Die Debut-Single „Melting Pot“ des britischen Sängers Roger Cook mit seiner Formation „Blue Mink“ erschien 1969 auf dem Markt. Auch wenn dem Song unterstellt wurde, rassistische Untertöne zu haben, bestand der Komponist darauf, mit seinem Lied das genaue Gegenteil angestrebt zu haben.
Die späte Kritik machte sich fest an Formulierungen wie „red Indian boy“ (roter Indianerjunge), „curly Latin kinkies“ (lockige abgedrehte Latinos) und „coffee coloured people“ (kaffeefarbige Leute). Cook habe damit rassistische Vorurteile und Herabwürdigungen verbreitet. Vergessen war die Leitzeile des Songs, der von einem Einheitsmenschenmix aus Weißen, Chinesen und besagten Nicht- oder Nicht-ganz-Weißen träumte. Sie lautete: „What we need is a great big melting pot“ – auf deutsch: Was wir brauchen ist ein riesengroßer Schmelztiegel.
Melting Pot – das stand seit 1908 auch als Synonym für das Ziel der US-Gesellschaft, aus dem einwanderungsbedingten Multi-Kulti eine gemeinsame Nation, eine gemeinsame Identität zu schmieden. Das wiederum ließ Kritiker laut werden, die darin den imperialistischen Drang der Weißen zu erkennen suchten, alle Nicht-Weißen in ihr Kulturverständnis zu zwingen. So war der Ansatz jener Identitätspolitik geboren, der in seiner ur-rassistischen Substanz jeder vorgeblich nicht vorhandenen Rasse ihre kulturelle Eigenständigkeit zusprach, jedoch ausschließlich den europäisch-stämmigen „Weißen“ abverlangte, den eigenen Kulturanspruch zu Lasten eben jener Nicht-Europäer aufzugeben.
Der Kreuzschnitt durch die USA
Wer heute die Konfliktlinien der Vereinigten Staaten beschreiben möchte, spricht gern von einem Riss, der quer durch die Gesellschaft geht. Doch dieses Bild trifft die Situation nicht. Zutreffender ist es, von einem Kreuzschnitt zu sprechen. Denn tatsächlich sind es zwei Risse, die sich quer überlagern – und die in gewisser Weise aufzeigen, wohin auch die Bundesrepublik in den kommenden Jahren steuern wird.
Der eine dieser Kreuzschnitte basiert auf jenem oben beschriebenen, als gescheitert anzusehenden Schmelztiegel. Weder ist es den USA gelungen, die Nicht-Europäer im Sinne der Kritiker Cooks in die europäische Kultur aufzunehmen, noch kann von einem erfolgreichen Multi-Kulti die Rede sein. Ist es Teilen der Afroamerikaner und Latinos durchaus gelungen, Teil der europäischen Kulturprägung zu werden, so liefert der nicht abreißende Zustrom kulturfremder Migranten jene Einwanderer, die die europäisch-anglikanische Kultur in die Defensive drängt. Hierbei spielt der latente, bereits durch die protestantischen Gründungsväter implementierte Anti-Katholizismus eine ähnlich verhängnisvolle Rolle wie in Europa jener seit dem Hochmittelalter kultivierte Antijudaismus.
Zahlreiche Euro-Amerikaner vor allem in den Midlands fühlen sich abgehängt, um die Aufbauarbeit ihrer protestantischen Vorväter und ihre führende Rolle in der US-amerikanischen Identität betrogen. In den früheren Industriezentren kommt hinzu, dass die verfehlte Politik früherer Regierungen die einst führenden Wirtschaftszweige auf das Abstellgleis geführt hat. In Städten wie der früheren Motor City Detroit ist aus den Industriearbeitern ein Proletariat entstanden, welches, so es über eine afroamerikanische Identität verfügt, sich rassistisch ausgegrenzt fühlt und jenen zujubelt, die den „alten, weißen Mann“ für ihre missliche Situation verantwortlich machen. Verfügen sie hingegen über eine euroamerikanische Identität, so wird der Nicht-Weiße als Konkurrent betrachtet und gleichzeitig der Industrieabbau jener East-Coast-Gentry angelastet, welche tatsächlich um des Gewinns willen günstig in China und anderswo eingekauft hat und dabei die Vernichtung der eigenen Industriearbeitsplätze billigend in Kauf genommen hat. So wird hier gleichzeitig der zweite Kreuzschnitt sichtbar: Jener zwischen oben und unten, zwischen jenen, die ihre Zukunft in einer globalen Welt der Zukunftstechnologien sehen und jenen, die sich als eigentlicher Sockel der amerikanischen Gesellschaft verstehen, aber um ihren verdienten Lohn betrogen sehen.
