„Nicht alles, was Hitler gemacht hat, ist schlecht gewesen.“ Darf man das sagen? Nein. Darf man das denken? Höchstens, wenn es ganz leise gedacht ist und eigentlich auch nicht. Und doch ist es so. Das meinen zumindest nicht unbedeutende Teile der deutschen Bevölkerung.
Nein. Hier ist nicht die Rede von jenen, die noch nach 1945 in Verkennung der historischen Fakten „Hitlers Autobahnbau“ als größte politische Leistung des Österreichers lobten. Es ist auch nicht die Rede von jenen zumeist islamisch geprägten Anti-Judaisten, denen der national-sozialistische Israelitenhass ihres frühmittelalterlichen Vordenkers das Hirn verwirrt. Nicht einmal von jenen späten Anhängern des verhinderten Kunstmalers soll hier die Rede sein, die immer noch dem National-Sozialen der rechten Arbeiterbewegung frönen.
Die Rede ist vielmehr von hoch-seriösen, honorigen Institutionen und Personenkreisen der Anti-Hitler-Republik Deutschland. Von Personen, die sich im täglichen Leben gern, häufig und regelmäßig von Allem distanzieren, was mit Hitler zu tun hat. Naja – dann doch nur von fast allem. Denn am Ende gilt: Was vielem dient, dient allem.
Und doch soll auch nicht die Rede sein von den deutschen Gewerkschaften und ihrer Sozialdemokratie. Obwohl auch die mehr als heimliche Fans zumindest einer Hitler-Handlung sind. Schließlich folgte dieser unmittelbar nach seiner Machtübernahme am 1. Mai 1933 auf dem Tempelhofer Feld in Berlin der alten Forderung des kleinbürgerlichen Proletariats und erklärte auf seiner Kundgebung jenen 1. Mai zum „Tag der nationalen Arbeit“. Das war zwar erst einmal nichts als ein Ablenkungsmanöver, denn gleichzeitig liefen die für den 2. Mai vorgesehen Maßnahmen zur Gleichschaltung der Gewerkschaften auf Hochtouren – doch in ihrer sozialistischen Tradition stehend sorgte die Diktatur im Folgejahr per Gesetz dafür, den 1. Mai als „Nationalen Feiertag des Deutschen Volkes“ bei vollem Lohnausgleich festzuschreiben. So war nun aus der nationalen Arbeit ein nationaler Feiertag geworden.
Nachdem die nationalen Sozialisten 1945 das Reich in den Abgrund geführt hatten, ließen es die Besatzungsmächte dabei. Auch die später zuständigen Bundesländer sahen keinen Anlass, Hitlers Geschenk an die Arbeiterschaft zurückzunehmen. Das war letztlich recht pragmatisch gedacht: Wenn der Führer per Diktat etwas durchsetzt, was noch 1919 im demokratisch gewählten Parlament nicht mehrheitsfähig war – warum sollte man nun noch darüber debattieren und abstimmen, entsprach es doch den eigenen Wünschen?
Hitlers Geschenk an die Kirche
Ähnlich sieht das mit einem anderen Geschenk aus, welches Hitler einer mächtigen Lobbygruppe machte. Während 1934 die Arbeiter ihren privaten Feiertag im Austausch gegen unabhängige Gewerkschaften bekamen, wurde zeitgleich der staatlich organisierte Kirchensteuereinzug beschlossen. Seit dem 1. Januar 1935 kamen deshalb jene Himmelsanschauungen, die gemäß dem bis heute gültigen Artikel 137 Absatz 6 der Weimarer Verfassung als „Religionsgesellschaften“ anerkannt sind, in den Genuss staatlicher Amtshilfe.
Das Recht, aus dem freiwilligen „Zehnten“ des Mittelalters einen festgeschriebenen Steuersatz zu machen, war den Religionsgesellschaften schon früher ein geräumt worden. Noch im als Weimarer Republik bezeichneten Deutschen Reich jedoch war dieses ein Recht, um dessen Umsetzung sich die Kirchen selbst zu kümmern hatten. Mit dem 1. Januar 1935 wurde dieses dann anders. Nun übernahm das Einsammeln dieser mehr oder weniger (un)freiwilligen Kirchenspenden „Vater Staat“: Auf die bereits 1925 eingeführte Lohnsteuerkarte kam zusätzlich die Rubrik „Konfession“ (was wenig später neben der Hilfe durch IBM-Lochkartenmaschinen den Massenmord an den Deutschen jüdischen Glaubens erheblich erleichtern sollte). Für die Abführung des bürokratischen Zehnten war ab sofort der Arbeitgeber verantwortlich.
