Das Magazin DER SPIEGEL steht nicht unbedingt in dem Ruf, Leiblektüre der Konservativen zu sein. Für jene, die gemäß „Spiegel“-Sprache als „Rechtspopulisten“ zu verstehen sind, kommt diese Publikation schon überhaupt nicht infrage. Umso bemerkenswerter ist eine Umfrage, die „Spiegel Online“ (kurz SPON), das Online-Portal der Hamburger Redaktion, derzeit auf seinen Seiten anbietet.
Über 6 Millionen Abstimmende
Organisiert vom Meinungsforschungsinstitut „Civey“ können auf SPON die Besucher abstimmen, welcher Partei sie ihre Stimme geben würden, wären am kommenden Sonntag Bundestagswahlen. Nun ist bei Online-Umfragen immer zu hinterfragen, wie repräsentativ diese tatsächlich sind. Denn – siehe oben – es ist davon auszugehen, dass allein schon die Zielgruppe des Anbieters, der die Umfrage einstellt, eine gewisse Tendenz organisiert. Insofern wäre davon auszugehen, dass bei SPON eine Überrepräsentanz der sich als „links“ verstehenden Parteien anzutreffen ist – also eine Übergewichtung von SPD, Grünen und Kommunisten. Daran ändert sich im Kern auch nichts dadurch, dass an der von SPON eingestellten Umfrage deutlich mehr Personen teilnehmen als bei jenen von ARD und ZDF veröffentlichten Sonntagsfragen, bei denen telefonisch nach dem Zufallsprinzip zwischen 1.000 und 1.500 Personen befragt werden.
Schauen wir unter dieser Prämisse auf die aktuellen SPON-Ergebnisse mit Stand 14. Juni 2018, 8.45 h, kann ein gewisses Erstaunen nicht ausbleiben. Denn dort weist das Webportal Zahlen auf, die der Redaktion wenig gefallen werden.
Bevor wir uns den Zahlen zuwenden, sei festgehalten, dass zu diesem Zeitpunkt sich bereits rund 6.278.000 Personen an der Umfrage beteiligt hatten. Da das Civey-Modell Mehrfachbeteiligungen zumindest dann ausschließt, wenn sie vom gleichen System gestartet wurden, und nicht davon auszugehen ist, dass zahllose Teilnehmer von PC zu PC laufen, um das Ergebnis zu manipulieren, ist mit dieser Anzahl innerhalb der von SPON angesprochenen Zielgruppe durchaus von einer hohen Repräsentativität auszugehen.
Wenden wir uns unter diesem Gesichtspunkt nun den tatsächlichen Zahlen zu.
Union mit Abstand auf 1
Platz 1 im Ranking belegt die Union. CDU und CSU kommen auf aktuell 30,9 % und liegen damit mit deutlichem Abstand vor der Konkurrenz.
Bereits auf Platz 2 allerdings zeichnet sich die Urkatastrophe der deutschen Sozialdemokratie ab. Die SPD liegt mit nur noch 17,3 % mittlerweile deutlich unter der 20-Prozent-Marke und hält damit nur noch mühsam den zweiten Platz.
Der alten Tante dicht auf den Fersen folgt mit 16,0 % bereits die bei SPON regelmäßig des „Rechtspopulismus“ geschmähte AfD. Das sind bei jenen 6.278.000 Teilnehmern bereits über eine Millionen Bürger. Also doch irgendwie gefaked? Von irgendwelchen AfD-Sympathisanten im Cyberspace durch pfiffige Hacker aufgeblasen?
Bevor wir diese Frage beantworten, sollen noch der Vollständigkeit halber die Ergebnisse der anderen Parteien erwähnt werden.
Hier folgen auf die AfD die Grünen mit 12 %, dann die Kommunisten mit 10,3 % und am Ende die FDP mit 8,7 %. Dieses Ergebnisse, die mit der Leserklientel von SPON durchaus in Einklang zu bringen sind.
Wie erklären sich die „Rechtspopulisten“?
Wie aber nun erklärt sich der hier gänzlich unerwartet hohe Anteil der AfD? Manipuliert – oder nicht?
Dieses wissend, müsste nun also die frühere Parteienpräferenz bei einem hohen Anteil der „Rechtspopulisten“ nach SPON-Lesart deutlich überproportional bei den „rechten“ Parteien gelegen haben. Entweder also, die AfD-Wähler standen schon immer bei der jungen AfD – oder aber die Union hätte kräftig Federn lassen müssen.
Blicken wir nun jedoch auf die Ergebnisse der zweiten Frage, so wird deutlich, dass insbesondere eine Partei nicht einmal mehr VOR einem Desaster steht, sondern bereits mittendrin in diesem steckt. Und diese Partei ist nicht die CDU/CSU, sondern ausschließlich die SPD.
