Wenn in Unions-internen Kreisen über den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen gesprochen wird, ist der Spitzname „Laschi“ schnell unvermeidlich. Er sagt viel aus über einen Mann, der sich schon am Ziel seiner Träume wähnte, als es ihm gelang, seinen Landesverbands-internen Konkurrenten Jens Spahn hinter seinen Karren zu spannen. NRW, in der CDU seit jeher der mitgliederstärkste Landesverband, hätte eine Bank sein können, um auf dem im Dezember anstehenden Bundesparteitag die glücklose Annegret Kramp-Karrenbauer abzulösen. Doch dann kam Corona …
Vom gefühlten Superstar zum Loser
Armin Laschet, am 18. Februar 1961 in Aachen geboren, galt lange Zeit als Favorit bei der anstehenden Neubesetzung des Postens des CDU-Bundesvorsitzenden. Mit dem Amt des Ministerpräsidenten im bevölkerungsreichsten Bundesland wähnte er sich als gleichsam „natürlicher“ Anwärter auf eine Position, die ihm gleichzeitig den Zugriff auf die Merkel-Nachfolge im Kanzleramt sichern sollte. Doch weder Bundes- noch Parteivolk wollen mitspielen. Jüngst in einer Umfrage der Meinungsforscher von INSA, erhoben in der letzten Juli-Woche, wurde er förmlich abgestraft. Im direkten Vergleich möglicher Kanzler hängte ihn der Wiedergänger Friedrich Merz bei allen Wählern mit 67 zu 33 Prozent ab. Bei den CDU-Anhängern sieht es für den Aachener noch schlechter aus: 72 % bevorzugen Merz.
Der Trend an sich ist nicht neu – zumindest nicht in der CDU. Nicht nur bei der Jungen Union, die sich offen zu Merz bekennt, sondern vor allem bei den älteren Parteimitgliedern gilt Merz mit einer Art Heilandsversprechen als Hoffnungsträger. Und die CDU ist – keine neue Entwicklung – überaus alterslastig.
Der Riss zwischen Merkel und Basis wurde nie gekittet
Die Regierungspolitik des Jahres 2015 organisierte einen tiefen Riss zwischen Parteibasis und Angela Merkel. Die Öffnung der Grenzen sorgte dafür, dass zahlreiche Parteimitglieder der Partei den Rücken kehrten oder sich in eine Art innere Resignation begaben – Revolution war und ist noch nie Sache von christdemokratischen Parteigängern gewesen. Auch und dennoch galt: Solange Merkel dafür sorgen konnte, dass die Union in der Tradition von Adenauer bis Kohl in der Bundesregierung die Führung hatte, konnte man sie ertragen. Dass Merkel mit ihrer Migrationspolitik den Umsiedlungsvorstellungen von UN und EU vorbehaltlos folgte, dass sie in der Energie- und Umweltpolitik die Zukunft des Industriestandorts Deutschland aufs Spiel setzte – all das wurde ohne offenen Aufstand ertragen, solange die CDU Regierungspartei war.
2018 – die vergebliche Hoffnung auf den Neustart
Als Merkel, der die Partei stets eher Last als Freude war, im Jahr 2018 den Parteivorsitz aufgab, keimte bei der Basis die Hoffnung auf einen Neustart auf: Vorwärts zurück in die Vergangenheit. Friedrich Merz, wirtschaftsnah und strukturkonservativ, schien die Gewähr zu bieten, an die Ära Kohl anzuknüpfen. Vergessen, dass der am 11. November 1955 im Sauerland geborene Volljurist 2002 widerstandslos als Fraktionsvorsitzender der Bundestagsfraktion vor Merkel zurückgezuckt hatte und 2004 seine politische Karriere hinschmiss. Merz verabschiedete sich damals gleich zahlreicher anderer Ungenannter, die, aus der Jungen Union kommend, eine Karriere in der Wirtschaft dem mühsamen Kleinklein der innerparteilichen Karrierelaufbahn vorzogen.
Trotzdem – und das unterschied ihn von den Namenlosen – blieb er der CDU stets als eine Art Hausgeist erhalten. Mit seiner Steuererklärung auf dem Bierdeckel, die zahllose Steuerberater hätte brotlos machen müssen, und der Forderung nach einer deutschen Leitkultur blieb er der Mitgliedschaft der alten Union als Inkarnation einer heilen Unionswelt in Erinnerung. Die Verklärung nahm umso mehr an Bedeutung zu, als Merkel die Partei Stück um Stück über die Mitte nach links verschob, die klassische Prinzipientreue der CDU durch einen populistischen Pragmatismus des Gegenwärtigen ersetzte, jedem gefühlten und von Ideologen in Medienpositionen beförderten Trend gierig folgte.
