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Dialog USA–Russland: EU nicht einmal am Katzentisch

Am 10. Januar sollen sich Delegationen der USA und Russlands treffen, um die Zukunft der Ukraine und die sicherheitspolitische Situation an der Nahtstelle zwischen NATO und ehedem Roter Armee auszuloten.

Joe Biden und Wladimir Putin in Genf

IMAGO / ITAR-TASS

Das ist schon bitter: Für den 10. Januar haben die Vereinigten Staaten von Amerika und die Russische Föderation in Genf Gespräche über die Zukunft Mittelost-Europas anberaumt – und die EU, dieser übernationale Regierungenverein, ist nicht mit dabei. Die internationale Politik kehrt zurück zum klassischen Realismus der imperialen Interessensverfolgung – da bedarf es keines machtlosen Traumtänzervereins von Welteinheitsglücksaposteln mit Sitz in Brüssel.

Die Krise ist nicht zu übersehen. Russlands Präsident Wladimir Putin droht mehr oder weniger unverhohlen mit Krieg, lässt an der Grenze zur Ukraine 100.000 Soldaten auffahren, um unter großem medialen Tamtam nach Weihnachten 10.000 davon zurück in ihre Stellungen in Zentralrussland zu verlegen. Begleitet von einem umfangreichen Katalog sogenannter sicherheitspolitischer Forderungen lässt Putin seine Soldaten im Manöver einen NATO-Luftangriff abwehren, während die Regierung der Ukraine davor zittert, dass der übermächtige Nachbar demnächst das sich nach Westeuropa orientierende Land überrollen und gleich der Krim in das großrussische Reich eingemeinden könnte.

Postimperiale Ansprüche internationaler Politik

Mit Säbelrasseln und unerfüllbaren Forderungen hat Putin nun zumindest eines erreicht: Am 10. Januar sollen sich Delegationen der USA und Russlands treffen, um die Zukunft der Ukraine und die sicherheitspolitische Situation an der Nahtstelle zwischen NATO und ehedem Roter Armee auszuloten. Viel zu erwarten ist auf den ersten Blick nicht: Die USA werden nicht, wie faktisch gefordert, den NATO-Beitritt der früheren Sowjetkolonien in Europa rückgängig machen lassen. Sie werden nicht darauf verzichten, in den NATO-Staaten Europas bewaffnete Einheiten zu stationieren. Auch können sie nicht Finnland und die Ukraine dem russischen Machtstreben preisgeben.

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Das aber sind die Forderungen, die Putin erhebt. Keine Osterweiterung der NATO in Europa und Rückzug aus den zu Russland angrenzenden Staaten. Keine militärische und waffentechnische Unterstützung der Ukraine. Keine US-Unterstützung von Staaten im Kaukasus, insbesondere Georgien. Keine Unterstützung von weißrussischen Bürgerrechtsbewegungen gegen den Moskau-Adlatus Lukaschenko. Keine Unterstützung von russischen Oppositionsbewegungen und NGO. Aufgabe aller Ansprüche auf die Krim und die Ostukraine.

Dem Russen schwebt ein klassisches Imperialismuskonzept vor: Die Weltmacht Russland, eingebettet in einen Kordon von Vasallenstaaten wie Belarus, Armenien, Transnistrien, in denen die Russische Armee ihre Stützpunkte unterhalten darf. Diese Vasallenstaaten wiederum räumlich getrennt gegen das US-Militärbündnis NATO durch vorgeblich neutrale Pufferstaaten wie die Ukraine, welche letztlich von Russland als Sicherheits- und Einflusszone beansprucht werden.

Für den Westen nicht verhandelbar

Gegen dieses Modell steht die Vorstellung der westlichen Staaten, wonach die Bevölkerungen von Staaten in freier und unabhängiger Selbstbestimmung darüber zu entscheiden haben, ob und welchem Militärbündnis sie angehören wollen. Eine solche Entscheidung fiel in den vergangenen 30 Jahren in zahlreichen Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts – jene um die Satellitenstaaten erweiterte Rote Armee – zugunsten der NATO.

Nicht ohne Grund, denn die Grundprämisse der NATO ist es, den Angriff auf nur ein einziges Land des Bündnisses als Angriff auf das Bündnis in Gänze zu verstehen und kollektiv zu erwidern. Bedeutet: Sollte Russland seine Bemühungen, beispielsweise im Baltikum frühere Kolonialhoheit durchzusetzen, militärisch durchführen wollen, befindet es sich im Krieg mit der NATO. Der von Putin geforderte Rückzug der NATO auf Stellungen von vor 1989 ist insofern nicht nur illusorisch – er wäre auch die Selbstzerstörung der NATO durch den Verrat an ihren Mitgliedern.

