Fortsetzung von Wenn CDU und CSU in der Sommerpause getrennte Wege gehen (sollten).
Hat sich seit der ersten Hälfte der zweiten Dekade nun etwas geändert, das die gegenwärtige Politik der Konfrontation der CSU mit der CDU-Führung notwendig zu machen scheint?
Tatsächlich ist zumindest in der bayerischen CSU die Erkenntnis angekommen, dass die Fortsetzung der bisherigen Unionspolitik den ursprünglichen Aspekt der Sicherung der CSU-Dominanz als bayerische Regionalpartei mit bundespolitischem Wirkanspruch nicht mehr wird sichern können. Es ist absehbar, dass die Zeiten absoluter CSU-Mehrheiten vorbei sind, solange das nationalkonservative Klientel in der AfD ebenso eine Heimat findet wie jene Bürger, die eine grundsätzliche Kritik am etablierten Parteienstaat formulieren.
Ist insofern die Behauptung zutreffend, Horst Seehofer und Markus Söder würden ihre Konfrontation zu Merkel ausschließlich unter dem Aspekt der bayerischen Landtagswahlen im Herbst betreiben? Das könnte so sein – doch wenn es so wäre, dann ist nicht nur fraglich, ob die CSU damit ihr Ziel einer absoluten Mehrheit erreichen kann. Es gälte vielmehr auch die Frage zu beantworten, wie die weitere Entwicklung abliefe, wenn Seehofer einmal mehr als Löwe gesprungen und als Bettvorleger gelandet ist. Sollte also tatsächlich nur dieses Nahziel im Raum stehen, wofür vor allem die überreizten CSU-Attacken gegen die AfD sprechen, dann ist dieses nicht nur zu kurz gesprungen, sondern auch zu kurz gedacht.
Niemals ein Bayern-Kanzler?
Hier nun soll ein weiterer Aspekt in die Überlegungen eingeführt werden, welcher – weil ebenso recht konkret an politischen Akteuren festzumachen wie zu einer grundsätzlichen Problematik führend – nicht außer Acht gelassen werden darf. Dieser Aspekt ist die Kanzlerschaft in der Bundesrepublik Deutschland.
Durch die derzeitige Konstruktion der Arbeitsteilung unter den Unionsparteien ist letztlich die Frage der Kanzlerschaft manifest. Anders formuliert: Es wird in der Bundesrepublik niemals einen Bundeskanzler aus Bayern geben, weil die CDU zu jedem Zeitpunkt ihr deutliches Übergewicht in die Waagschale werfen wird. Damit wird – um in klassischen Denkschemen zu verharren – ein deutscher Bundeskanzler immer „a Preiß“ sein. Und das gilt selbst dann, wenn er aus Baden oder Württemberg kommen sollte, denn er wird von den preußischen CDU-Landesverbänden zwischen Rhein und Oder dominiert. Bismarck wirkt insofern auch heute noch.
An dieser Tatsache ändert sich auch dadurch nichts, dass die CDU 1980 dem bayerischen CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß den Vortritt ließ. Helmut Kohl ging seinerzeit davon aus, dass die Union gegen die SPD-FDP-Koalition chancenlos war – und konnte sich so des drückenden Einflusses des Bayern entledigen.
Für CSU-Politiker jedoch bedeutet diese Erkenntnis, dass die persönliche Karriereleiter mit dem Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten oder einem Ministerjob in einem Kabinett unter CDU-Führung endet. Diese Aussicht aber mag bayerischen Politikern mittlerweile nicht mehr genügen – reden wir nicht drum herum. Ob Markus Söder oder Alexander Dobrindt oder auch jemand, dessen Namen wir noch nicht kennen – sie könnten sich durchaus berufen fühlen, eines Tages selbst Bundeskanzler zu sein. Und wer weiß: Dass sie ihren Job schlechter als Merkel machen würden, ist nicht sehr wahrscheinlich.
Drei Faktoren für die Trennung
Nehmen wir nun die drei Faktoren der grundsätzlichen Kritik an der Merkel‘schen Politik, der Gefahr des dauerhaften Verlustes der absoluten CSU-Mehrheit in Bayern und persönliche Ambitionen zusammen, so ist der Schritt, die Parteienschwesterschaft zu beenden, aus CSU-Sicht eigentlich unvermeidbar. Tut sie dieses nicht, wird sich nicht nur an der Bundespolitik wenig ändern. Auch wird im Herbst die absolute Mehrheit verloren gehen – und ambitionierte bayerische Politiker werden sich bis zum Sankt-Nimmerleinstag damit abfinden müssen, bundespolitisch bestenfalls die zweite Geige zu spielen.