Mit Merz, so die Legende vom Weißen Ritter, hätte es weder den unsinnigen Ausstieg aus der klimafreundlichen Kernenergie noch die Abschaffung der Wehrpflicht noch das Invasionsdesaster von 2015 gegeben. So blieb Merz, obwohl er sich längst aus jeglicher Tagespolitik verabschiedet hatte, stets präsent und Hoffnungsträger für den Fall, dass die ungeliebte Merkel irgendwann über sich selbst stolpern sollte.
Das gescheiterte Roll-Back von 2018
Doch die Ex-FDJ-Funktionärin aus einem kommunistischen Pfarrhaus in der Uckermark stolperte nicht – sondern nur vor sich hin, ohne zu stürzen. Erst, als die öffentlichen Zitteranfälle ernsthafte Zweifel an Merkels Gesundheit aufkommen ließen, trat sie von sich aus scheinbar den Rückzug nach vorn an: Mit der Aufgabe des ungeliebten und lästigen Amtes des Parteivorsitzes – nicht aber mit dem Rückzug aus dem Kanzleramt.
Ob der legendäre „Andenpakt“, dem frühere Hoffnungsträger der Union wie Roland Koch, Günther Oettinger und Christoph Böhr angehörten, späte Genugtuung erhoffte, oder ob es der Versuch einer subtilen Rache des ewigen Zweiten der Union, Wolfgang Schäuble, war – die alte Kohl-CDU sah ihre Chance gekommen, der programmatischen Selbstzerstörung der Partei durch Merkel ein Ende zu setzen. Der ewige Hausgeist Merz musste sich rematerialisieren und als Bewerber um den Bundesvorsitz in den Ring.
Während auf dem Bundesparteitag in Hamburg ein sichtlich nervöser Merz den Versuch unternahm, mit einer faktenreichen Rede an den männlichen Kopf seiner parteilichen Jugendliebe zu appellieren, setzte „Merkels Mädchen“ von der Saar emotionsgeladen auf den Bauch. Kopf scheiterte knapp mit 48,25 % der Stimmengegen Bauch – AKK trat in die Pumps Merkels und den Weg in die Selbstversenkung an.
Als Duo zum Erfolg?
Für Laschet, der unverdrossen davon ausging, durch sein nicht vorhandenes Charisma zum Ministerpräsidenten am Niederrhein gewählt worden zu sein, und der nie begriff, dass er seinen Sieg ausschließlich dem Bürgerüberdruss an dem sozi-ökologischen Gespann Kraft-Löhrmann zu verdanken hatte, war das Wahlergebnis ein Signal. Ohnehin inhaltlich flexibel, unternahm er nun noch intensiver als zuvor den Versuch, ebenfalls den Bauch mehr als den Kopf zu bedienen. Öffentlich präsentierte Nähe zu Merkel sollte ihm dabei einen Teil deren scheinbaren Lorbeers sichern – und so kam es nach dem Scheitern von Merkels Mädchen im Rennen um den Bundesvorsitz zu jenem denkwürdigen Tag, als er sich den ebenfalls aus NRW stammenden Bundesgesundheitsminister und potentiellen Konkurrenten als Adlatus einkaufte und sich damit den entscheidenden Vorsprung vor Merz zu sichern schien.
Als Vorsitzender des mitgliederstärksten Landesverbands nun den Unions-Hoffnungsträger Nummer Eins an seiner Seite, dabei den Amtsbonus des Ministerpräsidenten zelebrierend, schien die Sache zum Selbstläufer zu werden. Der zwischenzeitlich wie Ziethen aus dem Busch gekommene Nordrhein-Westfale Norbert Röttgen, in der Partei als masse-inkompatibler, intellektueller Eierkopf verschrien, galt ohnehin bestenfalls als bedeutungsloser Zählkandidat. Der eigentliche Gegner hieß Merz – das hatte Laschet instinktsicher erkannt. Dem war spätestens mit dem Zusammenschluss Laschet-Spahn das Prädikat des oppositionellen Unruhestifters zugewiesen worden. Unruhestifter aber, so das Kalkül, sind selbst an der Parteibasis nicht gern gelitten.