Der Staat als Geldeintreiber
Zwar ruderte die Herrschaftsclique 1941 wieder zurück (vielleicht meinte man, die Kirchen nicht länger beglücken zu müssen – vielleicht aber auch war die Steuerkarte seit 1935 tatsächlich nichts anderes als die Vorbereitung auf den Massenmord an jüdischen Deutschen und nunmehr obsolet) – doch die Kirchen selbst und die politisch Verantwortlichen der Nachkriegszeit fanden Hitlers ursprüngliche Idee derart gut, dass sie sie gemeinsam mit der Übernahme der Weimarer Religionsartikel in das neu geschaffene Grundgesetz reaktivierten.
Ganz uneigennützig war diese Amtshilfe jedoch nicht. Denn „der Staat“ lässt sich sein Inkasso mit Anteilen in Höhe von zwei bis vier Prozent bezahlen – die Kirchsteuereinnahme ist Ländersache und insofern variieren die Sätze. Bei zuletzt insgesamt rund 11,6 Milliarden Euro steckt sich „Vater Staat“ im Jahr immerhin durchschnittlich 350 zusätzliche Millionen in die Ländertaschen. Wen wundert es also, dass Hitlers Kirchengeschenk bis heute wirkt. Selbst die gottlose DDR-Führung hielt daran bis 1956 fest. Erst als sie gewahr wurde, dass die Kirchen heimliche Unterstützer von Reaktion und Konterrevolution sind, schuf sie zwischen Kap Arcona und Erzgebirge den Kirchensteuereinzug ab.
Beliebt jedoch blieb die staatliche Amtshilfe vor allem bei deren Nutznießern: So kämpfen heute vor allem die islamischen Ideenverbreiter darum, auch als Religionsgesellschaft im Sinne des Grundgesetzes anerkannt zu werden. Deren Problem: Sie verfügen nicht über ähnlich klar und nachvollziehbar gegliederte Hierarchien wie Protestanten und Katholiken, was es den Gerichten schwer macht, ihnen die grundgesetzlich vorgeschriebenen Kriterien zuzuschreiben.
Es geht ums Geld
Es geht also um Geld. Um viel Geld. Es geht sogar – um einer gern verbreiteten Mär entgegen zu wirken – um fast ständig mehr Geld. Denn trotz der Kirchenaustritte, die sich seit 1990 im Jahresdurchschnitt auf einem Niveau von 330.000 christlichen Apostaten bewegen, nimmt die Kirchensteuereinnahme fast kontinuierlich zu. Durfte sich die Katholische Kirche im Jahr 2004 noch über gut vier Milliarden und die Evangelische über knapp 3,7 Milliarden Euro freuen, so waren es 2016 bei den Katholiken mit 6,15 Milliarden und 52 Prozent Zuwachs über die Hälfte mehr und bei den Protestanten mit 5,45 Milliarden immerhin noch eine Zunahme um 42 Prozent.
Deutschlands Kirchen sind also dank staatlicher Unterstützung wohlhabende Vereine, die über ihre Gelder ohne staatliche Aufsicht verfügen können. Gelegentlich auftretende Diskussionen, ob es überhaupt die Aufgabe eines der Aufklärung verpflichteten Staates sei, das Geld der Kirchen einzutreiben, fanden lange Zeit nicht statt und wurden von den Kirchen mit Hinweis auf ihre traditionell umfangreichen und anerkennenswerten Leistungen in der gemeinnützigen Tätigkeit zurückgewiesen.
Doch in den Kirchenführungen wird längst darüber nachgedacht, ob das derzeit geltende Abführungsmodell noch zukunftssicher ist. Selbstverständlich käme kein guter Kirchenfunktionär von sich aus auf die Idee, die Abschaltung dieses sprudelnden Quells des Wohlstandes zu fordern – wer gräbt sich schon selbst das Wasser ab –, doch der gesellschaftliche Trend weist behutsam aber beharrlich in eine Richtung, die die Notwendigkeit dieser staatlichen Amtshilfe hinterfragt.
Die Drohung mit dem Austritt
Wie weit diese Überlegungen zumindest in Teilen der Katholischen Kirche bereits gediehen sind – und welche Konsequenzen sie zeitigen – das macht der Blick auf die aktuelle Situation im Bistum Hamburg deutlich. Dort überraschte das bischöfliche Amt jüngst die Gläubigen mit der unerwarteten Behauptung einer völligen Überschuldung – und der daraus abgeleiteten Unvermeidbarkeit, in einem ersten Schritt acht katholische Schulen kurzfristig schließen zu müssen (TE berichtete). Seitdem hängt vor allem in der vorrangig betroffenen Hansestadt der kirchliche Haussegen mehr als schief.
