Tichys Einblick
Nicht Trump ist der Spalter

Das Phänomen Trump und der Jubel der Modernisten

Den als „Spaltung“ behaupteten Riss haben die Modernisten verursacht. Er wird noch tiefer werden, wenn die Verursacher nun glauben, ihren Sieg euphorisch feiern zu müssen, weil sie die tatsächlichen Ursachen des Phänomens Trump nicht begreifen.

imago Images/UPI Photos

Das scheint es gewesen zu sein. Nach aktuellem Stand der Dinge wird es Joe Biden gelingen, ausreichend Wahlmänner hinter sich zu versammeln, um nächster Präsident der USA zu werden. Trump versucht, sich mit Ausschöpfung aller juristischen Möglichkeiten im Amt zu halten. Erfolgreich dabei sein kann er nur, wenn es ihm gelingt, konkreten Wahlbetrug juristisch nachzuweisen.

Stehen nun die Zeichen darauf, dass Trump als Präsident mit nur einer Wahlperiode in die US-Geschichtsbücher einzieht, ist es an der Zeit, einige grundsätzliche Überlegungen zu seiner Zeit als mächtigster Mann der Welt anzustellen. Dabei soll es nicht darum gehen, ob er, wie von seinen Gegnern behauptet, alles falsch gemacht habe, oder ob aus seiner Präsidentschaft durchaus auch positive Ergebnisse zu verzeichnen sind. Denn auch wenn anderes behauptet wird: Nicht nur die maßgeblich von seinem Schwiegersohn Jared Kushner verantwortete Politik zum Iran und zur Aussöhnung Israels mit Teilen der arabischen Welt sind im Sinne internationaler Erfolge ohne Vorbild und ohne jeden Zweifel auf die Positivliste zu setzen. Nachvollziehbar auch seine massive Kritik an den Staaten der EU und der NATO, denen er nicht zu Unrecht vorgeworfen hat, zu Lasten der USA einseitig das eigene Wohlergehen im Auge zu haben. Allein die Diskussion um die unerfüllten Zusagen der Bundesrepublik bei der Verteilung der Verteidigungslasten ist in jeder Hinsicht mehr als gerechtfertigt und wird auch von seinem Nachfolger fortgesetzt werden.

Wesentlich bedeutsamer als diese Ergebnisse internationaler Politik jedoch sind die polit-psychologischen Auswirkungen der Trump-Jahre. Hier werden wir nun erleben, dass die Anti-Trump-Fraktion sich befriedigt die Hände reiben und in Jubelarien ausbrechen wird. Das allerdings wird etwas sein, das unsinniger nicht sein könnte. Denn Trump war entgegen „linker“ Erzählungen eben nicht die Ursache von dem, was dort als „Spaltung durch Hass und Hetze“ bezeichnet wird – er war das Symptom einer Spaltung, die lange vor ihm in die westliche Zivilisation getragen wurde. Wenn nun das politische Establishment meinen sollte, erfolgreich einen Generalangriff „von rechts“ abgewehrt zu haben, unterliegt es einer weiteren Selbsttäuschung.

Der Außenseiter als Heilsbringer

Das Phänomen Trump ist kein singuläres Ereignis. Es ist auch kein US-amerikanisches. Es ist eines, welches die europäische Zivilisation in Gänze erfasst hat und welches beispielsweise in der Bundesrepublik maßgeblich zu der angeblich „von rechts“ ausgehenden „Spaltung“ beiträgt. Es hat auch nur begrenzt mit der Globalisierung zu tun, wie uns die Meinungsführer des Establishments als Selbsterklärung weiszumachen suchen. Die Ursachen liegen deutlich tiefer – und sie lassen sich nicht durch Sprach- und Denkdiktat „von oben“ beseitigen.

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Was Trump als Politik betrieb, war geprägt von Faktoren, mit denen das etablierte Politikpersonal auch dann mehr als fremdelt, wenn es selbst kaum anders motiviert agiert. Nur haben Politiker, die in langen Jahren der „Ochsentour“ abgeschliffen wurden, gelernt, ihren Egoismus hinter hübschen Vorhängen zu verstecken. Ob dabei von alternativlosen Notwendigkeiten die Rede ist, die zu hinterfragen als Sakrileg gilt, oder ob eine als Monstranz vor sich hergetragene soziale Verpflichtung präsentiert wird – am Ende geht es in der Politik immer darum, nicht nur dem eigenen Karriereweg dienlich zu sein, sondern auch die verinnerlichten Dogmen, gern auch als Ideale bezeichnet, durchzusetzen. Insoweit unterscheidet sich Trump zwar in den Mitteln, nicht aber in den Zielen von jenen, die ihn zum Gottseibeiuns niederschrieben.

