Im Dezember wird die Bundesregierung den „Migrationspakt“ der Vereinten Nationen unterzeichnen. Zunehmend mehr betroffene Staaten – so jüngst die Republik Österreich – wollen sich diesem jedoch verweigern. Dabei ist der Migrationspakt nicht vom Himmel gefallen. Er ist Teil eines bereits von Kofi Annan erdachten, weltumspannenden Konzepts, welches die UN bereits 2006 in ihren Kernelementen und Zielsetzungen veröffentlichte.
Das Migrationskonzept der UN
Diese Kommission ging daran, die überbordende Geburtenraten des homo sapiens als unabänderliches Faktum zu konstatieren – und sich darüber Gedanken zu machen, wie die UN mit dem „Torrent of Faces“ umgehen kann. Weder konnten Kommission noch UN den Menschen vorschreiben, auf Nachwuchs zu verzichten, noch hätten sie, was gelegentlich in Kreisen der Verschwörungstheoretiker behauptet wird, einen „Kriegsplan“ entwerfen können, wie „überschüssige“ Menschen zu vernichten wären. Auch das Szenario jenes unter dem Titel „2012“ produzierten, filmischen Machwerks des deutschen Regisseurs Roland Emmerich, bei dem rund 99,9 % der Menschheit in Folge einer globalen Kontinentaldrift kurzerhand beseitigt wird und nur eine Kleinstgruppe aus Geld- und Politadel in eiligst unter größter Geheimhaltung produzierten Archen überlebt – was als Happy End gefeiert wird, obgleich diese kleine Schar angesichts ihrer faktischen Überlebensunfähigkeit in einer de-industrialisierten Welt ohne höher entwickelte Lebewesen das Ende der Gattung Mensch einläuten müsste – kam für die UN-Kommission nicht in Frage. Ganz im Gegenteil sahen und sehen sich die Vereinten Nationen als Weltmenschheitsorganisation dem humanistischen Ziel verpflichtet, jedem Menschen eine lebenswerte Existenz zu sichern.
Das allerdings ist eine Aufgabe, gegen die jene des Herkules angesichts der Geburtenraten, die insbesondere in den weniger entwickelten Ländern eine Ursache ständiger Konflikte sind und für die nicht nur durch diese Konflikte, sondern auch durch die Überpopulation an sich angesichts der Verknappung von Ressourcen und Mangel an individuellen Zukunftschancen unkontrollierte und nicht steuerbare Migrationsströme in Gang setzen, einem Kinderspiel gleichen. Die UN stehen faktisch vor einer unlösbaren Aufgabe – und damit vor einem unlösbaren Problem.
Denn seit eh ist es mit Wohlstand so wie bei den kommunizierenden Röhren: Bei einer in der Masse begrenzten Ressource organisiert zwangsläufig das Mehr des Einen ein Weniger des Anderen. Und das unvermeidlich selbst dann, wenn eine im Sinne allumfassender Gerechtigkeit gleichmäßige Verteilung des Guts auf alle, die davon partizipieren möchten, möglich wäre, weil der auf den Einzelnen entfallende Anteil umso kleiner wird, je größer die Anzahl eben jener Partizipatoren wird.
Die UN wissen: Noch ist die exorbitante Geburtenrate nicht gebrochen – das Überschreiten der 10-Milliarden-Menschen-Linie nicht aufzuhalten. Folglich entwickeln sie das aus ihrer Sicht einzig denkbare Konzept, welches den Ansprüchen an die Prämissen von Gleichheit und Gerechtigkeit am ehesten zumindest vorerst gerecht zu werden scheint. Dieses Konzept lautet: Verbringung von Menschen von jenen Orten, an denen sie keine menschlichen Lebensbedingungen finden, dorthin, wo Wohlstand einen angemessenen Lebensstandard sichern und niedrige Geburtenraten nicht nur Platz für andere zu schaffen scheinen, sondern durch die Überalterung der Gesellschaft auch die Arbeitskräfte ausgehen, welche für den Erhalt der jeweiligen hohen Standards und die Ökonomie dieser sterbenden Gesellschaften notwendig sind.
Gleichwohl ist es bezeichnend, dass die Vereinten Nationen bereits mit der Wahl des Titels der Kommission eine fragwürdige Festlegung vorgenommen hatten. Wer eine „Weltkommission für Migration“ schafft, der hat damit bereits die Migration als unabänderlich akzeptiert. Denn es hätte ja beispielsweise auch eine „Weltkommission für die Schaffung menschlicher Lebensbedingungen“ oder eine „Weltkommission zur humanen Bekämpfung der Überbevölkerung“ sein können. Und das bedeutet: Es ging und geht den UN überhaupt nicht um die Frage, ob und wie Migration zu verhindern und die Menschen in ihren angestammten Lebensbezügen menschlich existieren können – es geht nur noch um die Frage, ob die Weltorganisation in der Lage sein wird, die bereits akzeptierten, unweigerlich entstehenden Menschenströme in irgendeiner Weise kontrolliert ablaufen zu lassen – oder ob das, was Historiker mit Blick auf frühere, vergleichbare Ereignisse als Völkerwanderung bezeichnen, wie in der Vergangenheit über gewaltsame Landnahme und nicht minder gewaltsamer Abwehr einer solchen zu nicht steuerbaren Konflikten führen musste.