Er drückte damit eine Stimmung aus, die immer offener selbst von prominenter Stelle Unterstützung bekommt. Auf Facebook meldete sich Cord Wöhlke, vermögender Chef der in Hamburg ansässigen Drogeriekette „Budnikowsky“, zu Wort. Wöhlke ließ wissen: „Unsere ganze Familie überlegt, aus der katholischen Kirche auszutreten, wenn die Kirche sich aus dem Bildungsbereich zurückziehen will.“
Wöhlke steht nicht allein. In den Elternversammlungen drohen zunehmend mehr Betroffene den kollektiven Austritt ihrer Familie an. Selbst treue Kirchgänger, deren Enkel nun vor die Tür gesetzt werden sollen, schicken entsprechende Ankündigen an das bischöfliche Amt.
Kirche wird zum Wirtschaftsbetrieb
Tatsächlich ist unverkennbar: Wer das vom Bistum in Auftrag gegebene „Gutachten“ der Unternehmensberatung Ernst&Young liest, kommt nicht an der Feststellung vorbei, dass die Kirche gerade dabei ist, den finalen Schritt hin zum Wirtschaftsbetrieb einzuleiten. Thim beschreibt es kategorisch mit der Feststellung, Hort des Glaubens seien die Evangelien, nicht Schulen. Und wenn nicht die Schulen, dann auch nicht andere kirchliche Angebote, die nicht Evangelien sind.
So pfeifen es nicht nur die Domspatzen von den Dächern: Die Schließung der acht Schulen ist erst der Anfang. Bischofsnahe Kreise gehen davon aus, dass am Ende nur zwei katholische Schulen überleben werden: Die beiden sich finanziell tragenden Katholischen Gymnasien in Alsternähe, die seit eh Anlaufpunkt für elitär denkende, katholische und nichtkatholische Hamburger gewesen sind. Die katholischen Krankenhäuser warten offensichtlich nur noch auf Angebote der schnellen Übernahme – auch sie keine Gewinnbringer. Kirchen und Gemeindehäuser nebst Pfarreien bringen ebenfalls keinen Gewinn und haben teilweise einen hohen Renovierungsstau. Liegen sie in Toplagen, so bieten sich Verkauf oder Abriss und Ersatz durch Wohn- oder Bürogebäude an. Pecunia non olet.
„Ihr stellt die falschen Fragen“
Offiziell lässt das Bistum all dieses durch die Unternehmensberater mit einer fiktiv hochgerechneten Kapitalisierung künftiger Pensionsverpflichtungen ebenso begründen wie mit einem tatsächlich an manchen Immobilen vorhandenen Investitionsstau. Doch würden diese Behauptungen nur ablenken von den eigentlichen Zielen, weiß eine Insiderin des bischöflichen Amtes. „Ihr stellt die falschen Fragen“, ließ sie vertraulich wissen – die gegenwärtige Diskussion sei nur vorgeschoben und solle von den eigentlichen Zielen ablenken.
Tatsächlich, so ihre Andeutungen, gehe es darum, die katholische Kirche schnellstmöglich unabhängig zu machen von den Einnahmen aus der Kirchensteuer. Die Kirchenfürsten sähen mit Sorge, wie die Gesellschaft sich immer mehr abwende vom Glauben (soll heißen: vom klerikalen Gebot). Das Modell Kirchensteuer sei in der kirchlich gebotenen Perspektive nicht zuletzt deshalb ein Auslaufmodell, weil die früher als enge Verbündete wahrgenommenen C-Parteien sich längst als neue Sozialisten ohne Kirchenbindung etabliert hätten. Die traditionelle Gegnerschaft vor allem der Sozialisten und Liberalen zum kirchlichen Wesen nähme mittlerweile in der Gesellschaft einen derart breiten Raum ein, dass eine erneute Diskussion über Sinn und Zweck einer staatlich erhobenen Kirchensteuer nicht mehr auf Dauer zu vermeiden sein werde. Und tatsächlich wird bei Ernst&Young die Kirchensteuer als ein gewichtiges Argument für den Radikalabbau kirchlicher Angebote hervorgehoben.
Obgleich – siehe oben – die Einnahmen aus Kirchensteuern seit Jahrzehnten real kontinuierlich steigen, wird nun bis 2050 ein Einbruch um 25 Prozent erwartet. Nur eine gedachte Zahl? Oder bereits ein Hinweis, dass allein die demografische Fortschreibung die Kirchensteuer bis zur Jahrhundertwende marginalisieren wird? Auf jeden Fall ein erster Fingerzeig darauf, sich als Kirche künftig auf Kirchensteuereinnahmen nicht mehr verlassen zu wollen.
