Zehn Jahre ist es her. Vor zehn Jahren musste die damalige sozialdemokratische Regierung Papandreou in Griechenland um Finanzhilfen der EU und der Euro-Staaten ersuchen. Ein Kassensturz nach der Wahl im Oktober 2009 ergab, dass das von der konservativen Vorgänger-Regierung an die EU gemeldete Defizit von 3,7 Prozent ein Fake war. Die neue Regierung korrigierte das Defizit erst auf 12,5 Prozent und später sogar auf 15,4 Prozent. Die Ratingagenturen stuften daraufhin das Land auf Schrottstatus. Die Zusage für das erste Hilfspaket in Höhe von 45 Milliarden Euro sicherten die Finanzminister der Eurozone dann am 11. April zu. Der Bundestag billigte dies am 7. Mai 2010.
Lediglich fünf Abgeordnete der damaligen Koalition aus Union und FDP stimmten dagegen: Klaus-Peter Willsch, Manfred Kolbe, Alexander Funk (CDU), Peter Gauweiler (CSU) und Frank Schäffler (FDP). Der kollektive Bruch der Nichtbeistandsklausel durch alle Regierungen und die EU-Kommission veranlassten mich damals, diesen Schritt zu gehen. Die Nichtbeistandsklausel (Artikel 125 AEUV) sah vor, dass kein Land für die Schulden eines anderen Landes haftet oder eintritt. Die damaligen Befürworter wischten dies beiseite und wollten Zeit gewinnen. Griechenland sollte harte Reformen durchführen und die Eurozone sollte stabilisiert werden.
Wie ist die Bilanz in Griechenland nach 10 Jahren? Die damaligen Befürworter betonen heute die Fortschritte. 2019 erzielte das Land ein Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent, für 2020 wird mit 2,3 Prozent gerechnet. Der Primärüberschuss, also die Einnahmen abzüglich der Ausgaben ohne Berücksichtigung des Schuldendienstes, lag 2019 bei 3,8 Prozent im Positiven. Und auch die Beschäftigungsquote stieg 2019 um 2 Prozentpunkte. Die Finanzmärkte goutieren diesen Kurs mit historisch niedrigen Renditen für zehnjährige Staatsanleihen (1,5 Prozent im Oktober 2019).
Doch das Bild ist schöngerechnet. Bei Griechenland wurde immer schöngerechnet – die Wachstumszahlen, die Schuldentragfähigkeit, die Arbeitslosenquote. Meist musste die Zahlen hinterher nach unten korrigiert werden. Das größte Problem in Griechenland ist im 11. Jahr immer noch nicht gelöst. Es ist die mangelnde Attraktivität des Investitionsstandortes. Griechenland hatte 2018 die geringste Investitionsquote aller Euro-Staaten. Wenn dort kein privates Kapital investiert wird, kann es nicht wirklich vorangehen. Das geringe Vertrauen von Investoren aus dem eigenen Land und von außen ist der wahre Grund für die andauernde Misere.
Die zahlreichen Transfers in Richtung Griechenland helfen dabei nicht, sondern schaden wahrscheinlich eher. Seit dem Beitritt zur damaligen EG 1981 bis zum Ausbruch der Krise hatte Griechenland aus europäischen Töpfen schon über 133 Milliarden Euro Transfers erhalten. Auf die Anzahl der Einwohner gerechnet hat Griechenland in der EU seitdem mit Abstand die meisten Finanzhilfen erhalten. Pro Kopf sind die Transfers mehr als doppelt (1.049 Euro pro Jahr zwischen 2008 und 2017, Quelle: cep) so hoch wie beim „Zweitplatzierten“ Litauen (459 Euro p.a.).
Griechenland hat bei diesen Standortbedingungen keine Chance, jemals auf einen grünen Zweig zu kommen. Dafür ist das Wirtschaftswachstum viel zu gering. Griechenland bräuchte Wachstumsraten von 6 oder 7 Prozent pro Jahr, um auf eigenen Beinen stehen zu können. Die Verschuldungslast ist nach wie vor erdrückend hoch. In 2009 hatte Griechenland eine Verschuldung von 299 Milliarden Euro. Heute liegt sie bei rund 340 Milliarden Euro. Die Tragfähigkeit dieser Verschuldung ist unter normalen Umständen nicht möglich. Sie gelingt nur, weil 284 Milliarden über drei Hilfspakete der Euro-Staaten, der EU und des IWF finanziert wurden. 190 Milliarden sind davon über den vorrübergehenden Schuldenschirm EFSF und den dauerhaften Schuldenschirm ESM finanziert. Die ESM-Kredite laufen bis 2060 und die EFSF-Kredite sogar bis 2070. Beide Kreditlinien sind faktisch zins- und tilgungsfrei. Der ESM sagt selbst in einer Stellungnahme: „Als Ergebnis der sehr vorteilhaften Kreditkonditionen spart Griechenland jedes Haushaltsjahr 13 Milliarden Euro, was etwa 7 Prozent des griechischen BIP ausmacht.“
Griechenland hätte sich 2010 mit seinen damals noch vorhandenen privaten Gläubigern auf einen Schuldenschnitt verständigen müssen. Gleichzeitig hätte man Griechenland möglichst geordnet aus dem Euro-Raum führen müssen, um ihnen anschließend innerhalb der Europäischen Union helfen zu können. Die Stützung des europäischen Finanzsystems wäre dann einfacher und billiger gewesen, als wenn man Griechenland dauerhaft an den Tropf hängt und Gläubiger auf der ganzen Welt herausboxt. Die wichtigste Regel der Marktwirtschaft, dass Risiko und Haftung zusammengehören, wäre dann nicht so fatal verletzt worden und Griechenland ginge es heute nach einem wirklichen Neustart besser.