Tichys Einblick
Kursänderungen

Außer Spesen nichts gewesen? Erdogan bei NATO und EU

Für Erdogan war dieser Besuch in Brüssel mehr als nur ein Schlag ins Wasser. Hinter den lächelnden Fassaden und wohltönenden Solidaritätsadressen wurden ihm gleich mehrere Zähne gezogen.

Murat Kula/Anadolu Agency via Getty Images

Das hatte er sich offenbar ganz anders vorgestellt. Am Montag dieser Woche reiste der türkische Autokrator Recep Tayyip Erdogan in Begleitung seines Außenministers Mevlüt Cavusoglu nach Brüssel. Dort traf er sich zuerst mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, dann mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Erdogans Gesicht sprach Bände

Es bedurfte nicht der diplomatisch verpackten, offiziellen Ansagen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie diese Gespräche verlaufen waren. Der Blick in das Gesicht des Türken sagte alles. Sonst immer großspurig und breitbeinig daherkommend, wirkte er wie ein geprügelter Hund. Die zweite Niederlage innerhalb nur einer Woche, nachdem er sich am Donnerstag faktisch den russischen Vorstellungen der künftigen Entwicklung im Syrischen Krieg hatte unterwerfen müssen.

Noch im Vorfeld hatte Erdogan die militärische Unterstützung der NATO bei seiner völkerrechtswidrigen Besetzung von Teilen Syriens eingefordert. Damals noch flankiert unter anderem von Angela Merkel, die die Einrichtung einer „Schutzzone“ in der türkisch besetzten Rebellenprovinz Idlib begrüßen ließ.

Neben der militärischen Flankenhilfe erwartete Erdogan einmal mehr den Griff in die Geldschatullen der Europäischen Union, um seine marode Wirtschaft und seine überflüssigen Kriege zu finanzieren. Auch hier sah es eine Zeitlang noch so aus, als könnte er Erfolg haben – die üblichen Unterstützer seiner Osmanisierungspolitik – vor allem anderen in Germanistan angesiedelt – tröteten ins gleiche Horn.

Erdogan hat überzogen

Doch der Wind scheint sich gedreht zu haben. Erdogan hat überzogen. Tatsächlich ist erkennbar, dass Putins Umgang mit dem Gernegroß aus Ankara auch in Brüssel nicht unbemerkt geblieben ist. Die Führungen von NATO und EU scheinen langsam zu begreifen, dass im Orient die übliche Schmeichelei dann Fehl am Platze ist, wenn es um ernsthafte Bedrohungen geht. Eine solche Bedrohung ist der Einmarsch der Türkei in syrische Territorien – und sie hätte zur Katastrophe werden können, wäre die NATO Erdogans Anspruch erlegen, sich an der Seite des fragwürdigen Verbündeten militärisch in Idlib zu engagieren.

Dass dieses nicht geschehen würde, stand längst fest. TE berichtete darüber. Doch dass Stoltenberg nun hinter verschlossenen Türen mit dem Kriegsherren aus Klein-Osmanien Tacheles reden würde – damit hatte Erdogan nicht gerechnet. Die Aussage war nun doch unmissverständlich: Es wird keine NATO-Unterstützung für Erdogans syrische Ambitionen geben. Die NATO-Einschätzung liegt auf dem Tisch: Der türkische Angriff ist völkerrechtswidrig, die Attacken gegen syrische Einheiten ist nicht durch das Mandat zur IS-Bekämpfung gedeckt. Der türkische Alleingang war nicht mit der NATO abgesprochen – und auch das Liebäugeln mit Russland ebenso wie Erdogans nicht mehr heimliche Unterstützung jener Islam-Banden, die die NATO-Staaten im Osten Syriens und im Irak bekämpfen – all das war nicht geeignet, Sympathien bei der NATO-Führung zu wecken.

Auch bei der EU erfolglos

So verließ der türkische Möchtegernsultan das NATO-Hauptquartier wie ein geprügelter Hund, immer noch hoffend, zumindest an die Geldtöpfe der EU zu kommen. Doch auch hier hatte er den Bogen überspannt. Der Einsatz von jungen, männlichen Migranten als Hilfsarmee gegen den EU-Staat und NATO-Partner Griechenland, dieser unverhohlene und wiederholt auch öffentlich bekundete Erpressungsversuch – das Fass war zwischenzeitlich übergelaufen.

