Wenn am kommenden Freitag die Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Gipfel in Brüssel über einen Wiederaufbaufonds diskutieren, dann reden sie am eigentlichen Problem vorbei. Es ist nämlich nicht entscheidend, ob der 750 Milliarden-Fonds der Europäischen Union durch Zuschüsse oder durch rückzahlbare Kredite finanziert wird, sondern ob das Instrument generell sinnvoll ist. Das ZEW in Mannheim hat in dieser Woche eine Studie vorgelegt, die daran ernsthafte Zweifel hegt. Die Mittel würden nicht zielgenau eingesetzt, es würden keine Reformanreize gesetzt und die Hilfen kämen sehr wahrscheinlich zu spät.
Diese Kritik ist durchaus berechtigt. Doch sie geht nicht weit genug.
Denn letztlich bringt diese Art der Wirtschaftsförderung im besten Falle nichts, meist schadet sie eher. Woher soll die Staatengemeinschaft, deren Regierungen und Parlamente wissen, durch welche Investitionen Wachstum entsteht? Wenn sie das wüssten, wären sie als Einzelpersonen selbst unternehmerisch tätig. Stattdessen entscheiden sie mit fremdem Geld über Investitionen, deren Risiken sie nicht übernehmen müssen. Das ist einfach und kann jeder. Doch es entspricht nicht einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Diese setzt auf Risiko und Haftung. Derjenige, der Risiken eingeht, kann die Früchte seiner Investition ernten, trägt aber auch das Risiko, wenn es schief geht. Ein Staats- oder Ministerpräsident trägt nicht das Risiko des Geldausgebens. Risiko und Haftung sind in der Politik entkoppelt. Daher sollten Regierungen und Parlamente sich nicht direkt in Wirtschaftsprozesse einmischen. Sie sollten lediglich die Rahmenbedingungen setzen – möglichst durch allgemeine, abstrakte Regeln, die für alle gleich sind.
Das bedeutet allerdings nicht, dass die Staaten oder auch die Kommission der EU überhaupt nichts tun könnten, um Wachstum und letztlich auch Wohlstand zu fördern. Doch um den Blick von immer neuen staatlichen Subventionen und Förderungen hin zu den entscheidenden Treibern von Wachstum und Wohlstand zu lenken, sollte auf die zurückliegenden 30 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs geschaut werden. Seitdem hat sich das weltweite BIP von 23,5 auf 86 Billionen US-Dollar erhöht. Ein Anstieg, den es in der Geschichte der Menschheit noch nie gegeben hat.
Diese Entwicklung erhält durch die Corona-Pandemie einen jähen Rückschlag. Wenn Blumengeschäfte über Wochen in Deutschland geschlossen sind, dann hat dies Auswirkungen bis nach Kenia. Dort werden die Rosen gezüchtet, die in Deutschland zu schönen Sträußen gebunden werden. Keine Sträuße: keine Rosen. Keine Rosen: keine Arbeit für Hunderte von Arbeitern in Kenia. Keine Arbeit: kein Einkommen für die Familien. Man kann in der Hängematte schwingend seufzend die Zeit beiseitelegen, und sich in guter gesellschaftskritischer Manier darüber beklagen, dass Rosen über tausende von Kilometern von Kenia nach Deutschland gebracht werden. Doch für die Arbeiter in Kenia ist dies ihre berufliche Existenz. Eine Alternative gibt es meist nicht. Diese Arbeit schafft die Grundlage dafür, dass diese Familien ihre Kinder in die Schule schicken können und sich einen bescheidenen Wohlstand erarbeiten. Ohne diese Arbeitsteilung würde eine Rose in Blumenladen nicht 50 Cent oder 1 Euro kosten, sondern wahrscheinlich 3 oder 4 Euro und viele Menschen, die heute damit beglückt werden, wohl leer ausgehen,
Deutschland kann die Investitionsbedingungen durch Bürokratieabbau, Steuersenkungen und eine bessere Infrastruktur verbessern. Die EU muss für den Freihandel eintreten. Sie muss endlich verhandelte Freihandelsabkommen ratifizieren. Vielleicht sogar auch einseitig Zölle und Handelsbeschränkungen aufheben, um einen wichtigen Impuls im Welthandel zu setzen. Und weltweilt muss die Welthandelsorganisation WTO als Streitschlichtungsinstitution wieder Zähne bekommen.
Der Blick muss generell auf die Förderung der Globalisierung und des Welthandels gelegt werden. Nur dies kann die ökonomischen Folgen der Pandemie mildern. Soviel gehört zur Wahrheit dazu: Ein Wiederaufbaufonds der EU kann das nicht.