Corona macht Laschet einen Strich durch die Rechnung
So schien Anfang des Jahres alles auf den Weg gebracht. Laschet als künftiger Bundeschef gesichert, als Nachfolger im Kanzleramt gesetzt. Schließlich hatte seine Noch-Vorgängerin in der Partei die Zwangsläufigkeit von CDU-Vorsitz und Kanzlerkandidatur gleichsam als Naturgesetz definiert – der sich regende Widerspruch aus dem Bayernland schien zu diesem Zeitpunkt vernachlässigbar.
Doch dann kam Corona – und jenseits jeglicher Betrachtung des Nutzens und des Schadens, den die nun ausbrechende Wirrnis des zuerst herunter zu spielenden und dann zu dramatisierenden Ausbruchs des China-Virus erwirken sollte, präsentierte sich Laschet als MP ein ums andere Mal linkisch, desinformiert, naiv – kurz: er offenbarte sein für das bedeutendste Amt im Staate keinesfalls ausreichendes Format. Dabei setzte er nicht nur möglicherweise noch vorhandenes Ansehen beim Wahlbürger aufs Spiel – viel bedeutender war es, dass er im verzweifelten und hoffnungslosen Versuch, mit der medialen Wirkung seines Amtskollegen aus Bayern mithalten zu können, nun auch das Wohlwollen Merkels verspielte. Gewogen und für zu leicht befunden, lässt sich der Karriereabsturz des Aachener zwischen März und August auf eine kurze Formel bringen. Mehr als zwei Drittel der Parteigänger, die sich für den unmittelbaren Gegner Merz aussprechen, sind für Laschet ein Desaster.
Wird Merz nun zum Selbstläufer? Ist damit nun alles gelaufen für Dezember? Ist Merz bereits neuer Bundesvorsitzender?
Einmal abgesehen davon, dass auch ein Merz, der auf dem Höhepunkt des Corona-Aktionismus weitgehend abgetaucht war, immer noch über sich selbst stolpern kann, sollte er den Versuch unternehmen, neben seinen liberal-konservativen Anhängern nun auch noch die christsozialistische Klientel des Laschet-Lagers ansprechen zu wollen: Es steht zwangsläufig noch ein Parteitag im Weg.
CDU-Parteitage funktionieren über das Delegationsprinzip: Die einzelnen Landesverbände entsenden nach dem Proporz ihrer Mitgliederstärke von den jeweiligen Landesparteitagen gewählte Vertreter. Damit ist die Basisbeteiligung weitgehend gegen null geschrumpft, denn die Vorschlagslisten werden von Gremien vorgeschlagen, die nur allzu häufig über eine große Nähe zur jeweiligen Parteispitze verfügen. Und so kann es immer noch sein, dass die Parteitagsdelegierten dann doch nicht den Mehrheitswunsch ihrer Parteimitglieder und Anhänger repräsentieren. Bedeutender noch sind in der Regel die fein austarierten Regularien zwischen den Landesverbänden und den Vereinigungen der Partei. Hier spielen seit eh Seilschaften und persönliche Karriere-Ambitionen eine maßgebliche Rolle.
Die individuelle Karriereplanung nicht unterschätzen
Als Spahn sich für Laschet entschied, war dieses auch eine Entscheidung für den eigenen Karriereweg. Der am 16. Mai 1980 im Münsterland geborene Politikwissenschaftler konnte sich ausrechnen: Laschet wird im Alter von 60 Jahren Bundeskanzler. Maximal zwei Legislaturperioden wären ihm zuzurechnen – und 2028/9 wäre Spahn mit dann knapp 50 Lebensjahren immer noch ein junger Anwärter für die Nachfolge.
Das hätte zwar bei einem Bundeskanzler Merz – 2021 bei Amtsantritt wäre er 65 Jahre alt – ähnlich ausgesehen, doch als Bundesminister unter Merkel wäre für Spahn ein offenes Bündnis mit Merz ein Selbstmordkommando geworden. Ernsthafte Konkurrenz bei seinen Ambitionen, irgendwann an der Spitze der Republik zu stehen, erwachst dem bekennenden Homosexuellen derzeit nur aus dem Süden.
