Eigentlich sollte sie beim Aufräumen ungelesen in den Altpapiercontainer wandern. Eigentlich. Denn wie das manchmal so ist: Es fiel dann doch noch ein neugieriger Blick darauf. Die Rede ist von der „Presseschau Nr. 238“, die die CDU-Bundesgeschäftsstelle anlässlich ihres Bundesparteitages am 7. Dezember 2018 ausgelegt hatte.
Solche „Presseschauen“ dienen vor allem den eigenen Leuten dazu, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, wie die Öffentlichkeit sich zu aktuellen, den Gegenstand der Presseschau betreffenden Inhalten und Begebenheit positioniert. Weshalb traditionell Positives ebenso wie Negatives sich in diesen „Presseschauen“ wiederfindet – und ein möglichst breit gefächertes Medienangebot aufgenommen werden soll, weil andernfalls ein falscher Eindruck von der Wirklichkeit entstehen könnte.
Die Titelauswahl zeigt die Richtung
Dieses vorausgeschickt, legte der Bundesgeschäftsführer der CDU Deutschlands Parteitagsdelegierten, Gästen und Medienvertretern am 7. Dezember seine „Schau“ vor – und selbstverständlich standen dabei Neuwahl des Parteivorsitzenden und Merkel-Abschied im Vordergrund.
Folgerichtig entschied die Bundesgeschäftsstelle, fünf wegweisende Artikel auf die Titelseite ihrer Presseschau zu heben. Alles Texte, die ihrerseits auf den veröffentlichenden Medien auf der Seite 1 gestanden hatten und ihrerseits durch die Reihenfolge gewichtet wurden. Wobei auf dem Presseschau-Titel lediglich die Überschrift zu lesen ist – die Texte selbst verstecken sich irgendwo im 52-Seiten-Konvolut.
- „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) mit „Nach Schäubles Merz-Vorstoß wirbt Altmaier für Kramp-Karrenbauer“. Inhaltlich eine knallhart geschossene Breitseite des Merkel-Vertrauten gegen Schäuble und Merz, mit der Altmaier die Delegierten auffordert, die CDU nicht zu „kannibalisieren“.
- „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) mit „Entscheidung im Dreikampf“. Inhaltlich nicht ganz so energisch wie die FAZ, doch im Tenor unmissverständlich: Kramp-Karrenbauer ist die richtige.
- „Die Welt“ (DW) mit „Mit Herz und Verstand“. Ein in der Sache neutraler gehaltener Artikel, der sogar mit Kritik an der CDU nicht spart, wenn er schreibt: „Ausgerechnet den Endmoränen einer kaputt gesiegten, intellektuell verödeten linken politischen Kultur hat sich die Merkel-CDU angedient“. Aber hier reicht die Überschrift, um eine gefühlte Tendenz für die frühere Ministerpräsidentin des Saarlandes zu vermitteln.
- „Der Tagesspiegel“ (Tsp) mit „Der Abschied – Teil I“. Der Text selbst versteckt sich auf Seite 24 – und empfiehlt durch die Blume die Wahl der Kramp-Karrenbauer. Gleichzeitig wird deutlich: Noch ist Merkel nicht weg.
- „Handelsblatt“ (HB) mit „CDU vor Zeitenwende“. Leider wurde vergessen, diesen Text in die Presseschau aufzunehmen – vermutlich inhaltlich gänzlich bedeutungslos.
