Tichys Einblick
Konsequenzen des Überfalls auf die Ukraine

Die perfide Logik eines Krieges, der keiner ist – Teil 3

Was immer am Ende der „militärischen Spezialoperation“ auch festzustellen sein wird – es hat keinerlei völkerrechtliche Bedeutung. Selbst für den Fall, dass Moskau die Ukraine vollständig besetzt und auf welchem Wege auch immer in die Russische Föderation integriert – als Völkerrechtobjekt bleibt die Ukraine bestehen.

IMAGO / ITAR-TASS

Nachdem wir festgestellt haben, dass der russische Überfall weder ein Krieg noch ein Angriffskrieg sein kann, sondern schlicht nur ein auf Vertragsbruch basierender, krimineller Überfall ist, steht die Frage nach Beurteilung und Konsequenz im Raum. Dabei ist die Vielschichtigkeit des Vorgangs weitaus komplexer, als es auf den ersten Blick scheinen mag, denn aus der Tatsache, dass es sich bei dem Vorgehen der russischen Führung um Vertragsbruch und kriminelles Verhalten handelt – eingestanden nicht zuletzt dadurch, dass diese Führung wider bestehende Verträge für sich in Anspruch nimmt, in der Ukraine keinen Krieg zu führen, sondern lediglich eine „militärische Spezialoperation“ zu betreiben – ergeben sich zahlreiche Konsequenzen.

Unrecht kann kein Recht schaffen

Beginnen wir mit dem Offensichtlichen: Unrecht kann kein Recht schaffen.

Das bedeutet: Was immer am Ende der „militärischen Spezialoperation“ auch festzustellen sein wird – es hat keinerlei völkerrechtliche Bedeutung. Das kriminelle Handeln des Kreml erhält nicht dadurch Rechtsstatus, dass es im Sinne seiner Ziele möglicherweise erfolgreich sein wird. Selbst für den Fall, dass Moskau die Ukraine vollständig besetzt und auf welchem Wege auch immer in die Russische Föderation integriert – als Völkerrechtobjekt bleibt die Ukraine bestehen. Das wiederum legitimiert bereits heute und in alle Zukunft jedwede durch Ukrainer gegen die Besatzung vorgenommene Aktion bis hin zum Partisanenkampf und Vorgehen gegen Institutionen und Personen der Besatzungsmacht auch außerhalb des Territoriums der Ukraine.

Sollte sich der Aggressor damit begnügen oder begnügen müssen, nur Teile der Ukraine aus dieser herauszulösen und dem eigenen Territorium zuzuschlagen, so haben solche Annexionen selbst dann keine Vertragsrelevanz, wenn die frei gewählte Regierung der Ukraine dem in einer aktuellen Situation zustimmen sollte. Denn diese Zustimmung wäre ausschließlich erfolgt durch die Anwendung und weitere Androhung krimineller Gewalt. In einer zivilisierten Wertegemeinschaft kann eine erpresste Zustimmung keinerlei juristische Relevanz entfalten: Die unter Zwang abgetretenen Gebiete blieben besetztes Land der Ukraine auch dann, wenn deren Regierung unter einem Zwangsdiktat etwas anderes hätte akzeptieren müssen.

Der Aggressor ist in jeder Hinsicht regresspflichtig

Aus der Tatsache, dass es sich bei dem Überfall um ein nicht gerechtfertigtes und nicht zu legitimierendes, kriminelles Vorgehen handelt, ist weiterhin abzuleiten, dass der Verantwortliche für jedwede von ihm zu verantwortende Handlung in Regress zu nehmen ist. Dieses bedeutet nicht nur, dass die Verantwortlichen und deren Unterstützer mit ihrem Vermögen dafür haften, den Wiederaufbau und die Wiederbeschaffung der durch ihr Handeln vernichteten Güter und Werte der Ukraine auszugleichen bzw. zu finanzieren, sondern es ist zudem darüber zu entscheiden, mit welchem „Wert“ jedes durch den Aggressor vernichtete, ukrainische Menschenleben zu kompensieren ist.

