Tichys Einblick
Nicht nur Religion

Das Orthodoxe Schisma von 2018 – deutlich mehr als eine Posse

Bislang war die Orthodoxie trotz allem ein einigendes Band zwischen den Völkern des Balkans und Osteuropas. Das neue Schisma kann dieses deutlich anders werden lassen – und es kann Russland noch weiter fortführen vom Europa.

© Fotolia

Das Jahr des Herrn 1054 gilt als eines, welches das Schicksal Europas bis in die Gegenwart bestimmen sollte. Damals wurden die Gegensätze zwischen dem Bischof von Rom und dem Patriarchen von Byzanz derart unüberbrückbar, dass es zu dem kam, was als „Morgenländisches Schisma“ in den Geschichtsbüchern steht.

Nachdem die Christen Westroms und Ostroms sich bereits über Jahrhunderte auseinander gelebt hatten, kam es zur gegenseitigen Exkommunikation von katholischem Papst und orthodoxem Patriarchen. Seitdem geht das europäische Christentum auf verschiedenen Wegen – und als 1729 die römische Kongregation der Glaubensverbreitung das gemeinsame Sakrament mit orthodoxen Christen verbot, daraufhin 1755 drei maßgebliche Patriarchen den Katholizismus zur Irrlehre erklärten, herrschte ein Vierteljahrtausend Funkstille. Erst 1965 gab es unter Paul VI und Athinagoras im Dezember erste Annäherungen, die zwar zur Aufhebung der gegenseitigen Bannung des Jahres 1054, nicht aber zur Zurücknahme des Irrlehrenbeschlusses von 1755 führte.

Das Verhältnis zwischen dem katholischen Rom und der Orthodoxie ist bis heute angespannt – obgleich vor allem im orthodoxen Herrschaftsgebiet mit der bis heute andauernden Besetzung Anatoliens durch den Islam die Machtverhältnisse sich von Byzanz-Konstantinopel nach Moskau verschoben hatten und seit der Trennung rund tausend Jahre ins Land gegangen sind.

Von Konstantinopel nach Moskau

Nun ist es wieder einmal so weit. War es im Jahr 1054 gleichsam noch die Weltnachricht Nummer Eins, so rangiert das Orthodoxe Schisma von 2018 jedoch in den Spalten der Medien eher unter „ferner liefen“. Was nicht nur aus westeuropäisch-katholischer Sicht ein Fehler ist, denn die Erfahrung lehrt seit nunmehr über 2000 christlichen Jahren, dass die Kirche selbst dann erhebliches Beharrungsvermögen hat, wenn sie seitens der staatlichen Ordnung unter massivem Beschuss steht.

Was ist nun aber geschehen?

Anders als bei den Katholiken, die durch ihre Kardinäle einen mit umfassenden Privilegien der Glaubenslehre ausgestatteten Papst als Stellvertreter Christi auf Erden wählen lassen, wird die Orthodoxe Kirche durch das Heilige Synod vertreten. Diesem gehören sämtliche Metropoliten als Vertreter der regionalen Unterkirchen an. Diese wiederum bestimmen den Patriarchen, welcher traditionell seinen Sitz in der christlichen Welthauptstadt Konstantinopel hat.

Da dort aber seit dem 29. Mai 1453 die „teuflischen Muselmanen“ das Sagen hatten und nach der Vernichtung der Stadt durch Mehmed II das oströmische Weltreich des christlichen Byzanz in Trümmern lag, verlagerte sich die zentrale Macht der Orthodoxie vom Bosporus an die Moskwa.

Dort hatte sich nach der Christianisierung der Slawen, ausgehend vom ukrainischen Kiew (Kjiv), als Teil der griechisch-orthodoxen Glaubenslehre ein eigenes Patriarchat gebildet, welches seinen Sitz 1299 aus der Ukraine erst nach Wladimir, dann auf Druck des Metropoliten Peter 1325 nach Moskau verlegt hatte.

Da der Metropolit von Konstantinopel als Patriarch faktisch unter islamischer Aufsicht stand, verlagerte sich damit auch das politische Zentrum der Orthodoxen Kirche seit dem 15. Jahrhundert nach Moskau, wo wiederum der dortige Metropolit faktisch als Patriarch die Führung der Orthodoxie übernahm und die russische Orthodoxie zur Staatskirche wurde. Das Russland der Zaren verstand sich insofern immer auch in der unmittelbaren Rechtsnachfolge des untergegangenen Byzanz.