Gehen wir davon aus, dass diese Erkenntnisse sich in der CSU-Führung mittlerweile durchgesetzt haben, so stellt sich zwangsläufig die Frage nach die „Wie“ und dem „Wann“.
Wie und Wann?
Hinsichtlich des „Wie“ ist nach Stand der Dinge davon auszugehen, dass jener seinerzeit von mir empfohlene Weg der abgestimmten, einvernehmlichen Trennung nicht erfolgen wird. Nicht nur Merkel, auch ihre CDU-Führung müsste bangen, bei einer CSU-Konkurrenz künftig hinweggefegt zu werden. Insofern feuern Armin Laschet, Volker Bouffier und andere aus allen Rohren gegen die CSU. Deren bundesweites Antreten müsste die Architektur der Republik in ihren Fundamenten erschüttern – und wer beim Beben auf der Gebäudespitze sitzt, trägt das größte Risiko, besonders tief zu fallen.
Und doch ist der richtige – vermutlich auch der letzte – Zeitpunkt, die Unionsschwestern zu trennen, genau jetzt. Kommt der Bruch in der anstehenden, parlamentarischen Sommerpause, bestimmte er die Medien in der nachrichtenarmen Zeit. Die CSU wäre – soweit es Bayern betrifft – hinsichtlich der Organisation der Landtagswahl nicht betroffen. Denn die steht und könnte unter der neuen Voraussetzung forciert werden. Die CDU hingegen wäre außerstande, in den wenigen Wochen bis zur Landtagswahl in Bayern eine Struktur anzubieten, die bei der Abstimmung über die künftige Besetzung des Münchner Landtages Relevanz entwickeln könnte. Mit anderen Worten: Derzeit könnte die CSU davon ausgehen, trotz Trennung ohne CDU-Konkurrenz in die Landtagswahlen zu gehen. Damit wäre in Bayern ein Zeitfenster von fünf Jahren gewonnen, in dem sich die CSU auf eine christdemokratische Konkurrenz im Land einstellen könnte. Macht die CSU in dieser Zeit eine gute Politik, könnte es einer bayerischen CDU ergehen wie der SPD. Unbedeutend mit Ausnahme vielleicht von einigen Großstädten. Gleichwohl hätte die CSU dann künftig einen potentiellen Koalitionspartner, der ihr näher stünde als jegliches derzeit vorhandene Angebot.
Für Bayern also wäre der richtige, strategische Zeitpunkt der Trennung insofern jetzt: Im Juli.
Was ist bei Neuwahlen?
Gilt das aber auch für den Fall, dass die Bundesregierung zerbricht? Es wäre zwar vorstellbar, dass in einzelnen Ländern komplette CDU-Ortsverbände „konvertieren“ – doch bei Neuwahlen im Herbst wäre die CSU kaum in der Lage, bundesweit flächendeckend anzutreten. Hierfür bräuchte sie noch rund zwei Jahre. Wird es also doch nichts mit der Trennung und dem CSU-Alleingang?
Denken wir einmal um die Ecke. Für die Bayernwahl wäre die Trennung der optimale CSU-Impuls ohne Konkurrenzgefahr durch die CDU. Und im Bund? Neuwahlen noch in diesem Jahr würden auch die CDU und die SPD auf dem gänzlich falschen Fuß erwischen.
Die SPD hat sich noch nicht sortiert und könnte sich allein schon bei der Frage, wer die Partei in die Neuwahlen führen soll, selbst zerlegen. Insofern mag zwar der Generalsekretär der Sozialdemokraten laut verkünden, die SPD bereite sich auf Neuwahlen vor – wollen aber kann die SPD diese unter keinen Umständen.
Nicht anders sieht es aus bei der CDU. Ein adäquater Merkel-Nachfolger ist nicht in Sicht. Annegret Kramp-Karrenbauer, von manchen immer wieder ins Spiel als Merkels Wunschnachfolgerin gebracht, fehlt jegliche Statur und jegliches Format für diese Aufgabe. Sollte sie die CDU in Neuwahlen führen, wäre ein Desaster vorprogrammiert. Für Jens Spahn oder Julia Klöckner ist es noch viel zu früh. Und Peter Altmaier hätte zwar die Erfahrung und das Format, doch ist er viel zu fest an Merkel gebunden. Also bliebe der CDU bei Neuwahlen keine andere Möglichkeit, als ein weiteres Mal mit dem Auslaufmodell aus Brandenburg-Vorpommern anzutreten oder sich im Eiltempo für jemanden zu entscheiden, der gegenwärtig noch nicht profiliert genug ist.