Damit auch zeigt sich die zweite Dimension des Kreuzschnitts. Die East-Coast-Staaten ebenso wie die Westküste orientieren sich maßgeblich am Export von technischem Know-How ebenso – wie beispielsweise Kalifornien – von international gefragten Agrargütern. Sie leben vom internationalen Handel, fertigen wie beispielsweise Apple überwiegend in Übersee und vergessen darüber den Blick auf die binnenkonjunkturellen Bedingungen, unter denen der Bergmann oder der Industriearbeiter seinen Lebensunterhalt verdient.
Der Kreuzschnitt hat Trump an die Macht gebracht
Dieser Kreusschnitt, der in Europa kaum wahrgenommen wird, hat Donald Trump an die Macht gebracht. Er ist die Midland-Reaktion auf die vor allem in Deutschland so bejubelten Obama-Jahre und auf das nach wie vor bestehende Unverständnis darüber, dass es ausgerechnet jene Abgehängten gewesen sind, die einen Mann gewählt haben, der als ersten Schritt seiner Regierung die von Obama durchgesetzte Krankenversicherung schleifen wollte. Der deutsche Irrtum war es, hier die dem alten Kontinent innewohnende, sozialistische Grundgesinnung auf die USA übertragen zu wollen. Obama-Care war für die Bewohner der Midlands ein Unterstützungsprogramm für Versager – durch und durch unamerikanisch. Hier trägt immer noch das Kennedy-Wort, wonach der Bürger nicht fragen solle, was der Staat für ihn, sondern was er für den Staat tun könne.
Der unmögliche Spagat zwischen Protektionismus und Globalismus
Während Selfmade-Man Trump den amerikanischen Traum der traditionsbewussten Euroamerikaner verkörpert, stehen die „Liberalen“ – was im US-Verständnis Sozialisten bedeutet – für das, was in linken bundesdeutschen Kreisen als Weltoffenheit bezeichnet wird. Nicht zuletzt deshalb bildete sich schnell eine Front gegen den ungehobelten Immobilienmogul, angeführt von Angela Merkel, assistiert durch Antonio Guterres, propagiert von den Massenmedien der 68er und ihrer Kinder.
Das aber ist vorrangig ein Problem internationaler Politik. Trump antwortet darauf, indem er den Democrats nahestehende Botschafter und Personale absetzt – und so lange unbesetzt lässt, bis er eine adäquate, seinen Vorgaben folgende Persönlichkeit findet. Auch das ist nicht ohne Auswirkung auf die innere Konstitution der USA, sehen sich doch vor allem die international agierenden Unionsstaaten zunehmend mehr in die Rolle der Statisten verwiesen, deren international vernetzte Wirtschaft unter dem „America-first“-Protektionisten Trumps leidet. Sie – allen voran Kalifornien und Virginia – suchen nach eigenen Wegen, ihre Interessen international zu platzieren. Und sie stoßen damit bei Trump auf erbitterten Widerstand.
Wie Trump Separatismus befördert
Jüngst erst wagte Trump den Vorstoß, Kaliforniens Umweltschutzgesetz aus den Angeln zu heben. Was für Bundesdeutsche kaum der Beachtung Wert scheint, grenzt in den USA an ein Sakrileg. Denn anders als in Deutschland, wo die Bundesländer nur noch der verlängerte Arm parteipolitisch dominierter Interessen sind, empfinden sich die Unionsstaaten als in ihrer Selbstbestimmung autonom. Das führte vor 160 Jahren in die Sezession, als die Regierung in Washington zahlreichen Unionsstaaten die wirtschaftliche Basis zu entziehen suchte. Und es kann, sollte Trump den Bogen überspannen, wieder zu solchen Absetzbewegungen führen. Heute schon beraten interne Zirkel unter der Führung besagter Unionsstaaten darüber, wie sie eine eigene Außen- und Welthandelspolitik gestalten können. Noch ist nicht die Rede von Abspaltung – doch längst schon verbindet Virginia mehr mit Vermont als mit Arkansas, Kalifornien mehr mit Oregon und Washington-State als mit Minnesota.
Auf den Magen schlägt den Separatisten auch die Art und Weise, wie Trump ihre Gelder zweckentfremdet. So wird dessen Entscheidung, die von vielen als unsinniges Prestigeobjekt abgelehnte Mauer zu Mexiko durch die Hintertür aus dem gemeinsam finanzierten Verteidigungsetat zu bauen, als unzulässiges Manöver gegen die Unionsstaaten gewertet.