Marcus Söder, aktuell Sympathiegewinner der Corona-Zeit, hätte nach aktuellen Umfragen beste Chancen, Merkel 2021 zu beerben. Vorausgesetzt, die CDU spielt mit, was sie unter Laschet keinesfalls und unter Merz nur höchst unwahrscheinlich täte. Der bayerische Franke aus Nürnberg erblickte am 5. Januar 1967 das Licht der Welt. Er wäre, sollte er 2021 Kanzler werden, 54 Jahre alt. Das könnte, so nicht die Unberechenbarkeiten des Alltäglichen dazwischen kämen, für gut drei, vielleicht sogar vier Legislaturperioden als Bundeskanzler gut sein.
2037 wäre Spahn mit 57 Lebensjahren zwar immer noch kanzlertauglich – aber der Weg wäre lang und in einer so langen Zeit könnten zahllose Konkurrenten erwachsen, die den Karrieretraum zerplatzen lassen. In einer solchen Konstellation bliebe Spahn nur die Chance, möglichst bald den CDU-Bundesvorsitz zu übernehmen, um unvermeidlich zu bleiben. Und dann behutsam darauf hinarbeiten, dass der Franke nach spätestens zwei Legislaturperioden die Lust am Regieren verliert.
Merz wäre für Spahn der bessere AKK-Nachfolger
Unter diesem Gesichtspunkt wäre für Spahn nach heutigem Stand der Dinge ein Merz der bessere AKK-Nachfolger. Sollte es für den nicht zum Bundeskanzler klappen, weil Söder auf den Schild gehoben wird, ist das finale Ausscheiden des Wiedergängers aus der Politik absehbar. Vielleicht schon 2022 könnte Spahn den Bundesvorsitz übernehmen: Sein Noch-Verbündeter in Düsseldorf wäre weiterhin chancenlos und der Anspruch des stärksten Mitgliederverbandes auf die Bundesführung könnte ihm bestenfalls durch Ralph Brinkhaus streitig gemacht werden.
Unter einem Kanzler Söder allerdings wäre mit beiden vielleicht sogar eine Übereinkunft zu treffen – noch maximal vier Jahre ministerielle Warteschleife unter einem Parteichef, der gleichzeitig Fraktionschef ist. Dann der Wechsel des Brinkhaus ins Bundeskabinett – und Spahn übernimmt die Fraktionsführung.
Die Zusammensetzung des Parteitages kann entscheiden
Jenseits solcher Überlegungen spielt jedoch auch die Zusammensetzung des Parteitags eine Rolle. Im Dezember 2918 waren es 1.001 Delegierte, die über die Merkel-Nachfolge abstimmen durften. Im Dezember 2020 dürften es ähnlich viele sein, die über die Nachfolge der Merkel-Nachfolge-Nachfolge bestimmen. Das bedeutet: Der Sieger im Rennen um den CDU-Bundesvorsitz muss am Ende mehr als 500 Delegierte hinter sich geschart haben – und je mehr, desto scheinbar unantastbarer der künftige Chef. Grundsätzlich haben die Landesführungen wenig Vergnügen daran, solche Abstimmungen dem Zufall oder der ungesteuerten Selbsteinschätzung durch die Delegierten zu überlassen. Also entstehen Bündnisse, in denen die Beteiligten abwägen, welche Lösung für sie selbst die beste ist.
Traditionell konnte die sogenannte Rheinschiene bestimmen, was in der CDU geschieht. Zumindest in der Theorie hat sich daran nichts geändert, verfügten doch allein schon NRW, Baden-Württemberg und wahlweise Hessen oder Rheinland-Pfalz deutlich über jene 500. Stünden jeweils drei geschlossen zusammen, könnten sie den künftigen Chef unter sich auswürfeln. Ein Bündnis aller vier wäre unschlagbar, weil es ein paar wenige Abweichler locker kompensiert.
Möglich, dass Laschet genau darauf gesetzt hatte – doch so einfach ist es nicht. Denn neben dem Bestreben der vier Landesverbände mit dem Saarland als ewigen Wurmfortsatz, die Macht in der CDU am Rhein zu halten, gilt es immer auch, zwischen diesen Landesverbänden eine gewisse Machtbalance zu garantieren. Solange der Vorsitz außerhalb der Rheinschiene lag, war das noch möglich – sollte nun aber de Vorsitz nach NRW gehen – und daran führt nach Stand der Dinge kein Weg vorbei – kippt die Balance.