Das Desaster der SPD
Auch wenn sich bei dieser zweiten Frage „nur“ noch gut 1,5 Millionen Bürger beteiligt haben und damit die Zahl der Sonntags-Befragten nicht erreicht wird, so kann sie dennoch insbesondere für die Stammleserschaft von SPON als repräsentativ gelten.
In dieser Präferenz-Frage liegt erneut die Union an der Spitze. Sie führt mit 34,6 % und muss zwischen Präferenz und aktueller Zustimmung ein Minus von 3,7 Prozentpunkten hinnehmen. Mit anderen Worten: Die Union hat einen leichten Negativtrend zu vermelden, jedoch liegt dieser mit rund zehn Prozent in einer noch erträglichen Marge.
Diese Differenz lässt unabhängig von der Frage, ob eine SPON-Umfrage möglicherweise ohnehin eine gewisse Linkslastigkeit mit sich bringt, nur einen Schluss zu: Die SPD verliert in einem Maße an Vertrauen, das einer Sturzflut gleich kommt. Dabei ist es nicht einmal so, dass die SPD in der breiten Masse der Bevölkerung an Zustimmung verliert – eine Feststellung, die bei nur noch 17,3 % Zustimmung ohnehin nicht ausbleiben kann. Das eigentliche Problem der SPD ist, dass sie ihre Stammklientel verliert. Und dieses in einem Tempo, das dem freien Fall ohne Fallschirm gleichkommt.
Besonders desaströs für die Sozialdemokraten wird dieser Absturz dadurch, dass die verlorenen Wähler nicht in der traditionell „linken“ Parteienfamilie verbleiben, sondern ganz offensichtlich zu einem ganz überwiegenden Teil zu den angeblichen „Rechtspopulisten“ der AfD abwandern. Liegt bei der AfD der Unterschied zwischen bisheriger Parteienpräferenz und aktueller Zustimmung bei 11,7 Prozentpunkten, so kann dieses ausschließlich darüber erklärt werden, dass frühere Sozialdemokraten sich in Scharen der neuen Konkurrenz zuwenden.
Das Rätsel der „Rechtspopulisten”
Diese Feststellung wiederum erfordert zwei Fragestellungen:
- War die SPD bislang eine „rechtspopulistische“ Partei? Diese Annahme wäre zumindest dann zulässig, wenn sich rund ein Drittel ihrer bisherigen Klientel nun einer solchen zuwendet. Zwar ist zutreffend, dass der Populismus der Sozialdemokratie noch nie fremd war. Rund 80 % ihrer Wahlkampfziele sind purer Populismus – immer gezielt gedacht auf die angeblich Unterprivilegierten. Auch hat die SPD mit Ralf Stegner das Musterbeispiel eines „Linkspopulisten“ in ihren Reihen – jemanden, der ständig Unausgegorenes aus der marxistischen Mottenkiste verbläst, weil er in seiner Echokammer immer noch nicht begriffen hat, dass diese Irrtümer aus dem 19. Jahrhundert historisch längst überholt sind.
Doch auch wenn das so ist, kann die SPD sicherlich nicht im Sinne der SPON-Definition als „rechtspopulistisch“ gelten. Wenn aber die SPD nicht „rechtspopulistisch“ ist und ihre ursprünglichen Wähler dieses also folgerichtig auch nicht waren, dann kommen wir umgehend zu Frage 2.
- Ist die AfD eine „rechtspopulistische“ Partei? Man mag durchaus bei manchen Äußerungen von AfD-Vertretern zu der Feststellung gelangen, dass hier am sogenannten „rechten Rand“ gefischt werden soll. Wobei es kein Leichtes ist, diesen „rechten Rand“ tatsächlich zu definieren. Denn wenn „rechts“, wie heute zumeist üblich, mit der unmittelbaren Nähe zur NSDAP-Ideologie definiert wird, dann ist „rechts“ das kollektivistische Pendant als nationalistische Sozialisten zu jenen internationalistischen Sozialisten, die sich heute zwischen Antifa und Sozialliberalen tummeln. Denn die klassische Rechte war zwar durchaus konservativ und national – aber sie war nie kollektivistisch und verzichtete damit auf die Grundprämisse aller Sozialisten.
Wenn nun, wie unabweisbar festzustellen, sich die aktuelle Klientel der AfD zu zwei Dritteln aus früheren Sozialdemokraten rekrutiert und wenn wir der SPD zubilligen, nicht „rechtspopulistisch“ zu sein – dann kann zumindest die Behauptung, dass die Wählerschaft der AfD „rechts“ sei, unmöglich zutreffen. Ganz im Gegenteil wäre festzustellen, dass diese in ihrem eigentlichen Kern „links“ sein muss – denn wie sonst hätte sie früher bei der SPD stehen können?