Unabhängig von der Politik
Die Kirche möchte raus aus ihrer Abhängigkeit von einer zunehmend unberechenbaren Politik. „Glauben braucht keine Schulen!“ ist deshalb nur der Einstieg. Er braucht auch keine Krankenhäuser. Und keine Gemeindehäuser, wenn es ohnehin kaum noch Gläubige gibt. Ein paar wenige Gotteshäuser als Symbolträger kirchlicher Gegenwart reichen. Entscheidend ist: Die Kirche muss über genug krisensicheres Kapital verfügen, damit sie und damit der Klerus ungehindert seinen Weg durch die gottlose Zeit gehen kann.
Thim, dessen Wurzeln in der ehemaligen DDR zu finden sind, ist dafür der richtige Mann. Durchsetzungsstark und rhetorisch geschickt, hat er den Überlebenskampf der Kirche im ostzonalen Sozialismus der Fünfzigerjahre und danach nicht vergessen. Kirche in sozialistischer Diaspora ist Kirche ohne Chance auf Mission, auf Außenwirkung – nur das Überleben zählt. Es gilt, die Institution zu retten – nicht ihre peripheren Angebote. So lernten es die Katholiken in der DDR – so exekutiert Thim es jetzt.
Ernst&Young sollte deshalb nur noch die öffentlichkeitswirksamen Argumente für den Einstieg in den Ausstieg aus kostenintensiven Sozialverpflichtungen liefern. Und das hat der Unternehmensberater getan. Für ein Unternehmen, auf dem zunehmend nur noch proforma „Kirche“ steht, das sich aber längst als Wirtschaftsunternehmen begreift und darin seine Zukunftssicherung erblickt.
Die richtigen Fragen?
„Ihr stellt die falschen Fragen“, meinte die Insiderin. Aber was sind die richtigen? Sie lauten offenbar nicht einmal mehr, ob das Hamburger Bistum hier in Eigenregie die Staatsunabhängigkeit probt. Die richtige Frage scheint zu lauten: Ist das an Mitgliedern kleine Bistum Hamburg nur der Versuchsballon? Ist hier ein Testlauf gestartet worden, der durchspielen soll, wie die Katholische Kirche auch in den reichen Bistümern aus ihrer Abhängigkeit vom immer weiter in die Gottlosigkeit abdriftenden Staat kommt?
Das bundesweite Schweigen der klerikalen Führungen zur finanziellen Situation der Glaubensbrüder und Schwestern im Norden ist insofern vielleicht beredter, als man in der Stille zu hören meint. Die Diözese Hamburg macht vor, wie man sich als Kirche von kostenträchtigem Ballast trennt, um sich in der Diaspora des Unglaubens durch die Zeit zu bringen. Irgendwann, davon ist jeder Kirchenmann seit Paulus überzeugt, werden die Zeiten für das, was der Klerus Glauben nennt, wieder besser. Bis dahin gilt es zu sichern, was zu sichern ist. Hobbies, die der Kirche im öffentlichen Ansehen und Zustimmung haben zuteilwerden lassen, haben dabei keinen Raum mehr.
Allerdings könnte sich nun die Frage nach dem Sinn der Kirchensteuer noch schneller stellen, als die obersten Katholiken es ohnehin schon erwarten. Und auch da machte es Sinn, den Versuchsballon in Hamburg in den Wind zu bringen. Sollte der Widerstand an den nordsee-nahen Gestaden der Elbe am Ende doch zu groß sein und das Ende der Kirchensteuer zu früh diskutiert werden, können sich die großen Bistümer immer noch von den Irrläufern im Norden distanzieren und ihren Bischof nebst Generalvikar einfangen. Dann waren es eben nur die in Panik geratenen Kirchenführer in der Hansestadt, die einen undurchdachten Versuch der Selbstheilung in die Wege leiten wollten. Denn in einem sind sich die deutschen Bistümer trotz ihrer Negativerwartung einig: Solange es irgend geht, soll der in der Welt einmalige Luxus des Staatsinkassos aufrecht erhalten bleiben. Wer verzichtet schon freiwillig auf Milliarden?
Wird das Hamburger Vorgehen, wofür vieles und vor allem die Bewegungslosigkeit der Kirchenführung spricht, ein Erfolg, dann dürfte es zum Muster werden, nach dem auch andere Bischöfsämter ihre Diözesen auf die erwartete Zeit der Gottlosigkeit vorbereiten. Am Ende gilt eben immer noch: Das Schicksal des einzelnen Christen spielt keine Rolle, solange das institutionalisierte Christentum überlebt. Denn – nun wiederhole ich mich – was ist schon der Einzelne gegen die Ewigkeit?