Putin pokert und blufft

Dennoch tut Putin das, was er am liebsten macht: Er pokert und blufft. Sollten NATO und USA nicht kuschen, werde er sich von seinen Militärs die notwendigen Vorschläge einholen, um der von ihm definierten Aggression der NATO angemessen zu begegnen. Diese gefühlte Aggression wiederum ist auf Basis der Putin-Doktrin bereits die Mitgliedschaft der mittelosteuropäischen Staaten in der NATO – angeblich ein Vertragsbruch entgegen 1989/90 durch die USA und das westliche Verteidigungsbündnis erfolgte Zusagen, auf jede weitere Osterweiterung der NATO zu verzichten.

Tatsache allerdings bleibt: Eine solche Zusage hat es nie gegeben. Zugesagt wurde lediglich, künftig keine Bedrohung für Russland darzustellen – was die NATO als Verteidigungsbündnis jederzeit zusagen konnte und sich daran auch gehalten hat, denn hätten NATO und USA einen Angriffs- und Eroberungskrieg gegen Russland führen wollen, wären die chaotischen Neunziger dafür der beste Zeitpunkt gewesen.

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Putin allerdings agiert in postimperialem Phantomschmerz paranoid: Für ihn stellte bereits das defensive Raketenabwehrsystem der USA eine Bedrohung dar, weil dadurch die Erstschlagsmöglichkeit der Russen gefährdet war. Putins Logik: Hat Russland die Möglichkeit zum Erstschlag verloren, wird es durch eine entsprechende Erstschlagsmöglichkeit der USA unmittelbar in seiner Existenz bedroht. Es ist das Denkschema des atomaren Kalten Kriegs: Legst Du mein Land atomar in Schutt und Asche, werde ich aus den Trümmern heraus immer noch in der Lage sein, dasselbe mit Deinem Land zu machen. Also lassen wir es besser beide.

Für Putin galt seitdem, die Erstschlagskapazität wieder herzustellen und im optimalen Falle den Gegenschlag verhindern oder zumindest abwehren zu können. Darauf konzentriert sich die Waffenentwicklung Russlands – maßgeblich finanziert durch die Einnahmen aus Erdöl- und Erdgasexport, die dank astronomischer Preise zunehmend mehr fließen. Ein maßgeblicher Grund übrigens dafür, dass auch die Zukunft von Nord Stream 2 auf der Gesprächsagenda steht.

Umgekehrt denken auch die USA entsprechend imperial. Sie sehen ihr Kernland unmittelbar durch Russlands Waffenentwicklungen bedroht, weshalb unter anderem das Raketenabwehrsystem als unverzichtbar angesehen wurde. Seitdem hat sich das Rad weitergedreht. So verfügt Russland vorgeblich über Hyperschallraketen, gegen die jede Gegenwehr erfolglos bleiben soll. Vorbereitet ist man auch auf einen Krieg der Sterne – besser: einen Krieg der Satelliten, denn die Steuerung der Systeme und die vorgesehenen Cyberattacken auf die gegnerische Infrastruktur laufen heute maßgeblich auch über den Orbit.

Noch ungeklärt ist die Rolle des Weltpolizisten, als welcher die USA in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts überregionale Konflikte weitgehend verhindern konnten, aber auch manche Niederlagen hinnehmen mussten. Eine Preisgabe imperialer Vorstellungen allerdings mit fest angebundenen und integrierten Partnerregionen in Europa und Asien steht seit Biden nicht mehr auf dem Plan. Und so prallen nun die Vorstellungen der beiden Großmächte aufeinander, sollen am 10. Januar 2022 erörtert werden und vielleicht zu bilateralen Lösungskonzepten geführt werden – auch wenn angesichts der Unvereinbarkeit der Vorstellungen derzeit noch niemand absehen kann, ob das überhaupt möglich sein wird.

Am 10. Januar also geht es daher nicht nur um die Ukraine. Es geht auch nicht um Europa. Es geht darum, ob und wie die beiden Mächte, die neben der Volksrepublik China über die effizientesten Militärapparate verfügen, einen Lösungsweg beschreiten können, der einerseits einen bewaffneten Konflikt zu verhindern, wenn nicht auszuschließen hilft, und der andererseits berechtigten Sicherheitsinteressen Rechnung trägt – wobei die Frage nach diesem „berechtigt“ selbst mehr als berechtigt ist, wenn sie offenbar oder scheinbar ausschließlich imperialer Paranoia entspringt.