Aus dieser Notwendigkeit ergibt sich zwangsläufig, dass die Ukraine bereits jetzt das Recht haben muss, russisches Eigentum weltweit als Regress für die bereits verursachten Schäden in Haftung zu nehmen. Alles, was dem russischen Staat als unmittelbar zuzuordnendes Vermögen gehört, fällt unter den ukrainischen Regressanspruch. Zudem ist das Privatvermögen jener Personen in die Haftung einzuschließen, die den Überfall durch eigenes Handeln oder ideell unterstützt haben. Theoretisch könnte die Ukraine sogar Anspruch auf das Vermögen jener Nichtrussen erheben, die das Verbrechen der russischen Staatsführung durch die Übernahme der von dort verbreiteten, unzutreffenden Erzählungen zu rechtfertigen suchen, da diese sich mit dem Verbrecher gemein gemacht und sich insofern für die Unterstützung einer kriminellen Vereinigung zu verantworten haben. Zudem stünde die Frage nach Regress hinsichtlich jener im Raum, die den Überfall indirekt beispielsweise dadurch finanzieren, indem sie dem russischen Staat dessen Produkte abkaufen.

Auch ein theoretischer Anspruch kann Relevanz entfalten

Den vorangegangenen Feststellungen mag entgegengehalten werden, dass sie rein theoretischer Natur sind und keine reale Relevanz entfalten, da „Russland“ – sprich deren gegenwärtig Verantwortliche – jede Regressleistung verweigern wird. Tatsächlich mag eine derartige Auffassung vertreten werden, wenn man, wie es der ukrainische Botschafter dem bundesdeutschen Finanzminister vorwirft, das vorgebliche „Recht des Stärkeren“ widerstandslos hinzunehmen bereit ist.

Nun sollte es keine Debatte darüber geben können, dass dieses „Recht des Stärkeren“ auch dann, wenn es real zu konstatieren sein sollte, eben genau das nicht ist: Recht. Diese Auffassung stammt aus der Archaik früherer Entwicklungsphasen der Menschheit, in denen eben noch jene Schimpansenbarbarei als „Recht“ fehlinterpretiert wurde. Durch die Zivilisierung der Menschheit über das Schaffen und Anwenden von regulärem und verbindlichem Recht kann jedoch von einem solchen „Recht des Stärkeren“ nicht mehr die Rede sein. Soweit hinsichtlich der Stärke – also der Möglichkeit, durch eine barbarische Überlegenheit der Gewalt einem anderen seinen Willen aufzuzwingen – dennoch die Rede sein soll, so wäre bestenfalls von einer „Macht des Stärkeren“ zu sprechen. Im konkreten Falle bedeutet dieses: Möglicherweise hat die Russische Föderation die militärische Stärke, sich mit Macht gegen den Überfallenen durchzusetzen. Recht allerdings wird daraus nicht, denn in einer zivilisierten Welt kann Macht allein kein Recht schaffen.

Traditionelle Auffassungen stehen zur Disposition

Damit stehen wir nun vor einem spezifischen Problem, welches die traditionellen Überlegungen zur Änderung der Situation außer Kraft setzt. Wir werden sie kurz skizzieren.

1) Kein Friedensvertrag möglich

Ein vertraglicher Friedensschluss ist hinsichtlich des russischen Überfalls auf die Ukraine nicht möglich. Er ist deshalb nicht möglich, weil ein solcher Vertrag nur auf Basis eines völkerrechtlich als solcher zu verstehenden Krieges möglich sein kann. Da bei dem Überfall auf die Ukraine nicht von einem „Krieg“ gesprochen werden kann und auch die Hilfskonstruktion eines „Angriffskriegs“ faktisch keinen Krieg, sondern eine kriminelle Handlung beschreibt, kann es in der Causa Ukraine keinen Friedensvertrag zwischen kriegführenden Mächten geben. Unterstrichen wird diese Unmöglichkeit dadurch, dass sich der Aggressor von vornherein geweigert hat, seinen Überfall als Krieg zu titulieren. Wenn nun in Medien von „Friedensverhandlungen“ gesprochen wird, ist dieses einem grundsätzlichen Irrtum geschuldet. Das, was zwischen dem Aggressor und dem Überfallenen stattfindet, sind bestenfalls Gespräche – aber keine Verhandlungen. Und schon gar keine über einen Frieden, welcher auf Grundlage des Freundschaftsvertrages von 1997 nach wie vor besteht auch dann, wenn ein Vertragspartner gegen Inhalte des Vertrages verstoßen hat.