Die Parteibalance entscheidet über Bündnisse
Schuld daran trägt Brinkhaus, der als NRW-Mann den BaWüler Volker Kauder in die politische Wüste schickte. Sollten nun noch Parteivorsitz, Kanzleraspirant und Kronprinz aus NRW stammen, so wäre dieses eine Machtballung am Niederrhein, die den anderen Rheinländern nicht gefallen wird. Hier wäre folglich Kompensation angesagt. Doch wie soll die aussehen? Brinkhaus vom Fraktionsvorsitz entfernen? Das bedürfte einer Mehrheit der Abgeordneten – und es ist fraglich, ob die zustande käme als Preis für einen Laschet als Bundesvorsitzenden. Den Kronprinzen fallen lassen? Denkbar, aber zu marginal, da in der Perspektive in zu ferner Zukunft.
Da aber ein künftiger Vorsitzender ohnehin aus NRW kommen und da Brinkhaus sein Amt nicht kampflos aufgeben wird, können Bündnisse nur über Zukunftsperspektiven geschmiedet werden. Im Süden wartet Thomas Strobl darauf, endlich nach Berlin berufen zu werden. Eine solche Zusage könnte ihm jeder der gegenwärtig drei potentiellen Kanzlerkandidaten geben – um sie im Ernstfall unter Hinweis auf bestimmte Konsumgewohnheiten des Schäuble-Schwiegersohns zurückzuziehen.
Klöckner profitiert von Merz
Problemloser dürfte sich der Umgang mit Rheinland-Pfalz gestalten. Zumindest für Merz. Denn unterstellt, die dortige Landesvorsitzende Julia Klöckner hätte selbst künftige Ambitionen auf das Kanzleramt, so käme der am 16. Dezember 1972 in Bad Kreuznach geborenen Geisteswissenschaftlerin die Zeitschiene eines Merz besser zupass als die eines Laschet. Spätestens nach zwei Legislaturen schlüge 2029 ihre große Stunde. Bis dahin dürfte die CDU derart quotiert sein, dass der gegenwärtig noch nicht offiziell verankerte Wechselmechanismen der dann 57-Jährigen die Chance böte, das Kanzleramt zu übernehmen. Laschets Zeitperspektive hingegen ist für Klöckner zu lang – vor allem auch, weil der mit Spahn seinen Nachfolger bereits huckepack trägt. Insofern könnten sich Klöckner und die Ihren klammheimlich auf die Seite des Wiedergängers schlagen.
Hessen entscheidet nach Bundestagsmandaten
Unklar stellt sich die Situation in Hessen dar. Volker Bouffier hat seine politische Zukunft hinter sich – in der zweiten Reihe der CDU-Hessen steht derzeit noch niemand, der laut „Ich“ rufen würde. Bouffier hat sich nach außen stets loyal zu Merkel verhalten – und doch könnte es ihn reizen, zum Abschied der großen Vorsitzenden noch einen Denkzettel dafür mitzugeben, dass sie seinen langjährigen politischen Begleiter Roland Koch abgeschossen hat. Für Bouvier und seine Hessen wird daher die Frage im Vordergrund stehen, welcher künftige Kanzlerkandidat dem Landesverband bei den anstehenden Bundestagswahlen die höchstmögliche Anzahl von Sitzen garantiert. Da hat ein öffentlich in Aus gerutschter Laschet gegenüber Merz die deutlich schlechteren Karten auch dann, wenn am Ende tatsächlich der Franke von der Schwesterpartei in die Schlacht geschickt werden sollte.
Laschets Bataillone schmelzen
So kann Laschet nun nicht mehr darauf setzen, mit dem alten Erfolgsbündnis den Durchmarsch zu machen. Als halbwegs dickes Brett auf dem Parteitag bleibt noch Niedersachsen. Der dortige Landesverband stellte 2018 genau 137 Delegierte – es dürfte in diesem Dezember ähnlich aussehen. Damit allein würde es für Laschet nicht reichen, selbst wenn es ihm gelänge, Bernd Althusmann mit der Zusage einer Berufung an bedeutender Stelle in sein Bundeskabinett zu locken. Zum einen könnte der am 3. Dezember 1966 in Oldenburg geborene Ex-Offizier sich eine solche Zusage auch von anderen Bewerbern einholen – und ohnehin gilt: Je weiter südlich der künftige Kanzlerkandidat der Union regional angesiedelt ist, umso wichtiger wird die Berufung von „Nordlichtern“ in ein künftiges Kabinett. Hier könnte eine Achse Hannover-München ungeahnte Perspektiven eröffnen.