In Folge dieser Konflikte haben gegenwärtig in den USA mehr als nur jene Politiker, deren Handeln gelegentlich über den Atlantik hinweg Erwähnung findet, das Klappmesser in der noch in der Tasche versteckten, geballten Faust. Einerseits wird immer noch der verfassungsmäßige Weg über die Gerichte angestrengt, um Trump Grenzen aufzuzeigen – andererseits wird mittlerweile mit mehr als harten Bandagen und jedem noch so schmutzigen Trick gespielt, um dem Gegner zu schaden. Die zum Skandal hochgeschriebene Affäre um das Trump-Gespräch mit dem Ukrainer Selensky ist dabei aktuell die Schaumkrone auf der breiten Welle.
Das Impeachment als Instrument, das Amt des Präsidenten zu retten
Liest man das offizielle Protokoll des umstrittenen Gesprächs, so gibt das nichts her, was tatsächlich ein Amtsenthebungsverfahren begründen könnte. Zwar lästern beide über die Europäer Merkel und Macron und schmieren sich gegenseitig Honig um den Bart – doch das gehört zum Alltagsgeschäft. Im Raum steht jedoch die Behauptung, Trump habe sein Pendant in Kiew aufgefordert, gegen den Sohn seines voraussichtlichen Herausforderers Joe Biden Ermittlungen wegen Korruption einzuleiten. Das ist zutreffend – und es wäre nichts dagegen zu sagen, sollte es konkreten Anlass zu solchen Ermittlungen geben und die Kiewer Staatsanwaltschaft fündig werden.
Weil das so und diese Begründung scheinheilig ist, wird mittels eines Whistleblowers die Behauptung in den Raum gestellt, Trump habe solche Ermittlungen als Gegenleistung für US-Hilfen an die Ukraine eingefordert. Davon jedoch ist im veröffentlichten Protokoll nichts zu lesen. Die Tatsache, dass es Trump gelegen käme, sollte sein größter Gegner direkt oder über seinen Sohn in unsaubere Geschäfte verstrickt sein, liegt auf der Hand. Doch wenn es so wäre, so könnte sich der Aufstand der Democrats als Rohrkrepierer erweisen. Liegt hingegen nichts vor, so wäre am ehesten Trump selbst blamiert – wissen also führende Demokraten um unsaubere Biden-Geschäfte in Osteuropa? Ahnen sie, dass ihr voraussichtlicher Gegenkandidat an eigenen Verstrickungen scheitern könnte?
Der Whistleblower, von Trump deswegen als lächerliche Person und „Spion“ karikiert, beruft sich zumeist auf Drittquellen. Sein Bericht hat insofern nicht mehr Qualität als ein journalistischer Artikel, der sich auf persönliche Kontakte beruft und darauf seine Erkenntnisse aufbaut. Und doch wird er in den USA und bei den Trump-Gegnern auf der europäischen Seite des Atlantiks zum Dokument eines Kronzeugen.
Tatsächlich schildert der ungenannte Autor vieles von dem, was seitens der Kongressabgeordneten, aber auch in den abspenstigen Staaten dem ungeliebten Präsidenten vorgeworfen wird. Die gezielte Blockade einer föderalen Bundespolitik, die bewusste Aushebelung der Obama-Politik von Obama-Care über Umweltschutz bis Handelsbeziehungen. Trump, so die Darstellung, agiere wie ein Mafia-Pate. Und tatsächlich hat er unverkennbar die Neigung, sich nicht nur in seinem unmittelbaren Umfeld mit Getreuen und Kritiklosen zu umgeben. Vor allem die Administration der Außenpolitik nimmt Schaden. Doch das ist im US-Verfassungsaufbau dann nicht abzuwenden, wenn es einem gewählten Präsidenten gefällt, diesen Schaden zu verursachen.
So bewegen sich die USA gegenwärtig zu auf einen Showdown. Das Impeachment wird nach Stand der Dinge keinen Erfolg haben – es sei denn, es käme mehr an den Tag als jenes Telefonat und die Reportage eines unbekannten Whistleblowers. Oppositionsführerin Nancy Pelosi weiß das. Doch sie spielt das Spiel mit, auch weil der Druck aus den Reihen ihrer Democrats zu groß geworden ist. Und sie hofft, dass in dem unvermeidlichen, gegenseitigen Werfen mit Schmutz am Ende mehr an Trumps Weste kleben bleibt als an der Bidens. Den Schaden davon hat am Ende das US-System selbst. Vor allem dann, wenn der doppelte Riss durch die US-Gesellschaft dabei immer tiefer gezogen wird. Wenn der Kulturkampf zwischen protestantischen Euroamerikanern und Einwandererkultur ebenso wie die Gegensätze zwischen Regionalisten und Globalisten und zwischen den Unionsstaaten und der Zentraladministration unüberbrückbar werden. Die Gefahr, dass dieses geschieht, ist nicht mehr zu übersehen.