Erdogan erpresst weiter
EU–Türkei: »Seien wir ehrlich, die Vereinbarung ist tot«
Mit dem üblichen, einbetonierten Lächeln unter der 3-Wetter-Taft-Frisur ließ die Präsidentin der Kommission den Türken auflaufen. Zwar halte man am sogenannten Flüchtlingsdeal – der nichts anderes gewesen war als eine Absprache zwischen Merkel und Erdogan – fest, hieß es diplomatisch. Doch nun müssten dessen Konditionen neu verhandelt werden. Bereits vor demTreffen war aus der Kommission zu hören gewesen, dass in Richtung Türkei eher mit einem Zusammenstreichen von Geldmitteln denn mit einer Aufstockung zu rechnen sei. Die durch die EU zugesagten und finanzierten Schul- und Logistikgebäude zur Flüchtlingsversorgung seien gebaut, die laufenden Kosten deutlich geringer. Deshalb müssten Zahlungen nun entsprechend niedriger ausfallen.

Besonders bitter für Erdogan auch: Die EU besteht darauf, dass künftige Gelder ausschließlich zweckgebunden und überprüfbar gezahlt werden. Damit entschwindet für den Türken die Chance, seinen Krieg durch die EU quer zu finanzieren – und auch die Möglichkeit, EU-Gelder durch die korrupten Taschen nahestehender Personenkreise filtern zu lassen, wird deutlich eingeschränkt.

Selbst Merkel muckt

Für Erdogan war dieser Besuch in Brüssel mehr als nur ein Schlag ins Wasser. Hinter den lächelnden Fassaden und wohltönenden Solidaritätsadressen wurden dem Türken gleich mehrere Zähne gezogen. Und dieses in einer Deutlichkeit, dass sich sogar die Sphinx aus dem Kanzleramt mal wieder an die Öffentlichkeit traute. Mit der ihr institutionalisierten „ganzen Kraft“ werde sie sich dafür einsetzen, dass der Türkei-Deal „in eine neue Stufe überführt“ werden könne. Was letztlich nichts anderes bedeutet: Das Ding ist erst einmal tot. Die alte Stufe ausgebrannt und abgesprengt.

Das will schon fast erstaunlich klingen – doch der Druck aus Partei und Fraktion und der Unmut über Erdogans neue Form der Kriegsführung gegen die EU wurde am Ende so groß, dass Merkel trotz ÖR-medialer Flankierung einer angeblichen Bürgermehrheit, die die erneute Grenzöffnung für „Flüchtlinge“ befürworte, nicht mehr an ihrem Erdogan-Kuschelkurs festhalten konnte. Das Vorgehen der Türkei in Sachen Grenzsturm sei „inakzeptabel“ und es sei nicht zulässig, dass die Türkei ihre Probleme „auf dem Rücken von Flüchtlingen lösen“ wolle.

Nun sei zwar belehrend darauf hingewiesen, dass es sich zumeist nicht um Flüchtlinge aus Syrien, sondern um Wohlstandmigranten aus aller Welt handelt, und dass die Türkei ihre Probleme auch nicht auf dem Rücken der Flüchtlinge, sondern mit den Geldsäcken der EU lösen möchte – gleichwohl ist selbst im Kanzleramt nach Wochen des meditativen Schweigens offenbar die Erkenntnis gewachsen, dass man sich von dem Muslimbruder nun nicht länger auf der Nase herumtanzen lassen darf.

Keine schönen zwei Wochen für Erdogan

Erdogan allein am Bosporus – so lautet die Erkenntnis, die man aus diesen Besuchen schöpfen kann. Wenn es NATO und EU gelingen sollte, ihre Haltungen trotz des zu erwartenden, zunehmenden Drucks der migrationsbefördernden NGO durchzuhalten, könnte damit der Anfang gemacht sein nicht nur für eine Lösung des Syrien-Konfliktes, sondern auch der Einstieg in die Bekämpfung der aus Asien und Afrika zunehmenden Zuwanderung in die EU, die ungezählten, von den NGO getäuschten Migranten den Tod bringt.

Für Erdogan allerdings waren die vergangenen 14 Tage andere als glücklich. Die Hälfte der Idlib-Provinz verloren, einen bedeutenden Teil der Kontrolle des verbliebenen Restes an Russland übergeben.

Über 100 Soldaten verloeren, Unsummen immer knapper werdender Haushaltsmittel in einem unnötigen Krieg verheizt – und keine Chance, diesen zu gewinnen, weil die NATO sich völlig zu Recht für nicht zuständig erklärt. Vergebliche Erpressungsversuche gestartet mit dem Ergebnis, nicht nur die von ihm getäuschte Migrantenarmee gegen sich aufzubringen, sondern auch der EU endlich die Augen geöffnet zu haben.

Und nicht zuletzt: Ein Zudrehen des Geldhahns aus dem goldenen Westen der EU. Der Präsident von Anatolien und Byzanz wird viel rhetorische Kraft aufbringen müssen, um selbst seinen gutgläubigen Türken diese Aneinanderreihung von Niederlagen als Siege zu verkaufen.

Anzeige
Die mobile Version verlassen