Eines der eher ungewöhnlichen Ereignisse im Krieg um Syrien – ist ein Nicht-Ereignis. Beobachter gingen davon aus, dass der türkische Präsident Erdogan die ukrainische Ablenkung nutzen würde, um die von ihm besetzten Gebiete im südlichen Nachbarstaat territorial deutlich auszudehnen. Erdogans erklärtes Ziel: die dortigen Kurden und deren Militäreinheiten zu dezimieren, zumindest jedoch zu vertreiben, um in deren Siedlungsgebieten türkeifreundliche Flüchtlinge aus Syrien anzusiedeln.
Es ist ein Konflikt, der bei aller Ukraine aus dem Blickfeld geraten ist. Zu Unrecht, denn in Syrien, in dem nicht nur Regionalmächte aufeinanderprallen, sondern sich auch Russland und die USA auf Sichtweite gegenüberstehen, geht der Kampf weiter.
Das Zögern der Türkei
Tatsächlich aber hat der Großtürke entsprechende Ambitionen bislang unterlassen – was maßgeblich darauf zurückzuführen sein wird, dass die Kurden in enger Kooperation mit den USA stehen, welche wiederum nicht das geringste Interesse daran haben, dass der unsichere Nato-Partner sich noch mehr Land unter den Nagel reißt.
Das allerdings ändert nichts daran, dass es täglich zu bewaffneten Scharmützeln nicht nur zwischen türkischer Armee und kurdischer YPG kommt, sondern dass vor allem in der Provinz Afrin, die die Türkei völkerrechtswidrig überfallen und quasi-annektiert hatte, der Konflikt nicht zur Ruhe kommt.
Zum täglichen Geschäft gehören auch die wechselseitigen Angriffe der russisch flankierten syrischen Armee und der türkisch gestützten radikalislamischen Rebellen in der letztverbliebenen Rebellenprovinz Idlib. Zwar hatten sich Russland und die Türkei hier auf eine Waffenstillstandslinie geeinigt, die in gemeinsamen Patrouillen gesichert wird, doch hält das keinen der Beteiligten davon ab, regelmäßig gegen die andere Seite vorzugehen.
US-Schläge gegen iranische Einheiten
In besonderem Maße merkenswert allerdings ist die anhaltende Präsenz der USA. Einst wollte Präsident Trump die US-Soldier möglichst schnell abziehen – doch davon kann keine Rede mehr sein. Die Amerikaner stehen im Osten Syriens und haben den offiziellen Auftrag, die immer noch im Untergrund tätigen Radikalmuslime des Islamischen Staat im Zaum zu halten. Tatsächlich jedoch geht ihre Tätigkeit weit darüber hinaus.
So kam es in den vergangenen Tagen zu mehreren kräftigen Schlägen bei AlMayadin. Der Ort gehört offiziell zur von der Assad-Armee beherrschten Zone am Südufer des Euphrat. Der Fluss bildet dort, im Osten Syriens, die Demarkationslinie zwischen syrischer Armee und der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces, welche sich hier den Zugriff auf die Ölfelder von Burguth sichern. Zudem ist in dieser Region nach wie vor der IS mit Anschlägen und Überfällen aktiv.
Die US-Attacken richteten sich jedoch gegen keinen der genannten, sondern gegen die iranischen Revolutionsgarden, die zur Unterstützung des Alawiten Assad bis an die Grenze zu Israel stehen. Am 26. August erklärte US-Präsident Biden: „Ich habe die Einsätze vom 23. August befohlen, um die Sicherheit unseres Personals zu schützen und zu verteidigen. Und um die Islamische Republik Iran und die vom Iran unterstützten Milizen davon abzuhalten, weitere Angriffe auf Personal und Einrichtungen der Vereinigten Staaten durchzuführen oder zu unterstützen.“ Der ewige Konflikt zwischen dem Mullah-Regime in Teheran und den USA ist um ein weiteres Kapitel reicher.
Israel begrüßt die Angriffe
Da das Reich der Mullahs nach wie vor die Vernichtung des Staates Israel propagiert, konnte die Reaktion des israelischen Premierministers Jair Lapid nicht ausbleiben. Er begrüße die US-Schläge gegen die in Syrien stehenden Revolutionsgarden des Iran ausdrücklich. Zudem ließ er die Öffentlichkeit wissen, dass er mit dem Chef des Geheimdienstes Mossad konferiert habe. Inhalt des Gesprächs sei die effektive Verhinderung der Iranischen Atomwaffenbestrebungen gewesen.
In diesem Zusammenhang interessant, dass der eher linksliberale frühere Schauspieler und Moderator solche Gespräche mit dem Geheimdienst und nicht mit dem Militär führt. Das deutet darauf hin, dass der Mossad, dem bereits in der Vergangenheit wiederholt effektive Angriffe auf das iranische Atomprojekt unterstellt wurden, im Kampf gegen die Atomrüstung der Mullahs weiterhin die erste Frontlinie bilden soll.
Bemerkenswert ist zudem die Tatsache dieses Gesprächs und seiner Veröffentlichung an sich. Nach dem Bruch der Anti-Netanjahu-Koalition stehen nun zum 1. November 2022 Neuwahlen der Knesseth an. Für Lapid, nur noch amtierender Ministerpräsident, geht es vor allem darum, dem konservativen Block Stimmen abzunehmen. Diesem Ziel stehen jedoch seine früheren Einlassungen zum militärischen Rückzug aus dem Westjordanland und die Rückgabeabsicht des Golan an Syrien im Wege. Beides ist in der gegenwärtigen politischen Lage undenkbar – die jenseits des Golan gelegenen, syrischen Gebiete gelten seit geraumer Zeit als Aufmarschgebiet der Revolutionsgarden.
Lapid ist es insofern darum zu tun, bei den Konservativen einen guten Eindruck zu hinterlassen. Öffentlich publizierte Gespräche mit dem Geheimdienstchef sind hierbei ein passender Weg auch deshalb, weil sie einerseits Entschlossenheit vermitteln, andererseits aus der Sache heraus keine unmittelbaren Aktionen einfordern. Eine Konferenz mit der Militärführung hingegen hätte die Frage nach konkreten Schritten veranlassen können.
Insgesamt also in Nahost wenig Neues – wobei das Alte insofern neu ist, weil auch im Pulverfass Nahost die vielen kleinen Lunten ständig von Neuem zum Glimmen gebracht werden.