Die Professionalität der Bundesgeschäftsstelle
Sind solche Reihung und Auswahl Zufall? Selbstverständlich könnte es so sein. Doch arbeitet die CDU-Bundesgeschäftsstelle mittlerweile zu professionell, um irgendetwas dem Zufall zu überlassen. Da man sich dort auch darauf verlassen konnte, dass nur wenige Delegierte die oftmals ellenlangen Haupttexte lesen würden, entspricht die Titelauswahl für die Eins bereits einem Parteitags-Drehbuch. Erst einmal die Pflöcke für AKK einschlagen und Merz via Schäuble ins Abseits stellen, dann eine Entscheidung im Dreikampf herbeiführen (welcher angesichts der Siegchancen schon zu diesem Zeitpunkt nur noch ein Zweikampf war). Diese Entscheidung mit Herz und Verstand treffen – wobei selbstverständlich das Herz Vorrang hat – und dabei ein wenig den Abschied von Merkel beweinen (aber nur ein wenig, schließlich findet sich hier tatsachengerecht nur der erste Teil eines langen und nicht absehbaren Abschieds). Zum Abschluss dann die Zeitenwende einläuten, die jedoch mit dem Wahlakt noch nicht vollendet ist. Was ausdrücklich dann zutrifft, wenn die Saarländerin die Merkel-Nachfolge antritt, weil in diesem Falle Merkel weiterhin alle Macht in den Händen hält.
Der Bundesgeschäftsführer hatte sich bei der Titelauswahl durchaus etwas gedacht – und das Ergebnis war, wenn auch an Stimmen im zweiten Wahlgang knapp, entsprechend. Was für ihn selbst bis auf Weiteres eine Jobgarantie bedeutete, denn ein neuer Vorsitzender Friedrich Merz hätte um seiner eigenen Effizienz willen mit den Merkel-Beständen in der Klingelhöferstraße spürbar aufräumen müssen.
Gezielt ausgesuchte Titel und Medien
Hatte mit der Seite Eins der Presseschau die Parteitagsregie ihren Ablaufplan vorgegeben, so war selbstverständlich mit der Textauswahl sicher zu stellen, dass die Delegierten in ihrem wohligen Gefühl nicht zu sehr beeinträchtigt wurden. Und wie regelt die Bundesgeschäftsstelle (BGS) solches? Mit der Wahl der zitierten Medien und der Themenauswahl.
Kein Wort zu brisanten Themen
Thematisch sticht dort „Digitalpakt/Bildung“ mit zehn Artikeln gleich 15 Prozent hervor. Der Rest verkleckert sich:
- „Europawahl“ 4 Texte (jeweils 6,3 %), darunter ein Interview mit der Dauergrünen Renate Künast, welches den wegweisenden Titel „Aufstand des Anstands“ trägt.
- „Rente“ und „OSZE-Außenministertreffen“mit jeweils 3 Artikeln (4,8 %).
- „Parteien“ und „Paragraph 218/219a“ mit jeweils 2 Artikeln (3,2 %).
- „Finanzen/Haushalt/Steuern“, „Verteidigung/Rüstung“ und „Entwicklungszusammenarbeit/Humanitäre Hilfe“ mit jeweils einem Artikel (1,6 %).
Das war es. Kein Wort zu Themen wie „Zuwanderung“, dem zu diesem Zeitpunkt hochaktuellen und umstrittenen „UN-Pakt für Migration“, Bürgersicherheit. Sicherlich kein Zufall, denn solche Themen hätten Merkels Bilanz mehr als schlecht aussehen lassen. Auffällig aber ist auch: Kein einziges Wort zum Themenkomplex Wirtschaft und Arbeitsplätze. Das drängt die Annahme auf, dass Themen, mit denen vor allem Merz punkten wollte, aus der Wahrnehmung der Parteitagsdelegierten genommen werden sollten.
Dafür findet ein Text der „Rheinischen Post“ Würdigung, der theatralisch „Die historische Schuld der CDU“ beschwört. Mit wirklich historischen Verschuldungen hat er allerdings nur begrenzt zu tun: Er reduziert die geschichtsentscheidende Unionsschuld auf die Entscheidung Kupfer- statt Glasfaserkabel.
Das Lieblingsmedium der Klingelhöferstraße
Blicken wir nun noch auf die ausgewählten Medien – und landen wir ein wenig in der Echokammer. Hier findet sich – nach der Anzahl der zitierten Zeitungsberichte – folgende Rangliste:
- Als Lieblingsmedium der CDU auf Platz 1 findet sich das rotgrün-gefühlige Geprantel der „Süddeutschen Zeitung“ mit 10 Berichten.
- Dicht darauf folgt das frühere Kampfblatt bürgerlicher Intelligenz: Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ mit 9 Berichten.