In diesem Sinne der Unabwendbarkeit von Migration legte die Kommission im Jahr 2005 nach 18 Monaten „intensiver Arbeit“ (so die Mitwirkende Rita Süßmuth) ihren Bericht vor. Dessen Originaltitel lautet: „Migration in an interconnected world: New directions for action – Report of the Global Commission on International Migration”. Die im Oktober desselben Jahres veröffentlichte, deutschsprachige Version erschien als “Migration in einer interdependenten Welt: Neue Handlungsprinzipien – Bericht der Weltkommission für internationale Migration” (ISBN 39-23702-99-X).
98 Seiten umfasst das Werk im englischen Original – 101 Seiten in der deutschsprachigen Version. Schließlich durfte hier die deutsche Mitwirkende noch ein begleitendes Vorwort hinzugeben. Bereits dort unterstreicht sie, was die eigentliche Aufgabe der zwanzig Ausgesuchten gewesen ist: “Der Bericht enthält wichtige Empfehlungen zur besseren Gestaltung und Steuerung der internationalen Migration durch die verschiedenen Akteure.”
Das Narrativ vom Guten der Migration
“In every part of the world, there is now an understanding that the economic, social and cultural benefits of international migration must be more effectively realized, and that the negative consequences of cross-border movement could be better addressed.”
In der deutschsprachigen Fassung, die hier künftig Grundlage der Quellenzitate sein wird, liest sich das wie folgt:
“In allen Teilen der Welt setzt sich nun die Erkenntnis darüber durch, dass wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Vorteile der internationalen Migration effizienter verwirklicht werden müssen, und dass negativen Konsequenzen grenzüberschreitender Mobilität besser begegnet werden sollte.”
Die Intention dieser unreflektierten Behauptung liegt offen auf der Hand: Wenn “wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Vorteile” der Völkerwanderung lediglich “effizienter verwirklicht” werden müssen, dann kann an eben diesen Vorteilen (“benefits”) keinerlei Zweifel bestehen.
Ob wohl die indigene Bevölkerung zwischen Hudson-Bay und Feuerland diese Auffassung teilt? Ob die als “Aborigins” bezeichneten Erstbesiedler Australiens, die ebenfalls von den Migranten derart massenhaft dahingeschlachtet wurden, dass beispielsweise auf Van Diemens Land / Tasmanien wie auf Hispaniola nicht ein einziger von ihnen überlebte, das ebenso sehen würden, wenn sie es denn noch könnten? War die arabische Migration nach Nordafrika und anderswo mit der Folge, dass dort die Menschen ihrer Identität, ihrer Kultur und ihrer Sprache und nicht selten auch ihrer selbst beraubt wurden, ein von den der Migration ausgesetzten Bewohnern zu begrüßender Vorteil? Werden die Ureinwohner Südafrikas es als einen Vorteil empfunden haben, als erst aus Norden die Bantu und dann aus Süden die Europäer über sie kamen? Auch die Migrantenwellen der Achaier in den Osten, der Germanen in den Süden, der Hunnen, Mongolen und Türken in den Westen undsoweiter undsofort – Vorteile brachten sie zumeist nur jenen, die in ihrer Migration genannten Expansion erfolgreich waren. Den bestehenden Bevölkerungen allerdings brachten sie zuallererst zumeist nur Chaos, Tod und Verderben.
Nun ist sicherlich festzustellen, dass die Völkerwanderungen im 21. Jahrhundert auf eine andere Welt treffen, als dieses noch vor einhundert oder eintausend Jahren der Fall war. Manche Regionen sind nicht nur in Folge der heißen Phasen des 75-jährigen Krieges der Europäer im 20. Jahrhundert über Zwangsmigration mittlerweile erprobt in der Aufnahme von Zuwanderern. Zumeist allerdings handelte es sich dabei um Menschen, die demselben Kulturkreis entstammten – seien es die Deutschen aus den Gebieten östlich der Oder, seien es die Griechen aus Kleinasien, seien es die Massenverschiebungen zwischen muslimischen und hinduistischen Bewohnern des indischen Subkontinents im Zuge der Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Großbritannien.
Doch diese Menschenverschiebungen wurden nicht reflektiert – und der vorgebliche Nutzen, die sie brachten, bleibt unbeschrieben. Vielmehr gaben sich die UN der Illusion hin, dass die Menschen im 21. Jahrhundert sich maßgeblich von denen früherer Epochen unterscheiden. Gleichwohl: Die Schicht der Zivilisation war und ist dünn – und unter ihr lauert immer noch der Barbar, wenn es gefühlt oder tatsächlich um die eigene Existenz geht.