2) Kein Waffenstillstand denkbar

Gleiches gilt für einen sogenannten „Waffenstillstand“. Da ein solcher nach Haager Landkriegsordnung eine reguläre Kriegssituation voraussetzt, kann er unter der Bedingung eines Überfalls nicht verhandelt und schon gar nicht geschlossen werden. Denkbar ist ausschließlich die gegenseitige Zusage einer Kampfunterbrechung, welche ggf. unbegrenzt andauern kann. Sie bedeutet: Der Aggressor unterlässt weitere kriminelle Handlungen gegen den Überfallenen – der Überfallene erklärt sich bereit, gegenwärtig und bis auf Weiteres auf die Bekämpfung der aktuellen Resultate des kriminellen Handelns und deren Akteure zu verzichten.

3) Jede Vereinbarung setzt ein Schuldanerkenntnis voraus

Denkbar scheint eine vertragliche Regelung im Grundsatz dennoch. Sie müsste jedoch das Eingeständnis des Aggressors beinhalten, sich einer kriminellen Handlung schuldig gemacht zu haben. Unter dieser Voraussetzung könnte der Angegriffene seine Regressansprüche definieren und diesen auf Verhandlungswege durch den Aggressor zustimmen lassen. Soweit es auf einer solchen Ebene zu einem Vertragswerk kommt, könnte dieses die Basis der künftigen Zusammenarbeit auf Grundlage des bestehenden Freundschaftsvertrages werden. Sie setzt jedoch voraus, dass der Aggressor von jedweder Gewaltandrohung Abstand nimmt. Jede andere, von diesem Vorgehen abweichende Regelung kann keinerlei Bestand haben, da sie den Überfallenen unabhängig von dem, was er unterzeichnet, nicht binden kann, solange seine Zustimmung die Folge einer fortwährenden Aggression ist, welche beispielsweise in der Androhung der Fortsetzung des kriminellen Vorgehens oder der andauernden Besetzung von Teilen des Territoriums des Angegriffenen erpresst wurde.

4) Ein erpresster Vertragsabschluss schüfe den Präzedenzfall

Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen ist, dass die Kriminellen ihre Verbrechen eingestehen werden und sie vielmehr weiterhin nach dem Vorbild archaischen Schimpansenverhaltens ihren Willen durch Gewaltanwendung durchzusetzen suchen, kann die Ukraine mit dem Ziel der Beendigung der unmittelbaren Aggression letztlich jedwedem Vertragsdiktat zustimmen, ohne dadurch auch nur ein Jota ihrer tatsächlichen Ansprüche preiszugeben, selbst wenn diese im Widerspruch zu dem unterzeichneten Wort stehen mögen. Vertragserpressung mag zwischen Leningrader Mafiabanden ein übliches Vorgehen sein – es ist und kann dieses nicht sein im internationalen Völkerrecht und im Umgang von Staaten untereinander. Und das auch deshalb nicht, weil dadurch der Rückfall in jene vorzivilisatorische Epoche der Gewaltdurchsetzung im Sinne eines Präzedenzfalles manifest würde und der Durchsetzung anderer, ähnlich einseitig konstruierter Scheinansprüche durch Anwendung oder Androhung von Gewalt eine Legitimation schaffte. Hier sind nicht nur potentielle Krisenherde wie das Verhältnis der Volksrepublik China zur Republik China zu bedenken.

5) Russland muss den „totalen Krieg bis zum Endsieg“ führen

Die fatale Konsequenz dieser Situationsbeschreibung: Die Verantwortlichen im Kreml müssten, um sich gegen die gerechtfertigten Regressansprüche der Ukraine als Staat und der Ukrainer als Individuen abzusichern, nicht nur den ukrainischen Staat vom Erdboden verschwinden lassen – sie wären auch gezwungen, jeden Ukrainer als potentiellen Vertreter einer ukrainischen Rechtsnachfolge zu vernichten.

Die russische Regierung hat sich in eine Situation gebracht, die am ehesten vergleichbar ist mit jener Situation der nationalen Sozialisten Deutschlands in ihrem Bestreben, dass jüdische Volk zu vernichten. Der in jeder Hinsicht gerechtfertigte Regressanspruch der Überlebenden des Holocaust hätte, auch wenn das sarkastisch und unmenschlich klingen mag, letztlich nur vermieden werden können, wenn es keinen einzigen Überlebenden gegeben hätte – was jenseits der emotionalen und rechtlichen Betrachtung des Menschheitsverbrechens verdeutlicht, dass die Kriminellen in der Führung des Deutschen Reichs hätten wissen können und müssen, was sie mit dem von ihnen exekutierten Massenmord tatsächlich an langfristigen Konsequenzen verursachen.

