Tichys Einblick
Erinnerungen an Peter Altmaier

Abbruch statt Aufbruch – der Niedergang der CDU

Den Niedergang der einst großen CDU kann man auch an den Entwicklungen ihrer führenden Köpfe beobachten. Es gab da zum Beispiel einmal einen mutigen, jungen Mann aus dem Saarland, der später inhaltsleer und rückgratlos hinter seiner Herrin her kroch.

IMAGO / BeckerBredel

Ich muss zugeben: Es gab eine Zeit, da stand Peter Altmaier in meiner Achtung ziemlich weit oben. Damals waren wir beide noch jung, und Altmaier war einer jener „jungen Wilden“, die in der Kohl-CDU den Eindruck erweckten, Partei und Politik voranbringen zu wollen und zu können. So geriet er damals, in den Achtzigern des vergangenen Jahrhunderts, in mehrfacher positiver Erwähnung in mein irgendwann wieder entdecktes Manuskript „Union am Scheideweg“. 1994 kam dieser junge Wilde Altmaier in den Bundestag – und damals kam es noch zu sporadischem Kontakt, der sich dadurch auszeichnete, dass Altmaier in seiner Korrespondenz alles andere als oberflächlich war. Irgendwann dann aber verlor sich der Kontakt und ich Altmaier aus dem Blick.

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Wirklich bewusst rückte er mir erst 2012 wieder ins Bewusstsein. Der 1958 im Saarland geborene Volljurist wurde von Angela Merkel zum Bundesminister berufen – und irgendwie war an diesem Altmaier nichts mehr so, wie ich es in Erinnerung hatte. Es war nicht nur das Äußerliche – seine langen Haare aus JU-Tagen waren schon vor dem biologischen Prozess der Ausdünnung Geschichte und der Körperumfang hatte sich auch deutlich verändert – es war vor allem das politische Wesen.

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Irgendetwas schien den Altmaier, den ich aus JU-Zeiten kannte, vernichtet zu haben. Die Situation erinnerte mich an einen Science-Fiction-Roman, den ich vor vielen Jahrzehnten geschmökert hatte. In dem Roman ging es darum, dass sich reiche Menschen Sicherheitskopien von ihrem Hirninhalt machen ließen, welche nach ihrem Tod dann einem menschlichen Wirt neben dessen eigenem eingespielt wurden. Im Kopf des Wirts kam es daraufhin zu einem Kampf um die geistige Hoheit – und nicht selten gewann das aufgespielte Bewusstsein die Oberhand und verdrängte das des Wirts gleichsam in ein geistiges Verlies.

So ungefähr erschien mir nun jener Peter Altmaier, dessen vorangegangene fast zwanzig Jahre an mir vorbeigegangen waren.

Aus dem mutigen, jungen Mann schien eine wandelnder Opportunist geworden zu sein. Altmaier kroch, so zumindest wirkte es auf mich, inhaltsleer und rückgratlos hinter seiner Herrin her, die sich mit ihm offensichtlich einen bedingungslos kritiklosen Knecht gezüchtet hatte. All das, was Altmaier in den Achtzigern an der CDU systemisch kritisiert hatte und was Merkel nicht nur von Kohl übernommen, sondern im Sinne ihrer absoluten Macht perfektioniert hatte, wurde nun von ihm selbst vertreten und verbreitet. Einher ging dieser Wandel mit der schleichenden Übernahme von Positionen, die niemals welche seiner Partei gewesen waren. Ob Umbau des Staatsbürgerrechts mit dem Ziel, den Migranten das Erringen der deutschen Staatsbürgerschaft zu erleichtern, ob Vorwürfe gegen seinen langjährigen Weggefährten Roland Koch, dass dieser einen ausländerfeindlichen Wahlkampf betreibe, ob seine Stellungnahme gegen den Vatikan, als der sich im Sinne des biblischen Wortes gegen die sogenannte Homo-Ehe ausgesprochen hatte – was Altmaier dachte, das machte Merkel – oder dachte er nur, was Merkel machen wollte?

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Die Belohnung blieb nicht aus. 2002 schon hatte die damalige Fraktionsvorsitzende der Union Altmaier zum Obmann in einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss gemacht, der den Vorwurf klären sollte, ob die SPD-geführte Bundesregierung die Bürger vor den Wahlen belogen hatte. Nachdem Merkels Versuch, ihren Vasallen 2003 als Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof zu platzieren, an der rotgrünen Bundesregierung gescheitert war, fand sie ihn 2005 mit dem Job als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium ab. Im Mai 2012 dann der Aufstieg zum Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Keine eineinhalb Jahre später machte ihn seine Herrin als Bundesminister für besondere Aufgaben zum Chef des Kanzleramtes. Die Innigkeit des Verhältnisses zwischen der Frau, die Widerspruch nie duldete, und dem Mann, der in seiner Jugend der wandelnde Widerspruch gewesen war, muss schon geraume Zeit überaus innig gewesen sein. So befand beispielsweise das Inforadio des Hessischen Rundfunks es einst als notwendig, diese Innigkeit auch daran festzumachen, dass Altmaier einer der ganz wenigen Privilegierten sei, der die Frau Bundeskanzler duzen dürfe.
Die Metamorphose von Personen und Partei

Der Arbeitersohn aus dem Saarland enttäuschte Merkel nicht. Sollte er noch eine eigene politische Meinung gehabt haben, so fand diese in der Öffentlichkeit nicht mehr statt. Vielmehr wurde er zum Ausputzer und Merkel-Erklärer. Wann immer es darum ging, die gegen Deutschland gerichtete Politik Merkels als Wohltat zu verkaufen – Altmaier stand bereit, den öffentlichen Versteher zu machen. Sollte er irgendwann noch einen Rest von eigenständiger politischer Statur gehabt haben, wurde er nun selbst zu Merkel.

