stellen möchte, ist Melonis Partei mit Sicherheit nicht „rechtsextremistisch“. Wenn schon eine solche Einordnung erfolgen muss, weil die politische Linke sich ausschließlich darüber selbst definieren kann, dann könnte mit Mühen der Begriff „rechtsradikal“ strapaziert werden. Denn „extremistisch“ bedeutet, mittels Anwendung von Gewalt darauf abzuzielen, das bestehende politische System abzuschaffen. Jedoch sind weder seitens Melonis noch der Fratelli irgendwelche Äußerungen bekannt, die auf die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie in Italien abzielen. Woher also die dpa ihre entsprechende Erkenntnis schöpft, wird ihr Geheimnis bleiben müssen.

Selbst der Begriff „rechtsradikal“ wäre nur dann zu rechtfertigen, wenn die Fratelli eine radikal-nationalistische Politik mit gezielter Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen propagierten. Doch auch diesen Nachweis bleibt die DPA schuldig – und aus den Zitaten Melonis ist er selbst beim übelsten Willen nicht zu konstruieren.

Doch die Legende von den bösen Rechten muss um jeden Preis verbreitet werden. Deswegen wird DPA zum Abschluss wie folgt zitiert: „Die Politikerin, deren postfaschistische Partei wie der gesamte Mitte-Rechts-Block in allen Umfragen deutlich vorn liegt, ergänzte, dass das Interesse des eigenen Landes Vorrang haben müsse. Sie erinnerte dabei an Deutschland und die Niederlande, bei denen die Prioritäten auch nicht anders lägen. Deswegen stellten sich beide Länder gegen einen europäischen Gaspreisdeckel, behauptete Meloni.“

Hier fällt als erstes die Zuweisung „postfaschistisch“ auf – und kann als Beleg dafür dienen, dass das Bildungsniveau der DPA-Mitarbeiter erheblich zurückgegangen sein muss. Denn „postfaschistisch“ heißt nichts anderes als „nachfaschistisch“. Dieses Adjektiv trifft nun allerdings auf jede italienische Partei zu, die nach 1945 neu gegründet worden ist, denn „nachfaschistisch“ sind sie alle. Was der schreibende Redakteur vermutlich meinte, ist „neofaschistisch“ – also eine Partei, die zwar in der Tradition Mussolinis steht, jedoch eine Neugründung ist. Dieses mit Blick auf die Fratelli festzustellen, darf angesichts der deutlichen Unterschiede zwischen Mussolinis Faschisten und den deutschen, nationalen Sozialisten als nachvollziehbar unterstellt werden. So, wie eben auch die zahlreichen kommunistischen Nachkriegsgründungen in der Bundesrepublik, deren Vertreter oftmals bei den Grünen gelandet sind und dort hohe Ämter bekleiden, eben auch keine „Postkommunisten“, sondern Neokommunisten sind. Aber so ist das, wenn man in der Schule nicht aufgepasst hat.

Der Gaspreisdeckel wird zur Anklage gegen Meloni

Deutlich spannender wird jedoch der vorgeblich von Meloni behauptete Zusammenhang zwischen nationaler Politik und Gaspreisdeckel. Laut dpa gibt es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen nationalen Interessen und einem Gaspreisdeckel, womit ausdrücklich nicht jener angedachte Höchstpreis für russische Energieträgerimporte, sondern die Möglichkeit gemeint ist, die Differenz zwischen einem billigeren Haushalts- oder Industriebezugspreis als dem Einkaufs- und Produktionspreis durch staatliche Subventionen zu decken.

Im DPA-Text kommt diese Zusammenstellung etwas willkürlich und unverständlich her. Schauen wir also, was Meloni tatsächlich gesagt hat. So findet sich im Corriere della Sera ein der Meloni in diesem Zusammenhang zugewiesenes Zitat. Es liest sich wie folgt:

„L’Europa non ha ancora stabilito un tetto al prezzo del gas? Perché si oppongono Paesi come l’Olanda, amici di Calenda, perché la borsa del gas ce l’ha sotto casa sua, e la Germania, amici di Letta, perché sono i più esposti sul piano energetico ma sono anche i più ricchi e possono pagare un prezzo più alto degli altri´… Il tetto al prezzo gas è la soluzione più efficace. Ma lo Stato non può guadagnare da questo disastro. Dall’aumento non si possono prendere né Iva né accise, è la prima regola.“

Übersetzt klingt das so: „Hat Europa noch keine Obergrenze für den Gaspreis festgelegt? Warum? Weil Länder wie Holland dagegen sind; weil sie die Gasbörse unter ihrem Dach haben; und Deutschland ist dagegen, weil es in Bezug auf Energie am exponiertesten, aber auch am reichsten ist und einen höheren Preis zahlen kann als andere … Der Gaspreisdeckel ist die effektivste Lösung. Aber der Staat darf von dieser Katastrophe nicht profitieren. Weder Mehrwertsteuer noch Verbrauchsteuern können von der Erhöhung abgezogen werden, das ist die erste Regel.“

Meloni sagt, Länder wie Holland und Deutschland seien gegen einen Gaspreisdeckel. Lassen wir dahingestellt, ob das so ist, weil die Diskussion darüber nach wie vor nicht abgeschlossen ist. Meloni wiederholt die Legende vom reichen Deutschland, die überall in Europa beim Wähler gut ankommt – aber das kann man ihr nicht vorwerfen, sind es doch die Deutschen selbst, die ständig den Eindruck vermitteln, als flössen die Euro bei ihnen aus den weit geöffneten Wasserhähnen. Im Sinne der Bürger jedoch hat Meloni recht, wenn sie den Gaspreisdeckel als „effektivste Lösung“ bezeichnet – also der Staat für die Differenz aufkommt. Zudem stellt sie zutreffend fest, dass es absurd sei, wenn der Staat dann dennoch an den überhöhten Preisen verdiene. Genau das aber ist der Fall, denn laut geltender EU-Regelung darf der Staat auch bei Phantasiepreisen nicht auf die Steuererhebung verzichten, was bereits heute beispielsweise in Deutschland den Benzinpreis auf europäisches Normalniveau drücken könnte.

Meloni kritisiert hier also vor allem eine EU-Vorschrift, die sich jedem halbwegs normalen Bürger tatsächlich nicht erschließen will. Doch in der DPA-Erzählung wird daraus ein nationalistischer Ausfall gegen die Niederlande und Deutschland – Hauptsache das Narrativ von der bösen „postfaschistischen Rechtsextremistin“ und Anti-Europäerin, die zum Leidwesen der versammelten Linken kurz davor steht, erster weiblicher Ministerpräsident Italiens zu werden, wird bedient.

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