Die EU aus der Sandkistenecke

An dieser Stelle nun wird es originell. Denn offensichtlich gibt es in Brüssel ein paar Herrschaften, die überhaupt nichts begreifen wollen oder können. Anlässlich des bilateralen Gesprächs tönt nun aus der gedachten Hauptstadt eines gewünschten übernationalen Utopiegemeinwesens dessen „Außenbeauftragter“ Josep Borrell. Der spanische Sozialist fordert, sein supranationales Regierungenkonstrukt namens „Europäische Union“ müsse an den Gesprächen des 10. Januar beteiligt werden: „Wir wollen und dürfen keine unbeteiligten Zuschauer sein, über deren Köpfe hinweg entschieden wird“, findet er. Wenn ab Januar über die Sicherheitsarchitektur in Europa und über Sicherheitsgarantien gesprochen werde, dann sei das nicht nur eine Angelegenheit, die Amerika und Russland angehe. „Die EU muss bei diesen Verhandlungen dabei sein, solche Verhandlungen machen nur Sinn, wenn sie in enger Koordination mit und unter Beteiligung der EU stattfinden.“

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Hier offenbart sich einmal mehr jene Phantasiewelt, in der die Brüsseler Herrschaften leben. Es geht am 10. Januar erst einmal um das Verhältnis jener beiden Mächte, deren Militärapparate im Ernstfall aufeinanderstoßen. Bei solchen Gesprächen hat jemand, der über kein einziges, bewaffnetes Bataillon verfügt, nicht das Geringste zu suchen. Der Zwischenruf aus Brüssel erinnert an jenen Spätentwickler in der Sandkistenecke, der meint, wenn sich die beiden Platzhirsche um die Aufteilung des Spielplatzes streiten, ein Mitspracherecht zu haben. Das offenbart entweder die absolute Unfähigkeit zur Einschätzung einer Situation – oder eine Hybris, die mehr als lächerlich ist.

Sollte es am 10. Januar tatsächlich nur um die Ukraine gehen – was nicht der Fall ist -, dann wäre bestenfalls noch diese zu den Gesprächen hinzuzuziehen. Nicht aber diese Selbsteingebildeten in Brüssel, denn die Ukraine ist nicht Teil der EU. Da es aber um die globale Ordnung geht, an deren Sortierung Putin nun endlich wieder mitspielen darf – was sein tatsächlicher Erfolg ist –, dann werden dort auch nur Mächte sitzen, die etwas zu sagen haben. Letztlich steht nicht Mittelosteuropa auf der Agenda und auch nicht nur die Sicherheitsinteressen zweier Großmächte. Soll es tatsächlich darum gehen, einen globalen Konflikt der Zukunft weitestmöglich zu verhindern, dann muss die Volksrepublik mit an den Tisch. Womit dann allerdings auch klar ist, dass es keine Lösungen geben wird. Denn ebenso wenig, wie Russland sein Militärprogramm herunterfährt und auf seine postimperialen Gebietsrevisionen verzichtet, wird dieses die Volksrepublik China tun.

Die Abrüstungsabkommen des 20. Jahrhunderts waren deshalb möglich, weil sie nur zwei Beteiligte berücksichtigen mussten. Für wirkungsvolle Abkommen der Gegenwart jedoch sind mindestens drei Beteiligte zu berücksichtigen. Es gilt: Wer keine Waffen hat, muss nicht geladen werden. Was sollte er schon zu effektiven Lösungen beitragen können?

Bestenfalls kommt es zur Fortsetzung von Gesprächen

Insofern sollte davon ausgegangen werden, dass am Abend des 10. Januar kaum der große Wurf zu erwarten ist. Mit Chance vereinbaren die Beteiligten eine Fortsetzung der Gespräche. Vielleicht aber auch wird festgestellt, dass keinerlei weitere Gesprächsbasis existiert, weil die jeweiligen Forderungen unvereinbar sind. Dann geht es Step-by-step weiter auf den Stufen der Eskalation.

Egal aber, was am Ende oder zwischendurch dabei herauskommt: Die EU hat dabei nichts zu suchen. Borell, dieser Pseudoaußenminister eines niemals demokratisch legitimierten Regierungenbündnisses, gibt sich mit seinen Zwischenrufen lediglich der Lächerlichkeit preis. Und während in Moskau ohnehin schon seit Jahren über die EU gelacht wird, hat nun auch Washington die adäquate Antwort gefunden.

Die Erfolgserwartungen bereits auf niedrigem Niveau haltend, ließ Ned Price, Sprecher des US-Außenministeriums, wissen, man habe den Europäern in Bezug auf die am 10. Januar in Genf geplanten Gespräche „nur Transparenz und Solidarität“ zugesichert, aber keine Beteiligung. Der „Austausch mit Russland“ erfolge auf bilateraler Ebene im Format eines Sicherheitsdialogs. Kurzum: Die EU darf weiter ein wenig in der Sandkiste spielen und möge nun bitte Ruhe geben.

Da hilft es auch nicht, wenn Borrell in seiner Hybris seine persönliche Bedeutung dadurch hervorzuheben sucht, indem er wissen lässt, „er“ werde den EU-Staaten demnächst einen Vorschlag zur Lösung des Konflikts vorlegen und zudem habe „er“ entschieden, die ukrainische Armee mit weiteren 31 Millionen Euro zur höheren Befähigung in der Logistik und im Kampf gegen Cyberattacken zu unterstützen. Ein zahnloser Tiger, der von niemandem ernst genommen wird, bleiben er und sein Verein dennoch.

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