Oder vielleicht war es auch andersherum – und Merkel wurde zu Altmaier plus Merkel. Am Ende will es schwer erscheinen zu erkennen, wessen Sicherheitskopie bei wem aufgespielt wurde. Vielleicht war es auch ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Merkel aufgesetzt auf das Hirn des Saarländers, Altmaier auf das seiner Herrin.

Der saarländische Katholik hatte schon unter Helmut Kohl erkannt, dass der ökologische Raubbau ein Thema in der Bundespolitik werden könne. In der Erkenntnis, dass die Union selbst den schweren Gang von der Honoratioren-Partei zur Bürgerpartei mit Zukunftsblick kaum allein würde gehen wollen, gehörte er in den Neunzigern zu jenen, die mit der sogenannten Pizza-Connection erste Versuche der Annäherung an die Grünen unternahmen. Und vielleicht erklärt sich der Wandel der Angela Merkel, die in ihren ersten Jahren des CDU-Vorsitzes noch den Eindruck vermittelte, in den liberal-konservativen Grundüberzeugungen der Partei wandeln zu wollen, hin zu einer grünsozialistischen Übermutter tatsächlich auch durch diesen Einfluss.

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Ganz selten nur blitzte scheinbar noch ein wenig vom alten, dem ganz jungen Altmaier auf. So, als er 2019 eine Wahlrechtsänderung anmahnte, dabei eine größere Bürgerbeteiligung forderte und sich so offen in Widerspruch zu Parteifreund und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble positionierte, dessen ewiges Bestreben es war, immer mehr Bürgereinfluss durch Parteieinfluss zu ersetzen. Doch am Ende ist es unbedeutend, ob in Altmaier noch ein minimales Fünkchen seiner jungen Jahre schlummerte. Es ist unbedeutend, ob Merkel zu Altmaier oder Altmaier zu Merkel wurden – in der Außenwirkung waren sie nicht mehr voneinander zu trennen. Aus Altmaier war in diesem Prozess das System Merkel geworden. Kritik an der Herrin unzulässig, gefolgsam wird das exekutiert, was die Herrin erwartet. Dass dazu irgendwann nicht einmal mehr Worte notwendig waren, erklärt das absolute Unterwerfungsverhältnis, mit dem Altmaier den autoritären, gegen Partei und Land gerichteten Herrschaftsstil Merkels in sich aufgesogen hatte. Es war so, wie es jener SF-Roman beschrieben hatte: Der junge Altmaier war verschwunden im Kopf des von Merkel übernommenen, willigen Dieners.
Ausgerechnet Altmaier fordert „Neuaufstellung“

So will es nun einem Treppenwitz der Geschichte gleichkommen, wenn ausgerechnet dieser Peter Altmaier jetzt eine „zügige Neuaufstellung“ der Union fordert. Wenn der Diener seiner Herrin nun an deren Stelle Sprechblasen absondert, die verlogener kaum hätten sein können.

Was immer Altmaier sich darunter auch vorstellen mag – die von ihm nun eingeforderte „Neuaufstellung“ müsse „ein starkes Signal des Aufbruchs“ werden. Gelingen könne dieses nur, „wenn wir stärker als bisher in die Partei hineinhören“. Das sei ihm schon am Wahlabend klar gewesen, gibt er zu Protokoll.

Man muss sich diese Sätze auf der Zunge zergehen lassen. Was progressiv und nach Läuterung klingen soll, ist an Mitgliederverachtung kaum mehr zu überbieten. 

„Wir“ müssten stärker als bisher in die Partei hineinhören. Das kann nur einer sagen, der sich immer noch als Entscheider, als Führer dieser Partei versteht – und er offenbart damit auch das Selbstverständnis seiner Herrin, deren Pluralis majestatis Legende ist und je nachdem nur sie selbst, dann die Partei, das deutsche Volk, die in Deutschland lebenden Menschen, die Europäer oder auch die gesamte Menschheit meinte.

Vor allem auch: Wie will jemand, dessen Bedürfnis es nie und zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise gewesen ist, „in die Partei hinein zu hören“, ausgerechnet dieses nun stärker als bisher tun? Was ist die mathematische Steigerung von Nichts? Richtig: Nichts!