Trump, obgleich rücksichtloser Egomane und Inkarnation des klassischen Kapitalisten oder auch nur begnadeter Bluffer, gelang es, eine weit über die USA reichende Fangemeinde hinter sich zu scharen, die sich zu einem nicht unbedeutenden Teil aus jener Klientel speist, die die politische Linke in ihrer ideologischen Selbsterklärung eigentlich als ihre eigene Anhängerschaft betrachten müsste. Das ist etwas, was seinen Kritikern nach wie vor unlösbare Rätsel aufgibt. Dabei ist eben dieses Phänomen unmittelbarer Ausdruck einer zunehmenden Entdemokratisierung der westlichen Demokratien durch eben jene, die sich selbst als die einzig wahren Demokraten verklären.

Trump wurde zum Kristallisationspunkt jener, die sich von der etablierten Politik nicht mehr wahrgenommen, ja ausgegrenzt fühlen. Für jene, denen sich das Politik-Establishment durch seine Abgehobenheit und Realitätsferne zunehmend entfremdet hat – und das in dieser Abgehobenheit und Realitätsferne nicht mehr begreifen kann und will, dass es neben der eigenen Weltsicht eine andere gibt, der sie die grundsätzliche Existenzberechtigung abspricht.

Trumps Klientel ist nicht „extrem“

Die vorgebliche Spaltung der Gesellschaft, die in den USA ebenso wie in Deutschland zum Anlass genommen wird, jene, die sich der linken Weltsicht nicht unterwerfen wollen, als Feinde der Gesellschaft zu verteufeln, ist unvermeidbare Folge davon, dass zwei gänzlich unterschiedliche Zivilisationsauffassungen aufeinanderprallen. Dabei ist es nicht damit getan, jenen durch das Establishment Ausgegrenzten zu unterstellen, sie seien Loser und Versager, die den Zug der Zeit verpasst hätten und denen es insofern recht geschähe, wenn sie nun ausgegrenzt würden. Allein schon ein Blick auf die umfangreichen Kommentare in Foren, wie sie beispielsweise TichysEinblick bietet, zeigt auf: Hier schreiben Intellektuelle, emeritierte Professoren, Wirtschaftsführer im Ruhestand. Es sind Zeitgenossen, die sich um ihr persönliches Wohlergehen keine Sorgen machen müssen – die aber in der von ihnen ein Leben lange gelebten Verantwortung für die Gemeinschaft von einer tiefen Sorge um die Zukunft eben dieser Gemeinschaft getragen sind.

Dort ist der Wechsel möglich, hier nicht
Man nennt es Demokratie
Vor allem in den USA kommt zu dieser Klientel jene der sogenannten einfachen Leute hinzu. Menschen, die ihren Traum von Amerika lebten, indem sie als „brave Bürger“ ihren Jobs nachgingen und an einer besseren Zukunft ihrer Kinder arbeiteten. Ob Industrie- und Farmarbeiter – es sind Menschen wie die klassischen deutschen Sozialdemokraten, die hart für ihren kleinen Wohlstand arbeiteten, solange sie noch einen Arbeitsplatz hatten. Und die nicht verstehen können und wollen, warum der etablierten Politik das Wohl einer „Dritten Welt“ und von Randgruppen, die sie als Minderheit mehr oder weniger toleriert hatten, wichtiger ist als die Lebensumstände jener Bürger, die sich als Kern der Nation verstehen.

Trump zog und zieht seine Unterstützung aus dieser Klientel – und sie besteht eben nicht nur, wie gern behauptet wird, aus jenen „alten weißen Männern“ (und Frauen), sondern sie findet sich auch in den Kreisen der farbigen US-Bürger ebenso wie bei den lateinamerikanischen Hispanos. Dabei darf es nicht verwundern, dass Bürger aus der Emigrantenszene Kubas und Venezuelas besonders allergisch reagieren, wenn sie den Eindruck haben, dass das Land, das ihnen als Verkörperung der individuellen Freiheit gilt, scheinbar oder tatsächlich den Weg antritt in ein Gesellschaftsmodell, dem zu entrinnen sie als das größte Geschenk ihres Lebens betrachten. In Florida gaben diese Menschen den Ausschlag für den dortigen Erfolg Trumps – für sie, die in den USA angekommen sind und für die dieses Land immer noch das der verheißenen Freiheit ist, sind tatsächliche oder konstruierte Rassismus-Vorwürfe gänzlich unbedeutend. In den BLM-Aktivisten erblicken sie ausschließlich marodierende Underdogs, die ohne eigenen Leistungswillen sich die Rechte und das Eigentum jener aneignen wollen, die nach den Spielregeln des alten Amerika leben und die dort gegeben Möglichkeiten freier Entfaltung wirtschaftlich wie politisch genutzt haben.