Stehen wir hier nun vor einem unerklärlichen Rätsel, wenn Scharen von „linken“ SPD-Wählern zu den „Rechten“ abwandern?
Traditionelle Nähe
Scheinbar ja – und doch nicht wirklich. Denn dieses Phänomen ist nicht neu. Auch wenn es von „linken“ Theoretikern immer wieder krampfhaft versucht wurde, unter den Tisch zu kehren: Der Erfolg der NSDAP basierte maßgeblich auf der Abwanderung ursprünglich „linker“ Wähler zu den „Rechten“. Seinerzeit blieb insbesondere die christliche Mitte stabil – ein Phänomen, welches sich in gewisser Weise gegenwärtig ebenfalls erkennen lässt.
Unerklärlich ist dieses Phänomen übrigens nicht – ganz im Gegenteil liegt es bei sachgerechter Betrachtung auf der Hand. Die Parteien der politischen Linken verstehen sich traditionell als Vertretung des „kleinen Mannes“. So sie diesen nicht tatsächlich durch soziale Wohltaten bedienen können, reduziert sich die politische Bindung allzu oft auf mehr oder weniger realistische Zukunftsversprechungen. Das wiederum hat seine Ursache darin, dass „Linke“ immer auch Utopisten sind: Sie leben davon, sich eine Zukunftsvision zu malen, auf die angeblich alle Politik zwangsläufig hinauslaufe. Mit anderen Worten: Es geht um das Versprechen an die Unterprivilegierten, ihnen und ihren Kindern Stück für Stück eine bessere Welt zu schaffen.
Die zwei Lager des Zukunftsversprechens
Dieses Versprechen wiederum teilt in zwei grundsätzlich voneinander zu unterscheidende Lager. Auf der einen Seite stehen die sich zumeist der intellektuellen Elite zuordnenden Internationalisten, die im Sinne der Diktatur des Proletariats von einer gerechten Welt ohne Nationalstaat und gesellschaftliche Klassen träumen. Diese Elite hat zumeist keine Existenzängste materieller Natur, weshalb sie frei ist, sich eine fantastische Traumwelt zu erdenken, zu der ihr politisches Streben gelenkt wird.
Das Zukunftsversprechen gebrochen
Wenn nun der SPD in Scharen ihre „linke“ Klientel zu den „Rechten“ wegläuft, dann belegt dieses nicht nur die Untauglichkeit dieser ständig strapazierten Begriffe in der politischen Diskussion. Es macht jenseits der theoretischen Politikbetrachtung vor allem deutlich, dass die SPD nicht mehr als eine Partei wahrgenommen wird, der man ihr Zukunftsversprechen noch abnimmt. Mit anderen Worten: Die SPD versagt auf ganzer Linie in ihrem ursprünglichen Anspruch, die Partei des „kleinen Mannes“ zu sein. Was insofern auch wenig verwundern darf, da das Bild ebenso wie das Agieren dieser Partei tatsächlich maßgeblich von verkopften Scheinintellektuellen aus jener internationalistisch denkenden Wohlstandschicht geprägt wird. Die SPD als klassische Arbeiterpartei von gestern ist heute gekapert worden von Personen, denen die Probleme der Unterprivilegierten in jeder Hinsicht fremd sind und die den verzweifelten Versuch, dennoch eine Bindung an die ursprüngliche Klientel zu erhalten, durch auf zumeist theoretischer Ebene erdachte, soziale Wohltaten an Einzelgruppen zu erreichen sucht. Dabei aber bleibt das unverzichtbare Grundziel der allgemeinen Lebensverbesserung und Zukunftssicherung der früheren Klientel auf der Strecke.
Die Abwanderung zur AfD wiederum erklärt sich gegenwärtig nicht dadurch, dass diese bereits die ursprüngliche Funktion der Sozialdemokratie übernommen hat – denn das soziale Profil dieser jungen Partei ist alles andere als ausgeprägt geschweige denn konkret fassbar. Vielmehr stößt die AfD in eine Lücke, die durch die Internationalisten der neuen Linken – bis hin zur amtierenden Frau Bundeskanzler – vorsätzlich gerissen wurde.
Da das Zukunftsversprechen immer gekoppelt war und gekoppelt sein muss an ein in sich stabiles Gesellschaftssystem mit festen Regeln und Verhaltensmustern, wurde durch die unkontrollierte Zuwanderung genau dieses Versprechen als nicht mehr einhaltbar erkannt. Es geht dabei nicht nur – wie von manchen „Linken“ gern unterstellt – um konkrete Ängste proletarischer Geringverdiener um den eigenen Arbeitsplatz. Es geht dabei um das Fundament der eigenen Zukunftsperspektive an sich, die erschüttert wird dadurch, dass in manchen Innenstädten kulturfremde Personen längst dominieren, dass sich Personengemeinschaften bilden, die nicht nur ihre eigene, fremde Kultur offen ausleben, sondern auch den Anspruch erheben, diese Kultur zum künftigen Maßstab der Gesellschaft zu machen. Es geht darum, dass durch die Zuwanderung jenes manifeste Fundament, das als unverzichtbare Basis des Zukunftsversprechens begriffen wird, zu zerfallen scheint.