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Dann die Erkenntnis, dieses Nichts nun tun zu wollen. Sie sei „schon“ am Wahlabend über ihn gekommen. Wenn dem so ist, dann kann der Beweis, in einer selbstproduzierten Glaskugel ohne Durchsichtfenster gelebt zu haben, nicht besser erbracht werden. Hier redet einer, der nichts, nicht das Geringste begriffen hat. Einer, der irgendwie immer noch davon träumt, dabei sein zu können, weil ihm außer der Politik im Leben nichts geblieben ist. Einer, der auch nicht begreifen will, vielleicht auch nicht begreifen kann, dass die Wahlniederlage vom 26. September 2021 nur zu kleinen Teilen dem offiziellen Verlierer Armin Laschet anzulasten ist.
Die gesamte CDU-Führung trägt Verantwortung

Die Hauptschuld daran, dass die Union nun in den Trümmern ihrer selbst liegt, lastet auf Personen wie Merkel und Altmaier, die den Versuch unternommen hatten, aus einer liberal-konservativen Partei, die sich nicht ohne Grund den Anspruch als Staatspartei der Bundesrepublik Deutschland bewahrt hatte, eine inhaltsleere Hülle mit grünem Tarnanstrich zu machen. Inhaltlich entkernt buken Merkel, Altmaier und ihre Adlaten aus der CDU ein Soufflé, welches in sich zusammenfiel, als die Wähler die Ofentür zu energisch öffneten.

Bei Altmaier, aber auch bei all den anderen, die als CDU-Führung den Weg in den Merkelschen Niedergang nicht nur zugelassen, sondern aktiv gefördert haben, trifft uneingeschränkt zu, was der Bundestagsabgeordnete Christian von Stetten feststellt: „Das CDU-Präsidium kann einen Kanzlerkandidaten gegen alle Umfragewerte, gegen die Schwesterpartei, gegen die Bundestagsfraktion und gegen die Parteibasis durchsetzen. Dann aber muss der Kandidat die Wahlen gewinnen und eine Regierung bilden können. Andernfalls hat auch das Parteipräsidium ein Akzeptanzproblem und muss seine Ämter zur Verfügung stellen.“

Vergessen allerdings sollte der gebürtige Stuttgarter dabei nicht, dass auch er bereits seit 2002 als Mitglied des Bundestags Teil des Systems Merkel ist. Auch er hat zu lange versäumt, zu pfeifen – und mitgemacht bei der kontinuierlichen Unions-Demontage. So wie es auch ein Witz ist, wenn sich jetzt andere, die Teil des Systems Merkel sind, als Hoffnungsträger der Partei ins Gespräch zu bringen suchen – an der Spitze jener Jens Spahn, der den Bürgerrechtsabbau durch Corona-Panik stets gezielt und bewusst vorangetrieben hat.

Auch von Laschet nur Phrasen

Da ist einem fast schon der Mann aus Aachen sympathisch. Armin Laschet hat sich am Wochenende schriftlich an seine Parteimitglieder gewandt und wissen lassen, dass er am Montag, den 11. Oktober, dem Parteivorstand die Einberufung eines Parteitages vorschlagen werde, um „die personelle Neuaufstellung“ zügig einzuleiten. Glaubwürdig allerdings wäre das nur, wenn gleichzeitig das gesamte Präsidium seinen Rückzug aus der Politik erklärt. Geschieht das nicht, sind auch das wieder nichts anderes als die üblichen Phrasen, mit denen dann auch Laschet sein Parteivolk füttert. 

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„Programmatisch, strukturell und auch personell“ müsse sich die Partei erneuern. Dieses kleine „auch“ allein schon beweist, wie viel Vertrauen Laschet darin hat, dass all jene, die die CDU in den Abgrund geführt haben, tatsächlich Konsequenzen ziehen werden. Doch auch ohne diese Floskel klingt der Ruf nach Programmatik und Struktur wie tausendfach gehört. Jedes Mal, wenn die Union irgendwo nicht so gut abgeschnitten hat, wie es Parteivorstand versprachen und die Mitglieder erwarteten, wird mit solchen Sätzen Kitt über die Risse geschmiert. Das Gerüst der Partei modert darunter fröhlich weiter.

Und so stellt sich durchaus die Frage, ob die auch in diesem Schreiben deklarierte Bereitschaft, wenn gewünscht dann doch als Jamaika „für einen echten Aufbruch in unserem Land“ bereit zu stehen, wirklich noch von irgendjemandem geglaubt werden kann. Den Aufbruch, den der Gescheiterte jetzt verspricht, hätte die Union längst beginnen müssen. Spätestens am Montag nach der Wahl hätte sich jemand aus der Parteiführung finden müssen, der das eigentliche Übel beim Namen nennt.

Doch auch heute ist weder Adlatus Altmaier noch Abgeordneter von Stetten noch Laschet bereit, genau dieses zu tun. Dabei wäre es so einfach. Es lautet einfach nur „Angela Merkel“.

Das aber zu sagen, ist offenbar unmöglich. Und so wird auch die nun angerührte Tünche von Neuaufstellung und Aufbruch nur den einen oder anderen Haarriss bedecken können. Das marode, seit Jahren zerstörte Gemäuer aber wird davon nicht zusammengehalten werden können.


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