„Gleich draußen vor Surachany brennen heute noch auf der Steppe die ewigen Feuer. Die Gase dringen hier so reichlich aus dem Erdinnern hervor, daß, wenn man mit dem Stocke ein Loch in den Boden stösst und ein brennendes Streichholz darüber hält, das Gas sich entzündet und brennt, bis man das Loch wieder zustopft oder die Flamme vom Wind ausgelöscht wird. … Große flackernde Flammen, von den starken Windstößen zerrissen, werfen nachts über die Steppe einen wunderbaren Schein, der bis nach Baku sichtbar ist. … Es sind nicht nur die ewigen Feuer oder die vulkanische Tätigkeit oder das reiche Vorkommen von Asphalt, die [die Halbinsel] Apscheron zum Gegenstand des größten Interesses machen, sondern weit mehr der große Reichtum an Naphta, das die Erde hier birgt. … Da die ganze Gegend mit Naphtaseen und Kanälen angefüllt ist und Erdboden, Häuser und Bohrtürme mit Naphta buchstäblich getränkt sind, gehören Feuersbrünste nicht zu den Seltenheiten. … In den ersten Jahren hatten die Brüder Robert und Alfred Nobel mit unglaublichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Mord, Brandstiftung, Diebstähle gehörten zu den Alltäglichkeiten, und Tataren wie Russen und Armenier taten alles, um die neuen Anlagen und ihre Besitzer zu schädigen; man bohrte sogar die Naphtabassins an, um sie zu leeren, und riss weite Strecken der Rohrleitungen heraus.“
Nach dem Zusammenbruch des Zarenreichs wurde das Land seit dem 28. Mai 1918 kurzfristig als „Demokratische Republik Aserbaidschan“ unabhängig. Es folgten gegenseitige Pogrome zwischen der christlich-armenischen und der „tatarisch“-muslimischen Bevölkerung, dessen ungeachtet die Westalliierten des Ersten Weltkriegs die Republik am 11. Januar 1920 offiziell anerkannten.
Die Eigenstaatlichkeit sollte jedoch nur von kurzer Dauer sein. Das kommunistische Usurpatorenregime in Moskau ließ die Rote Armee am 28. April 1920 in das Land am Kaspischen Meer einrücken um es 1922 als mit Georgien und Armenien zwangsvereinigte „Transkaukasische Föderative Räterepublik“ in das großrussische Imperium einzugemeinden.
Erdgas stinkt nicht
Obgleich Aserbaidschan von Menschenrechtsaktivisten als faktische Diktatur angeprangert wird und der gepflegte Kontakt mit diesem Land nicht so recht in das grünrotgelbe Dogma einer „feministischen Außenpolitik“ passen will, gilt nun auch hier: Pecunia non olet – und Erdgas erst recht nicht.
In ihrem Bestreben, das erst herbeigewünschte, dann gefürchtete Ende der Erdgas-Lieferungen irgendwie zu kompensieren, ist nun EU-Kommissionspräsident Ursula von der Leyen in die Ölstadt am Kaspischen Meer gereist, um Diktator Alijew II seine Aufwartung zu machen. Nicht ohne Erfolg: Allen Green Deals und Klimaschwüren zum Trotz hat die EU ab 2027 die Abnahme von mindestens 20 Milliarden Kubikmetern Erdgas im Jahr vereinbart. Um die Fiktionen des umweltneutralen Industrieriesen Europäische Union dem zu erwartenden, grünen Unmut dennoch verkaufen zu kommen, ist der Liefervertrag auf 15 Jahre beschränkt, womit er bereits deutlich vor der angestrebten „Umweltneutralität“ der EU im Jahr 2050 ausläuft. 2042 soll demnach spätestens Schluss sein mit der EU-Abnahme und Aserbaidschan kann auf jenen Hedin’schen Standard der „großen, flackernden Flammen über der Steppe“ zurückkehren – oder das Gas an das dann vermutlich immer noch nicht EU-Mitglied Türkei verkaufen.
Unsichere Wege – unsichere Partner
Doch die Sache hat mehr als nur einen Haken. So liegt Aserbaidschan zwar am Kaspischen Meer – dieses aber hat keinerlei Wasserverbindung zu den Weltmeeren. Deshalb fällt der LNG-Gastransport über See schon einmal aus. Um dem abzuhelfen, haben die Aseri mit einigen Nachbarn und internationalen Geldgebern eine Gas-Pipeline durch den unwegsamen Kaukasus legen lassen. Rund 3.500 Kilometer Länge erreicht das Pipeline-Projekt, das als „Southern Gas Corridor“ (Südlicher Gaskorridor) am 29. Mai 2018 offiziell in Betrieb genommen wurde.
Das Problem dieser Pipeline, welches auch ein grundsätzliches des kleinen Aserbaidschan ist: Sie führt bereits auf kaukasisch-asiatischem Gebiet derzeit durch zwei Länder, die aus westeuropäischer Sicht als „unsichere Kantonisten“ gelten. Um Armenien, mit dem sich die Aseri traditionell im latenten Kriegszustand befinden, zu umgehen, macht die Pipeline einen großen Bogen durch Georgien. Diese Ex-Sowjetrepublik, deren Nato-Beitrittswünsche erst jüngst faktisch abgewiesen wurden, gehört fest zum gefühlten, imperialen Großrussland des Wladimir Putin. Moskau kann, wenn ihm danach ist, jederzeit die Pipeline übernehmen oder zerstören. Was allerdings auch dadurch nicht besser geworden wäre, hätten die Pipeliner das Rohr durch Armenien gelegt. Dort hat Putin mittlerweile schon eigene Truppen stationiert.
Putin oder Erdogan – nicht die EU hat die Wahl
Neben den Gefährdungen, denen die Pipeline im Kaukasus ausgesetzt ist – wozu neben den russischen Großmachtansprüchen auch historisch begründete Begehrlichkeiten des Iran auf Aserbaidschan selbst kommen – befindet sich die EU durch die Pipeline also in einer babylonischen Gefangenschaft des unberechenbaren türkischen Präsidialdiktators Recep Tayyip Erdogan. Was von dessen Zuverlässigkeit als immer-noch Nato-Mitglied zu halten ist, demonstriert der bekennende Muslimbruder dieser Tage einmal mehr in Perfektion.
Gemütlicher jedenfalls ist es für den Westen mit dem Teheraner Meeting nicht geworden. Nicht nur der schiitisch-sunnitische Schulterschluss wird manche lang gehegte Strategie überdenken lassen müssen. Die Kurden dürfen sich warm anziehen – Syrien bleibt Mündel des Triumvirats der Mächtigeren. Die Ukraine darf sich darauf einstellen, dass Russland für das Diebesgut einen willigen Hehler finden wird, der für ukrainisches Eigentum hochwertige Waffen an den Räuber liefern wird.
Die demonstrative Nähe der ungewöhnlichen Gentlemen verheisst für den in Madrid verkündeten, weltweiten Kampf der NATO gegen das Böse wenig Gutes. So gilt auch hier: Die Welt sortiert sich neu. Und wer am Ende die Verlierer sein werden, ist alles andere als ausgemacht.