Offenbar jedoch scheint es so zu sein, dass Kriminelle in der Staatsführung damals wie heute davon ausgehen, für ihre Verbrechen nicht zur Verantwortung gezogen werden zu können – und sei es nur, weil sie sich in der Hybris ewigwährender Unantastbarkeit wähnen.

6) Der ukrainische Regressanspruch hat Ewigkeitswert

Selbst für den Fall, dass das russische Regime infolge seines kriminellen Vorgehens eine vertragliche Regelung erpressen kann und sich damit aus dem unmittelbaren Regressanspruch des erpressten Staates ebenso wie aus der persönlichen Haftung für die von ihren Vertretern zu verantwortenden Verbrechen zu befreien meint, bleibt der ukrainische Anspruch, da der Verzicht erpresst wurde, weiterhin bestehen. Das bedeutet: Eine Ukraine kann unabhängig davon, ob sie territorial besteht oder vorübergehend um ihre Souveränität gebracht wurde, selbst im Abstand von Jahrhunderten unter Berufung auf den Freundschaftsvertrag und das verbrecherische Vorgehen der russischen Führung umfassenden Regress geltend machen. Dieser Regress umfasst sowohl die Ansprüche auf die bereits fremdannektierten Territorien als auch auf gegenwärtig oder künftig besetzte Gebiete sowie den Ersatz der Aufwendungen für die Widerherstellung der durch das verbrecherische Vorgehen der Aggressoren verursachten materiellen und ideellen Schäden.

Das Vorgehen der von Wladimir Putin geleiteten kriminellen Vereinigung hat insofern einen Ewigkeitsanspruch der Ukraine und der Ukrainer verursacht, der nicht dadurch verjährt, dass er möglicherweise auf Jahrzehnte oder länger nicht eintreibbar ist. Vermieden werden könnte dieses ausschließlich dadurch, dass sich Russland bedingungslos aus der gesamten Ukraine zurückzieht und anschließend ohne Bedrohungslage die beiden Staaten auf Grundlage des bestehenden Vertragswerks über den Regress verhandeln und zu einer einvernehmlichen Lösung kommen. Über die Unwahrscheinlichkeit einer solchen Situation zu einem Zeitpunkt, zu dem die kriminelle Vereinigung noch den Kreml und damit Russland kontrolliert, soll hier nicht spekuliert werden – voraussichtlich wird ein solches Vertragswerk, welches das im Namen Russlands erfolgte, kriminelle Vorgehen aus der Welt schafft, entweder dem Zerfall der Russischen Föderation oder einer möglicherweise irgendwann einmal etablierten und demokratisch legitimierten, an das Völkerrecht gebundenen russischen Regierung vorbehalten bleiben.

Konsequenzen auch für die Soldaten Russlands

Soweit es die langfristigen Konsequenten des durch Putin zu verantwortenden, kriminellen Überfalls auf das Nachbarland betrifft, ist Wesentliches dargelegt. Jedoch hat das Vorgehen Russlands auch unmittelbare Konsequenzen, die beispielsweise den Umgang der Angegriffenen mit den Angreifern betreffen.

Hierzu ist als erstes festzustellen: Da der Überfall kein Krieg ist, gilt auch kein Kriegsrecht. Die Invasoren – vom General bis zum einfachen Soldaten – haben keinen Kombattantenstatus nach Haager Landkriegsordnung, sondern sind im staatsrechtlichen Sinne als Terroristen einzustufen. Der russische Soldat, der von seiner Führung in die Ukraine geschickt wurde, unterscheidet sich in nichts von einem Kämpfer des „Islamischen Staats“, der im Irak oder anderswo gegen eine bestehende, staatliche Ordnung oder Zivilpersonen kämpft. Die Forderung aus dem russischen Generalstab, gefangene russische Invasoren seien von der Ukraine nach Internationalem Kriegsrecht zu behandeln, ist insofern nicht nur ohne jedes juristische Fundament – es konterkariert zudem die ausdrückliche Ansage der eigenen politischen Führung, wonach es sich bei dem Überfall eben genau nicht um einen Krieg handele.

