Die ursprünglich fehlenden 1,9 Milliarden Euro seien nur ein Bruchteil der fehlenden Gelder. Zahlreiche Banken hätten der Wirecard AG Kredite in der Größenordnung von 3,2 Milliarden Euro bewilligt, die nun wahrscheinlich uneinbringlich seien.
Nächste Woche Mittwoch trifft sich der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages zu einer Sondersitzung. Vorgeladen sind die Minister Scholz (Finanzen) und Altmaier (Wirtschaft). Erster ist oberster Dienstherr der Finanzaufsicht BaFin. Die BaFin hat die Bilanzprüfung der Wirecard AG anderen überlassen, obwohl sie den Fall hätte an sich ziehen müssen. Altmaier ist Aufseher der Abschlussprüferstelle (Apas), war aber auch Kanzleramtsminister und damit auch für die Geheimdienste zuständig.
Es ist schon mindestens pikant, wenn Altmaiers ehemaliger Staatssekretär im Kanzleramt, der Geheimdienstkoordinator Klaus-Dieter Fritsche, anderthalb Jahr nach seinem Ausscheiden in den Ruhestand, im Kanzleramt für die Wirecard AG lobbyiert. Das ist insbesondere deshalb auch interessant, weil Fritsche die kurz zuvor beendete ÖVP/FPÖ-Regierung und deren damaligen Innenminister Herbert Kickl von der FPÖ beriet. Fritsche sollte bei der Weiterentwicklung des Verfassungsschutzes in Österreich helfen.
Ebenso hat Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg für den Markteintritt von Wirecard in China im Kanzleramt lobbyiert. Die Kanzlerin sprach das dann auf ihrer Chinareise im September 2019 auch offiziell an. Bei so viel gegenseitiger Unterstützung der Beteiligten verwundert es nicht, dass der Staatssekretär im Finanzministerium Jörg Kukies den damaligen Vorstandsvorsitzenden Markus Braun an dessen 50. Geburtstag am 5.11.2019 mit einem Besuch beehrte. So viel Nähe zu den Größen der Finanzwelt gab es seit dem Abendessen der Kanzlerin mit dem damaligen Deutsche Bank-Chefs Josef Ackermann und seinen Gästen im Kanzleramt anlässlich seines Geburtstages nicht mehr.
All diese Verstrickungen sind schon Grund genug zu ernster Sorge. Hinzu kommt noch das Problem, dass auch noch Tausende von geschädigten Anlegern betroffen sind. Sie haben über 20 Milliarden Euro Börsenkapitalisierung verloren. Sie haben auf einen Staat, seine Institutionen und seine Kontrollmöglichkeiten gesetzt und vertraut. Sie müssen jetzt Verluste von bis 99 Prozent ihres investierten Vermögens verkraften. Das betrifft nicht nur viele Einzelaktionäre, sondern auch Anleger, die indirekt über Investmentfonds oder Indexfonds in den DAX investiert waren. Auch sie müssen Verluste verkraften. Schon deshalb muss dieser Skandal umfassend parlamentarisch aufgearbeitet werden. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss ist dafür das richtige Instrument.