Keine Neuwahl trotz Parteitrennung
Da keine der drei Regierungsparteien gegenwärtig ein ernsthaftes Interesse an Bundestagswahlen hat, ist vielleicht auch ein gänzlich anderes Szenario vorstellbar.
Dieses Szenario hält an dem Auffassung fest, dass CDU und CSU künftig getrennte Wege gehen. Aber es kommt zu einem Agreement, dass Merkel die Chance gibt, diese Legislaturperiode in Ehren zu überstehen – und gleichzeitig die CDU in die Lage versetzt, einen Nachfolger aufzubauen. Wie dieses funktioniert? Die Antwort darauf liegt auf der Hand, denn die schwarzrote Koalition würde einfach nur ein eine schwarz-schwarz-rote gewandelt werden müssen. Wobei – nicht einmal das. Denn faktisch ist sie das bereits. Die Bundesregierung wird von drei Parteien gestellt: Von CDU, SPD und CSU. Die einzige Besonderheit ist es, dass zwei dieser drei Parteien derzeit noch im Bundestag als Gemeinschaft auf- und bei Wahlen nicht gegeneinander antreten.
Die Auflösung der Fraktionsgemeinschaft ist bereits eingeleitet. Bleibt nur noch die Frage der künftigen Konkurrenz bei Wahlen. Hier könnten beide Unionsparteien übereinkommen, bei den unmittelbar anstehenden Wahlen noch nicht zu konkurrieren. Einvernehmliche Abwicklung der Schwesterschaft bis Ende 2019 – so könnte das Agreement lauten. Die Bundesregierung unter Merkel setzt ihre Arbeit auf Grundlage des Koalitionsvertrages fort – nur mit dem Unterschied, dass sich Seehofer nicht mehr als Wurmfortsatz der CDU behandeln lässt, sondern denselben Anspruch auf Eigenständigkeit erhebt, wie ihn die sozialdemokratischen Minister für sich als Selbstverständlichkeit betrachten.
In diesem Zusammenhang: Vermag sich jemand daran zu erinnern, dass einem SPD-Bundesminister irgendwann einmal mit Merkels „Richtlinienkompetenz“ gedroht wurde? Nein – denn die schalten und walten seit eh so, wie sie es für richtig halten. Finanzierung von Antifa und anderen anti-bürgerlichen Organisationen inklusive. Nichts anderes aber erwartet auch Seehofer für sich – und er fordert es bereits ständig ein.
Insofern könnte in dem hier nun aufgezeigten Weg tatsächlich die Ursache und gleichzeitig die Lösung des „Unionsstreits“ liegen. Er käme am Ende allen Interessen der Agierenden weitest möglich entgegen, wengleich er auch für Merkel die große Beschädigungen organisieren kann. Sie trüge die Verantwortung für das Ende der bundesgemeinschaftlichen Union. Da die Frau Bundeskanzler jedoch eine Schonfrist bekäme, in der sie noch einige Zeit Regierungschefin spielen darf, und da gleichzeitig beide Unionsschwestern ihre künftig getrennten Wege behutsam vorbereiten könnten , scheint es dennoch das Sinnvollste zu sein.
Ob nun allerdings das Sinnvollste auch das Tatsächliche sein wird – das werden wir in den künftigen Monaten erfahren. Der Rückblick auf 2012/13 lässt immerhin auch die Möglichkeit zu, dass das Sinnvolle hinter dem Gewünschten und dem Gefühlten zurückzustehen hat. Jedoch – ich wiederhole mich – die Zeiten haben sich gewandelt. In der CSU spürt man dieses offensichtlich deutlich stärker als in der CDU.
So bliebe sogar die Möglichkeit, dass die CDU dem Druck aus der CSU nachgibt und beide Parteien weiterhin zusammen bleiben. Sehr wahrscheinlich allerdings ist das nicht. Denn das würde bedeuten, dass die CDU umgehend ihre Vorsitzende in die Wüste schicken müsste. Dass sie dazu die Kraft hat – danach sieht es gegenwärtig nicht im Geringsten aus. Auch wäre mehr als fraglich, ob mit diesem Weg das mittelfristige Ziel, bürgerliche Positionen von der linken Mitte bis zur demokratischen Rechten unter christlichen Vorzeichen mehrheitsfähig zu halten, erreicht werden kann.
Doch warten wir es ab. Ist bis zur Bayernwahl die Trennung nicht in die Wege geleitet, wird sie nicht mehr stattfinden. Denn danach macht sie keinen Sinn mehr.