Wenn nun, wie angeblich geschehen, ukrainische Kämpfer gefangenen Russen misshandelt haben sollen, so ist dieses menschlich gesehen zu verurteilen – und wird nach Zusage der ukrainischen Behörden entsprechend ermittelt und verfolgt -, doch ein Kriegsverbrechen ist es nicht, da es lediglich den Umgang mit Terroristen, also einer illegitimen Gruppe krimineller Personen, betrifft. Wenn es sich auf russischer Seite nicht um einen Krieg und auf der Seite der Ukraine um die Abwehr eines kriminellen Überfalls handelt, kann die Ukraine nebst deren Verteidiger grundsätzlich nicht wegen Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen werden. Entsprechende Ermittlungen, die angeblich auf internationaler Ebene erfolgen sollen, sind somit obsolet und können nur der Ablenkung vom tatsächlichen Geschehen gelten. Faktisch befindet sich die Ukraine in einer Abwehrsituation gegen einen Terrorangriff, für die internationales Kriegsrecht nicht anwendbar ist.

Ansprüche russischer Soldaten gegen ihre Führung

Für die russischen Soldaten ist diese Situation nicht nur kriegsrechtlich prekär, da sie nicht unter dem Schutz der entsprechenden, völkerrechtlichen Abkommen stehen – sie wurden auch von ihrer Führung in eine in jeder Hinsicht unhaltbare Situation gebracht. Da sie, offenbar ohne es wissen und sich dagegen wehren zu können, von der kriminellen Vereinigung im Kreml vorsätzlich in diese unhaltbare Situation eines illegalen Überfalls auf Dritte gebracht wurden, entsteht hier ein weiterer, unmittelbarer Regressanspruch sowohl der Soldaten selbst als auch deren Hinterbliebenen gegen die für ihre Situation Verantwortlichen. Hier gilt ebenso: Selbst dann, wenn aufgrund der aktuellen Machtverhältnisse in Russland ein solcher Regress seitens der missbrauchten Soldaten und ihrer Familien und Hinterbliebenen aktuell nicht einzutreiben sein wird, bleibt er bestehen – und zwar gegen jeden, der unmittelbar oder mittelbar durch Befehlsvergabe oder Unterstützung der rechtswidrigen Vorgehensweise der Führung im Kreml an der kriminellen Situation Verantwortung trägt.

Angesichts der Tatsache, dass es sich bei dem Überfall nicht um einen Krieg, sondern um eine kriminelle Handlung handelt, kann umgekehrt jedoch auch beispielsweise die Totalzerstörung einer Stadt wie Mariupol kein Kriegsverbrechen sein. Vielmehr handelt es sich dabei um einen Terrorakt als krimineller Exzess von ungeahnter Tragweite, der im Namen eines Staates begangen wird. Hier sind nicht nur die Auftraggeber im Kreml in die persönliche und unmittelbare Verantwortung zu ziehen, sondern jedwedes Individuum, das sich an diesem Verbrechen mittelbar und unmittelbar beteiligt. Dieses gilt auch für den einfachen Soldaten, der sich an diesen Terrorhandlungen beteiligt.

Soweit der Internationale Gerichtshof seinem Anspruch gerecht werden will, ist er unabhängig davon, ob er der betreffenden Personen habhaft wird, verpflichtet, entsprechende Verfahren gegen die Verantwortlichen einzuleiten. Dieses gilt zudem abseits der Gerichtsbarkeit in Den Haag überall dort, wo geltendes Strafrecht sich nicht auf Handlungen innerhalb der staatlichen Zuständigkeit der jeweils urteilenden Gerichtsbarkeit beschränkt. Die Verantwortlichen für den kriminellen Überfall und den daraus resultierenden Massenmord wären demnach mit internationalem Haftbefehl zu verfolgen und nach Möglichkeit in Haft zu nehmen, sobald ein entsprechender Zugriff möglich ist. Auslandsaufenthalte der Verantwortlichen – auch als Diplomaten – wären damit grundsätzlich zu verunmöglichen, da sie sich mit ihrem kriminellen Tun außerhalb des diplomatisch Verantwortbaren gestellt haben. Ihre Vermögenswerte wären unabhängig vom Lagerort zwecks Regress zugunsten der Ukraine zu konfiszieren.