Die Spaltung kommt nicht „von rechts“

Trumps Klientel sind jene, für die das noch bestehende System auch dann, wenn es tatsächliche oder scheinbare Mängel und Ungerechtigkeiten aufweisen sollte, das Maß aller Dinge ist. Von ihren systemverändernden Gegnern werden sie als Reaktionäre und Zurückgebliebene betrachtet – sie selbst betrachten sich hingegen als Bollwerk einer gerechten und um jeden Preis zu verteidigenden Ordnung.
Können die einen nicht verstehen, warum ihr Nachbar oder ihr Verwandter hinter Trump steht, so können die anderen nicht verstehen, warum man nicht hinter Trump stehen kann.

Die „Spaltung“, wenn man von einer solchen reden will, hat ihre Ursache in zwei gänzlich unterschiedlichen Lebenswelten. Diese offenbaren sich auch optisch, wenn der Blick auf die Karte der roten und blauen Bundestaaten fällt. Hier steht das traditionelle Kernland der USA gegen den hedonistischen Internationalismus – und es ist bezeichnend, dass „die Blauen“ zumeist dort angesiedelt sind, wo die Küstenlage und das Wirtschaftsleben unmittelbar die Verbindung zur Nicht-US-Welt prägt, während „die Roten“ das Innere der nicht mehr wirklich Vereinigten Staaten präsentieren. Hier prallen der Hedonismus des Internationalen, der Veränderungsdruck einer zunehmend aus den Fugen geratenden Welt, auf die manifeste Besinnung auf die eigene Leistung und die eigene Tradition.

Auf einmal Berichte über Senilität etc.
Schon vor dem Sieg beginnt das Sägen der Medien an Bidens Stuhl
Die Universitäten und die Medienhäuser ebenso wie die global agierenden Unternehmen und Banken haben ihren Sitz nur selten dort, wo rot gewählt wird. Sie gehören zu den Blauen – und sie schaffen die Blauen. Die Protagonisten und menschlichen Produkte dieser Konglomeration der Wirtschafts- und Meinungsführer lebt in einer Welt, mit der ein Traditionalist nicht das Geringste anfangen kann. Das elitäre Selbstverständnis der gefühlt Weltoffenen produziert jene Arroganz, die aus dem Traditionalisten einen anti-intellektuellen Hinterweltler und aus dem Hinterweltler einen gefährlichen Nazi werden lässt.

Doch der Riss der Gesellschaft trennt nicht Linke von Rechten – er trennt die selbsternannte intellektuelle Elite von jenen, denen diese Elite die Intellektualität abspricht und mit diesem Absprechen die absolute Wahrheit verknüpft, dass all das, was an traditionellen Werte und Lebenswelten die Grundlage der Menschen in der Mitte ist, ablehnens-, verachtens- und vernichtenswert ist.

Ob das Beharren auf einem christlichen Bild der Ehe, ob die Ablehnung der Abtreibung, ob die Vorstellung, mit eigenem Schweiß im Angesicht Gottes ein anständiges Leben zu führen – all das, was die Traditionalisten prägt, gilt den weltoffenen Hedonisten als rückwärtsgewandt, ja reaktionär.

Wenn von einer Spaltung der Gesellschaft die Rede ist, dann sind aber nicht jene die „Spalter“, die in der Welt ihres über Jahrhunderte erfolgreichen Traditionsmodell leben, sondern jene, die diese Traditionen im Namen der Vision von einer besseren, gefühlt „gerechteren“ Zukunft über Bord werfen. Im Zweifel sogar sind sie es nicht einmal deshalb, weil sie andere Lebensmodelle und Gesellschaftsvisionen vertreten – sie sind es deshalb, weil sie unfähig sind, die Traditionalisten auf einer Ebene des Kompromisses und der gleichberechtigten Kommunikation mitzunehmen.