- Platz 3 im Ranking müssen sich die beiden in Berlin ansässigen „Die Welt“ und „Der Tagesspiegel“ teilen. Sie sind mit jeweils 8 Artikeln vertreten.
- Nun kommt erst einmal eine Wichtigkeitslücke, bis auf Platz 5 die „Passauer Neue Presse“ mit 4 Texten den Reigen der Regionalmedien eröffnet.
- Platz 6 belegt die Rheinschiene mit „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ (WAZ) und „Rheinische Post“ – jeweils vertreten mit 3 Artikeln.
- Auf Platz 8 liegen die „Neue Osnabrücker Zeitung“ (NOZ), die „Leipziger Volkszeitung“ sowie das „Handelsblatt“ und die „Bild-Zeitung“ mit jeweils 2 Texten.
- Unter „ferner liefen“ sortieren sich ab Rang 12 mit jeweils einem Text in alphabetischer Reihenfolge ein: „Berliner Zeitung“, „Frankfurter Rundschau“, „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ (HAZ), „Rhein-Zeitung“, „Sächsische Zeitung“, „Stuttgarter Zeitung“, „Thüringer Allgemeine“ und „Wirtschaftswoche“.
Die Aufnahme als Ordensverleihung
Insgesamt beglückt die CDU in ihrer Presseschau 19 Publikationsorgane, bei denen das Gewicht der SZ mit zehn Texten deutlich am stärksten ist. Für die CDU ist somit das Blatt aus der Haupstadt der Schwesterpartei bei den Tageszeitungen Deutschlands Leitmedium Nummer 1. Insgesamt betrachtet belegen nur vier Zeitungen mit zusammen 35 Artikeln gleich 56 Prozent das von der CDU transportierte Meinungsbild.
Die Auswahl macht jedoch auch ein Weiteres deutlich: Die CDU erwartete vor allem von diesen vier Medien im Anschluss an den Parteitag eine in der Tendenz positive Berichterstattung. Denn die Aufnahme in die Presseschau ist gleichzeitig eine Form der Ordensverleihung: Kein Chefredakteur, der nicht begierig auf diese Zusammenfassung geschaut hätte, um sich geschmeichelt oder aber auch übergangen gefühlt zu haben.
Die Regionalblätter fanden insofern vor allem deshalb Aufnahme, damit auch sie ein Glücksgefühl mit nach Hause nehmen konnten. Darunter finden sich derart bedeutungsschwangere und wahlentscheidende Texte wie „Und wen wählen die Osnabrücker?“ in der NOZ und das Doppel „Ich bin dankbar`- Was Merkel nutzte, war für die CDU lange gut“ in der WAZ. Dass darüber hinaus manche der Überschriften sogar noch ganz im Sinne der Parteitagsregie waren, dürfte beispielsweise bei der „Rhein-Zeitung“ den Ausschlag geben hatte. Schließlich wurde dort die unausgesprochene Merkel-Parole mit der Feststellung „Merz kann die CDU nicht einen“ optimal transportiert. Und um es richtig nachhaltig zu machen, titelte die HAZ „Nervenschlacht vor der Wahl – droht der CDU die Spaltung?“
Parteitagsregie in Schlagzeilen
Wir sehen: Auch etwas scheinbar derart Unbedeutendes wie eine „Presseschau“ kann im Sinne einer gezielt ausgerichteten Parteitagsregie Wirkung entfalten. Es kommt nur darauf an, wen man wie bedient und in welcher Weise die Schlagzeilen ins Gemüt des Delegierten dringen.
Weshalb als letzter Text der Inhaltsübersicht der Presseschau die unmissverständliche Mahnung steht: „Vor der Suche nach der Lösung steht die Einigung über das Problem“. Da konnte dann eingedenk der vorangegangenen Titelungen der treue Parteisoldat nun final nur zu dem Schluss kommen: Das Problem der Uneinigkeit heißt Friedrich Merz – und Einigkeit ist Kramp-Karrenbauer.
Und so kam es dann ja auch.