Jenseits der persönlichen Haftung der Verantwortlichen besteht zudem dauerhaft ein Anspruch gegen den Staat, in dessen Namen dieses Verbrechen begangen wurde, da die Verantwortlichen als offizielle Repräsentanten dieses Staates gehandelt haben und handeln.

Das Recht der Ukraine auf Aktionen in Russland

Ein letzter, hier anzureißender Aspekt ist die Reaktion der Überfallenen hinsichtlich möglicher Aktionen im Herkunftsland der Invasionstruppen. Üblicherweise hätte das von einer terroristisch agierenden Gruppe überfallene Gemeinwesen den Anspruch an den Ursprungsort zu stellen, dort die entsprechenden, kriminellen Handlungen zu unterbinden. Da der Terrorangriff jedoch unmittelbar von der dortigen Staatsführung ausgeht, ist hier Staatsterrorismus zu konstatieren, welcher ein entsprechendes Abhilfegesuch ausschließt. Insofern steht die Frage im Raum: Hat die Ukraine das Recht auf gezielte Aktionen auf dem Hoheitsgebiet der Russischen Föderation?

Hier steht aktuell jener zu Beginn erwähnte, vorgebliche Beschuss eines Tanklagers im russischen Belgorod im Raum, denn der Sprecher der kriminellen Vereinigung im Kreml zum Anlass genommen hat, eine weitere Intensivierung der Terrorhandlungen anzukündigen.

Tatsächlich sind in Belgorod mehrere Tanks in Flammen aufgegangen. Menschenopfer sind laut zuständiger Gebietskörperschaft nicht zu beklagen. Laut russischer Seite liegt die Verantwortung für den Brand bei zwei ukrainischen Hubschraubern, die das Tanklager angegriffen hätten.

Wäre dem so, so zeigte dieses zumindest erhebliche Schwächen der russischen Luftabwehr auf. Die ukrainische Führung allerdings dementiert ein solches Vorgehen, weshalb auch vorstellbar ist, dass es sich um eine False-Flag-Operation der Russen selbst handelt, die einen ukrainischen Angriff vortäuschen soll mit dem Ziel, die jüngst eingezogenen Wehrpflichtigen im Sinne einer vorgeblichen „Vaterlandsverteidigung“ ebenfalls im Rahmen des kriminellen Überfalls auf die Ukraine einsetzen zu können.

Tatsächlich wäre ein solches Vorgehen fast schon klassisch für die permanente Umkehr der Fakten durch die Führung im Kreml. Dennoch darf festgestellt werden: Da es sich bei dem von russischem Territorium ausgehenden Überfall um einen Akt des kriminellen Terrorismus handelt, hat die Ukraine jedwedes Recht, im Herkunftsland der Terroristen deren Logistik auszuschalten, ohne dass daraus ein Angriff auf die Russische Föderation zu kreieren wäre.

Bei einem nahe der Überfallregion gelegenen Tanklager ist grundsätzlich zu unterstellen, dass es den Terroristen zur Ausführung ihrer Handlungen dient. Insofern handelt es sich dabei für die Überfallenen um ein legitimes Ziel. Fragwürdig würde das Verhalten des einen Terrorangriff abwehrenden Staatswesens erst, wenn es vorsätzlich gegen Zivilpersonen und zivile Einrichtungen im Herkunftsland der Aggressoren gerichtet wäre. Das allerdings ist unabhängig von der Darlegung Moskaus bislang nicht zu erkennen.

„Es gibt keine Ehre für Menschen ohne Ehre“

Im Ergebnis festzuhalten bleibt, dass Wladimir Putin mit seinem Überfall auf die Ukraine nicht nur einen bereits zuvor erfolgten Vertragsbruch eskaliert, sondern zudem weder einen Krieg noch einen Angriffskrieg, sondern eine kriminelle, terroristische Aktion zu verantworten hat.

Weshalb zum Abschluss der polnische Präsident Andrzej Duda zitiert werden soll, der bei einem Besuch des Vatikans auf die Frage nach einem „ehrenvollen Ausstieg für Putin“ kurz und zutreffend antwortete: „Es gibt keine Ehre für Menschen ohne Ehre!“

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