Wenn das Zukunftsversprechen unhaltbar wird
Jene, die dieses zuerst wahrnehmen, sind eben jene Klientel der Unterprivilegierten, die früher durch das Zukunftsversprechen des sozialen und materiellen Aufstiegs an die politische Linke gebunden waren. Für sie aber ist der Sockel aller Zukunft immer die als „spießig“ geschmähte Sicherheit des bestehenden, vertrauten Systems. Da diese Sicherheit nun aber von den etablierten Parteien durch aktives wie passives Verhalten allem Anschein nach nicht mehr gewährleistet werden kann, werden jene Altparteien des Zukunftsversprechens zu Verrätern am eigenen Auftrag. Die SPD bekommt dieses gegenwärtig in besonderem Maße eben genau deshalb zu spüren, weil sie – anders als die Union – zu allen Zeiten Hauptträger eben dieses Zukunftsversprechens gewesen ist.
Insofern wenden sie die Enttäuschten in Scharen der AfD und außerhalb Deutschlands vergleichbaren Parteien zu, weil diese ihnen mit ihrer nationalen Präferenz die Gewähr zu bieten scheinen, das unverzichtbare Fundament des Zukunftsversprechens sicherstellen zu können. Die Tatsache, dass diese nationale Präferenz des Selbsterhalts von den früheren Vertretern des Zukunftsversprechens nun außerdem noch als „rechtsextremistisch“ auf eine Ebene mit den ethnorassistischen Vorstellungen jener NSDAP gestellt wird, bewirkt bei den Enttäuschten nicht den von den Anklagenden erwünschten Abkehreffekt, sondern befördert vielmehr die Hinwendung zur politischen Alternative, weil der ohnehin durch den Betroffenen konstatierte Verrat an sich und seinesgleichen nun noch mit der Diffamierung als Verräter durch die von ihm selbst als Verräter empfundenen Politiker gekrönt wird. Äußerungen wie „Dunkeldeutschland“ oder „Pack“ bewirken insofern eben nicht den erhofften Reflex des Zurückzuckens – sie schieben die enttäuschte Klientel vielmehr mit Macht hin zu jenen, die als letzte Retter des Zukunftsversprechens wahrgenommen werden.
Die Linke ist unfähig zur Wahrnehmung
Während die ohne Zweifel nicht dumme Sahra Wagenknecht dieses Phänomen längst erkannt hat, ohne in der Lage zu sein, es ihrer ideologisch geprägten Partei verständlich machen zu können, müht sich die SPD verzweifelt damit, den unmöglichen Spagat zwischen den globalistischen Utopien ihrer geistigen Elite und den Erwartungen ihrer ursprünglichen Klientel zu bewerkstelligen. Gelingen können aber hätte dieses nur, wenn die SPD in der Lage gewesen wäre, das von ihr als „nationalistisch“ geschmähte, unverzichtbare Fundament des Zukunftsversprechens zu gewährleisten und erst darauf aufbauend utopistische, supranationale Vorstellungen zu entwickeln. Dem ursprünglich „kleinen Mann“, den wir in der Noch-Wohlstands-Gesellschaft Bundesrepublik gern auch als Normalbürger bezeichnen können, steht dieses Fundament über allem anderen, weil einzig dieses von ihm und mangels real erfassbarer Alternative zu Recht als Basis des Zukunftsversprechens erkannt wird.
Dieses ist für sich weder nationalistisch noch etwa gar „rassistisch“ – es ist nichts anderes als ein instinktiver Schutzreflex des Menschen gegen unwägbare Fremdeinflüsse, die als Gefahr für die eigene Zukunft und mehr noch die der Kinder erkannt werden. Zu einer nationalistischen und/oder rassistischen Gefahr werden sie erst gemacht, indem jene, die die Problematik der verratenen Zukunftsversprechens aufgrund ihrer Verkopftheit erst geschaffen und auf Grund ihrer eigenen, noch ungefährdeten materiellen Situation nicht zu erkennen in der Lage sind, das für sie Unerklärliche in entsprechenden Schubladen stigmatisieren.
Die SPD, die diese Stigmatisierung ihrer eigenen Urklientel gegenwärtig in besonders exzessiver Form betreibt, schaufelt sich dabei ihr eigenen Grab. Die SPON-Umfrage ist dafür der beste Beleg.