Nein, zumeist bekommen wir es als Bürger der Bundesrepublik Deutschland überhaupt nicht mit. Und doch führt Deutschland seit Jahrzehnten Krieg. Das eine Mal mit direktem Waffeneinsatz, das andere Mal durch diplomatische oder technische Unterstützung jener Verbündeten, die selbst aktiv in die Konflikte verwickelt sind. Es sind Kriege, die sich zumeist gegen zwei Gegner wenden. Es sind Kriege, von denen der ehemalige SPD-Verteidigungsminister Peter Struck im Dezember 2002 sagte, die Sicherheit Deutschlands werde auch am Hindukusch verteidigt. Nicht nur diesen Krieg hat Deutschland, und haben mit ihm seine Verbündeten, verloren. Nur mag niemand darüber reden – und niemand darüber schreiben.
Die Freiheit am Hindukusch
Strucks Krieg war einer, der sich gegen den Islam richtete. Selbstverständlich bezeichnete es niemand so – denn längst lebten in der Bundesrepublik zu viele Anhänger Mohammeds; und längst auch kämpften Anhänger des arabischen Imperialisten aus dem frühen Mittelalter in den Reihen der Bundeswehr gegen jene, die ihre als Religion verkleidete Ideologie im Wortsinn des vorgeblich von Mohammed im Auftrage seines Gottes niedergelegten Wortes zur Begründung ihres Machtanspruches machten.
Obgleich – es gab eine Zeit, zu der die urbane Bevölkerung des Landes durchaus westlichen Vorstellungen folgte. Eine Zeit, in der Frauen zumindest in den Metropolen frei und ohne archaische Traditionen ihr Leben selbst bestimmen konnten. Doch diese Zeit war nur eine kurze Phase – eine Phase, in der europäische Werte von Laizismus und der Herrschaft der Vernunft einer Welt, die an den Folgen der zweiten heißen Phase des Selbstvernichtungskrieges der europäischen Imperien litt, eine friedliche Zukunft zu versprechen schien. Und so ist es fast schon ein Treppenwitz der Geschichte, dass es ausgerechnet die UdSSR war, die in den Kampf zog, um am Hindukusch laizistisch-europäische Kulturwerte durchzusetzen, indem sie den Versuch unternahm, einen kommunistischen Präsidenten an der Macht zu halten und sich so in einen verlustreichen Krieg gegen eine Bevölkerung verstrickte, die zunehmend mehr in frühmittelalterlicher Archaik versank.
Der Westen wird dieser Entwicklung keinen Widerstand mehr entgegensetzen. Er hat diesen Krieg ebenso verloren wie zuvor die Russen. Deshalb soll er aus dem Bewusstsein der Deutschen verschwinden. Berichtet wird nur noch, wenn die islamischen Kämpfer einmal mehr einen Terroranschlag gegen die prowestliche Regierung durchführen. Strucks Freiheitskampf am Hindukusch dient nur noch dem Ziel, das naive Volk dem UN-Umsiedlungsprojekt gewogen zu halten. Afghanen, die als Wirtschaftsmigranten nach Europa kommen, sollen so als angebliche Flüchtlinge vor der Rückführung bewahrt werden.
Der Krieg in Libyen
Libyen, die frühere Cyrenaika, ist das Land an der Nordküste Afrikas, bei dem das Totalversagen des Westens exemplarisch deutlich wird. Auch hier ist es ein Treppenwitz der Geschichte, dass der Westen ausgerechnet zu einem Zeitpunkt in die Entwicklung des Landes eingriff, als der langjährige Diktator Muammar al Gadaffi bereit war, eine behutsame Demokratisierung und die damit verbundene Annäherung an die westlichen Kulturwerte einzuleiten. Doch der Westen euphorisierte sich selbst, als 2010/2011 die Revolutionäre Tunesien ihren Diktator aus dem Land jagten. Führende Mächte der NATO griffen in die darauf folgenden, inneren Unruhen des Tunesien benachbarten Wüstenstaates ein, halfen mit Lufteinsätzen, Gadaffi und dessen zum Ausgleich mit dem Westen bereiten Sohn Saif al Islam final aus dem Rennen zu nehmen.
Es folgte der Rückfall in die traditionelle Stammesphilosophie des 19. Jahrhunderts, in der ein ehemaliger CIA-Mitarbeiter und General Gadaffis gegen einen von den UN anerkannten, aber machtlosen Präsidenten um Territorien und Öl kämpften. Der Westen, der die Bürgerkriegssituation mit einem halbherzigen Versuch eines Nur-Luftkrieges erst herbeigebombt hatte, zog sich zurück und hinterließ ein Chaos, in dem regionale Mittelmächte wie Saudi-Arabien und die Türkei Erdogans um Einfluss kämpfen. Der Noch-NATO-Staat des Neo-Osmanen wurde an der Seite des militärisch unterlegenen Premiers zur Kriegspartei, war in der Lage, erhebliche Geländegewinne zu verzeichnen und damit den Konflikt in die Länge zu ziehen. So beschloss das Erdogan-hörige Parlament in Ankara am 22. Dezember, die Stationierung türkischer Einheiten in Libyen um weitere 18 Monate zu verlängern. Die Türkei geht davon aus, sich dauerhaft in Nordafrika festzusetzen, um so die Kontrolle über das östliche Mittelmeer zu gewinnen.
Russland und das von den Golfstaaten und Riad unterstützte Ägypten halten dagegen – die USA blenden den Konflikt aus und die EU beschränkt sich auf die weinerliche Feststellung, dass das türkische Engagement „unvereinbar“ sei mit den europäischen Sicherheitsinteressen. Weitere Konsequenzen: Fehlanzeige. So werden auch in Nordafrika die Claims neu verteilt – und der Westen schaut zu. Er hat auch diesen Krieg verloren.