Die, nennen wir sie „Modernisten“, trennen sich ab von den Traditionalisten und schaffen neue Identitäten, für die es in der Welt der Traditionalisten keinen Raum gibt. Der Riss entsteht, weil die Modernisten sich als unfähig erweisen, die Welt der Traditionalisten in ihre Modernität einzubetten – und um diese Unfähigkeit zu kaschieren, werfen sie jenen, die sie vorsätzlich von ihrer eigenen Entwicklung abkoppeln, jene „Spaltung“ vor, deren eigentliche Ursache ihre eigene Unfähigkeit ist. So erklärt sich auch jene tiefgreifende Ablehnung des von den Modernisten dominierten Politik- und Medienbetriebs: Fake News sind nicht deshalb Fake News, weil sie eine tatsächliche Unwahrheit verbreiten, sondern weil sie die gefühlte Lebenswirklichkeit einer Gegenwelt dokumentieren, die nicht mehr das Geringste mit der Lebenswirklichkeit der Traditionalisten zu tun hat.

Ein Phänomen der europäisch geprägten Welt

Dieses Phänomen ist nicht auf die USA beschränkt. Es ist längst auch in Europa und in der Bundesrepublik angekommen.

In den Analysen zur US-Wahl versuchten nicht wenige deutsche Politiker und Journalisten, die Phänomene der „Spaltung“ einer sich ent-demokratisierenden US-Gesellschaft aufzuzeigen. Autoritäres Staatsverhalten, Bürgerferne der Politik, Abtreibungsgegner und immer wieder der vorgebliche Rassismus wurden neben anderem genannt. Dabei auch hier die unvermeidliche Attitüde der Selbstgewissheit: Ja … in den USA … doch nicht bei uns!

Was all die schlauen Analytiker dabei nicht erkennen: Jeder Satz von dem, was sie sagen, trifft ebenso auf die Lebenswirklichkeit der Bundesrepublik zu. Was sie dort kritisieren, kritisieren sie an sich selbst, ohne es zu merken. Ähnlich den USA sind es auch in Deutschland die abgehobenen Eliten aus einem von den Utopisten übernommenen Bildungs- und Medienwesen, die den Traditionalisten die Berechtigung ihrer Anliegen absprechen. Nur garnieren sie es im Herzen Europas dann noch geschichtsvergessen mit der kollektiven Ausgrenzung als „Nazis“. Denn es macht diese bewusste Ausgrenzung, diese gezielt herbeigeführte Spaltung in der eigenen Unfähigkeit, die elitär gedachte Gesellschaftsvision im Kompromiss mit den Traditionalisten evolutionär zu entwickeln, so leicht und so scheinbar überlegen, weil dabei jedwedes noch so kleine Quentchen an Selbstzweifel selbstgefällig ausgeblendet werden kann.

Trump mag geschlagen sein – der Trumpismus ist es nicht

Der Anti-Trumpismus der Modernisten dokumentiert so nur eines: Die eigene Arroganz gegenüber denen, deren Anliegen und Lebenswirklichkeit man nicht wahrzunehmen müssen meint. Der Jubel über die Ablösung des Ungeliebten, der es wagte, als ungehobelter Klotz in die scheinbar heile Welt des Establishments einzudringen, ist dabei bestenfalls als Zeichen dummer Selbstverliebtheit zu erklären.

Es spielt keine Rolle, ob Trump Präsident ist oder ob er von Biden abgelöst wird. Der als „Spaltung“ behauptete Riss, den die Modernisten verursacht haben, wird dadurch nicht beseitigt. Er wird ganz im Gegenteil noch tiefer werden, wenn die Verursacher nun glauben, ihren Sieg euphorisch feiern zu müssen, weil sie die tatsächlichen Ursachen des Phänomens Trump nicht begreifen. Denn ihr Jubel trifft einmal mehr und ganz gezielt jene nun bis ins Mark Verbitterten, die in Trump den Retter ihrer Welt erblickten und mit dessen Abwahl das Ende ihrer Welt noch näher fühlen. So trägt die Euphorie der Modernisten über ihren nun scheinbar errungen Sieg denselben Keim des Unheils in sich, wie es umgekehrt der Sieg Trumps getan hat.
Mag der knappe Sieg über Trump die Modernisten gegenwärtig begeistern. Doch sie werden schnell erkennen müssen, dass es kein Sieg über das Phänomen Trump ist – und dass der von ihnen produzierte Trumpismus nicht durch einen Präsidentenwechsel zu beseitigen sein wird.

Lenkt eine neue Präsidentschaft die Exzesse der Modernisten wie jene neue Rassismus-Variante des Intersektionalismus nicht in geordnete Bahnen, kann aus dem längst latent zum Krieg gewordenen Riss schnell ein tatsächlicher werden. Wo dessen Frontlinie verläuft, kann scheinbar jeder an der rot-blauen Landkarte ausmachen. Die konkreten Wahlergebnisse allerdings zeigen: In den allermeisten Fällen verläuft sie unmittelbar durch jeden Bundesstaat. Und auch das gilt nicht nur für die USA.

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