Daran änderte sich selbst nichts, als die ukrainisch-russische Orthodoxie unter Sowjetherrschaft nach 1918 selbst erheblich in Bedrängnis geriet. Denn zeitgleich vertrieben die islamisierten Nachfolger der byzantinischen Christen in Kleinasien nicht nur die dort seit der Antike lebenden Griechen, sondern vorübergehend auch den Metropoliten von Konstantinopel.

Nach dem Zusammenbruch des Sowjetsystems kam die russische Orthodoxie wieder zu neuer Blüte, konnte sich jedoch nie von dem Makel befreien, von Spitzeln und Mitarbeitern der russischen Geheimdienste durchsetzt und gesteuert zu sein. Wladimir Putin jedoch erkannte – anders als seine sowjetischen Vorgänger – den Wert der Kirche bei der Steuerung des Volkes. Gleichzeitig war sie für ihn in Fortführung der panslawistischen Ziele der Zaren ein Instrument, den russischen Einfluss weit über die Landesgrenzen der Russischen Föderation auszudehnen.

Wenn es nun zum Bruch der als unverbrüchlich geltenden Orthodoxie in Kiew und Moskau kommt, ist dieses gleichwohl eine unmittelbare Folge Putin’scher Politik. Maßgeblich sind zwei von Moskau ausgehende Aktionen: Die völkerrechtswidrige Besetzung der Krim und der Versuch, über den Patriarchen in Moskau in die Politik der aus russischer Sicht abtrünnigen Ukraine zu wirken.

Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind durchaus als historisch zu bezeichnen.

Der Kampf um die ukrainische Orthodoxie

Philaret, lange Zeit Würdenträger der Russischen Orthodoxen Kirche und 1990 kurzzeitig deren kommissarisches Oberhaupt, stellte sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vorbehaltlos hinter die Unabhängigkeit der Ukraine. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits langjährig Metropolit von Kiew und der Ukraine. Als ihm die innerkirchlichen Widerstände gegen die ukrainische Loslösung von Russland unüberwindlich erschienen, verließ er 1992 das Patriarchat Moskau und begründete die Ukrainische Orthodoxe Kirche Kiewer Patriarchats. Es war dieses, auch wenn ursprünglich nicht so geplant, der erste Schritt zum Orthodoxen Schisma von 2018. Fünf Jahre nach seinem Schritt belegte ihn die Kirchenführung in Moskau mit Kirchenbann.

Seitdem gibt es in der Ukraine zwei sich als Alleinvertretung der Gläubigen verstehende Orthodoxien: Neben Philarets unabhängiger Neugründung die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats unter Führung des Metropoliten von Kyiv, Onufri, welcher sich nach wie vor zur Moskauer Kirchenführung bekennt.

Der finale Bruch

Als 2014 der Euromaidan den pro-russischen Janukovic außer Landes trieb, stand Philaret uneingeschränkt an der Seite der Revoltierenden. Mit der Besetzung der Krim – Philaret bezeichnete den russischen Präsidenten in diesem Zusammenhang als „vom Teufel besessen“ (was Kirchenvertreter in der Regel wörtlich in manifester Figur meinen) – und der Invasion russischer Armeeangehöriger in der Ost-Ukraine war der Bruch nicht mehr aufzuhalten.

Philaret bemühte sich beim ideellen Oberhaupt der Orthodoxie, dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, darum, nun auch kirchen-offiziell als eigenständige, autokephale Kirche in der Orthodoxie anerkannt zu werden. Noch am 29. August 2018 kam es zu einem Treffen zwischen Bartholomaios I, Patriarch von Konstantinopel, und Kyrill, Patriarch von Moskau. Als dieses ergebnislos blieb, verkündete Bartholomaios Anfang Oktober seine Entscheidung: Das Kiewer Patriarchat wird vom russischen unabhängig und als eigenständige Kirche unter dem Dach von Konstantinopel anerkannt. Er selbst übernahm die Führung der zersplitterten Orthodoxie in der Ukraine, um diese unter dem Dach Konstantinopels in die Eigenständigkeit zu führen – womit er die Bindung des Onufri-Flügels an Moskau de facto für obsolet erklärte.

Die Reaktionen aus Russland waren erwartungsgemäß überaus scharf: Es handele sich um ein „schwerwiegendes und präzedenzloses Eindringen in das kanonische Territorium des Patriarchats von Moskau“, welches nicht ohne Antwort bleiben werde, ließ das dortige Patriarchat erklären.