Syriens Krieg nähert sich dem Ende
Vergleichbar Libyen stellt sich die Situation in Syrien dar. Der dortige Krieg begann, weil der Westen regionale Proteste gegen die alawitische Herrschaftselite befeuerte. Inspiriert von den Vorstellungen der US-Neocons (Neue Konservative Thinktanks), wonach die Welt nur darauf warte, westliche Demokratievorstellungen überall durchsetzen zu können, wurde Syrien maßgeblich von jenem in Europa immer noch als Heiligengestalt gefeierten Barack Obama in einen gnadenlosen Krieg gestürzt. Lange Zeit sah es so aus, als würden die von der Türkei unterstützten Steinzeitmuslime des Islamischen Staats die Oberhand gewinnen. Lediglich die Kurden im Norden schienen im Bündnis mit den säkularen Arabern der Syrian Democratic Forces gegenhalten zu können.
Die EU, die darauf gesetzt hatte, Assad durch wen oder was auch immer zu ersetzen, zog sich in den Schmollwinkel zurück. Als Damaskus im November auch die Europäische Union zu einer internationalen Konferenz mit dem Ziel, die Kriegsflüchtlinge zurückzuholen, einlud, lehnten Brüssel und die Länderregierungen ab. So nahm sich der Westen jegliche Möglichkeit, an der Normalisierung des Landes mitzuwirken. Stattdessen nun erlässt Donald Trump Sanktionen gegen Assad und dessen Machtelite – was die Betroffenen kaum tangieren wird, wissen sie sich doch von Putin und dem Iran unterstützt.
So hat der Westen auch diesen von ihm befeuerten Krieg faktisch verloren und scheint dabei sogar bereit, die Kurden an die Türkei zu verraten, auch wenn Erdogans Einfluss in Syrien heute ausschließlich vom Wohlwollen Russlands abhängt.
Auch der Irak wird verloren gehen
Als letzte Bastion europäischer Staatsvorstellungen, die infolge westlicher Interventionen und Rebellen-Unterstützung in die autokratisch regierten Länder des Nahen Ostens entstanden war, findet sich heute der Irak. Doch dieser aus britischen Kolonialinteressen entstandene Kunststaat steht auf tönernen Füßen. Eine durch den Iran gestützte, schiitische Mehrheit wartet nur darauf, nach dem Abzug der ausländischen Truppen die autokratische Macht zu übernehmen. Die demokratisch ausgerichteten Kurden im Nordosten, die ein Staatsmodell mit festgeschriebenen Frauen- und Minderheitenrechten etabliert haben, befinden sich zwischen den Mühlsteinen Iran, Türkei und irakischer Zentralregierung. Ohne westliche Unterstützung auch mit militärischen Mitteln wäre es nur eine Frage der Zeit, bis das hoffnungsvolle Demokratiemodell von den islam-archaischen Nachbarn beendet wird. Hinzu kommt, dass die türkische Anti-Kurden-Politik die PKK in die Berge im Norden des autonomen Gebietes getrieben hat. Die wiederum befindet sich in mehr als nur einem Propagandakrieg auch gegen die kurdische Regierung in Erbil.
Die EU hat ihre Kriege verloren
So entstehen im Nahen Osten neue Blöcke: Ein arabisch-ägyptisch-israelischer auf der einen Seite, ein türkisch-iranischer auf der anderen. Libyen übernimmt dabei eine besondere Rolle, denn im Falle eines großen Krieges wäre die Türkei als eigentliche Macht in Wüstenstaat in der Lage, die trotz westlichen Versagens eher an EU und USA orientierte Allianz in die Zange zu nehmen. Sollte es tatsächlich dazu kommen – und in Ankara und Teheran sitzen genug Bellisten, die geneigt sein könnten, durch einen großen Konflikt von ihrem eigenen Versagen in der Führung ihrer Länder abzulenken – wird vor allem die EU sich die Verantwortung dafür auf ihre Schultern legen dürfen.
- Weil sie im Schlepptau der USA Konflikte geschürt hatten, ohne hierfür klare strategische Ziele zu definieren und diese mit allen dazu notwendigen Mittel durchzusetzen.
- Weil sie es zugelassen hat, dass der Muslimbruder Erdogan als angeblicher NATO-Verbündeter und EU-Aspirant seine Finger ungestraft sowohl in den syrischen Süden als auch in das nördliche Afrika ausstrecken konnte.
- Weil sie sich als unfähig erwiesen hat, sich mit den durch ihr Versagen entstandenen Realitäten abzufinden und sich so zumindest noch ein wenig Mitsprache bei der künftigen Entwicklung der Region zu sichern.
- Und weil sie aus moralischen Bedenken jene ohne Zweifel nicht immer mit demokratischer Elle zu messenden Verbündeten in Arabien und Ägypten am ausgestreckten Arm militärisch verhungern lässt und ihnen damit jeden Grund gibt, die westliche Demokratie als untaugliches Modell von Gestern zu verstehen.
Der Westen hat alle diese Kriege verloren. Kriege, die er offiziell nie geführt und auch nie als solche erklärt hat – und die dennoch als solche zu verstehen sind, weil es dabei um Macht und Einfluss in Nordafrika und den Nahen Osten ging. Die EU hat jede Möglichkeit verloren, in irgendeiner Weise positiv in die Entwicklung der Region zu wirken. Stattdessen ergibt er sich in moralischer Selbstbeweihräucherung. Doch nur mit Moral hat noch niemand einen Krieg gewonnen.