Für die Kommission jedoch ist Migration nichts anderes als ein Segen. Ein Segen vor allem für diejenigen Länder, die die Migranten aufnehmen dürfen. Das gilt zumindest im Selbstverständnis der Vordenker dann, wenn darüber im Einverständnis mit allen Beteiligten eine funktions- und durchsetzungsfähige Weltorganisation wacht und dafür Sorge trägt, dass alles in geregelten Bahnen abläuft. Was allerdings bereits daran scheitert, dass – wie die Kommission selbst bedauernd feststellt – einige Länder trotz eingegangener Verpflichtungen offensichtlich nicht so wollen wie die Vereinten Nationen sich das vorstellen. Instrumentarien der Durchsetzung? Notgedrungen Fehlanzeige – was sollte der bürokratische Wasserkopf an den Ufern des Ost-Flusses auch schon konkret an Mitteln einsetzen, wenn man ausschließlich auf der Goodwill der Willigen angewiesen ist?
Doch selbst wenn die Kommission ihren Blick auf negative Folgen von Migration wirft, wie sie es beispielsweise in Punkt 5 der Zusammenfassung tut, dann stehen auch hier nicht die Nachteile für die Aufnehmenden im Mittelpunkt, sondern vorrangig die der Aufnahmewilligen:
“Die Kommission ist auch auf Widersprüche, Beschränkungen und Herausforderungen der aktuellen Migrationspolitik gestoßen. In einigen Teilen der Welt besteht immer noch eine negative Einstellung gegenüber Migranten, trotz der Tatsache, dass ganze Wirtschaftszweige von ausländischen Arbeitnehmern abhängig sind. Staaten, die die Menschenrechtsverträge der Vereinten Nationen ratifiziert haben, setzen die Bestimmungen dieser Rechtsinstrumente nicht um, und viele Migranten sind weiter von Ausbeutung, Diskriminierung und Missbrauch betroffen. Viele Regierungen nehmen eine beträchtliche Zahl von Migranten in ihr Land auf, versäumen es aber, in den Integrationsprozess zu investieren, der erforderlich ist, damit diese Menschen ihr Potenzial ausschöpfen und einen positiven Beitrag zur Aufnahmegesellschaft leisten können. Gleichzeitig beachten bestimmte Migranten die Gesetze ihrer Aufnahmeländer nicht und können – wie die jüngsten Ereignisse gezeigt haben – außerdem eine ernsthafte Bedrohung für die öffentliche Sicherheit darstellen. Länder, welche die in den Millenniums-Entwicklungszielen der Vereinten Nationen enthaltenen Ziele für Gesundheit und Bildung aktiv unterstützen, werben dennoch Personal aus Krankenhäusern und Schulen in Niedriglohnländern ab, die nicht in der Lage sind, ihren eigenen Bürgern grundlegende Gesundheits- und Bildungsdienste anzubieten.”
Länder, die bereit sind, “eine beträchtliche Zahl von Migranten in ihr Land” aufzunehmen, müssen sich dafür anklagen lassen, nicht genug Geld dafür zu investieren, diesen Menschen einen “Integrationsprozess” zu ermöglichen, damit diese “ihr Potenzial ausschöpfen und einen positiven Beitrag zur Aufnahmegesellschaft leisten können”.
Niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit ist es so gewesen, dass Migranten vom Gastland gleichsam gepampert wurden. Wer in ein ihm fremdes Land einwanderte, war auf sich selbst gestellt. Er konnte erfolgreich sein – oder aber auch versagen. Die Geschichte jener jungen Männer aus deutschen Ländern, die in den 1860er und 1870er Jahren den Kriegen auf dem alten Kontinent durch Auswanderung in die USA entfliehen wollten und dort mangels anderer, persönlicher Alternativen am 25. Juni 1876 bei der Schlacht am Littlebighorn die meisten Toten auf der Seite der US-Kavallerie stellten, ist nur eine Episode von vielen, die aufzeigt, dass das Migrationsrisiko beim Migranten liegt. Der Anspruch des Einwanderers, von seiner Gastgesellschaft nicht nur aufgenommen, sondern auch noch zum umfassenden Wohlbefinden ausgestattet zu werden, kann so getrost als eine Erfindung der UN-Kommission bezeichnet werden.
“Die Mitwirkung dieser Akteure wird insbesondere benötigt, um zu gewährleisten, dass Migrationspolitik und -programme kulturell sensibel sind, lokale Besonderheiten berücksichtigen und die Bedeutung von geschlechterspezifischen Themen anerkennen.”
Doch dann geben sie sich doch wieder dem hin, was sie selbst als eine “Vision” bezeichnen:
“Die Weltkommission kommt zu dem Schluss, dass die Migrationspolitik, wenn sie die Vorteile der internationalen Migration maximieren und deren negativen Folgen minimieren will, auf gemeinsamen Zielen und einer gemeinsamen Vision beruhen muss.”
Das Migrationskonzept der UN – Teil 2:
Teil 3 und 4 folgen morgen.