Die Lordsiegelbewahrerin der Sozialen Marktwirtschaft ist die Ludwig-Erhard-Stiftung, die der erste Wirtschaftsminister und spätere Bundeskanzler 1967 selbst in Bonn gegründet hat. Erhard verstand unter der Sozialen Marktwirtschaft eine marktwirtschaftliche Ordnung, die Wohlstand für alle schafft und daher in ihrer Wirkung sozial ist. Heute wird die Soziale Marktwirtschaft von vielen eher als Mittelding zwischen Marktwirtschaft und Sozialismus verstanden – quasi ein dritter Weg nach skandinavischem Vorbild. Doch Erhard war davon weit entfernt. Schon direkt nach dem 2. Weltkrieg war er Mitbegründer der Mont Pelerin Society, dem Zusammenschluss von liberalen Ökonomen, dem auch die späteren Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich-August von Hayek und Milton Friedman angehörten. Ludwig Erhard, der trotz mehrfacher schriftlicher Aufforderungen Konrad Adenauers nie einen Aufnahmeantrag in der CDU gestellt hatte, zeichnete in der entscheidenden Phase seines Wirkens eines aus: Mut. Einen Tag vor der Währungsreform am 20. Juni 1948 kündigte er die Abschaffung der Zwangsbewirtschaftung und der Preisbindung an und löste damit den größten Wirtschaftsboom der Nachkriegsgeschichte aus.
In diesem Geist traf sich gestern die Erhard Stiftung in Berlin, um ihren Preis für Wirtschaftspublizistik an Renate Köcher und Marc Beise zu verleihen. Über der Veranstaltung schwebte die Diskussion über die gerade gescheiterten Sondierungsverhandlungen von Union, FDP und Grünen. Diese Sondierungen, die in ihrem Umfang in Wirklichkeit Koalitionsverhandlungen waren, sind im Wesentlichen an einem gescheitert: Mut.
Es gab keine Entscheidungen von Mut, die eine marktwirtschaftliche Erneuerung in Deutschland zum Ziel hatten. Es stand nicht die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, die Stärkung des Einzelnen oder die Entbürokratisierung im Fokus, sondern die Akzeptanz, dass der Staat die gesellschaftlichen Probleme durch noch stärkere Intervention und Kontrolle in den Griff bekommen muss. Die Verbindung wäre das Gegenteil dessen gewesen, was Ludwig Erhard wollte. Dafür tragen die Grünen die entscheidende Verantwortung. Bei ihrem gesinnungsethischen Politikentwurf wird der Staat in allen Lebenslagen gebraucht, um die Welt zu retten. Nur ein kleines, aber bezeichnendes Beispiel verdeutlicht das. Es steht im Sondierungspapier unter „Green Finance“. Hier soll eine Bundesregierung EU-weit eine neue Anlagekategorie für nachhaltige Finanzprodukte etablieren. Muss sich eine Regierung um diese Frage kümmern oder lässt man die Marktteilnehmer nicht selbst entscheiden, ob sie in diese Produkte investieren wollen oder nicht? Und ist dies für eine Sondierung entscheidend, ob man anschließend in Koalitionsverhandlungen eintritt? Oder ein anderer Punkt: eine nationale Strategie sollte die Reduzierung von Zucker, Fetten und Salz in Fertigprodukten erreichen. Der zuckerfreie Sonntag wäre vielleicht unter Verbraucherminister Jürgen Trittin die Folge gewesen. Volkserziehung von ganz oben anstatt Eigenverantwortung in der Familie.
Nein, diese Regierung hätte keinen Aufbruch, keine marktwirtschaftliche Erneuerung für dieses Land, sondern noch mehr Stillstand erzeugt. Ludwig Erhard würde sich bei diesem Anblick im Grabe umdrehen und hätte dazu gesagt:
„Was sind das für Reformen, die uns Wände voll neuer Gesetze, Novellen und Durchführungsverordnungen bringen? Liberale Reformen sind es jedenfalls nicht. Es sind Reformen, die in immer ausgeklügelterer Form Bürger in neue Abhängigkeiten von staatlichen Organen bringen, wenn nicht sogar zwingen.“
Daher gilt: lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.