Alle können mit Merz besser leben
Schauen wir nun auf das Gemeinsame der vier stärksten Landesverbände nach NRW, so können wir feststellen, dass alle vier mit Merz besser leben könnten als mit Laschet. Entweder, um Merz kurz nach dessen Wahl quasi zum Affen zu machen, indem die Stärksten der Unionsfürsten sich für Söder positionieren – oder um Merz zu einer Art Übergangskanzler zu machen, der ein paar von den kräftigsten Scherben der Ära Merkel wegzuräumen hat, um dann einer neuen Unionsgarde den Weg zu frei zu machen.
Vor diesem Weg zum Übergangskanzler könnte sich allerdings ein Hindernis auftun, welches bislang kaum einer im Blick hat.
Ein Phoenix aus der Gruft
Nein, es geht hier nicht um die SPD, die maulen könnte, weil ihr Merz nicht behagt. Denn an deren Stelle stehen bereits die Grünen bereit – Merz hatte nicht ohne Grund kürzlich seine frühere Aversion gegen die Ökopostsozialisten einkassiert.
Es geht um Merkel. Die könnte trotz ihrer Erkrankung, die, so beobachtende Ärzte, medikamentös so gut eingestellt sei , dass Zitteranfälle der Öffentlichkeit erspart bleiben, in einer letzten Aufwallung des Machterhalts ihr geliebtes „Alles“ daran setzen, Merz selbst dann als ihren Nachfolger zu verhindern, wenn der auf dem Parteitag unerwartet ein Traumergebnis bekäme. Zwei Wege sind vorstellbar, um Merz stante pede in Depressionen zu versetzen.
Entweder, sie erklärt, doch noch einmal antreten zu müssen, um angesichts von Corona, Klima und sonstigen Weltkrisen zumindest Deutschland vor dem Untergang zu retten. Eine Situation, in der die CDU kaum ablehnen könnte – auch wenn dort viele ahnen und manche wissen, dass Merkel kaum noch eine weitere Legislatur durchstehen würde.
Oder aber, die Uckermärkerin bricht ihr bisheriges Schweigen und ruft selbst ihren Kronprinzen aus. Dass der nicht Merz heißen wird, bedarf keiner Erwähnung. Und auch Laschet hat sich Dank Corona bei Merkel aus dem Geschäft gekegelt. Also könnte sie das Zepter generös der Schwesterpartei überreichen, und damit – siehe oben – sogar gleich ein paar wichtige Weichen für die künftige Personaldecke der CDU stellen. Die Generation Schäuble wäre, soweit noch vertreten, abschließend abgeräumt, und selbst die Baby-Boomer der Geburtenjahrgänge der frühen Sechziger hätten ihre Zukunft bereits so gut wie hinter sich.
Söder wäre nach Jahrzehnten der „Weiberwirtschaft“ ein gereiftes Kontrastprogramm, das auf die CDU wie eine Frischzellenkur wirken könnte. Und das gerade deshalb den Einfluss der Frauen in der Partei im Zweifel auch ohne Quote deutlich erhöht.
Vor allem aber traut Merkel dem Franken zu, Politik ähnlich kompromiss- und alternativlos durchzusetzen, wie sie selbst es immer getan hat. In einer Koalition mit den Grünen werden solche Qualitäten noch wichtiger sein als in der Kooperation mit einer SPD, die alles daran setzt, sich durch ihre Personalauswahl selbst überflüssig zu machen.
Insofern bleibt es spannend – im Rennen um den künftigen Kanzlerkandidaten mehr noch als im Rennen um den CDU-Vorsitz. Der Dezember wird deshalb in Berlin ein voraussichtlich unterhaltsames Vorspiel werden, bei dem jedoch mögliche Weichen nur scheinbar gestellt werden. Wenn Söder nun erklärt, die Kanzlernominierung solle frühestens im März 2021 erfolgen, dann zeigt dieses: Zumindest er, der offiziell seine Zukunft immer noch in Bayern sieht, hat die Zeichen der Zeit erkannt.
Die Losung „The Winner Takes It All“ ist für den CDU-Parteitag schon heute außer Kraft gesetzt. Die richtige Orchestrierung startet dann, wenn dieser Parteitag Geschichte ist. Da hätten nach Stand der Dinge ein Merz wie ein „Laschi“ die Luschen auf der Hand, während ein neues Bündnis aus Söder, Klöckner, Althusmann und Strobl sogar dem in Richtung Kommunisten irrlichternden Daniel Günther aus dem ganz hohen Norden erklären könnte, warum seine Merkeltreue bei den Showwrestlern aus NRW fehl am Platze ist.