Das Schisma

Diese Antwort kam nun am 14. Oktober. Das Moskauer Patriarchat brach sämtliche Kontakte zum Patriarchat Konstantinopel ab, verbot seinen Priestern, gemeinsame Gottesdienste zu feiern.

Damit ist das Schisma zwischen Konstantinopel und Moskau – und damit zwischen Griechisch-Orthodoxer und Russisch-Orthodoxer Kirche faktisch vollzogen – und der kirchengeschichtlich Interessierte wartet nur noch darauf, dass die Herren sich gegenseitig mit Kirchenbann belegen oder sogar für exkommuniziert erklären.

Zwischen allen Stühlen sitzt nun Onufri, der durch den Patriarchen von Konstantinopel entmachtet wurde. Denn er wird sich nun entscheiden müssen zwischen Moskau- und Heimattreue.

Eine scheinbare Posse mit globalen Auswirkungen

Für den nicht-klerikalen Beobachter im Westen Europas mag das auf den ersten Blick wie eine bedeutungslose Posse alter Herren wirken, die wenig bis keine Auswirkungen auf das alltägliche Geschehen hat. Und doch sind die Folgen dieses Schisma nicht zu unterschätzen.

Was gegenwärtig geschieht, läuft auf den Bruch der seit der Antike bestehenden Einheit der Orthodoxie hinaus. Damit werden sich die Moskauer noch weiter von Westeuropa entfernen – und mit ihnen jene Landeskirchen, die sich nach wie vor zur russischen Orthodoxie bekennen. Hierbei spielt vor allem Serbien eine bedeutende Rolle, dessen Orthodoxie historisch eng an Moskau gebunden ist und als deren Vasall betrachtet wird.

Dagegen steht nun die Griechisch-Orthodoxe Kirche, die ihre Existenz bis auf jene Konzile des vierten Jahrhunderts zurückführt, nachdem der römische Kaiser Konstantin die auf römische Anforderungen zugeschnittene Jesus-Lehre zur Staatsreligion werden ließ.

Bislang war die Orthodoxie trotz allem ein einigendes Band zwischen den Völkern des Balkans und Osteuropas. Das Schisma kann dieses deutlich anders werden lassen – und es kann Russland noch weiter fortführen vom Europa der westlichen Aufklärung. Auch die Krim und der Donbass rücken damit noch weiter weg von der Ukraine.

EU-Beitrittskandidat Serbien kann durch diese Entwicklung in eine zunehmend kompliziertere Situation kommen. Galt trotz einer ausgeprägten Russland-Affinität die Glaubensnähe vor allem zu den Griechen bislang als ein psychologiches Argument für den EU-Beitritt, so könnte das Schisma jenen Aufwind geben, die sich von den Westeuropäern abwenden wollen.

Die politische Dimension des Schisma

Bartholomaios hat insofern deutlich mehr auf den Weg gebracht als eine Entscheidung in einem Glaubenskonflikt. Er hat in ein politisches Wespennest gestochen. Dabei hat er – was vielleicht der eigentliche Hintergrund seines Handelns sein mag – seine Orthodoxe Kirche, die der Griechen, Bulgaren und nun auch Ukrainer – durch den bewusst riskierten Bruch mit Moskau deutlich näher an die Kirche in Rom gerückt. Denn er selbst ist letztlich in seiner türkischen Residenz machtpolitisch unbedeutend. Die Trennung von der Moskauer Kirche nimmt ihm einen mächtigen Verbündeten – wenn man so will: seine Schutzmacht.

Im Vatikan blickt man deshalb mit großem Interesse auf das Geschehen – auch wenn man sich wohlweislich offiziell zurück hält. Insider im Kirchenstaat allerdings erwarten, dass Katholizismus und griechisch-byzantinische Orthodoxie nun deutlich näher zusammenrücken werden – etwas, woran die Katholischen Päpste seit Jahrzehnten arbeiten. Die Lösung des Problems, das eine Aussöhnung mit der Orthodoxie Russlands in weite Ferne rücken lassen dürfte, wird insofern späteren Papst-Generationen obliegen. Da aber Kirche immer über Jahrhunderte denkt, wäre allein schon die Annäherung an die Glaubensbrüder und -schwestern des historischen Ostroms nach über eintausend Jahren Trennung für Rom von epochaler Bedeutung.

Das wiederum wird seine Auswirkungen auch unmittelbar in Deutschlands Nachbarschaft haben: Wenn polnischer Katholizismus und ukrainische Westorthodoxie den Schulterschluss üben gegen die russischen Feinde im Osten und die ent-christianisierten Deutschen im Westen.

Die mobile Version verlassen